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Verfahrensgang

LG Hamburg, Urt. vom 07.02.2013 – 327 O 426/12, IPRspr 2013-245

Rechtsgebiete

Zuständigkeit → Durchführung des Verfahrens (bis 2019)

Leitsatz

Die Zustellung einer einstweiligen Verfügung eines deutschen Gerichts an einen Empfänger in den Vereinigten Staaten von Amerika richtet sich gemäß § 183 I 1 ZPO nach dem HZÜ. Die §§ 191 ff. ZPO finden insoweit keine Anwendung.

Der von der Bundesrepublik Deutschland zu Art. 10 HZÜ mit § 6 Satz 2 des Gesetzes zur Ausführung des Haager Übereinkommens vom 15.11.1965 über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke im Ausland in Zivil- und Handelssachen und des Haager Übereinkommens vom 18.3.1970 über die Beweisaufnahme im Ausland in Zivil- und Handelssachen vom 22.12.1977 (BGBl. I 3105; nachfolgend AusfG zum HZÜ) erklärte Widerspruch hat nicht zur Folge, dass auch Zustellungen aus der Bundesrepublik Deutschland an Empfänger in den Vereinigten Staaten von Amerika nicht nach Art. 10 lit. c HZÜ erfolgen könnten.

§ 6 Satz 2 des AusfG zum HZÜ ist im Verhältnis zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika, die keinen Widerspruch gegen Art. 10 lit. c HZÜ erklärt haben, nicht allseitig auszulegen.

Die Gegenseitigkeitsklausel aus Art. 21 I lit. b des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge vom 23.5.1969 (BGBl. 1985 II 926) findet auf das HZÜ im Verhältnis zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika keine Anwendung.

Das HZÜ räumt seinen Vertragsstaaten ausdrücklich die Möglichkeit ein, einseitig einen Widerspruch gegen Zustellungsarten nach Art. 10 HZÜ zu erklären, ohne eine Gegenseitigkeitswirkung eines solchen zu statuieren.

Um eine Zustellung einer einstweiligen Verfügung eines deutschen Gerichts an einen Empfänger in den Vereinigten Staaten nach Art. 10 lit. c HZÜ bewirken zu lassen, kann sich der Verfügungsantragsteller unmittelbar an „Process Forwarding International“ als einen in den Vereinigten Staaten von Amerika zuständigen Gerichtszusteller wenden.

Rechtsnormen

HaagÜbkAG § 6
HZÜ Art. 10
WVRK Art. 4; WVRK Art. 21
ZPO § 183; ZPO §§ 191 ff.; ZPO § 929

Sachverhalt

[Die Berufung ist beim OLG Hamburg anhängig, Az. 5 U 47/13 bzw. 5 U 37/14]


Auf Antrag der ASt. erließ die Kammer am 9.8.2012 eine Verbotsverfügung gegen die AGg. und erlegte Letzterer die Verfahrenskosten auf. Zwei Ausfertigungen und eine einfache Abschrift der einstweiligen Verfügung der Kammer wurden den Prozessbevollmächtigten der ASt. zugestellt. Die Prozessbevollmächtigten der ASt. versandten daraufhin eine apostillierte Ausfertigung der mit Gründen versehenen einstweiligen Verfügung der Kammer nebst vollständiger beglaubigter Übersetzung in die englische Sprache und weiterer Anlagen zum Zwecke der Zustellung dieser Unterlagen an die AGg. an Herrn R. H. von der A. L. S. Inc. Diese Sendung ging der AGg. ausweislich des von der ASt. vorgelegten „Status Report“ der Process Forwarding International am 31.8.2012 zu.

Die AGg. begehrt die Aufhebung der einstweiligen Verfügung vom 9.8.2012, da ihr diese nicht fristgerecht im Sinne von § 929 II ZPO zugestellt und damit nicht ordnungsgemäß vollzogen worden sei.

Aus den Entscheidungsgründen:

(Randnummern der IPRspr-Redaktion)

[1]Die den Prozessbevollmächtigten der ASt. am 13.8.2012 zugestellte einstweilige Verfügung der Kammer vom 9.8.2012 ist der AGg. am 31.8.2012 ordnungsgemäß binnen der Monatsfrist des § 929 II ZPO zugestellt worden und daher auf Kosten der AGg. zu bestätigen.

[2]I. Ob Rule 4 (Process) der Court Rules des Bundesstaats Washington/USA ein Verfahren im Sinne von Art. 19 HZÜ darstellt, nach dem ‚Schriftstücke aus dem Ausland zum Zweck der Zustellung’ im Bundesstaat Washington übermittelt werden können, kann dahinstehen, da die ASt. der AGg. die einstweilige Verfügung der Kammer vom 9.8.2012 ordnungsgemäß unter Einhaltung der Tatbestandsvoraussetzungen von § 183 I 1 ZPO i.V.m. Art. 10 lit. c HZÜ hat zustellen lassen.

