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Verfahrensgang

OLG München, Beschl. vom 07.07.2014 – 34 SchH 18/13, IPRspr 2014-270

Rechtsgebiete

Schiedsgerichtsbarkeit

Leitsatz

Liegt der Schiedsort in Deutschland, richtet sich die Schiedsfähigkeit (nur) nach inländischem Recht.

Rechtsnormen

BGB § 133
C. proc. civ. (Frankr.) Art. 1448
GZVJu-Bay § 7
Rom I-VO 593/2008 Art. 9
Rom II-VO 864/2007 Art. 14; Rom II-VO 864/2007 Art. 16
ZPO § 1025; ZPO § 1030; ZPO § 1032; ZPO § 1043; ZPO § 1062

Sachverhalt

Die Parteien streiten um die Zulässigkeit eines schiedsgerichtlichen Verfahrens. Die ASt. ist eine inländische GmbH. Sie schloss mit der AGg., einer französischen S.A., einen Vertrag zur Softwareentwicklung. Der in englischer Sprache abgefasste Vertrag (Software Licence Agreement, nachfolgend: SLA) enthält eine Schiedsklausel, wonach Schiedsort München sein und die Schiedsverfahrensregeln der ICC zur Anwendung kommen sollten. Vereinbart ist die Anwendung deutschen materiellen Rechts. Die AGg. verlangt von der ASt. Schadensersatz. Sie hat inzwischen zum (staatlichen) Handelsgericht Paris (Tribunal de commerce de Paris) Klage erhoben. Die ASt. rügt die Zuständigkeit des französischen Handelsgerichts.

Aus den Entscheidungsgründen:

(Randnummern der IPRspr-Redaktion)

[1]II. Dem Antrag, die Zulässigkeit des Schiedsverfahrens festzustellen, ist stattzugeben.

[2]1. Das OLG München ist für die Entscheidung über die Zulässigkeit eines schiedsrichterlichen Verfahrens (§ 1032 II ZPO) gemäß §§ 1062 I Nr. 2, V ZPO, 7 GZVJu vom 11.6.2012 (GVBl. 295) zuständig, da vertraglicher Ort des schiedsrichterlichen Verfahrens die Landeshauptstadt München ist.

[3]2. Der Antrag ist auch im Übrigen zulässig. Gemäß § 1032 II ZPO kann der Antrag bis zur Bildung des Schiedsgerichts gestellt werden. Das Schiedsgericht hat sich noch nicht konstituiert. Die zum französischen Handelsgericht im Jahr 2014 erhobene Klage steht nicht entgegen. Zwar wird vertreten, dass dem Antrag das Rechtsschutzbedürfnis fehlt, wenn bereits eine Klage nach § 1032 I ZPO beim staatlichen Gericht anhängig ist (vgl. Senat vom 22.6.2011 = SchiedsVZ 2011, 340; Thomas-Putzo-Reichold, ZPO, 35. Aufl., § 1032 Rz. 5; a.A. MünchKommZPO-Münch, 4. Aufl., § 1032 Rz. 22). Jedoch beseitigt die der Antragstellung nachfolgende Klageerhebung das Rechtsschutzinteresse nicht (vgl. Zöller-Geimer, ZPO, 30. Aufl., § 1032 Rz. 3a). Ob es auch bei internationalen Sachverhalten auf diese Frage ankommt, erscheint zweifelhaft. Abschließend damit befassen muss sich der Senat schon deshalb nicht, weil im Rechtsstreit vor französischen Gerichten die Frage der Zulässigkeit des Schiedsverfahrens nur summarisch geprüft wird, nämlich nur darauf, ob die Schiedsklausel offensichtlich (manifestement) nichtig oder unanwendbar ist (Art. 1448 C. proc. civ.). Wegen des weitergehenden Prüfungsmaßstabs im deutschen Recht besteht das Rechtsschutzbedürfnis hiervon unabhängig fort.

[4]Der Antrag ist schließlich nicht deswegen unzulässig, weil er zu unbestimmt wäre. Er bezieht sich auf die nunmehr zum (staatlichen) französischen Gericht erhobenen Klage mit dem dort beschriebenen Gegenstand.

[5]3. Das Schiedsverfahren ist in dem bezeichneten Rahmen zulässig.

[6]a) Die Schiedsvereinbarung betrifft alle in Verbindung mit dem SLA entstehenden Streitigkeiten ohne Einschränkung auf vertragliche Ansprüche.

