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Verfahrensgang

BGH, Beschl. vom 16.01.2014 – IX ZR 194/13, IPRspr 2014-168

Rechtsgebiete

Zuständigkeit → Besonderer Vertragsgerichtsstand

Leitsatz

Eine schriftliche Vereinbarung über den Gerichtsstand im Sinne von Art. 23 I 3 lit. a LugÜ II liegt nur dann vor, wenn – jede – Partei ihre Willenserklärung schriftlich abgegeben hat. Das kann, abweichend von § 126 II BGB, auch in getrennten Schriftstücken geschehen, sofern aus ihnen die inhaltliche Übereinstimmung beider Erklärungen hinreichend deutlich hervorgeht.

Das (beiderseitige) Schriftformerfordernis ist nicht schon deshalb erfüllt, weil die eine Partei der anderen die Urkunde mit der Gerichtsstandsvereinbarung übersandt hat und sie von dieser unterzeichnet zurückgegeben worden ist. Das entspricht nicht dem, was im Rechtsverkehr allgemein unter einer schriftlichen Vereinbarung verstanden wird.

Rechtsnormen

BGB § 126
EUGVVO 44/2001 Art. 2
LugÜ Art. 17
LugÜ II Art. 2; LugÜ II Art. 23; LugÜ II Art. 24; LugÜ II Art. 26; LugÜ II Art. 64
ZPO § 504

Sachverhalt

Die Kl., eine Schweizer Anwältin, nimmt die Bekl. vor dem AG ihres Wohn- und Geschäftssitzes auf Zahlung von Anwaltshonorar in Anspruch. Die Bekl. macht geltend, mit der Kl. eine Gerichtsstandsvereinbarung getroffen zu haben, wonach das Gericht am Schweizer Wohnsitz der Kl. für die Streitigkeiten aus dem Anwaltsvertrag international zuständig sei.

Das AG hat die Klage als unzulässig abgewiesen, das LG hat das Urteil auf die Berufung der Kl. aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das AG zurückverwiesen. Hiergegen wendet sich die Bekl. mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision, mit der sie die Wiederherstellung des amtsgerichtlichen Urteils erreichen möchte.

Aus den Entscheidungsgründen:

(Randnummern der IPRspr-Redaktion)

[1]II. Die Revision dürfte keinen Erfolg haben, und die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision dürften nicht vorliegen. Auf die Rechtsfrage, wegen derer das LG die Revision zugelassen hat, kommt es nicht an.

[2]1. Das LG hat ausgeführt: Zwar hätten die Parteien wirksam die internationale Zuständigkeit des Schweizer Gerichts vereinbart, doch habe sich die Bekl. beim AG rügelos auf das Verfahren eingelassen (Art. 24 LugÜ II), so dass dieses international zuständig geworden sei. Zugelassen hat das LG die Revision wegen der Frage, ob § 504 ZPO im Rahmen des Art. 24 LugÜ II anwendbar ist.

[3]2. Die Ausführungen zur Wirksamkeit der Gerichtsstandsvereinbarung dürften rechtlicher Nachprüfung nicht standhalten. Die vom LG angenommene internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte ist nur dann nicht gegeben, wenn die Parteien eine wirksame anderweitige Gerichtsstandsvereinbarung geschlossen haben und die Bekl. die fehlende internationale Zuständigkeit vor dem AG rechtzeitig gerügt hat. Ersteres dürfte nach den Feststellungen des Berufungsgerichts und dem bisherigen Vortrag der Parteien nicht der Fall sein. Insoweit hat die Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung noch ist eine Entscheidung des Revisionsgerichts zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich.

[4]a) Vorliegend bestimmt sich die internationale Zuständigkeit des angerufenen AG gemäß Art. 64 II lit. a LugÜ II nach dem Lugano-Übereinkommen, weil ein Gericht der Schweiz, ein Lugano-Staat, der nicht zugleich Mitgliedstaat der EuGVO ist, aufgrund einer Gerichtsstandsvereinbarung nach Art. 23 LugÜ II ausschließlich zuständig sein soll. Wurde die ausschließliche Zuständigkeit der Schweizer Gerichte nach Art. 23 LugÜ II wirksam vereinbart, so muss sich ein dennoch angerufenes deutsches Gericht für unzuständig erklären (Art. 26 I LugÜ II; Dasser-Oberhammer-Killias, Kommentar des Lugano-Übereinkommens, 2. Aufl., Art. 17 Rz. 32; Dasser-Oberhammer-Domej aaO Art. 54b Rz. 5; Oetiker-Weibel, Basler Kommentar – Lugano-Übereinkommen (LugÜ), 2011, Art. 64 Rz. 6), sofern sich der Beklagte nicht nach Art. 24 LugÜ II rügelos auf das Verfahren einlässt. Mit Recht hat das Berufungsgericht auch auf das Lugano-Übereinkommen aus dem Jahr 2007 (LugÜ II) und nicht auf das Lugano-Übereinkommen vom 16.9.1988 abgestellt. Denn die Kl. hat den Erlass des Mahnbescheids im Dezember 2011 beantragt, mithin nach dem 1.1.2010, als das neue Übereinkommen für die EU, Dänemark und Norwegen in Kraft getreten ist und selbst nach dem 1.1.2011, als das neue Übereinkommen in der Schweiz in Kraft getreten ist (vgl. hierzu BGH, Urt. vom 23.10.2012 – VI ZR 260/11 (IPRspr 2012-225), BGHZ 195, 166 Rz. 6 f.).

