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Verfahrensgang

OLG Brandenburg, Beschl. vom 24.07.2015 – 11 Sch 2/13, IPRspr 2015-278

Rechtsgebiete

Schiedsgerichtsbarkeit

Leitsatz

Hat das staatliche (hier: polnische) letztinstanzliche Gericht die Zuständigkeit des Schiedsgerichts bestätigt, ist dem deutschen Gericht eine erneute Überprüfung der Zuständigkeit verwehrt.

Der Maßstab der Verbindlichkeit eines ausländischen (hier: polnischen) Schiedsspruchs richtet sich grundsätzlich danach, ob der Schiedsspruch wirksam geworden ist oder nach dem anwendbaren Verfahrensrecht bei einer höheren schiedsrichterlichen Instanz beziehungsweise mit einem Rechtsmittel bei staatlichen Gerichten angegriffen werden kann.

Der strengere Maßstab des Art. IV Abs. 1 UNÜ tritt gemäß Art. VII UNÜ hinter den Anforderungen des § 1064 ZPO zurück.

Wenn das Schiedsgericht eine zur Aufrechnung gestellte Gegenforderung nicht berücksichtigt hat, kann dies grundsätzlich im Verfahren der Anerkennung- und Vollstreckbarerklärung geltend gemacht werden.

Es führt für sich allein nicht zu einem Verstoß gegen den internationalen verfahrensrechtlichen ordre public, wenn ein Beweisantrag, dem nach deutschem Verfahrensrecht zu entsprechen gewesen wäre, abgelehnt wird. [LS der Redaktion]

Rechtsnormen

UNÜ Art. I; UNÜ Art. IV; UNÜ Art. V; UNÜ Art. VII
ZPO § 328; ZPO § 767; ZPO § 1054; ZPO § 1059; ZPO § 1061; ZPO §§ 1061 ff.; ZPO § 1062; ZPO § 1064

Sachverhalt

[Der nachgehende Beschluss des BGH – O ZB 76/15 – wird im Band IPRspr. 2016 abgedruckt.]


Die ASt. begehrt die Vollstreckbarerklärung eines Schiedsspruchs des Schiedsgerichts bei der Landeswirtschaftskammer Warschau aus dem Jahr 2010. Die C. A. führte gegen die AGg. einen Rechtsstreit vor dem Schiedsgericht. Die Parteien stritten zunächst u.a. über dessen Zuständigkeit. Das Schiedsgericht stellte mit Zwischenbeschluss seine Zuständigkeit fest. Das zuständige polnische Bezirksgericht Czestochowa bestätigte mit Beschluss. Auch das Berufungsgericht Katowice bestätigte die Zuständigkeit des Schiedsgerichts. Später erließ das Schiedsgericht einen Schiedsspruch zulasten der AGg. Die AGg. beantragte bei dem Bezirksgericht Czestochowa die Aufhebung des Schiedsspruchs. Mit Urteil wies das Bezirksgericht Czestochowa diesen Antrag zurück. Die Berufung der AGg. gegen das Urteil des Bezirksgericht Czestochowa wies das Berufungsgericht Katowice mit Urteil zurück. Die AGg. wendet sich nun gegen den Vollstreckbarerklärungsantrag der ASt.

Aus den Entscheidungsgründen:

(Randnummern der IPRspr-Redaktion)

[1]II. Dem Antrag der ASt. auf Vollstreckbarerklärung des ausländischen Schiedsspruchs vom 2.11.2010, auf dessen Inhalt in deutscher Übersetzung Bezug genommen wird, war gemäß §§ 1061 ff. ZPO i.V.m. dem UNÜ stattzugeben.

[2]Der auf § 1061 I ZPO gestützte Antrag auf Vollstreckbarerklärung des Schiedsspruchs ist zulässig.

