Steht den Eltern eines Kindes nach dem gemäß Art. 3 HKiEntÜ maßgeblichen (hier: französischen) Recht die elterliche Sorge gemeinsam zu (Art. 372 Cc), ist das Verbringen des Kindes in einen anderen Vertragsstaat des HKiEntÜ, wenn dadurch das Sorgerecht verletzt wird, widerrechtlich.
Sofern Versagungsgründe gemäß Art. 13 I und II, 20 HKiEntÜ nicht entgegenstehen, ist seine Rückführung gemäß Art. 12 I lit. b HKiEntÜ anzuordnen. [LS der Redaktion]
Der ASt. begehrt von der AGg. die Rückführung des gemeinsamen Kindes K. M. E. Der ASt. E. E. ist deutscher Staatsangehöriger mit Wohnsitz in Frankreich. Die AGg. C. E. K. ist kamerunische Staatsangehörige. Aus der Beziehung der Bet. ist das 2014 geborene Kind K. M. E. hervorgegangen. Der ASt. hat die Vaterschaft zu dem Kind K. M. mit Erklärung vom 25.2.2014 wirksam anerkannt. Die AGg. zog zusammen mit K. M. und ihrer damals acht Jahre alten Tochter C. K. zu dem ASt. nach Frankreich. Nach einem vorübergehenden Aufenthalt der AGg. in einer Entbindungsklinik Deutschland weigerte sich der ASt., diese wieder in die gemeinsame Wohnung aufzunehmen. Am 8.7.2015 reiste die AGg. zusammen mit ihrer Tochter C. und dem neugeborenen Sohn R. nach Deutschland. Seither lebt sie in N. Der ASt. widersetzte sich dem Wunsch der Mutter, auch das Kind K. M. nach Deutschland zu holen. Nach einer Anhörung in Frankreich nutzte die Mutter die Gelegenheit, um das Kind nach Deutschland mitzunehmen. Mit Antrag vom 2.12.2016 hat der Beteiligte E. E., vertreten durch das BfJ, auf der Grundlage des HKiEntÜ die sofortige Rückführung des Kindes nach Frankreich beantragt.
Das AG – FamG – Nürnberg hat mit Beschluss vom 4.5.2017 die Rückführung des Kindes angeordnet und der Mutter hierzu eine Frist von zwei Wochen eingeräumt. Gegen diese Entscheidung hat die AGg. Beschwerde eingelegt.
[1]II. Die befristete Beschwerde der AGg. ist gemäß § 40 II 1 IntFamRVG i.V.m. § 58 FamFG statthaft. Sie ist gemäß § 40 II 2 IntFamRVG i.V.m. § 63 I FamFG form- und fristgerecht bei dem für die Einlegung zuständigen AG – FamG – Nürnberg eingelegt worden und damit zulässig.
[2]In der Sache hat die befristete Beschwerde jedoch keinen Erfolg. Das AG hat gemäß Art. 12 I HKiEntÜ zu Recht die Verpflichtung zur Rückführung des Kindes K. M. nach Frankreich bzw. die Herausgabe des Kindes an den ASt. bzw. an eine von ihm bestimmte Person zum Zwecke der Rückführung des Kindes nach Frankreich angeordnet, weil die AGg. das Kind widerrechtlich aus Frankreich nach Deutschland verbracht hat und Versagungsgründe gemäß Art. 13 I und II, 20 HKiEntÜ, welche einer Rückführung entgegenstehen könnten, nicht vorliegen.
[3]1. Das Verbringen des Kindes K. M. durch die AGg. aus Frankreich nach Deutschland in der Nacht vom 2./3.12.2015 war widerrechtlich i.S.d. Art. 3 HKiEntÜ.
[4]1.1. Das HKiEntÜ findet Anwendung. Es ist im Verhältnis zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Frankreich seit 1.12.1990 in Kraft getreten.
[5]1.2. Nach Art. 3 HKiEntÜ ist das Verbringen eines Kindes in einen anderen Vertragsstaat des HKiEntÜ widerrechtlich, wenn dadurch das Sorgerecht verletzt wird, das einer Person, Behörde oder sonstigen Stellen alleine oder gemeinsam nach dem Recht des Staats zusteht, in dem das Kind unmittelbar vor dem Verbringen seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Nach dem in Frankreich geltenden Recht, hierauf kommt es gemäß Art. 3 HKiEntÜ an, steht Eltern eines Kindes, die elterliche Sorge auch dann gemeinsam zu, wenn sie nicht miteinander verheiratet sind. Dies ergibt sich aus Art. 372 des franz. Cc. Einer der in der genannten Vorschrift geregelten Ausnahmefälle greift nicht ein, weil der ASt. die Vaterschaft zu dem Kind K. M. bereits am 25.2.2014 zur Niederschrift des Standesamts N. mit Zustimmung der AGg. wirksam anerkannt hat. Dass die elterliche Sorge für K. M. im Dezember 2015 beiden Eltern gemeinsam zustand, ist im Übrigen auch von dem Tribunal de grande instance de Toulouse mit Entscheidung vom 16.12.2015 festgestellt und von den Eltern nicht in Zweifel gezogen worden.
[6]1.3. Das Kind K. M. hatte, als es Anfang Dezember 2015 von der Mutter von Frankreich nach Deutschland verbracht wurde, seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Frankreich ...
