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Verfahrensgang

OLG Düsseldorf, Beschl. vom 18.11.2016 – I-3 Sa 2/16, IPRspr 2016-199

Rechtsgebiete

Erbrecht → Erbrecht gesamt bis 2019
Freiwillige Gerichtsbarkeit → Nachlasssachen

Leitsatz

Als grundlegendes Merkmal für die Anknüpfung gerichtlicher Zuständigkeiten in Erbsachen sieht die zum 17.8.2015 in Kraft getretene VO (EU) Nr. 650/ 2012 des Europäischen Parlaments und des Rates über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Annahme und Vollstreckung öffentlicher Urkunden in Erbsachen sowie zu Einführung eines Europäischen Nachlasszeugnisses vom 4.7.21012 (ABl. Nr. L 201/107) den gewöhnlichen Aufenthalt des Erblassers im Zeitpunkt seines Todes vor (Art. 4 EuErbVO). Hatte der Erblasser zum Zeitpunkt des Todes keinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland (mehr), ist hilfsweise gemäß § 343 II FamFG dasjenige Gericht zuständig, in dessen Bezirk der Erblasser seinen letzten gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hatte. [LS der Redaktion]

Rechtsnormen

EuErbVO 650/2012 Art. 4
FamFG § 5; FamFG § 26; FamFG § 343

Sachverhalt

Die Beteiligten streiten über die Bestimmung des örtlich zuständigen NachlG für die Verwahrung des Originals ihrer Erbausschlagungserklärung. Streitig und unklar ist, ob und wie lange die Erblasserin sich vor ihrem Tod im Hospital in H. und/oder in einem Pflegeheim aufgehalten hat. Mit der Sache war zunächst das AG Charlottenburg befasst, das jedoch ausschließlich als für die Entgegennahme der Erklärung zuständiges Gericht angegangen worden war. Als zuständiges NachlG im Sinne des § 344 VII 2 FamFG ist vom AG Charlottenburg das AG Duisburg angesehen worden. Indes besteht zw. den Nachlassgerichten beim AG Duisburg und AG Duisburg-Hamborn Einigkeit, dass die Zuständigkeit beim AG Duisburg-Hamborn als im Rechtssinne erstbefasstem NachlG liegt, das AG Schöneberg hingegen als später befasstes NachlG anzusehen ist. Das OLG Düsseldorf als dasjenige OLG, in dessen Bezirk das AG Duisburg-Hamborn liegt, ist zur Zuständigkeitsbestimmung berufen.

Aus den Entscheidungsgründen:

(Randnummern der IPRspr-Redaktion)

[1]Die Voraussetzungen der vom NachlG Duisburg-Hamborn gewünschten Zuständigkeitsbestimmung, die sich nach § 5 FamFG richtet, sind – derzeit – nicht feststellbar ...

[2]3. Im Interesse der Verfahrensbeschleunigung bemerkt der Senat außerdem, dass das vorlegende NachlG seiner Pflicht zur Ermittlung der zuständigkeitsbegründenden Tatsachen, § 26 FamFG, vor Einleitung des Bestimmungsverfahrens nach § 5 FamFG bislang nicht ausreichend nachgekommen ist (trotz des Hinweises auf die Notwendigkeit amtswegiger Ermittlungen im Schreiben des AG Schöneberg sowie des Hinweises des NachlG Duisburg ...).

[3]Nach dem bis zum 17.8.2015 geltenden Recht bestimmte sich die örtliche Zuständigkeit nach dem Wohnsitz des Erblassers zur Zeit des Erbfalls, hilfsweise nach dessen Aufenthalt. In der Rechtspraxis bestand im Ergebnis weitgehend Einigkeit, dass die Dauer des Aufenthalts – sogar dessen Freiwilligkeit und Bewusstheit – ohne Belang sei [und] deshalb der Aufenthaltsort zur Zeit des Erbfalls regelmäßig mit dem Sterbeort zusammenfalle (vgl. Keidel-Zimmermann, FamFG, 18. Aufl. [2014], § 343 Rz. 45 m.w.N.). Die zum 17.8.2015 in Kraft getretene EuErbVO sieht hingegen als grundlegendes Merkmal für die Anknüpfung gerichtlicher Zuständigkeiten in Erbsachen den gewöhnlichen Aufenthalt des Erblassers im Zeitpunkt seines Todes vor (Art. 4 EuErbVO). Dementsprechend bestimmt heute § 343 I FamFG, örtlich zuständig sei das Gericht, in dessen Bezirk der Erblasser im Zeitpunkt seines Todes seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte; hatte er in diesem Zeitpunkt gar keinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland (mehr), ist hilfsweise gemäß § 343 II FamFG dasjenige Gericht zuständig, in dessen Bezirk der Erblasser seinen letzten gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hatte. Herkömmlich hat die HRR an den gewöhnlichen Aufenthalt keine geringen Anforderungen gestellt und insbesondere einen Aufenthalt von einer Dauer verlangt, die zum Unterschied von dem einfachen oder schlichten Aufenthalt nicht nur gering oder vorübergehend sein dürfe (eingehend: BGH, NJW 1993, 2047 ff. (IPRspr. 1993 Nr. 65)). Ob an dieser Begriffsbestimmung im vorliegenden Zusammenhang uneingeschränkt festgehalten werden kann, erscheint nicht zweifelsfrei, denn aus Sicht des Senats muss vermieden werden, dass das AG Schöneberg in einer unübersehbaren Vielzahl von Fällen verstorbener Erblasser ohne festen Wohnsitz nach § 343 III 1 FamFG jedenfalls primär zuständig wird. Diese Erwägungen können im gegebenen Fall indes letztlich auf sich beruhen.

[4]Denn wenn man davon ausgeht, die Erblasserin habe keinen festen Wohnsitz gehabt, lässt sich selbst auf der Grundlage der bisherigen Rechtsprechung sagen, dass sie ein Heim zum Mittelpunkt, mindestens Schwerpunkt, ihrer Lebensverhältnisse gemacht hätte, und würde – gerade angesichts ihrer vorangegangenen, durch Bindungslosigkeit gekennzeichneten Lebensweise – ein Heimaufenthalt auch hinreichende Dauer aufweisen (wie im übrigen der Senat in der Vergangenheit den Aufenthalt jedenfalls in einem Pflegeheim/Pflegewohnzentrum ‚sogar’ als für die Begründung eines Wohnsitzes ausreichend angesehen hat, NJW-RR 2013, 520 f.).

[5]Danach mag hier davon ausgegangen werden, dass sich die Erblasserin im J.-Hospital in H. nur in der Form eines reinen, keinen gewöhnlichen Aufenthalt begründenden Krankenhausaufenthalts befand. Jedoch ergeben sich aus dem Schreiben des Oberbürgermeisters der Stadt Duisburg – Bürger- und Ordnungsamt – vom 1.8.2016 zwingende Anhaltspunkte zumindest für die Möglichkeit von Heimaufenthalten der Erblasserin. Diese, vor allem deren zeitliche Lage und Dauer sowie örtliche Belegenheit, wären vom NachlG vor Einleitung eines Bestimmungsverfahrens zu klären.

Fundstellen

LS und Gründe

FGPrax, 2017, 36
ZEV, 2017, 103

Permalink

https://iprspr.mpipriv.de/2016-199

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