[3]Der Senat hat angesichts der von der ASt. vorgelegten Unterlagen keine Bedenken, dass sie die erforderliche Verfahrensführungsbefugnis hat. Diese folgt aus der von ihr im Einzelnen dargelegten materiell-rechtlichen Sachlegitimation. Insbesondere ergibt sich aus der deutschen Übersetzung des Abtretungsvertrags vom 22.11.2012 ... zu diesem Punkt – entgegen der von der AGg. vertretenen Auffassung –, dass die vom Schiedsgericht titulierten Forderungen von der T. an sie rückabgetreten wurden.

[4]Soweit die AGg. unter Hinweis auf § 4 Nr. 2. des Abtretungsvertrags die Auffassung vertritt, die ASt. habe noch nicht hinreichend nachgewiesen, dass der Abtretungsvertrag noch bestehe und Wirkungen entfalten könne, weil der Abtretungsvertrag auf ein Jahr befristet gewesen und diese [Frist] abgelaufen sei, steht dies der Verfahrensführungsbefugnis nicht entgegen.

[5]Zutreffend geht die AGg. allerdings davon aus, dass der ‚Treuhänderische Abtretungsvertrag’ ..., den die ASt. mit einem Versicherer (der T.) abgeschlossen hat, in § 4 Nr. 2 eine entspr. Befristung vorsieht. Der Ablauf der Jahresfrist führt jedoch nicht dazu, dass die verfahrensgegenständlichen Forderungen automatisch an die T. zurückabgetreten sein sollten. Vielmehr heißt es in § 5 des ‚Treuhänderischen Abtretungsvertrags’:

[6]‚... § 5

[7]1. Die Vertragsparteien erklären einvernehmlich, dass bei Auflösung des Vertrags in den § 3 II–IV angegebenen Fällen die Forderungen (ganz oder teilweise) zurück abgetreten werden.

[8]2. Die Rückabtretung der Forderung bedarf keines gesonderten Vertrags und erfolgt aufgrund einer schriftlichen Erklärung der Versicherungsgesellschaft gegenüber der Versicherungsnehmerin ...’

[9]Die Auslegung dieser vertraglichen Regelung ergibt zunächst, dass die in Nr. 1 zitierten Absätze offensichtlich nicht § 3 des Vertrags betreffen, sondern vielmehr die (Befristungs-)Regelungen des § 4 gemeint sind, da nur ein solches Verständnis sinnvoll ist. Gleiches gilt im Übrigen – ohne dass es hier darauf ankäme – auch für die in § 4 Nr. 4. des Vertrags zit. Vertragsvorschriften.

[10]Eine ‚Zurückabtretung’ von der ASt. an den Versicherer (T.) wäre nach § 5 Nr. 2 des genannten Vertrags nur erfolgt, wenn die Versicherungsgesellschaft eine entsprechende Erklärung gegenüber der Versicherungsnehmerin (der ASt.) abgegeben hätte. Die Abgabe einer solchen Erklärung ist von der AGg. aber gerade nicht vorgetragen worden und auch sonst nicht ersichtlich. Es ist fernliegend, dass die T. eine solche Erklärung im Sinne des § 5 Nr. 2 gegenüber der ASt. abgegeben hat. Die ASt. hatte sich – wie sich aus § 2 Nr. 1 des ‚Treuhänderischen Abtretungsvertrags’ ergibt – u.a. dazu verpflichtet, die weitere Durchführung der Vollstreckung gegen die ASt. hinsichtlich der vom Schiedsgericht austitulierten Forderung bis zum Abschluss des Verfahrens in Auftrag zu geben. Wegen des genauen Wortlauts dieser Regelung wird auf die Anlage K 9 ... verwiesen. Vor diesem vertraglichen Hintergrund wäre eine Erklärung des Versicherers, die dazu führte, dass die Forderung an diesen ‚zurück abgetreten’ würde und die Verfahrensführungsbefugnis der ASt. entfallen ließe, während des laufenden Verfahrens unter rechtlichen oder wirtschaftlichen Gesichtspunkten nicht ansatzweise rechtlich und wirtschaftlich nachvollziehbar.