[7](1) Die von den Parteien vereinbarte Anwendung deutschen Rechts betrifft ausdrücklich nur das materielle Recht. Dessen ungeachtet spricht alles dafür, deutsches Recht – jedenfalls konkludent – auch für die Wirksamkeit der Schiedsklausel als vereinbart anzusehen. Denn im Zusammenhang mit der vertraglichen Bestimmung deutschen Sachrechts (Ziff. 19.10 I des Vertrags) ist auch ein deutscher Schiedsort gewählt worden (Ziff. 19.10 II). Ohnehin käme subsidiär als Schiedsvereinbarungsstatut das Recht des Schiedsorts zur Anwendung (Zöller-Geimer aaO § 1029 Rz. 107; s.a. König, SchiedsVZ 2012, 129/133). Dann hat auch die Auslegung der Schiedsvereinbarung nach § 133 BGB zu erfolgen (Zöller-Geimer aaO Rz. 108). Schiedsklauseln sind nach allgemein gängiger – nationaler wie internationaler – Praxis in ihrer Reichweite großzügig auszulegen (BGHZ 53, 315/322; BGH, NJW-RR 2002, 387; Thomas-Putzo-Reichold aaO § 1029 Rz. 6; Zöller-Geimer aaO Rz. 78). Maßstab sind Sinn und Zweck der Schiedsvereinbarung (vgl. Lachmann, Hdb. für die Schiedsgerichtspraxis, 3. Aufl., Rz. 472). Dabei ist von vornherein schon davon auszugehen, dass eine Schiedsvereinbarung über künftige Rechtsstreitigkeiten aus einem bestimmten Vertragsverhältnis auch Schadensersatzansprüche aus unerlaubter Handlung umfasst, wenn diese sich tatbestandlich mit der Vertragsverletzung decken (vgl. BGH, NJW 1965, 300; Thomas-Putzo-Reichold aaO Rz. 7; Zöller-Geimer aaO Rz. 80; Lachmann aaO Rz. 480). Der klagende Vertragspartner soll es nämlich nicht in der Hand haben, die Zuständigkeit des staatlichen Gerichts dadurch herbeizuführen, dass er bei einer Vertragsstörung statt der vertraglichen die deliktsrechtliche Anspruchsgrundlage heranzieht. Vorliegend sind ausdrücklich alle Streitigkeiten, die den Vertrag betreffen oder auch nur in Verbindung mit ihm stehen, einbezogen. Gerade die Formulierung ‚in Verbindung mit diesem Vertrag’ (im Original: in connection) spricht für einen umfassenden Geltungsbereich, der auch Ansprüche aus unerlaubter Handlung einschließt.

[8](2) Die vor dem französischen Gericht erhobene Klage bezieht sich ausdrücklich auf den Vertrag vom 12.12.2010 (SLA) und baut auf der Spaltung des ursprünglich einheitlichen Projekts auf, in der die AGg. einen ‚plötzlichen Abbruch’ der Geschäftsbeziehung sieht und nach Maßgabe des französischen Rechts als eine unerlaubte Handlung würdigt. Die AGg. verweist zwar auch darauf, dass sie für die Weiterentwicklung des Projekts ein (neues) Angebot vorgelegt habe, das vor ihrem plötzlichen Ausschluss auch angenommen worden sei. Sie wirft der ASt. jedoch vor, einen Gesamtkomplex aufgegliedert zu haben, und legt in ihrer Klage dar, dass es sich gerade nicht um ein separates Projekt handle. Die Pflichtverletzung der ASt. wird darin erblickt, dass sie das ursprüngliche Projekt aufgegliedert und damit die bestehende Geschäftsbeziehung abgebrochen habe.

[9]Damit fällt der nun vor dem staatlichen Gericht eingeleitete Rechtsstreit unter die weit auszulegende Schiedsvereinbarung, unabhängig davon, ob man neben der Vertragsverletzung auch eine oder mehrere unerlaubte Handlungen sehen möchte.