[7]1.4. Das Verbringen des Kindes nach Deutschland in der Nacht vom 2./3.12.2015 war widerrechtlich. Art. 5 lit. a HKiEntÜ definiert, dass der Begriff ‚Sorgerecht’ i.S.d. Übereinkommens die Sorge für die Person des Kindes. insbes. das Recht, den Aufenthalt des Kindes zu bestimmen, beinhaltet. Für die Frage der Widerrechtlichkeit des Verbringens ist daher zu prüfen, ob dem ASt. nach französischem Recht in Angelegenheiten der Aufenthaltsbestimmung materiell ein (Mit-)Bestimmungsrecht zustand.
[8]Nach dem ausschlaggebenden französischen Recht stand dem ASt. zum Zeitpunkt des Verbringens des Kindes von Frankreich nach Deutschland die gemeinsame Sorge für das Kind zu. Diese gemeinsame Sorge beinhaltete auch das Recht, zusammen mit der AGg. über den Aufenthalt des Kindes zu bestimmen. Dieses Recht hat die AGg. verletzt, indem sie das Kind K. M. in der Nacht vom 2./3.12.2015 ohne Zustimmung oder Einwilligung des ASt. von Frankreich nach Deutschland verbrachte. Dies, obwohl sie wusste, dass in Frankreich bereits ein gerichtliches Verfahren zur Klärung des Aufenthalts des Kindes lief. Die AGg. war offensichtlich von Anfang an nicht bereit, die Entscheidung des französischen Gerichts, von der sie vermutete, sie werde nicht zu ihren Gunsten ausgehen, zu akzeptieren. Das Verbringen des Kindes nach Deutschland erfolgte daher in vollem Bewusstsein der Widerrechtlichkeit ihres Vorgehens.
[9]2. Die Jahresfrist gemäß Art. 12 I HKiEntÜ ist gewahrt. Das Kind wurde von der AGg. in der Nacht vom 2./3.12.2015 nach Deutschland verbracht. Der auf das HKiEntÜ gestützte Rückführungsantrag des ASt. ist per Fax am 2.12.2016 um 12.56 Uhr, also noch innerhalb der Jahresfrist nach Art. 12 I HKiEntÜ, bei dem zuständigen AG Nürnberg eingegangen. Die Fristberechnung bestimmt sich nach § 14 IntFamRVG i.V.m. §§ 16 II FamFG, 222 ZPO, 187, 188 I BGB. Das für den Fristbeginn maßgebliche Handeln ist die erste nach außen hervortretende Verletzung des Sorgerechts durch Überschreiten einer Staatsgrenze (Staudinger-Jörg, BGB, 2009, Rz. D 64 zu Art. 12 HKÜ) ...
[10]3. Der Rückführung des Kindes stehen keine Ablehnungsgründe gemäß Art. 13 HKiEntÜ entgegen.
[11]3.1. Der ASt. hat zum Zeitpunkt des Verbringens sein Sorgerecht tatsächlich ausgeübt. In der Zeit vom 9.6.2015 (Abreise der AGg. zur Entbindung nach Deutschland) bis zum 2.12.2016 wurde K. M. ausschließlich von dem ASt., in dessen Obhut sie sich befand, betreut und versorgt.
[12]3.2. Der ASt. hat dem Verbringen auch nicht im Voraus zugestimmt oder dieses im Nachhinein genehmigt ...
[13]3.3.1. Ein Versagungsgrund gemäß Art. 13 I lit. b HKiEntÜ liegt nur vor, wenn eine ungewöhnlich schwerwiegende Beeinträchtigung des Kindeswohls, die sich als besonders erheblich, konkret und aktuell darstellt, drohen würde (vgl. BVerfGE 99, 145 ff.). Die mit einer Rückführung eines Kindes üblicherweise verbundenen Beeinträchtigungen sind dabei grundsätzlich nicht geeignet, die Rückführungsanordnung infrage zu stellen. Durch das Abkommen soll Kindesentführungen vorgebeugt werden, zum anderen soll eine Sorgerechtsentscheidung am Ort des früheren gewöhnlichen Aufenthalts des Kindes sichergestellt werden. Das Abkommen soll verhindern, dass der Entführer in die Lage versetzt wird, sich durch die mit der Entführung geschaffenen vollendeten Tatsachen von vornherein ein Übergewicht bei einer etwa erforderlichen Sorgerechtsentscheidung zu verschaffen (vgl. BVerfG, FamRZ 1997, 1269 (IPRspr. 1997 Nr. 101b)). Eine Berücksichtigung der zwangsläufig mit jeder Rückführung verbundenen Belastung für das Kind würde dem so zu verstehenden Schutz des Kindes widersprechen. Bei der Bewertung der Vorschrift ist deswegen eine einschränkende Auslegung geboten (BVerfGE 99, 145) (IPRspr. 1998 Nr. 108b). Die Hinnahme eines Rechtsbruchs durch den verbringenden Elternteil ist nur bei ungewöhnlich schwerwiegender Beeinträchtigung des Kindeswohls gerechtfertigt (BVerfGE 99 aaO) ...
[14]3.3.2. Bei Anwendung dieser Grundsätze kann die Rückführung des Kindes K. M. nach Frankreich nicht abgelehnt werden ...
[15]4. Ein Grund zur Ablehnung der Rückführung nach Art. 20 HKiEntÜ liegt nicht vor. Aus den oben zitierten Entscheidungen des BVerfG ergibt sich, dass die Regelungen des HKiEntÜ mit dem deutschen GG, in welchem auch die grundlegenden Menschenrechte und Freiheitsrechte garantiert sind, vereinbar sind.
[16]Die Beschwerde der AGg. war daher insgesamt als unbegründet zurückzuweisen.