[11]Das OLG Brandenburg ist zuständig, §§ 1064 III, 1062 I Nr. 4, II ZPO. Die AGg. hat ihren Sitz im Bezirk des Brandenburgischen OLG.

[12]Die formellen Antragsvoraussetzungen sind erfüllt.

[13]Die ASt. hat legalisierte Urschriften des Schiedsspruchs vom 2.11.2010 und der Entscheidung des Berufungsgericht Katowice vom 31.1.2012 ... zu den Akten gereicht sowie beglaubigte Übersetzungen vorgelegt. Das ist schon deshalb ausreichend, weil die strengeren Anforderungen des Art. IV Abs. 1 UNÜ gemäß Art. VII UNÜ hinter denen des § 1064 ZPO zurücktreten (BGH, IHR 2003, 298 (IPRspr. 2003 Nr. 203); BayObLG, RIW 2001, 140 (IPRspr. 2000 Nr. 186); Zöller-Geimer, ZPO, 30. Aufl., Anh § 1061, Art. IV UNÜ Rz. 4). Voraussetzung der Anerkennung und Vollstreckung nach dem UNÜ ist, dass ein verbindlicher ausländischer Schiedsspruch vorliegt (§ 1061 I 1 ZPO), der in Rechtsstreitigkeiten zwischen natürlichen oder juristischen Personen in dem Hoheitsgebiet eines anderen Staats als desjenigen ergangen ist, in dem die Anerkennung und Vollstreckung nachgesucht wird (Art. I Abs. 1 Satz 1 UNÜ). Der Schiedsspruch des Schiedsgerichts bei der Landeswirtschaftskammer Warschau vom 2.11.2010 stellt einen Schiedsspruch in diesem Sinne dar. Dieser ist auch formell wirksam.

[14]Streitig ist, ob sich die Anforderungen an die formalen Wirksamkeitsvoraussetzungen nach dem Recht des Ursprungslands richten oder die deutschen formellen Wirksamkeitskriterien anzuwenden sind und mithin § 1054 ZPO gilt (zum Meinungsstand vgl. Lachmann, Hdb. für die Schiedsgerichtspraxis, 3. Aufl. [2008], 603 Rz. 2522 ff. m.w.N.). Die Streitfrage braucht vorliegend nicht entschieden zu werden, da der Schiedsspruch vom 2.11.2010 jedenfalls den Kriterien des § 1054 ZPO entspricht. Hierüber streiten die Parteien auch nicht.

[15]Der Schiedsspruch ist verbindlich. Die Frage, ob ein ausländischer Schiedsspruch verbindlich ist, beurteilt sich grundsätzlich danach, ob er wirksam geworden ist oder nach dem für ihn maßgeblichen Verfahrensrecht bei einer höheren schiedsrichterlichen Instanz bzw. mit einem Rechtsmittel beim staatlichen Gericht angegriffen werden kann (Lachmann aaO Rz. 2528 m.w.N.). Die AGg. hat den Schiedsspruch – wie dargestellt – erfolglos von den polnischen staatlichen Gerichten überprüfen lassen.

[16]Ausländische Schiedssprüche sind für vollstreckbar zu erklären, sofern kein Versagungsgrund vorliegt. Ob das Schiedsgericht richtig entschieden hat, ist außerhalb der Versagungsgründe irrelevant (Prinzip des Verbots der révision au fond). Ein Versagungsgrund ist nicht ersichtlich. Im Einzelnen gilt Folgendes:

[17]Bei der Anerkennung und Vollstreckung eines Schiedsspruchs ist zwischen von Amts wegen und nur auf Rüge hin zu beachtenden Einwendungen zu unterscheiden.

