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Verfahrensgang

OLG München, Beschl. vom 03.07.2015 – 34 Wx 311/14, IPRspr 2015-71

Rechtsgebiete

Ehe und andere familienrechtliche Lebens- und Risikogemeinschaften → Eingehung, Wirksamkeit

Leitsatz

Hat ein ausländisches Gericht die bigamische Eheschließung im Ausland als wirksam festgestellt, steht der Anerkennung der Entscheidung der inländische ordre public jedenfalls dann entgegen, wenn ihr die Wirkung beizumessen ist, dass sie die Aufhebung der Ehe aus dem Grund der Bigamie ausschließt. Der Umstand, dass auch das deutsche Eheschließungsrecht eine Doppelehe als wirksam behandelt, ist dann unerheblich.

Rechtsnormen

165/1960 ZGB (Äthiopien) Art. 5
213/2000 FamGB (Äthiopien) Art. 33
BGB § 1306; BGB § 1314
FamFG § 107; FamFG § 109
GG Art. 6
GZVJu-Bay § 5
StGB § 172
ZPO § 606a; ZPO § 632

Sachverhalt

Die Parteien streiten im familiengerichtlichen Verfahren über Trennungsunterhalt. Das Verfahren richtet sich auf die Feststellung, dass die gesetzlichen Voraussetzungen für die Anerkennung der Entscheidung eines äthiopischen Gerichts über das Bestehen einer Ehe im Inland vorliegen. Der in München wohnhafte AGg., ein deutscher Staatsangehöriger, hatte 1999 ebendort mit M. die Ehe geschlossen. Die Ehe wurde durch Urteil des AG 2009 geschieden. Bereits 2006 ging der AGg. mit der nun in im Allgäu wohnhaften ASt., einer äthiopischen Staatsangehörigen, in A./Äthiopien nach islamischem Recht die Ehe ein. Am selben Tag wurde auf Antrag beider Beteiligter die Eheschließung durch das zentrale Scharia-Gericht (Federal High Court of Sharia) in Addis Abeba anerkannt. Die ASt. hat um Anerkennung der Entscheidung des Sharia-Gerichts nachgesucht. Diesen Antrag hat das OLG München zurückgewiesen: Die Entscheidung des äthiopischen Gerichts könne aus Gründen des materiell-rechtlichen ordre public (Mehrehe) nicht anerkannt werden. Hiergegen wendet sich die ASt. mit ihrem neuerlichen Antrag.

Aus den Entscheidungsgründen:

(Randnummern der IPRspr-Redaktion)

[1]II. Der Antrag auf Entscheidung durch das nach § 107 VII 1 FamFG zuständige OLG ist statthaft (§ 107 V FamFG) und auch im Übrigen zulässig, insbes. form- und fristgerecht gestellt. In der Sache bleibt er ohne Erfolg.

[2]1. Gemäß § 107 II, III FamFG i.V.m. § 5 der Gerichtliche ZuständigkeitsVO Justiz i.d.F. vom 1.10.2009 (BayGVBl. 523) war der Präsident des OLG München als Behörde der LJV zur Anerkennung zuständig, weil beide Beteiligte ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Bayern haben.

[3]2. Es liegt eine Entscheidung im Sinne von § 107 I 1 FamFG vor, nämlich die Feststellung des Bestehens einer Ehe zwischen den Beteiligten. Das zentrale Sharia-Gericht ist zwar ein religiöses Gericht, [seine] Tätigkeit auf dem Gebiet des Eherechts ist jedoch staatlicherseits anerkannt (dazu MünchKommFamFG-Rauscher, 3. Aufl., § 107 Rz. 19). Ein rechtliches Interesse an der begehrten Feststellung (§ 107 IV 2 FamFG) ist, wenn der Antrag von einem betroffenen Ehegatten gestellt wird, regelmäßig nicht in Zweifel zu ziehen. Das gilt auch für die ausländische Entscheidung über das Bestehen der Ehe. Denn die Anerkennung oder Nichtanerkennung kann sich auf den familienrechtlichen Status der Eheleute auswirken.

[4]3. Der Präsident des OLG München hat zutreffend festgestellt, dass die gesetzlichen Voraussetzungen für die Anerkennung wegen Verstoßes gegen den ordre public nicht gegeben sind.

[5]Der Anerkennungsmaßstab bestimmt sich nach § 109 FamFG.

[6]a) Die internationale Zuständigkeit des äthiopischen Gerichts war für die Entscheidung gegeben (§ 109 I Nr. 1 FamFG). Maßgeblich für die Anwendung des sog. Spiegelbildprinzips (Keidel-Zimmermann, FamFG, 18. Aufl., § 109 Rz. 3) ist das zum Zeitpunkt der Einleitung des ausländischen Verfahrens maßgebliche Recht; insoweit sind die im Oktober 2006 noch geltenden Bestimmungen der ZPO zum Verfahren in Ehesachen (§§ 606a I Nr. 1, 632 ZPO a.F.) heranzuziehen. Wenn das (damalige) deutsche Recht dort – in Äthiopien – zur Anwendung käme, müsste die Zuständigkeit des ausländischen Gerichts gegeben sein. Die ASt. war und ist äthiopische Staatsangehörige, so dass entsprechend § 606a I Nr. 1 ZPO (a.F.) auch die internationale Zuständigkeit des Entscheidungsstaats bestanden hat.

