Als Ausnahmevorschrift ist die Ablehnung der Anwendung ausländischen Rechts aus Gründen des Verstoßes gegen die öffentliche Ordnung (ordre public) eng auszulegen. Es bedarf eines unerträglichen und ohne weiteres erkennbaren Widerspruchs zu wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts. Die Feststellung eines abstrakten Widerspruchs genügt nicht, sondern es muss das untragbare Ergebnis stets im konkreten Fall festgestellt werden.
Wird durch eine nach englischem Recht (deed poll) zulässige gewillkürte Namensänderung bewusst irreführend der Anschein der Abstammung aus einem früheren Adelshaus erzeugt, ist diese wegen Verstoßes gegen den deutschen ordre public nicht anerkennungsfähig. Mit der Anerkennung wäre die Gefahr eines künftigen Namenstourismus mit dem Ziel der gesellschaftlichen „Aufwertung“ verbunden, womit der herausragende Rang der Gleichheit der Bürger vor dem Gesetz verletzt würde. Das gilt auch, wenn der Antragsteller Angehöriger beider Mitgliedstaaten ist.Die Ablehnung der Anerkennung ist mit der durch Art. 21 AEUV verbürgten Freizügigkeit der Unionsbürger vereinbar. [LS der Redaktion]
[Der unter demselben Az. dem EuGH zur Entscheidung vorgelegte Beschluss des AG Karlsruhe vom 17.9.2014 wurde bereits im Band IPRspr. 2014 unter der Nr. 20 abgedruckt. – Das Urteil des EuGH (Nabiel Peter Bogendorff von Wolffersdorff ./. Standesamt der Stadt Karlsruhe und Zentraler Juristischer Dienst der Stadt Karlsruhe – C-438/14) erging am 2.6.2016.]
Die Beteiligten streiten über eine Eintragung im Geburtenregister. Der ASt. wurde 1963 in K./Deuschland als N. Ba. geboren. Die Geburt wird in dem Geburtenregister des Standesamts Karlsruhe geführt. Im Wege der Adoption erlangte der ASt. später seine jetzigen Vornamen „N. P.“ und den Familiennamen „Bo. von W.“. Im Jahr 2004 erwarb der ASt. neben der deutschen die britische Staatsangehörigkeit. Nach englischem Recht ist – anders als nach deutschem – eine gewillkürte Namensänderung durch Erklärung und Registrierung bei dem obersten Zivilgericht und anschließende öffentliche Bekanntmachung möglich. Der ASt. bestimmte 2004 durch entspr. Erklärung (deed poll) gegenüber dem Supreme Court von England und Wales, London, seinen künftig geführten Namen mit „P. M. E. Graf von W. Freiherr von Bo.“. Im Mai 2013 erklärte der ASt. in öffentlich beglaubigter Form, dass er das Standesamt der Stadt Karlsruhe nach Art. 48 EGBGB anweise, den geänderten Familiennamen als Geburtsnamen in das Geburtenregister einzutragen. Das Standesamt hat die Eintragung nicht vorgenommen.
Das Gericht hat durch Beschluss vom 17.9.2014 das Verfahren ausgesetzt und es dem EuGH im Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 267 AEUV vorgelegt. Der EuGH entschied, dass die Behörden eines Mitgliedstaats nicht verpflichtet seien, den Nachnamen eines Angehörigen dieses Mitgliedstaats anzuerkennen, wenn dieser auch die Angehörigkeit eines anderen Mitgliedstaats besitze, in dem er diesen Namen erworben habe, den er frei gewählt habe und der mehrere nach dem Recht des erstgenannten Mitgliedstaats nicht zulässige Adelsbestandteile enthalte, sofern ... eine solche Ablehnung der Anerkennung aus Gründen der öffentlichen Ordnung insofern gerechtfertigt sei, als sie geeignet und erforderlich sei, um sicherzustellen, dass der Grundsatz der Gleichheit aller Bürger des besagten Mitgliedstaats vor dem Gesetz gewahrt werde.
Das AG hat den Beteiligten im Hinblick auf die Auswirkung dieser Entscheidung auf das vorliegende Verfahren Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Die Beteiligten haben ihre bereits vorgetragenen Standpunkte wiederholt und weiter begründet.
[1]II. Der zulässige Antrag des ASt. hat in der Sache keinen Erfolg.
[2]Nach Art. 48 EGBGB kann eine Person, deren Name deutschem Recht unterliegt, durch Erklärung gegenüber dem Standesamt den während eines gewöhnlichen Aufenthalts in einem anderen Mitgliedstaat der EU erworbenen und dort in ein Personenstandsregister eingetragenen Namen wählen, sofern dies nicht mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts offensichtlich unvereinbar ist.
[3]Die Voraussetzungen dieser Norm sind nach Auffassung des Gerichts vorliegend nicht erfüllt:
[4]Der ASt. hat zwar den von ihm gewählten Namen ‚P. M. E. Graf von W. Freiherr von B.’ nach englischem Recht wirksam durch deed poll bestimmt zu einem Zeitpunkt, zu welchem er seinen Lebensmittelpunkt in dem Vereinigten Königreich hatte.