[3]1. ... 2. Danach ist die von der ASt. bewirkte Zustellung der einstweiligen Verfügung der Kammer vom 9.8.2012 an die AGg. ordnungsgemäß im Sinne von § 183 I 1 ZPO i.V.m. Art. 10 lit. c HZÜ und fristgerecht im Sinne von § 929 II ZPO erfolgt.

[4]a. ... c. Für Zustellungen aus der Bundesrepublik Deutschland an Empfänger in den USA ist das HZÜ einschlägig.

[5]Sowohl die Bundesrepublik Deutschland (vgl. BGBl. 1977 II 1452) als auch die USA sind diesem Übereinkommen beigetreten (vgl. BGBl. 1980 II 907). Auslandszustellungen zwischen diesen Staaten richten sich daher gemäß § 183 I 1 ZPO nach dem HZÜ.

[6]Der diesbezügliche Vortrag der AGg. zu den §§ 191 ff. ZPO geht fehl. Die von ihr ... hierzu vorgelegten Auszüge aus ZPO-Kommentaren sind aufgrund des eindeutigen Gesetzeswortlauts irrelevant und stützen aufgrund ihrer Vagheit auch nicht die von der AGg. vertretene Auffassung. Für die Zustellung gerichtlicher und außergerichtliches Schriftstück in Zivil- oder Handelssachen aus der Bundesrepublik Deutschland an Empfänger in den USA finden gemäß § 183 I 1 ZPO die Vorschriften des HZÜ Anwendung, nicht die §§ 191 ff. ZPO.

[7]d. Der von der Bundesrepublik Deutschland zu Art. 10 HZÜ mit § 6 Satz 2 AusfG zum HZÜ erklärte Widerspruch hat nicht zur Folge, dass auch Zustellungen aus der Bundesrepublik Deutschland an Empfänger in den USA nicht nach Art. 10 lit. c HZÜ erfolgen könnten (vgl. Zöller-Geimer, ZPO, 29. Aufl., § 183 Rz. 6 m.w.N.; Stein-Jonas-Roth, ZPO, 22. Aufl., § 183 Rz. 11; Geimer, IZPR, 6. Aufl., Rz. 418, 2084 f.; Staudinger-Spellenberg, BGB [Neub. 2005] EheGVO Art. 18 Rz. 43).

[8]Die USA haben keinen Widerspruch zu Art. 10 lit. c HZÜ erklärt.

[9]§ 6 Satz 2 AusfG zum HZÜ ist nicht allseitig auszulegen. Art. 10 HZÜ sieht mit der Formulierung ‚sofern der Bestimmungsstaat keinen Widerspruch erklärt’ (Hervorh. d. Kammer) ausdrücklich vor, dass ein Vertragsstaat einen Widerspruch gegen die in Art. 10 HZÜ formulierten Zustellungsarten erklären kann, ohne damit Zustellungen aus diesem Staat an Empfänger in einem anderen ‚Bestimmungsstaat’ im Sinne von Art. 10 HZÜ, der keinen Widerspruch gegen die in Art. 10 HZÜ formulierten Zustellungsarten erklärt hat, nach Art. 10 HZÜ auszuschließen.

[10]Dem steht auch nicht die Gegenseitigkeitsklausel aus Art. 21 I lit. b des Wiener Übereinkommens entgegen. Die USA haben dieses Übereinkommen unterzeichnet, aber noch nicht ratifiziert. Zudem findet dieses Übereinkommen nach seinem Art. 4 nur auf Verträge Anwendung, die von Staaten geschlossen wurden oder werden, nachdem das Übereinkommen für sie in Kraft getreten ist. Das HZÜ datiert vom 15.11.1965. Soweit schließlich Art. 4 des Wiener Übereinkommens eingangs formuliert, die Nichtrückwirkung des Übereinkommens gelte ‚(u)nbeschadet der Anwendung der in diesem Übereinkommen niedergelegten Regeln, denen Verträge unabhängig von dem Übereinkommen auf Grund des Völkerrechts unterworfen wären’, räumt das HZÜ seinen Vertragsstaaten ausdrücklich die Möglichkeit ein, einseitig einen Widerspruch gegen Art. 10 HZÜ zu erklären, ohne eine Gegenseitigkeitswirkung eines solchen Widerspruchs dahingehend zu regeln, dass dieser Widerspruch zugleich ausschlösse, Zustellungen aus dem widersprechenden Vertragsstaat an Adressaten in einem anderen Vertragsstaat, der insoweit keinen Widerspruch erklärt hat, bewirken lassen zu dürfen.e. Die Zustellung ist schließlich gemäß Art. 10 lit. c HZÜ erfolgt.

[11]Nach dieser Vorschrift schließt das HZÜ, sofern der Bestimmungsstaat, hier also die USA, keinen Widerspruch erklärt (s.o. I. 2. d.), nicht aus, dass jeder an einem gerichtlichen Verfahren Beteiligte Zustellungen gerichtlicher Schriftstücke unmittelbar durch Justizbeamte, andere Beamte oder sonst zuständige Personen des Bestimmungsstaats bewirken lassen darf.

