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Verfahrensgang

OLG Schleswig, Beschl. vom 18.07.2014 – 12 Va 10/12, IPRspr 2014-260

Rechtsgebiete

Anerkennung und Vollstreckung → Ehe- und Kindschaftssachen

Leitsatz

Art. 108 I FamFG gilt nach seinem eindeutigen Wortlaut nicht für Ehesachen; diese sind abschließend in § 107 FamFG geregelt.

Die Regelung des § 107 FamFG erfasst alle ausländischen Entscheidungen in Ehesachen; eine Einschränkung dahingehend, dass nur Ehesachen ausgenommen sind, für die das obligatorische Anerkennungsverfahren nach § 107 FamFG eingreift, und daraus folgend die Anwendbarkeit des § 108 I FamFG auch für Heimatstaatentscheidungen, lässt sich aus dem Wortlaut nicht ableiten. Es besteht deshalb weiterhin das Bedürfnis für ein fakultatives Anerkennungsverfahren für Heimatstaatentscheidungen. [LS der Redaktion]

Rechtsnormen

BGB § 1318; BGB § 2365
FamFG § 69; FamFG § 107; FamFG § 108
FamRÄndG Art. 7

Sachverhalt

[Ein weiteres Verfahren ist beim BGH unter dem Az. XII ZB 695/14 anhängig.]


Die Beteiligte zu 1) begehrt die Feststellung, dass die Voraussetzungen für die Anerkennung eines polnischen Urteils aus dem Jahr 1995, das die Scheidung der Ehe zwischen der Beteiligten zu 2) und Herrn J. P. K. ausspricht, nicht erfüllt seien. Der 2010 verstorbene Herr M. V. war in erster Ehe mit der Beteiligten zu 1) verheiratet; die Ehe wurde 1995 geschieden. Aus der Ehe sind zwei gemeinsame Kinder, S. J. und T. V., hervorgegangen. M. V. heiratete 1998 die Beteiligte zu 2). Diese hatte zuvor 1990 mit Herrn J. P. K. die Ehe geschlossen. Während der letztgenannten Ehe, deren Scheidung das verfahrensgegenständliche Urteil des Bezirksgerichts Danzig aus 1995 ausgesprochen hat, gebar die Beteiligte zu 2) 1994 den Sohn Matt. K. (jetzt V.). M. V. hat 1997 die Vaterschaft für dieses Kind anerkannt, nachdem das AG Pinneberg durch Urteil 1996 festgestellt hatte, dass J. P. K. nicht der Kindesvater ist. Nach dem Tod des M. V. wurde zugunsten seiner drei Kinder S. J., T. V. und Matt. V. sowie der Beteiligten zu 2) ein Erbschein erteilt.

Die LJV, Beteiligte zu 3), hat den Antrag der Beteiligten zu 1) als unzulässig abgewiesen. Gegen diesen Bescheid wendet sich die Beteiligte zu 1) mit ihrem Antrag auf gerichtliche Entscheidung.

Aus den Entscheidungsgründen:

(Randnummern der IPRspr-Redaktion)

[1]II. ... 1. Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist form- und fristgerecht gestellt und auch im Übrigen zulässig. Insbesondere ist die Antragsberechtigung der Beteiligten zu 1) gegeben. Den Antrag nach § 107 V und IX FamFG kann gemäß § 107 IV 2 FamFG jeder stellen, der ein rechtliches Interesse an der Nichtanerkennung glaubhaft macht. Das rechtliche Interesse der Beteiligten zu 1) ergibt sich zum einen daraus, dass die Beteiligte zu 2) im Verfahren vor dem LG Itzehoe als Mitklägerin und Mitglied der Erbengemeinschaft nach dem verstorbenen Herrn M. V. negative Feststellungsklage gegen die Beteiligte zu 1) erhoben hat, weil diese sich Unterhaltsansprüche gegen ihren früheren Ehemann berühmt, die sich nach dessen Versterben nunmehr gegen seine Erben richten würden. Die Einordnung der Ehe der Beteiligten zu 2) zum Erblasser als bigamisch aufgrund der Nichtanerkennung der Scheidung der ersten Ehe der Beteiligten zu 2) hätte im Fall ihrer Bösgläubigkeit im Sinne des § 1318 V BGB den Wegfall der Erbenstellung der Beteiligten zu 2) und damit den Verlust ihrer Aktivlegitimation zur Folge. Zum anderen würde die Beteiligte zu 1) mit der begehrten Nichtanerkennung des polnischen Scheidungsurteils eine Beweiserleichterung erreichen, weil dann die Erbscheinvermutung nach § 2365 BGB entfallen würde und die Beteiligte zu 2) nach den allgemeinen Beweisregeln ihre Aktivlegitimation als Erbin beweisen müsste.