[7]b) Der AGg. war an dem Verfahren vor dem zentralen Sharia-Gericht auch beteiligt (§ 109 I Nr. 2 FamFG). Das ergibt sich aus dem Protokoll zur Entscheidung vom 24.10.2006 und wird im Übrigen von keiner Seite in Frage gestellt. Eine Kollision im Sinne von § 109 I Nr. 3 FamFG ist nicht ersichtlich.

[8]c) Nach § 109 I Nr. 4 FamFG ist die Anerkennung einer Entscheidung zu versagen, wenn sie zu einem Ergebnis führt, das mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts offensichtlich unvereinbar ist. Die unverzichtbaren Erfordernisse der materiell-verfahrensrechtlichen und materiell-privatrechtlichen Gerechtigkeit müssen gewahrt sein (BGH, NJW 1983, 2775/2777 f. (IPRspr. 1983 Nr. 198b); Keidel-Zimmermann aaO Rz. 18 m.w.N.). Bei einem Inlandsbezug sind die inländischen Wertvorstellungen maßgeblich (Keidel-Zimmermann aaO). Verfahrensrecht ist bspw. berührt, wenn eine Entscheidung betrügerisch oder kollusiv erlangt ist (BSG, NJW-RR 1997, 1433) (IPRspr. 1996 Nr. 192), materielle Rechtsgrundsätze sind tangiert, wenn etwa ein Verstoß gegen Grundrechte gegeben ist oder die Entscheidung im konkreten Fall sonst untragbar erscheint, weil sie zu einem Grundgedanken der deutschen Regelungen in Widerspruch steht (vgl. BGHZ 118, 312/330 (IPRspr. 1992 Nr. 218b); BGH, NJW 1998, 2358 (IPRspr. 1998 Nr. 185)).

[9](1) Das Prinzip der Einehe gehört zu den prägenden Wertvorstellungen des deutschen Rechts (Palandt-Brudermüller, BGB, 74. Aufl., Vor § 1353 Rz. 1 und 3) wie auch das dieses Prinzip schützende Verbot der Doppelehe in § 1306 BGB (Palandt-Brudermüller aaO § 1306 Rz. 1), wonach eine Ehe nicht geschlossen werden darf, wenn zwischen einem der beiden Partner, die die Ehe miteinander eingehen wollen, und einer dritten Person eine Ehe besteht. Das Verbot der Doppelehe ist zweiseitig, es richtet sich auch gegen denjenigen Teil, der nicht verheiratet ist; ein Dispens ist nicht möglich (MünchKomm-Wellenhofer, 6. Aufl., § 1306 Rz. 1). Die Bedeutung dieses Eheverbots wird unterstrichen durch die strafrechtliche Sanktion in § 172 StGB. Daher steht der ordre public der Unaufhebbarkeit der Ehe nach dem ausländischen Recht jedenfalls bei Inlandsbezug entgegen (vgl. AG Hanau, FamRZ 2004, 949/950 (IPRspr. 2002 Nr. 61)). Gleiches gilt für das Eingehen einer polygamen Ehe in Deutschland oder die Klage auf Herstellung einer solchen; denn die deutschen Standesämter und Gerichte sind durch Art. 6 I GG dem Prinzip der Einehe verpflichtet (Staudinger-Mankowski, BGB, 13. Aufl., Art. 13 EGBGB Rz. 252).

[10]Andererseits scheidet die Anerkennung einer bigamischen Ehe nicht von vornherein immer aus; denn auch das seit dem 1.7.1998 geltende Eheschließungsrecht sieht eine in Deutschland geschlossene Doppelehe nicht als Nichtehe oder nichtige Ehe, sondern als aufhebbare Ehe an (vgl. §§ 1306, 1314 I BGB). Anzuerkennen wäre daher nicht nur die vom Heimatrecht der beiden Ehegatten gestattete polygame Ehe (vgl. VG Gelsenkirchen, FamRZ 1975, 338 (IPRspr. 1974 Nr. 5)), sondern auch die Zweitehe eines in monogamer Ehe nach deutschem Recht verheirateten Ehegatten, die dieser eingeht, wenn die Zweitehe – wie eine in Deutschland eingegangene Doppelehe – auf Antrag der deutschen Ehefrau aufhebbar ist (MünchKomm-Coester [5. Aufl.] Art. 13 EGBGB Rz. 69). Eine solche Wertung trifft grundsätzlich auch das äthiopische Recht, das in Art. 33 Revised Family Code – vom 4.7.2000 (Proklamation Nr. 213/2009; Federal Negarit Gazeta Nr. 1/2000) die Ehe auf Antrag für aufhebbar erklärt (Bergmann-Ferid-Henrich, Ehe- und Kindschaftsrecht [Stand: Juli 2014] Äthiopien S. 41).

