Die Gerichte eines Mitgliedstaats, die eine rechtskräftige Entscheidung zur elterlichen Verantwortung für ein minderjähriges Kind erlassen haben, sind für einen Antrag auf Abänderung dieser Entscheidung nicht mehr international zuständig, wenn das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt inzwischen im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats hat.
In einem Abänderungsverfahren, deren Gegenstand eine im Ausland (hier: in Kroatien) erlassene Umgangsentscheidung ist, sind die deutschen Gerichte gemäß Art. 8 I EuEheVO international zuständig, wenn das Kind bei Antragstellung seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hatte. Art. 8 I EuEheVO ist auch für Abänderungsentscheidungen anwendbar.
Es besteht ein Rechtsschutzbedürfnis für den Umgangsantrag eines Elternteils, auch wenn bereits eine Umgangsregelung eines ausländischen (hier: kroatischen) Gerichts für die Zeit des Getrenntlebens vorliegt.
Die Abänderung/Abänderbarkeit einer ausländischen Kindschaftsentscheidung setzt voraus, dass die ausländische Entscheidung im Inland anerkannt wird, da sie nur dann einer inländischen Entscheidung gleichgestellt wird. [LS der Redaktion]
Die Bet. streiten über die Abänderung einer Entscheidung eines kroatischen Gerichts, durch die der Umgang des in Kroatin wohnhaften AGg. mit dem gemeinsamen, bei der ASt. in Deutschland lebenden Kind D. geregelt worden ist. Die ASt. und der AGg., die im September 2009 die Ehe geschlossen haben, sind die Eltern des Kindes D. P. (geb. 2010). Die ASt. ist deutsche und kroatische Staatsangehörige, der AGg. kroatischer Staatsangehöriger; das Kind D. hat beide Staatsangehörigkeiten. Im März 2013 zog die Familie nach Deutschland um. Als die Familie im Juli 2013 nach Kroatien gereist war, um finanzielle Angelegenheiten zu regeln, behielt der AGg. den Reisepass des Kindes ein und teilte der ASt. mit, dass er mit D. in Kroatien bleiben werde.
Das Amtsgericht in Vinkovci/Kroatien, entschied mit Beschluss vom 30.7.2013 (6 R1-140/13-2), dass D. bis zum rechtskräftigen Abschluss des Scheidungsverfahrens „zur Erziehung und Fürsorge der Mutter anvertraut wird“. Auf die Beschwerde des AGg. wurde dieser Beschluss durch das Bezirksgericht in Vinkovci am 9.9.2013 aufgehoben und an das Amtsgericht in Vinkovci zurückgegeben, das bis zur „rechtsgültigen“ Entscheidung neue Regelungen zu Aufenthaltszeiten D.s beim AGg. (in Kroatien) bzw. bei der ASt. (in Deutschland) traf (6 R1-202/13-14). Die Beschwerde der ASt. gegen die Umgangsregelung wurde durch Beschluss des Bezirksgerichts Vukovar vom 3.7.2014 (967/14-2) zurückgewiesen.
Nachdem die ASt. nach ihrer Rückkehr nach Deutschland der vom Amtsgericht in Vinkovci beschlossenen Umgangsregelung nicht nachkam, betrieb der AGg. in Kroatien die Zwangsvollstreckung aus dem Umgangstitel gegen die ASt. und leitete im Juli 2013 beim Amtsgericht ein Scheidungsverfahren ein, in dem er u.a. das Sorgerecht für D. beantragt hat. Neben der Vollstreckung der Umgangsentscheidung durch gerichtliche Maßnahmen kroatischer Gerichte hat der AGg. auch eine Vollstreckung des kroatischen Umgangstitels in Deutschland angestrebt.
Mit Beschluss vom 14.8.2015 stellte das AG Stuttgart die Zwangsvollstreckung aus dem Beschluss des Amtsgerichts in Vinkovci vom 24.3.2014 (6 R1-202/13-14) mit der Begründung ein, dass im (hiesigen) Verfahren 24 F 759/15 die Abänderung der zu vollstreckenden Entscheidung begehrt werde.
[1]II. ... 2. a) Die ASt. betreibt ein Abänderungsverfahren, bezogen auf eine im Ausland erlassene Umgangsentscheidung.
[2]Die deutschen Gerichte sind hierfür gemäß Art. 8 I EuEheVO international zuständig, da das Kind D. bei Antragstellung am 6.3.2015 seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hatte. Art. 8 I EuEheVO ist auch für Abänderungsentscheidungen anwendbar. Die Gerichte des Mitgliedstaats, die eine rechtskräftige Entscheidung betreffend die elterliche Verantwortung für ein minderjähriges Kind erlassen haben, sind über einen Antrag auf Abänderung dieser Entscheidung nicht mehr international zuständig, wenn das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats hat (EuGH, Urt. vom 15.2.2017 – W und V ./. X, Rs C-499, FamRZ 2017, 734).
[3]b) Eine entgegenstehende Rechtshängigkeit durch das in Kroatien geführte Scheidungsverfahren, das auch den Umgang mit dem Kind D. zum Gegenstand hat, besteht nicht.