[18]Nur auf Rüge hin sind z.B. der Umstand, dass die Schiedsvereinbarung ungültig ist oder der Verstoß gegen Verfahrensvorschriften zu beachten (Art. V Abs. 1 UNÜ). Diese Regelungen entsprechen im Wesentlichen den nur auf Rüge hin zu beachtenden Aufhebungsgründen des deutschen Schiedsverfahrensrechts (§ 1059 II Nr. 1 ZPO). Ähnliches gilt hinsichtlich der von Amts wegen zu beachtenden Versagungsgründe wie z.B. des Verstoßes gegen den ordre public (Art. V Abs. 2 UNÜ). Sie entsprechen im Wesentlichen den Regelungen in § 1059 II Nr. 2 ZPO, wobei im Bereich des ordre public für ausländische Schiedssprüche großzügigere Maßstäbe gelten (Lachmann aaO Rz. 2534 m.w.N.).

[19]Nach den allgemeinen Grundsätzen tragen die Darlegungs- und Beweislast

[20]– für das Vorliegen eines wirksamen Schiedsspruchs der Antragsteller,

[21]– für das Zustandekommen einer formgültigen Schiedsvereinbarung, einschließlich wirksamer Vertretung der Parteien, der Antragsteller,

[22]– für Anerkennungsversagungsgründe der Antragsgegner (Lachmann aaO Rz. 2536 m.w.N.).

[23]Der Grundsatz, dass die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen von Anerkennungsversagungsgründen demjenigen obliegt, der sich hierauf beruft, gilt auch für die von Amts wegen zu berücksichtigenden Gründe, also insbes. für die Rüge eines Verstoßes gegen den ordre public. Auch hier herrscht der Beibringungsgrundsatz. Stützt der Antragsgegner einen Anerkennungsversagungsgrund auf ausländisches Recht, hat er dessen Inhalt dazulegen und zu beweisen (Lachmann aaO Rz. 2537 f. m.w.N.).

[24]Der Vollstreckbarerklärung stehen keine Versagungsgründe nach Maßgabe des Art. V UNÜ entgegen.

[25]Der Senat hat davon auszugehen, dass das Schiedsgericht aufgrund einer wirksamen Schiedsvereinbarung zur Entscheidung berufen war. Das Schiedsgericht ist in seinem Zwischenschiedsspruch vom 30.7.2009 zu dieser Auffassung unter Zugrundelegung polnischen Rechts gelangt; dies haben staatliche polnische Gerichte bestätigt. Eine erneute Überprüfung ist dem Senat versagt. Zwar sind vom Schiedsgericht getroffene Feststellungen und rechtliche Würdigungen zum Zustandekommen einer Schiedsvereinbarung grundsätzlich für das deutsche staatliche Gericht nicht bindend, da andernfalls jedes Schiedsgericht in eigener Machtvollkommenheit und mit Bindungswirkung für die staatlichen Gerichte feststellen könnte, dass es überhaupt zu einer Tätigkeit als Schiedsgericht befugt war. Anderes gilt aber für die Entscheidungen der staatlichen Gerichte in dem Ursprungsland des Schiedsspruchs (Lachmann aaO Rz. 2560 f. m.w.N.). In letzter Instanz hat das staatliche polnische Berufungsgericht hier mit Beschluss vom 20.4.2010 (V Acz 78/10) die Zuständigkeit des Schiedsgerichts bestätigt. Eine erneute Überprüfung dieser Frage ist dem Senat damit verwehrt. Der Zwischenschiedsspruch vom 30.7.2009 ist damit auch nicht zu beanstanden, also anerkennungsfähig, was in diesem Verfahren nach Maßgabe von § 1061 ZPO i.V.m. dem UNÜ inzidenter zu prüfen ist.

[26]Ein Verstoß gegen den ordre public, bei dem einem ausländischen Schiedsspruch die Anerkennung zu versagen ist, ohne dass dem staatlichen Gericht ein Ermessen zustünde (vgl. Lachmann aaO 628 m.w.N.), ist nicht ersichtlich.