[5]Auch unterliegt der Name des ASt. nach Art. 5 I 2, 10 I EGBGB deutschem Recht, da er neben der britischen auch die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt.
[6]Der von dem ASt. gewählte Name ist jedoch deshalb nicht in das deutsche Geburtenregister einzutragen, weil dies mit den wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts offensichtlich unvereinbar ist. Die Ablehnung der Anwendung ausländischen Rechts aus Gründen des Verstoßes gegen die öffentliche Ordnung (ordre public) ist zwar als Ausnahmevorschrift eng auszulegen; es bedarf hierzu eines unerträglichen und ohne weiteres erkennbaren Widerspruchs zu wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts. Darüber hinaus genügt nicht die Feststellung eines abstrakten Widerspruchs, sondern es muss das untragbare Ergebnis stets im konkreten Fall festgestellt werden (Palandt-Thorn, BGB, 75. Aufl. [2016], Art. 6 EGBGB Rz. 4, 5 m.w.N.).
[7]Diese Voraussetzungen sind vorliegend jedoch erfüllt, da sich der von dem ASt. frei gewählte Name offensichtlich nicht in die wesentlichen Grundsätze der Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland einfügt. Die höchsten Grundsätze der Rechtsordnung sind dem Verfassungsrecht zu entnehmen. Der Verfassungsgeber hat sich mit der am 14.8.1919 in Kraft getretene Weimarer Reichsverfassung für die Gleichheit aller Bürger und gegen alle Vorrechte infolge von Stand oder Geburt entschieden. Art. 109 WRV, der durch Art. 123 I GG fortgilt, stellt die Gleichheit aller Deutschen vor dem Gesetz fest, hebt öffentlich-rechtliche Vorrechte oder Nachteile der Geburt oder des Standes auf und lässt bestehende Adelsbezeichnungen nur als Teil des Namens fortgelten; neue Adelsbezeichnungen dürfen nicht mehr verliehen werden. Es stünde mit dieser Grundwertung in Widerspruch, es über den Weg der Anerkennung ausländischer Namensänderungen zuzulassen, dass sich eine Person durch rein willkürliche Entscheidung den Anschein einer Abstammung von hohem gesellschaftlichen Stand erneut verschafft und Adelsbezeichnungen Eingang in sämtliche auf die Person bezogenen öffentlichen Urkunden finden.
[8]Dagegen spricht auch nicht, dass die ehemaligen Adelsbezeichnungen nach Art. 109 WRV als Namensbestandteil weiter Bestand haben und vererblich geführt werden. Das Verbot neuer Adelsbezeichnungen ist eindeutig, mögen auch die bestehenden Bezeichnungen nach der gesetzgeberischen Entscheidung weiterhin toleriert werden.
[9]Es trifft auch nicht die Behauptung des ASt. zu, wonach der von ihm gewählte Name eine zufällige Ansammlung von Zeichen und damit aus Sicht eines objektiven Beobachters als neutral zu bewerten sei. Auch heute noch wird von vielen Bürgern eine Adelsbezeichnung mit besonderem gesellschaftlichen Ansehen in Verbindung gebracht ...
[10]Es lässt sich auch nicht überzeugend darlegen, dass Anerkennungen solcher Namen tatsächlich nur wenige Einzelfälle beträfen und daher im Verhältnis zu der Zahl der Gesamtbevölkerung nicht ins Gewicht fielen. Angesichts der sich fortwährend steigernden Mobilität der Bürger, insbesondere in den Ländern der EU, bestünde die Gefahr, dass in immer mehr Fällen von der Wahl ähnlicher Phantasienamen Gebrauch gemacht und damit die Grundentscheidung für die Abschaffung aller Adelsbezeichnungen umgangen würde.
[11]Die Ablehnung der Anerkennung ist auch mit der durch Art. 21 AEUV verbürgten Freizügigkeit der Unionsbürger vereinbar. Der sachliche Anwendungsbereich ist hier eröffnet. Der EuGH hat bereits in seinen Entscheidungen vom 2.10.2003 – Carlos Garcia Avello ./. Belgischer Staat, Rs C-148/02, Slg. 2003 I-11613, und vom 14.10.2008 – Stefan Grunkin und Dorothee Regina Paul, Rs C-353/06, Slg. 2008 I-7639, festgestellt, dass das Recht zur Regelung der Nachnamen zwar in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten falle, diese indes bei der Ausübung dieser Zuständigkeit gleichwohl das Gemeinschaftsrecht beachten müssten, sofern es sich nicht um einen internen Sachverhalt handele, welcher keinerlei Bezug zum Gemeinschaftsrecht aufweise. In der Rs C-438/14 (Urt. vom 2.6.2016. – Nabiel Peter Bogendorff von Wolffersdorff ./. Standesamt der Stadt Karlsruhe und Zentraler Juristischer Dienst der Stadt Karlsruhe) hat der EuGH festgestellt, dass die Freiheit des ASt., sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten zu bewegen und aufzuhalten, durch eine Divergenz der in den Staaten geführten Namen berührt ist.