[4]Das AG hat hierzu zutreffend ausgeführt, dass ... Gegenstand der Entscheidung des Amtsgerichts in Vinkovci vom 24.3.2014 ... ausschließlich [ist], wie der Umgang des AGg. mit dem Kind D. bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Ehescheidung, d.h. während der Trennungszeit, zu regeln ist. [...] Es handelt sich um Regelungen für zwei verschiedene, zeitlich einander nachfolgende Abschnitte und damit auch um unterschiedliche Verfahrensgegenstände.
[5]c) Soweit der AGg. davon ausgeht, dass es an einem Rechtsschutzbedürfnis für den Umgangsantrag der ASt. fehle, da bereits eine Umgangsregelung eines kroatischen Gerichts (für die Zeit des Getrenntlebens) vorliege, ist dies unzutreffend.
[6]Auch ausländische Sorge- oder Umgangsrechtsentscheidungen sind abänderbar (Staudinger-Coester, BGB [2014], § 1696 Rz. 149 m.w.N.). Da ausländischen Entscheidungen im Inland hins. ihrer Abänderbarkeit keine weitergehende Wirkung als einer inländischen Entscheidung beigemessen werden kann, müssen auch ausländische Kindschaftsentscheidungen abänderbar sein (Andrae, Int. Familienrecht, 3. Aufl., § 6 Rz. 199).
[7]Die Anerkennungsfähigkeit von ausländischen Entscheidungen steht dem nicht entgegen, sondern ist vielmehr Voraussetzung. der Abänderbarkeit (Staudinger-Coester aaO). Die Abänderung/Abänderbarkeit einer ausländischen Kindschaftsentscheidung setzt voraus, dass – was inzident zu prüfen ist – die ausländische Entscheidung im Inland anerkannt wird, da sie nur dann einer inländischen Entscheidung gleichgestellt wird. Ist sie nicht anzuerkennen, ist durch das deutsche Gericht – mangels Wirksamkeit der ausländischen Entscheidung im Inland – eine Erstentscheidung zu erlassen (Staudinger-Coester aaO; MünchKomm-Olzen, 7. Aufl., § 1696 Rz. 55).
[8]d) Der Beschluss des Amtsgerichts Vinkovci vom 24.3.2014 ist anzuerkennen.
[9]Es handelt sich um eine in einem EU-Mitgliedstaat ergangene Entscheidung. EU-Entscheidungen zum Umgangsrecht werden gemäß Art. 21 I EuEheVO automatisch in einem anderen Mitgliedstaat anerkannt, ohne dass es eines besonderen Verfahrens bedarf. Grundsätzlich sind allerdings – von Amts wegen – etwaige Anerkennungsversagungsgründe gemäß Art. 23 EuEheVO zu prüfen.
[10]Letzteres gilt nicht, wenn – wie hier – ein ausländischer Umgangstitel mit einer Bescheinigung gemäß Art. 41 I‚ II EuEheVO versehen worden ist; Anerkennungsversagungsgründe gemäß Art. 23 I EuEheVO können dann nicht vorgebracht werden (Hausmann, IntEuSchR, 1. Aufl., J 227).
[11]Nachdem der Beschluss des Amtsgerichts Vinkovci vom 24.3.2014 anzuerkennen ist, ist zum Umgangsrecht des AGg. bis zur Rechtskraft der Scheidung keine Erstentscheidung zu treffen, sondern – wie von der ASt. zutreffend angestrebt – ein Änderungsverfahren durchzuführen.
[12]3. a) Für das Abänderungsverfahren ist materiell-rechtlich gemäß Art. 15 KSÜ deutsches Recht anzuwenden.
[13]Die Abänderung richtet sich im anzuwendenden nationalen Prozessrecht nach § 166 FamFG und materiell-rechtlich, nachdem – wie vorstehend ausgeführt – deutsches Sachrecht anzuwenden ist, nach § 1696 I BGB.
[14]Soweit der AGg. darauf hingewiesen hat, dass den deutschen Gerichten nur Modifikationen der kroatischen Entscheidung in den Grenzen des Art. 48 I EuEheVO möglich sind, ist dies nicht zutreffend. Art. 48 EuEheVO ist (nur) in einem Vollstreckungsverfahren anwendbar, d.h. in einem Verfahren, in dem es um die Vollstreckbarerklärung/Vollstreckung einer im Ausland ergangenen Entscheidung im Inland geht (Hausmann aaO J 275), nicht aber in einem Verfahren über die Abänderung der ausländischen Hauptsacheentscheidung selbst. Die Befugnis der deutschen Gerichte zu einer umfassenden Prüfung und ggf. zu einer Abänderung der Entscheidung eines ausländischen Gerichts wird durch Art. 48 EuEheVO nicht berührt.
[15]Soweit der AGg. im Beschwerdeverfahren auch seinen Antrag aus dem Vollstreckungsverfahren 24 FH 1/15 gestellt hat, ist festzuhalten, dass eine Vollstreckbarerklärung/Vollstreckung der Entscheidung des Amtsgerichts in Vinkovci vom 24.3.2014 nicht Gegenstand des hiesigen (Abänderungs-)Verfahrens ist.