[27]Soweit die AGg. rügt, das polnische Schiedsgericht habe rechtsstaatswidrig zwar zu ihren Lasten die Geständniswirkung der Aufrechnung berücksichtigt, über deren Rechtmäßigkeit jedoch nicht entschieden, könnte dies den Einwand der Verletzung des rechtlichen Gehörs der AGg. darstellen. Hiermit vermag die AGg. indessen nicht durchzudringen. Das Schiedsgericht hat ihr Vorbringen zur Kenntnis genommen und sich mit diesem ausführlich rechtlich auseinandergesetzt. Ein Verstoß gegen den Grundsatz rechtlichen Gehörs kann vor diesem Hintergrund vom Senat nicht festgestellt werden. Dies gilt auch, soweit sich die AGg. hilfsweise auf einen solchen Verstoß beruft. Insoweit wird auf die nachfolgenden Ausführungen Bezug genommen.

[28]Die AGg. vermag mit der von ihr erklärten Aufrechnung mit einem Schadensersatzanspruch die Vollstreckbarkeitserklärung nicht zu verhindern.

[29]In einem Fall, in dem ein Schiedsgericht – gleichgültig, ob zu Recht oder zu Unrecht – eine zur Aufrechnung gestellte Gegenforderung nicht berücksichtigt hat, kann diese grundsätzlich im Verfahren auf Vollstreckbarerklärung geltend gemacht werden. Dies bedeutet, dass das staatliche Gericht selbständig zu prüfen hat, ob die in seinem Verfahren wiederholte Aufrechnung bzw. der Aufrechnungseinwand zulässig und begründet ist (BGH, Beschl. vom 30.9.2010 – III ZB 57/10 (IPRspr 2010-300b), zit. n. juris). Nach der st. Rspr. des BGH (Urteile vom 6.2.1957 – V ZR 126/55, LM § 1042 ZPO Nr. 4, und 16.2.1961 – VII ZR 191/59 (IPRspr. 1960–1961 Nr. 220), BGHZ 34, 274, 277 ff.; Senat, Urteile vom 12.7.1990 – III ZR 174/89, NJW 1990, 3210, 3211 und 3.7.1997 – III ZR 75/95, NJW-RR 1997, 1289) sind im Vollstreckbarerklärungsverfahren – über die gesetzlichen Aufhebungsgründe hinaus (für ausländische Schiedssprüche § 1061 I ZPO i.V.m. dem UNÜ) – sachlich-rechtliche Einwendungen gegen den im Schiedsspruch festgestellten Anspruch zulässig. Allerdings müssen in entspr. Anwendung des § 767 II ZPO die Gründe, auf denen die Einwendung beruht, grundsätzlich nach dem Schiedsverfahren entstanden sein, d.h. bei einer Aufrechnung darf die Aufrechnungslage nicht bereits während des Schiedsverfahrens bestanden haben. Letzteres gilt nach der Rspr. des BGH allerdings nicht ausnahmslos. Vielmehr ist die Aufrechnung auch mit einer vor Abschluss des Schiedsverfahrens entstandenen Forderung möglich, wenn der Schuldner schon vor dem Schiedsgericht aufgerechnet bzw. den Aufrechnungseinwand erhoben hat, das Schiedsgericht aber über die zur Aufrechnung gestellte Forderung – z.B. mit der Begründung, es sei für diese nicht zuständig – nicht befunden hat. Wo ein Schiedsgericht sich der Entscheidung über die Aufrechnung enthält, steht nichts im Wege, den Aufrechnungseinwand vor dem ordentlichen Gericht zu wiederholen, gleichviel ob das Schiedsgericht mit Recht oder zu Unrecht nicht auf die Aufrechnung eingegangen ist (BGH, Urt. vom 22. 11.1962 – VII ZR 55/61 (IPRspr. 1962–1963 Nr. 211), BGHZ 38, 259, 264 ff.). Gleiches gilt, wenn der Schuldner zwar vor dem Schiedsgericht nicht aufgerechnet hat, aber feststeht, dass das Schiedsgericht über die Gegenforderung bei erfolgter Aufrechnung nicht entschieden hätte (BGH, Beschl. vom 30.9.2010 aaO; BGH, Urt. vom 7.1.1965 – VII ZR 241/63 (IPRspr. 1964–1965 Nr. 279), NJW 1965, 1138, 1139).