[12]Auch hat der EuGH ausführt, dass hier von einer Beschränkung der Grundfreiheit des Art. 21 AEUV ausgegangen werden müsse. Zu fordern sei, dass dem Betroffenen Nachteile in administrativen, beruflichen oder privaten Zusammenhängen erwachsen könnten. Solche Schwierigkeiten könnten darin bestehen, dass bei unterschiedlichen Ausweisdokumenten Zweifel an der Identität der Person, an der Echtheit der Dokumente oder an der Wahrheitsgemäßheit der darin enthaltenen Angaben geweckt werden. Der ASt. habe in der mündlichen Anhörung vorgetragen, solche schwerwiegenden Nachteile im Alltag erlitten zu haben.
[13]Wie der EuGH bereits in der Rechtssache ‚Sayn-Wittgenstein’ (Urt. vom 22.12. 2010, C-208/09, Slg. 2010 I-13693) darlegt, ist der Name einer Person Teil ihrer Identität und ihres Privatlebens, deren Schutz in Art. 7 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union und in Art. 8 EMRK niedergelegt ist. Der Name der Person betrifft als Mittel der persönlichen Identifizierung und der Zuordnung zu einer Familie das Privat- und Familienleben einer Person, so auch in dem Fall des ASt.
[14]Beeinträchtigungen der Grundfreiheiten sind jedoch dann hinzunehmen, wenn sie auf objektiven Erwägungen beruhen und ein einem angemessenen Verhältnis zum legitimerweise verfolgten Zweck stehen (Entscheidungen des EuGH vom 11.9.2007 – Kommission der Europäischen Gemeinschaften ./. Bundesrepublik Deutschland, Rs C-318/05, Slg. 2007 I-6957, und vom 14.10.2008 [Grunkin] aaO). Der EuGH bestätigt, dass auch in vorliegendem Fall die Beschränkung der Freizügigkeit unter diesem Voraussetzungen zu rechtfertigen ist. Zwar seien weder der Grundsatz der Unveränderlichkeit und der Kontinuität des Namens noch die Freiwilligkeit der Namensänderung, noch die Länge des gewählten Nachnamens Gründe von ausreichendem Gewicht. Anderes gelte jedoch im Hinblick auf den Grundsatz der Gleichheit vor dem Gesetz (Art. 3 I GG) aller deutschen Staatsbürger und die in Art. 109 III WRV i.V.m. Art. 123 GG konkretisierte verfassungsrechtliche Entscheidung, Vorrechte und Nachteile der Geburt oder des Standes aufzuheben und das Führen von Adelsbezeichnungen zu untersagen. Zwar sei die verfassungsrechtliche Lage nicht vollständig mit derjenigen der Republik Österreich vergleichbar, die Gegenstand der Rs ‚Sayn-Wittgenstein’ war. Dennoch komme im Kontext der genannten verfassungsrechtlichen Entscheidung in Deutschland die Berücksichtigung als Rechtfertigungsgrund in Betracht. Das Ziel, den Gleichheitsgrundsatz zu wahren, sei auch im Hinblick auf das Unionsrecht legitim.
[15]Nach den Vorgaben des EuGH ist es jedoch Sache des Tatgerichts zu beurteilen, ob nach den konkreten Umständen die Ablehnung der Anerkennung insofern aus Gründen der öffentlichen Ordnung gerechtfertigt ist, als sie geeignet und erforderlich ist, sicherzustellen, dass der Grundsatz der Gleichheit aller Bürger des besagten Mitgliedstaats vor dem Gesetz gewahrt ist. Die Prüfung ergibt vorliegend, dass die Ablehnung auch unter Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes Bestand hat ...
[16]In der Beurteilung des Verstoßes gegen die öffentliche Ordnung schließt sich das Amtsgericht der Auffassung des OLG Nürnberg (Beschl. vom 2.6.2015 – 11 W 2151/14) (IPRspr 2015-8) und des OLG Jena (Beschl. vom 1.2.2016 – 3 W 439/15) (IPRspr 2016-6b) an. Es folgt damit nicht der abweichenden Auffassung des OLG Dresden (Beschl. vom 12.10.2007 – 3 W 937/07; 22.2.2010 – 3 W 647/09; 6.7.2011 – 17 W 465/11), das in einem vergleichbaren Fall den Gleichheitssatz als nicht berührt ansah. Eine Entscheidung des BGH über die Anerkennungsfähigkeit des deed poll besteht bislang nicht.
[17]Die umstrittene Frage, ob eine gewillkürte Namensänderung überhaupt unter den Anwendungsbereich des Art. 49 EGBGB fällt oder dies nur auf andere Namensdivergenzen zutrifft (s. etwa Mankowski, StAZ 2014, 97 ff.), muss hier angesichts des eindeutigen Verstoßes gegen die öffentliche Ordnung nicht entschieden werden.