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Verfahrensgang

AG Erding, Versäumnisurt. vom 05.12.2013 – 4 C 1702/134, IPRspr 2013-254

Rechtsgebiete

Zuständigkeit → Durchführung des Verfahrens (bis 2019)

Leitsatz

Als Maßstab für Sprachkenntnisse ist bei einer juristischen Person nicht formaljuristisch auf die Organe, sondern auf die tatsächlich im Unternehmen vorhandenen und verfügbaren Fähigkeiten abzustellen. [LS der Redaktion]

Rechtsnormen

EuZVO 1393/2007 Art. 8
ZPO § 331

Sachverhalt

Die Kl. buchten bei der Bekl. einen Flug von Barcelona nach München. Infolge eines von der Bekl. zu verantwortenden Umstands wurde der Flug annulliert. Eine anderweitige Beförderung wurde den Kl. von der Bekl. nicht angeboten. Die Kl. machen jeweils Ausgleichsansprüche nach der europäischen Fluggastrechte-VO (EG) Nr. 261/2004 geltend.

Aus den Entscheidungsgründen:

(Randnummern der IPRspr-Redaktion)

[1]Die Voraussetzungen für den Erlass eines Versäumnisurteils gemäß § 331 III ZPO liegen vor. Die zulässige Klage ist unter Zugrundelegung des als zugestanden anzunehmenden tatsächlichen Vortrags der Kl. vollumfänglich begründet.

[2]Auf Antrag der Kl. war Versäumisurteil zu erlassen, weil die Bekl. trotz ordnungsgemäßer und am 12.11.2013 wirksam erfolgter Zustellung der Klageschrift ihre Verteidigungsabsicht nicht fristgerecht anzeigte, obwohl sie auf die prozessualen Folgen eines solchen Versäumnisses ausdrücklich hingewiesen wurde.

[3]Zwar hat die Bekl. die Annahme der in Spanien zugestellten Klageschrift unter Berufung auf Art. 8 I EuZVO verweigert, weil der in deutscher Sprache abgefassten Klageschrift keine Übersetzung in die spanische Sprache beigefügt war. Diese Annahmeverweigerung erfolgte jedoch unberechtigt. Denn die Kl. konnten zur Überzeugung des Gerichts nachweisen, dass die Bekl. die deutsche Sprache ausreichend versteht, um sich in gehöriger Weise verteidigen zu können.

[4]Das mit der Sache befasste nationale Gericht entscheidet selbständig über die Berechtigung der Annahmeverweigerung. Die an der Durchführung der Zustellung interessierten Kl. haben dabei die Möglichkeit, den Nachweis zu führen, dass die Annahmeverweigerung zu Unrecht erfolgte, vgl. Zöller-Geimer, 30.Aufl., Art. 8 EG-VO Zustellung Rz. 6, 8 (3250).

[5]Die Annahme kann gemäß Art. 8 I EuZVO vom Adressaten verweigert werden, wenn das Schriftstück weder in der Amtssprache des Empfängerstaats noch in einer Sprache verfasst ist, die er versteht, und keine Übersetzung beigefügt ist. Empfänger der Klageschrift war vorliegend eine spanische Aktiengesellschaft. Es ist umstritten, ob bei juristischen Personen auf die Sprachkenntnisse der vertretungsberechtigten Organwalter oder auf die im gesamten Unternehmen der juristischen Person faktisch vorhandenen Sprachkenntnisse abzustellen ist. Nach Aufassung des Gerichts ist als Maßstab für die Sprachkenntnisse nicht formaljuristisch auf die Organe der juristischen Person, sondern auf die tatsächlich im Unternehmen vorhandenen und verfügbaren Fähigkeiten abzustellen, weil zum einen dem Empfänger der Rückgriff auf alle internen Quellen zumutbar ist, vgl. Musielak-Stadler, ZPO, 10. Aufl., Art. 8 EuZVO Rz. 4, und weil zum anderen Änderungen in der Organstellung rein innergesellschaftlich vollzogen werden und für den Absender nicht erkennbar sind, vgl. Handelsgericht Wien, Beschl. vom 29.4.2013 – 60 R 61/11t.

[6]Um zu ermitteln, ob der Empfänger eines zugestellten Schriftstücks die Sprache des Übermittlungsmitgliedstaats, in der das Schriftstück abgefasst ist, versteht, hat das Gericht sämtliche Anhaltspunkte zu prüfen, die ihm der Absender hierzu unterbreitet, vgl. EuGH, Urt. vom 8.5.2008 – Ingenieurbüro Michael Weiss u. Partner GbR ./. Industrie- und Handelskammer Berlin, Rs C-14/07, Slg. 2008 I-03367, NJW 2008, 1721. Die Kl. brachten folgende Argumente für hinreichende Deutschkenntnisse der Bekl. vor:

[7]Die Bekl. bietet ausweislich ihrer Internetseite www.vueling.com/de Flüge in deutscher Sprache an, erklärt in ihren Beförderungebedingungen auch die Rechte der Fluggäste nach der VO (EG) Nr. 261/2004 in deutscher Sprache und hat im Verfahren GZ 17 EuM 2326/12y vor dem Bezirksgericht in Handelssachen Wien in deutscher Sprache Einspruch erhoben. Diese Behauptungen hat die Bekl. durch Übersendung entspr. Unterlagen auch zur Überzeugung des Gerichts glaubhaft machen können. Diese von den Kl. vorgebrachten Indizien sind jedenfalls in der Zusammenschau ausreichend, um hinreichende Deutschkenntnisse der Bekl. nachzuweisen. Die Annahmeverweigerung der Bekl. erfolgte deshalb unrechtmäßig. Die Zustellung war auch ohne Beifügung einer Übersetzung wirksam.

Fundstellen

LS und Gründe

RRa, 2014, 183

Permalink

https://iprspr.mpipriv.de/2013-254

Lizenz

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