[30]Soweit nach dem Inkrafttreten des SchiedsVfG, durch das u.a. die Zuständigkeit für das Verfahren auf Vollstreckbarerklärung eines Schiedsspruchs erstinstanzlich bei den Oberlandesgerichten angesiedelt worden ist, vereinzelt in der Rspr. (BayObLG, NJW-RR 2001, 1363 f.; OLG Stuttgart, OLGR 2001, 50, 51 f.) die Auffassung vertreten wurde, nunmehr seien bestrittene materiell-rechtliche Einwendungen wie die Aufrechnung im Vollstreckbarerklärungsverfahren grundsätzlich unbeachtlich und könnten nur zum Gegenstand einer eigenständigen Vollstreckungsabwehrklage gemacht werden, ist dem der BGH nicht gefolgt (BGH, Beschl. vom 30.9.2010 aaO m.w.N.). Vielmehr sind auch weiterhin materiell-rechtliche Einwendungen wie die Aufrechnung im Umfang der bisherigen Rspr. im Vollstreckbarerklärungsverfahren zulässig (BGH aaO und Beschlüsse vom 8.11.2007 – III ZB 95/06, SchiedsVZ 2008, 40 Rz. 31 f., und 29.7.2010 – III ZB 48/09 (IPRspr 2010-299b), juris Rz. 3; s.a. Beschl. vom 17.1.2008 – III ZB 11/07, NJW-RR 2008, 558 Rz. 18 zur Einrede der Insolvenzanfechtung im Vollstreckbarerklärungsverfahren).

[31]Das OLG ist für die Geltendmachung materiell-rechtlicher Einwendungen im Rahmen einer Vollstreckungsabwehrklage (§ 767 I ZPO) zuständig. Zuständig ist das ‚Prozessgericht des ersten Rechtszugs’, d.h. das Gericht des Vorprozesses erster Instanz, in dem der Vollstreckungstitel geschaffen worden ist (BGH, Beschl. vom 30.9.2010 aaO). Vollstreckungstitel ist bei der Vollstreckbarerklärung eines Schiedsspruchs aber die Entscheidung des OLG (BGH aaO). Dementsprechend ist das OLG das zuständige Gericht im Sinne des § 767 I ZPO. Etwas anderes gilt, wenn der geltend gemachte Einwand seinerseits einer Schiedsabrede unterliegt; dann ist das Schiedsgericht und nicht das OLG zur Entscheidung berufen (BGH aaO m.w.N.). Dies ist vorliegend indessen nicht ersichtlich. Die von der AGg. geltend gemachte Aufrechnungsforderung resultiert aus dem von ihr behaupteten Globalvertrag, der auch nach ihrem Vortrag keiner Schiedsabrede unterliegt.

[32]Ausgehend davon, dass das Schiedsgericht sich einer Entscheidung über die Schadensersatzforderungen der AGg. mit der Begründung enthalten hat, die Schiedsvereinbarung erfasse diese Ansprüche nicht, kann die AGg. deshalb die Aufrechnung im Verfahren der Vollstreckbarerklärung grundsätzlich erneut geltend machen.

[33]Die Entscheidung des Schiedsgerichts beruht – entgegen der Auffassung der ASt. – gerade nicht darauf, dass die AGg. einen bei ihr vom Schiedsgericht (möglicherweise) angeforderten Kostenvorschuss für die Aufrechnung nicht eingezahlt hat. Dies folgt bereits aus dem Schiedsspruch vom 2.11.2010 und wird zudem vom Berufungsgericht klargestellt.