[10]b) Da der Schiedsort in Deutschland liegt (§§ 1025 I, 1043 I 2 ZPO), richtet sich die Schiedsfähigkeit nach § 1030 ZPO. Gemäß § 1030 I 1 ZPO kann jeder vermögensrechtliche Anspruch Gegenstand einer Schiedsvereinbarung sein. Als vermögensrechtlich zu qualifizieren sind solche Ansprüche, die auf einem vermögensrechtlichen Rechtsverhältnis beruhen, und außerdem alle auf Geld (oder geldwerte Sachen und Rechte) gerichteten Ansprüche (vgl. Zöller-Geimer aaO § 1030 Rz. 1). Darunter fallen die Ersatzansprüche für den ‚Reputationsschaden’, ebenso etwaige Schadensersatzansprüche aus Patent- und sonstigen Schutzrechtsverletzungen, weil solche ersichtlich vermögensrechtlicher Art sind (§ 1030 I 1 ZPO; vgl MünchKommZPO-Münch aaO § 1030 Rz. 15).

[11]c) Unerheblich ist, ob die Ansprüche nach französischem Recht schiedsfähig wären. Denn die Parteien haben einen deutschen Schiedsort bestimmt (s. Stein-Jonas-Schlosser, ZPO, 22. Aufl., § 1030 Rz. 4 und – ausdrücklich – Rz. 19; Prütting-Gehrlein, ZPO, 3. Aufl., § 1030 Rz. 9; MünchKommZPO-Münch aaO Rz. 22; Zöller-Geimer aaO Rz. 24). Soweit teilweise (zusätzlich) an das für die Schiedsabrede maßgebliche Recht angeknüpft wird (Musielak-Voit, ZPO, 11. Aufl., § 1030 Rz. 10; Schütze, Schiedsgericht und Schiedsverfahren, 5. Aufl. Rz. 206), wäre das Ergebnis nicht anders, weil auch hierfür deutsches Recht gilt [s. II.3.a.(1)]. Selbst wenn trotz der Wahl deutschen Rechts französische Normen, die in Frankreich einer Schiedsfähigkeit entgegenstünden, auf dem Weg über Art. 9 III Rom-I-VO bzw. Art. 14 II, 16 Rom-II-VO anwendbar wären, verbliebe es bei § 1030 ZPO für die Beurteilung der Schiedsfähigkeit.

[12]Eine eventuelle Schiedsunfähigkeit nach ausländischem, nämlich französischem, Recht – was dem Senat allerdings zweifelhaft erscheint (vgl. Cour de cassation vom 8.7.2010 – 09-67.013 und dazu Reinmüller/Bücken, IPRax 2013, 91) – ist aus der Sicht des deutschen Schiedsrechts irrelevant. Die mögliche Nichtanerkennung des deutschen Schiedsspruchs im Ausland muss im Interesse der unkomplizierten Anwendung des deutschen Schiedsrechts in Kauf genommen werden (vgl Zöller-Geimer aaO m.w.N.). Soweit trotz entgegenstehender Rechtswahl die Anwendung französischen Rechts überhaupt in Frage kommt, kann dies nur das materielle Recht betreffen. Für das Verfahrensrecht gilt dies nicht; § 1030 ZPO als Verfahrensvorschrift sieht die Berücksichtigung ausländischer (Eingriffs-) Normen und des ausländischen ordre public nicht vor.

[13]d) Die Möglichkeit, dass Vorschriften des französischen Rechts – falls solche trotz der getroffenen Rechtswahl anzuwenden wären – im deutschen Schiedsspruch nicht Berücksichtigung finden (vgl. für das deutsche Recht BGH, WM 1987, 1153 (IPRspr. 1987 Nr. 183); OLG München, WM 2006, 1556 (IPRspr 2006-11)), macht aus denselben Gründen das Schiedsverfahren nicht unzulässig. Dies gilt auch für die fehlende Möglichkeit des französischen Staats, auf das in Deutschland geführte schiedsgerichtliche Verfahren Einfluss nehmen zu können.

[14]Es bleibt im Übrigen dem Schiedsgericht überlassen zu prüfen, ob zwingende Normen des französischen Rechts, etwa auf dem Weg über Art. 9 III Rom-I-VO, 14 II Rom-II-VO ausnahmsweise trotz der zugunsten des deutschen Rechts getroffenen Rechtswahl anzuwenden sind.

Fundstellen

nur Leitsatz

BB, 2014, 2177

LS und Gründe

SchiedsVZ, 2014, 262
NJOZ, 2015, 737
IPRax, 2016, 66, mit Anm. Weller

Permalink

https://iprspr.mpipriv.de/2014-270

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