[2]2. Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung der Beteiligten zu 1) führt zur Aufhebung des angefochtenen Bescheides und zur Zurückverweisung der Sache an die Beteiligte zu 3) entsprechend § 69 I 2 FamFG.

[3]a) Anwendbar sind hier aus den insoweit zutreffenden Gründen des Bescheids der Beteiligten zu 3) die Anerkennungsvorschriften des FamFG und nicht diejenigen der EuEheVO.

[4]b) Der Antrag der Beteiligten zu 1) ist nicht unzulässig, sondern muss in der Sache beschieden werden, so dass der angefochtene Bescheid aufzuheben ist, und zwar nach derzeitigem Sachstand aus zwei Gründen:

[5]aa) Es ist bereits zweifelhaft, ob es sich bei dem verfahrensgegenständlichen polnischen Scheidungsurteil aus dem März 1995 überhaupt um eine Heimatstaatentscheidung im Sinne von § 107 I 2 FamFG handelt. Dies wäre nur dann der Fall, wenn die Beteiligte zu 2) und Herr J. K. damals beide (ausschließlich) die polnische Staatsangehörigkeit gehabt hätten. Schon wenn es sich bei Herrn K. um einen Mehrstaater gehandelt haben sollte, läge nach ganz h.M. (vgl. nur Zöller-Geimer, ZPO, 30. Aufl., § 107 FamFG Rz. 42 m.w.N.; Bahrenfuß-v. Milczewski, FamFG, 2. Aufl., § 107 Rz. 23 m.w.N.) keine Heimatstaatentscheidung vor und wäre zwingend nach § 107 I 1 FamFG ein Anerkennungsverfahren vor der Beteiligten zu 3) durchzuführen ...

[6]bb) Entgegen der Auffassung des Ministeriums für Justiz, Kultur und Europaangelegenheiten des Landes Schleswig-Holstein ist ein fakultatives Verfahren vor der LJV aber selbst bei Vorliegen einer Heimatstaatentscheidung auch nach Inkrafttreten des FamFG weiterhin zulässig.

[7]Die Vorschrift des § 107 FamFG entspricht weitgehend der bisher geltenden Regelung des Art. 7 § 1 FamRÄndG. Aus den Gesetzesmaterialien zum FamFG ergibt sich nicht, dass der bisherige Rechtszustand, nach dem ein Anerkennungsverfahren vor der LJV auch bei Vorliegen einer Heimatstaatentscheidung fakultativ zulässig war (BGH, Beschl. vom 11.7.1990 – XII ZB 113/87 (IPRspr. 1990 Nr. 221), FamRZ 1990, 1228), geändert werden sollte. Entsprechende Erläuterungen wären aber zu erwarten und erforderlich gewesen, wenn eine Änderung der Rechtslage beabsichtigt gewesen wäre.

