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Verfahrensgang

BGH, Vorlagebeschl. vom 09.04.2015 – VII ZR 36/14, IPRspr 2015-44

Rechtsgebiete

Außervertragliche Schuldverhältnisse → Unerlaubte Handlungen, Gefährdungshaftung

Leitsatz

Nach der Sonderanknüpfung des Art. 40 II EGBGB ist das Recht des gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalts der Parteien zum Zeitpunkt des Haftungsereignisses anzuwenden, hier deutsches materielles Recht. [LS der Redaktion]

Rechtsnormen

AEUV Art. 267
EGBGB Art. 27; EGBGB Art. 27 ff.; EGBGB Art. 40; EGBGB Art. 41
Rom I-VO 593/2008 Art. 28
Rom II-VO 864/2007 Art. 31 f.

Sachverhalt

[Das vorgehende Urteil des OLG Zweibrücken vom 30.1.2014 – 4 U 66/13 – wurde bereits im Band IPRspr. 2014 unter der Nr. 42 abgedruckt.]


Die Kl. ließ sich in Deutschland Silikonbrustimplantate einsetzen, die von einem in Frankreich ansässigen Unternehmen, das zwischenzeitlich in Insolvenz gefallen ist, hergestellt worden waren. Später stellte die zuständige französische Behörde fest, dass bei der Herstellung der Brustimplantate entgegen dem Qualitätsstandard minderwertiges Industriesilikon verwendet wurde. Auf ärztlichen Ratschlag ließ sich die Kl. daraufhin die Implantate entfernen. Sie begehrt deshalb von der Bekl. Schmerzensgeld und die Feststellung der Ersatzpflicht für künftig entstehende materielle Schäden. Das in Frankreich ansässige Herstellerunternehmen beauftragte die Bekl. als benannte Stelle mit der Prüfung der Produktauslegung und der Überwachung. Die Vertragsparteien vereinbarten die Geltung deutschen Rechts.

Die Klage hatte in den Vorinstanzen keinen Erfolg. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Kl. ihr Klagebegehren weiter.

Aus den Entscheidungsgründen:

[6] II. Der Erfolg der Revision hängt von der Auslegung von Art. 11 I lit. a i.V.m. Anh. II Nr. 3.3, 4.3, 5.3, 5.4 der Richtlinie 93/42/EWG des Rates über Medizinprodukte vom 14.6.1993 (ABl. Nr. L 169/1) ab. Vor der Entscheidung über die Revision ist deshalb das Verfahren auszusetzen und gemäß Art. 267 I lit. b, III AEUV eine Vorabentscheidung des EuGH einzuholen ...

[10] 2. Auf das Rechtsverhältnis der Parteien findet deutsches Recht Anwendung.

[11] Das Schuldverhältnis der Parteien beurteilt sich, wie das Berufungsgericht im Ergebnis zutreffend angenommen hat, insgesamt nach deutschem materiellen Recht.

[12] a) Zutreffend ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass sich die von der Kl. geltend gemachten Ansprüche aus unerlaubter Handlung nach deutschem Recht beurteilen. Dies folgt aus Art. 40 EGBGB.

[13] Die Rom-II-VO ist im Streitfall intertemporal noch nicht anwendbar, da das schadensbegründende Ereignis vor dem 11.1.2009 eingetreten ist (vgl. Art. 31, 32 Rom-II-VO).

[14] Nach der Art. 40 I EGBGB vorgehenden Sonderanknüpfung des Art. 40 II EGBGB ist deutsches Recht als Recht des gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalts von Kl. und Bekl. zur Zeit des Haftungsereignisses anwendbar. Die Anwendbarkeit deutschen Rechts ergäbe sich im Übrigen auch aus Art. 40 I 2 EGBGB. Eine wesentlich engere Verbindung zu einem ausländischen Recht im Sinne des Art. 41 EGBGB, die dessen Anwendbarkeit zur Folge hätte, besteht im Streitfall nicht.

[15] b) Ebenfalls zutreffend ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass sich vertragliche Ansprüche, die aus dem zwischen der Bekl. und dem Hersteller geschlossenen Vertrag über das Konformitätsbewertungsverfahren resultieren, kraft ausdrücklicher Rechtswahl nach deutschem Recht beurteilen. Dies folgt aus Art. 27 I EGBGB.

[16] Die Rom-I-VO ist im Streitfall intertemporal nicht anwendbar, da sie gemäß Art. 28 nur auf Verträge angewandt wird, die ab dem 17.12.2009 geschlossen worden sind. Auf Verträge, die – wie der hier einschlägige Vertrag – davor geschlossen wurden, sind weiterhin die Bestimmungen der Art. 27 bis 34 EGBGB anzuwenden.

[17] c) Da deutsches Recht sowohl auf Ansprüche aus unerlaubter Handlung als auch auf vertragliche Ansprüche aus dem genannten Vertrag anwendbar ist, bedarf es im Streitfall keiner Entscheidung, ob die Einbeziehung von Dritten in den Schutzbereich eines Vertrags sich internationalprivatrechtlich nach dem Vertragsstatut beurteilt (vgl. MünchKomm-Spellenberg, 4. Aufl., Art. 32 EGBGB Rz. 24 m.w.N.) oder ob insoweit das Deliktsstatut (vgl. Dutta, IPRax 2009, 293, 297) maßgebend ist.

Fundstellen

nur Leitsatz

EuZW, 2015, 888

LS und Gründe

GesR, 2015, 373
GRUR Int., 2015, 1051
NJW, 2015, 2737
VersR, 2015, 995
VuR, 2015, 268

Aufsatz

Micklitz, VuR, 2015, 241

Permalink

https://iprspr.mpipriv.de/2015-44

Lizenz

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