[5]b) Die danach mögliche Vereinbarung einer internationalen Zuständigkeit ist jedoch nicht wirksam getroffen worden. Allein die Bekl. hat das ihr von der Kl. zur Unterschrift zugeschickte Vollmachtsformular unterschrieben, in dem es ausweislich der von der Kl. vorgelegten Übersetzung wie folgt heißt: ‚Für die Erledigung von Streitigkeiten aus diesem Auftragsverhältnis werden ausdrücklich die Gerichte des Wohnsitzes des Bevollmächtigten als ausschließlich zuständig anerkannt.’

[6]Mit dieser Erklärung ist jedenfalls das Schriftformerfordernis des Art. 23 I 3 lit. a LugÜ II nicht eingehalten, wonach die Gerichtsstandsvereinbarung schriftlich oder mündlich mit schriftlicher Bestätigung geschlossen werden muss.

[7]aa) Eine schriftliche Vereinbarung im Sinne dieser Regelung haben die Parteien nicht getroffen. Eine solche liegt nur dann vor, wenn – jede – Partei ihre Willenserklärung schriftlich abgegeben hat. Das kann, abweichend von § 126 II BGB, auch in getrennten Schriftstücken geschehen, sofern aus ihnen die inhaltliche Übereinstimmung beider Erklärungen hinreichend deutlich hervorgeht (BGH, Urt. vom 22.2.2001 – IX ZR 19/00 (IPRspr. 2001 Nr. 133), NJW 2001, 1731). Nach Art. 23 II LugÜ II genügt die elektronische Übermittlung, die keine handschriftlichen Unterzeichnungen ermöglicht. Inwieweit deswegen die Unterschrift auch darüber hinaus verzichtbar ist, bedarf hier keiner Entscheidung. Jedenfalls kann nur dann von einer schriftlichen Willenserklärung die Rede sein, wenn sie in einem sichtbaren Text verkörpert ist, der den Urheber erkennen lässt. Der Formulartext der Vollmachtsurkunde enthält nur die Erklärung der Bekl., nicht aber eine Erklärung der Kl. Das (beiderseitige) Schriftformerfordernis ist nicht schon deshalb erfüllt, weil die Kl. der Bekl. diese Urkunde übersandt hat und [sie] von dieser unterzeichnet zurückgegeben worden ist. Das entspricht nicht dem, was im Rechtsverkehr allgemein unter einer schriftlichen Vereinbarung verstanden wird (vgl. für den Fall einer Bürgschaftsurkunde und zu Art. 17 I 2 lit. a LugÜ a.F.: BGH, Urt. vom 22.2.2001 aaO 1731 f.; Kropholler-v. Hein, Europäisches Zivilprozessrecht, 9. Aufl., Art. 23 EuGVO Rz. 33; Oetiker-Weibel-Berger aaO Art. 23 Rz. 42).

[8]Allerdings entspricht dem Formerfordernis auch ein Briefwechsel. Zudem genügt zum formwirksamen Einbezug einer Gerichtsstandsklausel, die sich in anderen Dokumenten befindet, ein genereller schriftlicher Verweis auf die fragliche Urkunde; ein ausdrücklicher Hinweis auf die Gerichtsstandsklausel ist nicht erforderlich (Kropholler-v. Hein aaO; Oetiker-Weibel-Berger aaO). Die Kl. hat jedoch nicht in dieser Weise auf die Gerichtsstandsklausel in dem Vollmachtsformular oder überhaupt auf die Vollmachtsurkunde in ihrem Schreiben vom 29.2.2008, mit dem sie der Bekl. das Formular überlassen hat, Bezug genommen. Sie hat dieses Dokument nur insoweit angesprochen, als dass sie mitteilt, es der Bekl. absprachegemäß zur Unterschrift übersandt zu haben. Sie weist nicht darauf hin, dass die Vollmachtsurkunde vertragliche Regelungen enthalte. Sie nimmt auch nicht Bezug auf diese Regelungen oder macht in irgendeiner Form deutlich, dass sie insoweit das Angebot zum Vertragsschluss mache ...

[9]c) Ist die vorgelegte Gerichtsstandsvereinbarung nicht formwirksam zustande gekommen, ist die internationale Zuständigkeit des deutschen Gerichts nach Art. 2 I EuGVO/Art. 2 I LugÜ II ohne Zweifel gegeben. Die Kl. hat die Bekl. an ihrem Wohnsitz/Firmensitz verklagt.

Fundstellen

LS und Gründe

IHR, 2014, 171
WM, 2014, 534
ZInsO, 2014, 739

Permalink

https://iprspr.mpipriv.de/2014-168

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