[12](1) Die USA haben keinen Widerspruch gegen Art. 10 lit. c HZÜ erklärt.

[13](2) Die einstweilige Verfügung der Kammer vom 9.8.2012 ist ein ‚gerichtliches Schriftstück’ im Sinne von Art. 10 HZÜ.

[14](3) Die ASt. ist eine an diesem ‚gerichtlichen Verfahren Beteiligte’ im Sinne von Art. 10 lit. c HZÜ.

[15](4) Der Zusteller Process Forwarding International ist jedenfalls eine ‚sonst zuständige (Person) des Bestimmungsstaats’ im Sinne von Art. 10 lit. c HZÜ. Dies ergibt sich aus den Informationen, die die USA der HCCH zu den einzelnen Vorschriften der HZÜ übermittelt haben.

[16]Unter http://www.hcch.net finden sich die Webseiten der HCCH.

[17]Im Juli 2008 führte die HCCH eine Befragung der Vertragsstaaten durch ... [Questionnaires & Responses auf der Webseite der HCCH]. Zu Art. 10 lit. b HZÜ haben die USA im Rahmen dieser Befragung angegeben, ‚process servers’ seien in den USA ‚Justizbeamte, andere Beamte oder sonst zuständige Personen’ im Sinne dieser Vorschrift.

[18]In den von den USA der HCCH übermittelten Informationen haben erstere zu Art. 10 lit. b HZÜ ferner das Folgende ausgeführt (vgl. http://www.hcch.net/index_ en.php?act=authorities.details&aid=279): ‚The United States does not have a system of transmission between huissiers. That said, we would have no objection to huissiers contacting Process Forwarding International directly. Attorneys in the United States are authorized to perform legal functions in the State to which they are admitted to the bar.’

[19]Zu Art. 10 lit. c HZÜ haben die USA gegenüber der HCCH sodann nur noch das Folgende ausgeführt (aaO): ‚We have no difficulties with interested parties initiating service through mail service or through any person or official authorized by the rules of the United States courts.’

[20]Art. 10 lit. c HZÜ sieht die Bewirkung von Zustellungen gerichtlicher Schriftstücke unmittelbar auf Antrag eines Verfahrensbeteiligten durch ‚Justizbeamte, andere Beamte oder sonst zuständige Personen des Bestimmungsstaats’ im Sinne dieser Vorschrift vor. Das Tatbestandsmerkmal der ‚Justizbeamte(n), andere(n) Beamte(n) oder sonst zuständige(n) Personen’ in Art. 10 litt. b und c HZÜ ist wortlautidentisch. Die Ausführungen der USA gegenüber der HCCH zur Konkretisierung dieses Personenkreises in den USA zu Art. 10 lit. b HZÜ lassen sich daher ohne weiteres unmittelbar auf Art. 10 lit. c HZÜ übertragen. Danach hat sich die ASt. unmittelbar an Process Forwarding International als in den USA für die Bewirkung von Zustellungen gerichtlicher Schriftstücke nach Art. 10 lit. c HZÜ zuständigen ‚process server’ zur Bewirkung der Zustellung der einstweiligen Verfügung der Kammer vom 9.8.2012 an die AGg. wenden können und hat Process Forwarding International die einstweilige Verfügung der Kammer vom 9.8.2012 wirksam an die AGg. zustellen können und am 31.8.2012 auch zugestellt.

[21]Soweit sich die ASt. zur Bewirkung der Zustellung ausweislich der Anlage WR 2 an Herrn R. H. von der A. L. S. Inc., gewendet hat, steht dies einer wirksamen Zustellung der einstweiligen Verfügung der Kammer vom 9.8.2012 an die AGg. durch Process Forwarding International, wie sie sich aus dem ‚Status Report’ der Process Forwarding International und den Anlagen WR 4 und WR 5 ergibt, nicht entgegen. Nach den bereits zitierten, der HCCH von den USA übermittelten Informationen wird unter ‚contact details’ der Process Forwarding International als Kontaktperson u.a. Herr R. H. ... benannt (aaO). Auch auf dem ‚Status Report’ der Process Forwarding International betreffend die Zustellung der einstweiligen Verfügung der Kammer vom 9.8.2012 an die AGg. wird als ‚dispatcher’ R. H. benannt. Danach hat sich die ASt. zur Bewirkung der Zustellung durch Process Forwarding International an eine nach den Angaben der USA gegenüber der HCCH zuständigen Ansprechpartner gewendet.

Fundstellen

LS und Gründe

GRUR-RR, 2013, 230
ZUM-RD, 2013, 470

nur Leitsatz

GRURPrax, 2013, 214, mit Anm. Müller

Permalink

https://iprspr.mpipriv.de/2013-245

Lizenz

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