[34]Erhebt ein Schuldner im Verfahren auf Vollstreckbarerklärung den Einwand der Aufrechnung, muss das OLG diese Einwendung in eigener Zuständigkeit prüfen. Die Frage, ob das Schiedsgericht seinerseits im Schiedsverfahren die Aufrechnung zu Recht oder zu Unrecht nicht berücksichtigt hat, ist grundsätzlich unerheblich (BGH, Beschl. vom 30.9.2010 aaO).

[35]Im Ergebnis hat die AGg. mit dem Aufrechnungseinwand allerdings keinen Erfolg.

[36]Eine Aufrechnungsforderung könnte sich nach dem Vorbringen der AGg. nur dann ergeben, wenn die Parteien den von der AGg. behaupteten Globalvertrag geschlossen hätten und die ASt. sich hieraus für sie ergebende Verpflichtungen verletzt hätte, was zu einer Schadensersatzverpflichtung geführt haben müsste.

[37]Voraussetzung für die Bejahung eines entspr. Gegenanspruchs der AGg. ist damit der Abschluss eines Globalvertrags zwischen den Parteien. Eine Prüfung, ob ein solcher Vertrag geschlossen wurde, ist dem Senat jedoch verwehrt, da das Schiedsgericht, dessen Schiedsspruch von der Entscheidung des polnischen Berufungsgerichts in den wesentlichen Punkten bestätigt worden ist, mit für den Senat bindender Wirkung festgestellt hat, dass die ASt. einen solchen Vertragsabschluss gerade nicht bewiesen hat. Im Schiedsspruch vom 2.11.2010 hat das Schiedsgericht insoweit unter XII. festgestellt:

[38]‚... Die Forderung, dass dieses Gericht doch über diese Sache und in diesem Umfang erkennt, ist nicht nur inkonsequent sondern auch unmöglich, da die Beklagte nach Ansicht des hiesigen Gerichts nicht bewies, dass die vertraglichen Beziehungen der Parteien in Wirklichkeit durch den Allgemeinen Vertrag gestaltet wurden, und gemäß Art. 6 ZGB war die Beweislast in diesem Bereich von ihr zu tragen ...’

[39]Der Senat hat davon auszugehen, dass die von den staatlichen polnischen Gerichten überprüften Entscheidungen des Schiedsgerichts zur Zuständigkeit und in der Sache auch auf dieser Feststellung beruhen. Immerhin hat die AGg. wie im vorliegenden Verfahren auch im Schiedsverfahren und vor den polnischen staatlichen Gerichten sich damit verteidigt, ihre AGB enthielten eine sog. Abwehrklausel, die sich gegen die Verwendung aller entgegenstehenden AGB wende und im Übrigen eine Erfüllungs- und Gerichtsstandsklausel beinhalte, so dass entgegenstehende AGB nicht hätten einbezogen werden können. Damit war die Frage des Abschlusses des Globalvertrags auch für die Frage nach der Zuständigkeit des Schiedsgerichts von wesentlicher Bedeutung. Vor diesem Hintergrund kann die zit. Feststellung des Schiedsgerichts nicht als bloßes ‚obiter dictum’, das die Entscheidung(en) des Schiedsgerichts nicht trägt und dem im vorliegenden Verfahren keine Bedeutung beigemessen werden müsste, aufgefasst werden. Die von der AGg. u.a. vertretene Auffassung, materiell hätten sich die polnischen Gerichte mit der Globalvereinbarung nicht auseinandergesetzt; sie hätten lediglich ausgeschlossen, dass diese Globalvereinbarung der Schiedsvereinbarung entgegenstehe, stützt dieses Ergebnis. Die weitergehende Auffassung der AGg., es seien im Schiedsspruch bloß Argumente diskutiert worden, die nicht in ‚Rechtskraft’ erwachsen seien, vermag der Senat daher ebenso wenig zu teilen, wie die von der AGg. mit ihrem Schriftsatz vom 20.7.2015 – auf den wegen der näheren Einzelheiten des Vorbringens Bezug genommen wird – vertiefte Darlegung ihrer Auslegung des Schiedsspruchs vom 2.11.2010.