[16]b) Gemäß §§ 166 FamFG, 1696 I 1 BGB ist eine gerichtliche Entscheidung zum Sorge- oder Umgangsrecht zu ändern, wenn dies aus triftigen, das Wohl des Kindes nachhaltig berührenden Gründen angezeigt ist. Die Änderung einer sorge- oder umgangsrechtlichen Entscheidung kann insbes. durch die Änderung der tatsächlichen Lebensverhältnisse des Kindes veranlasst sein (MünchKomm-Olzen aaO Rz. 27). Auch der nachdrückliche Änderungswunsch des Kindes kann beachtlich sein (Staudinger-Coester aaO Rz. 57).
[17]c) Es kann kein Zweifel darüber bestehen, dass die Entscheidung des Amtsgerichts Vinkovci zum Umgangsrecht des AGg. mit dem Kind D. wegen einer Änderung der Verhältnisse abzuändern ist, da die von dem Amtsgericht in Vinkovci getroffene Regelung dem Wohl des Kindes nicht mehr entspricht.
[18]Neben den geänderten äußeren Umstände ist insbes. auch der Wille des Kindes D. zu berücksichtigen ...
[19]Nach den – nachvollziehbaren – Äußerungen D.s ist in Übereinstimmung mit der Einschätzung des Verfahrensbeistands und des JugA Ludwigsburg davon auszugehen, dass die vom Amtsgericht Vinkovci angeordnete Umgangsregelung D., der derzeit einen Umgang in Kroatien ablehnt, überfordern und damit nicht seinem Wohl entsprechen würde ...
[20]Nach Anhörung der Beteiligten durch den Senat und ausführlicher Erörterung des Sachverhalts hat der AGg. schließlich in der mündlichen Verhandlung vom 18.10.2016 zu Protokoll erklärt, dass er auf sämtliche Rechte aus dem Beschluss des Amtsgerichts in Vinkovci vom 24.3.2014 verzichte und dass er seinen Vollstreckungsantrag im Verfahren vor dem AG Stuttgart 24 FH 1/15 zurücknehme.
[21]Wenn der AGg. als Umgangsberechtigter selbst an der durch das Amtsgericht in Vinkovci getroffenen Umgangsregelung nicht mehr festhalten möchte, besteht auch aus diesem Grund kein Raum mehr für eine Aufrechterhaltung der Entscheidung vom 24.3.2014. Diese ist abzuändern.
[22]d) Der Senat geht davon aus, dass eine Abänderung des Beschlusses des Amtsgerichts in Vinkovci vom 24.3.2014 in der Weise, wie es vom AG Stuttgart im Beschluss vom 5.2.2016 angeordnet wurde, dem Kindeswohl entspricht.
[23]D. hat seinen Vater zweifelsohne gern, wovon sich der Senat auch bei der mündlichen Verhandlung vom 18.10.2016 überzeugen konnte. Sichtbar war aber auch, dass das Kind, das eine enge Bindung zu seiner Mutter aufweist, darüber tief verunsichert ist, dass der Vater anstrebt, es in Zukunft auf Dauer zu sich nach Kroatien nehmen zu wollen.
[24]Der Verfahrensbeistand hatte bereits im ersten Rechtszug darauf hingewiesen, dass ein betreuter Umgang sich gut dafür eignen könnte, um unter Berücksichtigung der Sorgen des Kindes den Umgang zwischen Vater und Sohn wieder in Gang zu bringen ...
[25]Auch das JugA Ludwigsburg wies darauf hin, dass aufgrund des langen Kontaktausfalls zunächst eine Annäherung bzw. Kontaktanbahnung zwischen Vater und Sohn erforderlich sei.
[26]Die Sorgen des Kindes, die bereits für sich genommen beachtenswert sind, heben durchaus auch einen realen Hintergrund. Es besteht hier nicht nur – wie vom AGg. vorgetragen – eine ‚abstrakte’ Entführungsgefahr ...
[27]Zu berücksichtigen ist in diesem Zusammenhang auch, dass der AGg. in dem in Kroatien geführten Scheidungsverfahren seinen Antrag auf Übertragung der elterlichen Sorge für D. ausweislich der Aktenlage nicht zurückgenommen hat ...
[28]Der Senat geht davon aus, dass – wie auch von der ASt. in der mündlichen Verhandlung vom 18.10.2016 angekündigt – nach Durchführung erster betreuter Umgangstermine und einer Rücknahme des Sorgerechtsantrags in dem kroatischen Verfahren unter Berücksichtigung des guten Verhältnisses von D. zu seinem Vater eine Umstellung auf einen unbetreuten Umgang in absehbarer Zeit möglich sein müsste.
[29]e) Dass es im hiesigen Verfahren nur um die Abänderung einer Regelung zum Umgang bis zur rechtskräftigen Entscheidung in einem Scheidungsverfahren geht, wurde bereits unter 2. b) ausgeführt.