[8]Etwas anderes folgt auch nicht aus Art. 108 FamFG. Art. 108 I FamFG gilt nach seinem eindeutigen Wortlaut (‚Abgesehen von Entscheidungen in Ehesachen ...’) gerade nicht für Ehesachen. Auch steht für Ehesachen entgegen der Auffassung der Beteiligten zu 3) nicht das in Art. 108 II und III FamFG geregelte fakultative Anerkennungsverfahren zur Verfügung, weil die gesamte Regelung des § 108 FamFG, wie sich aus der vom Gesetzgeber gewählten amtlichen Überschrift ‚Anerkennung anderer Entscheidungen’ ergibt, nicht auf Entscheidungen in Ehesachen anwendbar ist, die abschließend in Art. 107 FamFG geregelt sind (so die ganz h.M., u.a. Keidel-Zimmermann, FamFG, 18. Aufl., § 107 Rz. 20; MünchKommFamFG-Rauscher, 2. Aufl., Rz. 34; Prütting-Helms-Hau, FamFG, 3. Aufl., § 107 Rz. 32; Hau, FamRZ 2009, 821, 825; Thomas.-Putzo-Hüßtege, ZPO, 34. Aufl., § 108 Rz. 1; Bork-Jacoby-Schwab-Heiderhoff, FamFG, 2.Aufl., § 107 Rz. 6 und § 108 Rz. 7; Klinck, FamRZ 2009, 741, 743; zum Anwendungsbereich des § 108 FamFG auch Musielak-Borth/Grandel, FamFG, 4. Aufl., § 108 Rz. 1: Die Vorschrift regelt die Anerkennung ausländischer Entscheidungen, soweit deren Gegenstand nicht eine Entscheidung in Ehesachen ist; a.A. u.a. Bahrenfuß-v. Milczewski aaO § 107 Rz. 24; Zöller-Geimer aaO Rz. 38). Die Auffassung der LJV, es müssten, weil die amtliche Überschrift des § 108 FamFG von der ‚Anerkennung anderer ausländischer Entscheidungen’ spreche, auch Heimatstaatentscheidungen, für die § 107 FamFG gerade nicht eingreift, zwangsläufig in den Anwendungsbereich des § 108 FamFG fallen, überzeugt nicht. Die Regelung des § 107 FamFG erfasst alle ausländischen Entscheidungen in Ehesachen; eine Einschränkung dahingehend, dass nur Ehesachen ausgenommen sind, für die das obligatorische Anerkennungsverfahren nach § 107 FamFG eingreift, und daraus folgend die Anwendbarkeit des § 108 I FamFG auch für Heimatstaatentscheidungen, lässt sich aus dem Wortlaut nicht ableiten.

[9]Es besteht deshalb weiterhin das vom BGH unter der Geltung der bisherigen Regelung bejahte Bedürfnis für ein fakultatives Anerkennungsverfahren für Heimatstaatentscheidungen. Nur so kann gewährleistet werden, dass über die Anerkennungsfrage auch in diesen Fällen eine Stelle entscheidet, die durch regelmäßige Befassung gerade mit der Anerkennungsfähigkeit ausländischer Statusentscheidungen besondere Sachkunde aufbauen konnte.

[10]cc) Es ist auch der nach der genannten Rspr. des BGH erforderliche besondere Grund für die Durchführung eines fakultativen (Nicht-)Anerkennungsverfahrens durch die Beteiligte zu 1) vor der LJV gegeben.

[11](1) Dieser besondere Grund ergibt sich aus den Umständen, die – wie o.a. – ihr rechtliches Interesse im Sinne von § 107 IV 2 FamFG begründen.

[12](2) Entgegen der Auffassung der LJV entfällt das Interesse der Beteiligten zu 1) an einer bindenden Feststellung auch nicht deshalb, weil das LG Itzehoe in dem bei ihm laufenden Verfahren die Frage der Anerkennungsfähigkeit des Scheidungsurteils, wenn es sich um eine Heimatstaatentscheidung handeln sollte, als Vorfrage inzident prüfen würde. Die Beteiligte zu 1) ist nicht gehalten, sich der Rechtsauffassung des LG oder späterer möglicher Rechtsmittelgerichte zu beugen; vielmehr steht ihr ein Wahlrecht zu, ob sie bei Vorliegen einer Heimatstaatentscheidung die Durchführung des fakultativen (Nicht-)Anerkennungsverfahrens vor der LJV beantragt oder die Entscheidung dem Fachgericht überlässt. Für die Auffassung der Beteiligten zu 3), die zu klärende Frage der (Nicht-)Anerkennung des Urteils müsse auch in weiteren Rechtsbeziehungen von Bedeutung sein, bietet das Gesetz keinen Anhaltspunkt ...Etwas anderes folgt auch nicht daraus, dass ein Verstoß gegen die Ordre-public-Maximen im Zweitverfahren nicht mehr gerügt werden kann, wenn er nicht schon im Erstverfahren (erfolglos) geltend gemacht wurde, also die Beseitigung des Verfahrensfehlers schon im Erstprozess mit den Mittel des erststaatlichen Prozessrechts versucht worden ist (Zöller-Geimer aaO § 328 Rz. 227 m.w.N.). Die Beteiligte zu 1) war nämlich am Scheidungsverfahren zwischen der Beteiligten zu 2) und Herrn K. nicht beteiligt, so dass ihr in Polen keine rechtsstaatlichen Mittel zur Beseitigung des Scheidungsurteils zur Verfügung standen.

Fundstellen

LS und Gründe

FamRZ, 2015, 76

Permalink

https://iprspr.mpipriv.de/2014-260

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