[11](2) Abzustellen ist bei der Frage, ob der inländische ordre public einer Anerkennung entgegensteht, jedoch nicht auf die Aufhebbarkeit der bigamischen Ehe nach dem Recht des ausländischen Staats an sich, sondern darauf, ob die anzuerkennende ausländische Entscheidung die bigamische Ehe nur als aufhebbare bestätigt oder doch darüber hinausgehende Wirkung entfaltet. Denn die mit der Anerkennung verbundene Wirkungserstreckung verleiht der ausländischen Entscheidung die Wirkungen, die das fremde Forum nach seinem Recht seinem Urteil beilegt (MünchKommZPO-Gottwald, 4. Aufl., § 328 Rz. 4). Eine ausländische Entscheidung, die einer Doppelehe als solche Wirksamkeit verleiht, würde den Wertvorstellungen des deutschen Rechts widersprechen. Hat die gerichtliche Anerkennung der bigamischen Ehe zur Folge, dass sie deswegen nicht mehr aufhebbar ist, so würde der verfassungsrechtliche Schutz der ersten Ehe einer Anerkennung der Entscheidung entgegenstehen. Denn damit bestünde die Gefahr, dass die zweite Ehe auch nach deutschem Recht nicht mehr als Mehrehe aufgehoben werden könnte. Der Senat erkennt in der vorgelegten ausländischen Entscheidung eine derartig weitreichende Wirkung, so dass ihr die Anerkennung im Inland versagt bleiben muss. Es kann dahinstehen, ob der Ordre-public-Verstoß in einem anderen Licht zu würdigen wäre, wenn ausnahmsweise auch im Inland die Aufhebung der Doppelehe ausgeschlossen wäre; dafür bestehen nämlich keine Anhaltspunkte.

[12](3) Das vom Senat erholte Gutachten des Sachverständigen Dr. W. legt dar, dass zwar – wie schon dargestellt – grundsätzlich die bigamische Ehe auch nach äthiopischem Recht auflösbar ist. Indessen könne sich das staatliche Bigamieverbot gegenüber der rechtskräftigen Feststellung eines Scharia-Gerichts über die gültige Eheschließung selbst für den Fall nicht durchsetzen, dass dem Gericht die bigamische Ehe bekannt ist. Folglich würde der Antrag von Parteien auf Auflösung einer vom Scharia-Gericht anerkannten Mehrehe daran scheitern, dass Bigamie für das Scharia-Gericht keinen Eheauflösungsgrund darstellt. Gegenstand des Verfahrens der Parteien zur Auflösung der Mehrehe wäre nämlich die mangelnde Gültigkeit der bigamischen Ehe nach islamischem Recht; das Verfahren hätte damit jedoch denselben Streitgegenstand, den das Scharia-Gericht bei Anerkennung schon behandelt hat, so dass der Antrag am Einwand der res iudicata scheitern würde (Art. 5 des Zivilgesetzbuchs des Kaiserreichs Äthiopien vom 5.5.1960 (Negarit Gazeta XIX Sonderausg. Nr. 2/1960) i.d.F. vom 1965. Den Parteien – auch dem Staatsanwalt – wäre es folglich verwehrt, sich auf den Auflösungsgrund der Bigamie zu berufen.

[13]Der Senat schließt sich den nachvollziehbaren und detailliert begründeten Ausführungen des Sachverständigen an. An dessen Sachkunde bestehen keine Zweifel. Er hat mangels einschlägiger Gerichtsentscheidungen auf in der Literatur geäußerte Ansichten, die nicht als Einzelmeinung erscheinen, abgestellt und diese mit ausführlichen Nachweisen belegt. Auch die Beteiligten haben gegen die Richtigkeit der Ausführungen des Sachverständigen keine Einwände erhoben.

[14]d) Auf die Frage, ob zudem eine Scheinehe, wie vom Beteiligten zu 2) im unterhaltsrechtlichen Verfahren behauptet, geschlossen worden sei, kommt es daher nicht mehr an.

[15]e) Es kann dann auch dahinstehen, ob die am Tag der Eheschließung ergangene Entscheidung des Scharia-Gerichts dafür sprechen könnte, dass sie kollusiv erwirkt war und dann wohl ebenfalls nicht anerkannt werden könnte (vgl. BSG, NJW-RR 1997 aaO).

Fundstellen

nur Leitsatz

FamRB, 2015, 406, mit Anm. Finger

LS und Gründe

FamRZ, 2015, 2056
NJW-RR, 2015, 1349
NZFam, 2015, 920, mit Anm. Andrae
StAZ, 2016, 19

Permalink

https://iprspr.mpipriv.de/2015-71

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