[40]Soweit die AGg. in ihrer Stellungnahme zum Hinweisbeschluss des Senats – aus ihrer Sicht hilfsweise – vorträgt, dass dann, wenn die vom Senat vertretene Ansicht zuträfe, die polnischen Gerichte durch das Übergehen von Beweisangeboten ihr (der AGg.) rechtliches Gehör verletzt hätten, was in jedem Fall die Versagung der Vollstreckbarkeit zur Folge haben müsse, vermag sie hiermit nicht durchzubringen: Die Ablehnung oder Nichtberücksichtigung eines Beweisantrags, dem im konkreten Fall nach deutschem Verfahrensrecht zu entsprechen gewesen wäre, führt für sich allein nicht zu einem Verstoß gegen den internationalen verfahrensrechtlichen ordre public und damit zu einer Verweigerung der Anerkennung (vgl. Lachmann aaO Rz. 2602 f. m.w.N.). Der BGH hat in einem Verfahren, das die Anerkennung eines ausländischen Urteils über das Bestehen oder Nichtbestehen der nichtehelichen Vaterschaft betraf (BGH, Urt. vom 7.3.1979 – IV ZR 30/78 (IPRspr. 1979 Nr. 209b)) u.a. ausgeführt, dass es das deutsche Recht hinnähme, dass ausländische Gerichte ihr eigenes Verfahrensrecht anwendeten. Durch den Vorbehalt des ordre public in § 328 I Nr. 4 ZPO – hier bezogen auf das Verfahrensrecht – werde deshalb einem ausländischen Urteil die Anerkennung nicht schon dann versagt, wenn das Verfahren des ausländischen Gerichts gegen zwingende Vorschriften des deutschen Prozessrechts verstoßen habe. Die Ablehnung eines Beweisantrags, dem nach deutschem Verfahrensrecht im konkreten Fall zu entsprechen gewesen wäre, führe daher für sich allein nicht zur Verweigerung der Anerkennung. Ein Versagungsgrund sei vielmehr nur gegeben, wenn das Urteil des ausländischen Gerichts aufgrund eines Verfahrens ergangen sei, dass von den Grundprinzipien des deutschen Verfahrensrechts in einem Maße abweiche, dass nach der deutschem Rechtsordnung das Urteil nicht als in einem geordneten rechtsstaatlichen Verfahren ergangen angesehen werden könne (BGH aaO m.w.N.). Überträgt man diese Grundsätze auf das vorliegende Anerkennungsverfahren kann ein solcher Verstoß gegen den ordere public vom Senat nicht festgestellt werden. Dies ist schon deshalb nicht möglich, weil die insoweit – wie bereits ausgeführt – darlegungs- und beweisbelastete ASt. über ihre knapp gehaltene Rüge, ein Beweisangebot sei übergangen worden (Zeugenbeweis Frau H.), hinaus keine konkreten Umstände aufgezeigt hat, die den Schluss zuließen, der Schiedsspruch sei als nicht in einem geordneten rechtsstaatlichen Verfahren ergangen anzusehen.

[41]Vor diesem Hintergrund braucht die Frage, ob für die Rüge der Verletzung rechtlichen Gehörs der Vortrag, das Schiedsgericht habe ein Beweismittel übersehen und darum falsch entschieden, schon deshalb nicht ausreichend sein könnte, weil er den Vorwurf der materiellen Fehlentscheidung betrifft, der vom staatlichen Gericht nicht zu überprüfen ist (vgl. hierzu Lachmann aaO u. Hinw. auf die Auffassung des BGer – 4P. 74/2006 vom 19.6.2006), vom Senat nicht entschieden zu werden.

Fundstellen

LS und Gründe

SchiedsVZ, 2016, 43

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https://iprspr.mpipriv.de/2015-278

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