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Verfahrensgang

VG Bayreuth, Urt. vom 30.04.2013 – B 1 K 11.408, IPRspr 2013-112

Rechtsgebiete

Kindschaftsrecht → Kindschaftsrecht gesamt bis 2019

Leitsatz

Das vor seiner Neuregelung auf abgeschlossene Vorgänge (hier. Wirksamkeit der Legitimation) anwendbare Internationale Privatrecht enthielt keine ausdrückliche Bestimmung für Mehrstaater, die neben einer ausländischen Staatsangehörigkeit auch die deutsche Staatsangehörigkeit innehatten. [LS der Redaktion]

Rechtsnormen

EGBGB Art. 5; EGBGB Art. 30; EGBGB Art. 220
RuStAG § 5
RuStAÄndG Art. 5
StAG § 5; StAG § 30
VwGO § 113

Sachverhalt

Der Kl. wurde in Kasachstan, als nichteheliches Kind einer sowjetischen bzw. kasachischen Staatsangehörigen geboren. Im Jahr 1978 erkannte der Vater des Kl., der (sehr wahrscheinlich) auch die deutsche Staatsangehörigkeit besaß, in der Sowjetunion, heute Republik Kasachstan, die Vaterschaft an, und im gleichen Jahr heirateten die leiblichen Eltern des Kl. ebenfalls in der heutigen Republik Kasachstan. Der Kl. reiste als kasachischer Staatsangehöriger im Juni 2002 nach Deutschland ein und erhielt eine befristete Aufenthaltserlaubnis. Der Kl. hatte ein Visum zum Nachzug sonstiger Familienangehöriger ins Bundesgebiet zu seiner Schwester erhalten. Vor der Einreise des Kl. war dem damaligen Bevollmächtigten des Kl. seitens des BVA mitgeteilt worden, dass für den Kl. selbst im Gegensatz zu seinen (Halb-)Geschwistern die deutsche Staatsangehörigkeit nicht habe festgestellt werden können, da das Rechtsinstitut der Legitimation seit 1968/69 in der damaligen UdSSR nicht mehr bestanden habe. Im Jahr 2003 wurde der Kl. zu einer mehrjährigen Freiheitsstrafe verurteilt. Aufgrund dieser Verurteilung wurde der Kl. mit Bescheid im Jahr 2007 aus Deutschland ausgewiesen. Im Rahmen des daraufhin geführten Verwaltungsprozesses wies der BayVGH den Beteiligten darauf hin, dass die Einleitung und Durchführung eines Staatsangehörigkeitsfeststellungsverfahrens geboten erscheine.

Nach seiner Entlassung aus der JVA meldete sich der Kl. im Jahr 2010 wieder in Bamberg an. Mit Bescheid vom Juni 2011 lehnte die Bekl. den Antrag des Kl. auf Ausstellung eines Staatsangehörigkeitsausweises ab. Daraufhin erhob der Kl. Klage, um die Bekl. zu verpflichten, dem Kl. den beantragten Staatsangehörigkeitsausweis auszustellen.

Aus den Entscheidungsgründen:

(Randnummern der IPRspr-Redaktion)

[1]Die zulässige Klage ist nicht begründet. Der Kl. hat keinen Anspruch auf Erteilung des beantragten Staatsangehörigkeitsausweises, so dass der ablehnende Bescheid der Bekl. vom 1.6.2011 rechtmäßig ist und den Kl. nicht in seinen Rechten verletzt (§ 113 V VwGO).

[2]Nach § 30 I StAG wird das Bestehen oder Nichtbestehen der deutschen Staatsangehörigkeit auf Antrag verbindlich von der Staatsangehörigkeitsbehörde festgestellt. Wird das Bestehen der deutschen Staatsangehörigkeit auf Antrag festgestellt, stellt die Staatsangehörigkeitsbehörde einen Staatsangehörigkeitsausweis aus (§ 30 III 1 StAG).

[3]Der Kl. ist jedoch nicht deutscher Staatsangehöriger. Er hat die deutsche Staatsangehörigkeit weder durch Geburt (vgl. 1.) noch durch Legitimation (vgl. 2.) erworben. Schließlich konnte der Kl. die deutsche Staatsangehörigkeit nicht durch eine entspr. Erklärung (§ 5 StAG) erwerben (vgl. 3.).

[4]1. ... 2. Der Kl. hat die deutsche Staatsangehörigkeit ferner nicht im Wege der Legitimation dadurch erworben, dass sein leiblicher Vater ... mit der Mutter des Kl. die Ehe geschlossen hat.

[5]Nach der hier g.F. des § 5 RuStAG begründet eine nach den deutschen Gesetzen wirksame Legitimation durch einen Deutschen für das Kind die Staatsangehörigkeit des Vaters. Das erkennende Gericht vermochte nicht, zugunsten des Kl. festzustellen, dass diese Voraussetzungen hier gegeben wären.

[6]a) ... b) Jedoch fehlt es vorliegend an einer nach den deutschen Gesetzen wirksamen Legitimation. Als Anknüpfungspunkt für eine Legitimation im Sinne des § 5 RuStAG kommt alleine die Eheschließung der Eltern des Kl. ... 1978 in Betracht. Nachdem dieser Vorgang vor dem 1.9.1986 abgeschlossen ist, richtet sich die Bestimmung des für die Wirksamkeit der Legitimation anwendbaren Rechts gemäß Art. 220 I EGBGB nach den vor dem 1.9.1986 geltenden Bestimmungen des IPR (vgl. BayObLG, Beschl. vom 11.1.1990 – BReg 3 Z 127/89 (IPRspr. 1990 Nr. 137), BayObLGZ 1990, 1; Beschl. vom 23.11.1995 – 1Z BR 63/95 (IPRspr. 1995 Nr. 113), StAZ 1996, 81). Nach Art. 220 I EGBGB a.F., d.h. in der hier g.F. vom 2.7.1976, bestimmte sich die Legitimation eines nichtehelichen Kindes nach den deutschen Gesetzen, wenn der Vater zur Zeit der Legitimation die deutsche Staatsangehörigkeit besessen hat.

[7]In der vorliegenden Sache ist zwischen den Beteiligten aber unstreitig, dass der Vater des Kl. jedenfalls auch die russische Staatsangehörigkeit besessen hatte. Im Gegensatz zur aktuellen Rechtslage (vgl. Art. 5 I EGBGB) enthielt das deutsche Kollisionsrecht vor dem 1.9.1986 keine ausdrückliche Bestimmung für Mehrstaater, die neben einer ausländischen Staatsangehörigkeit auch die deutsche Staatsangehörigkeit innehatten.

[8]Während die früher vorherrschende Auffassung von einem ausschließlichen Vorrang der inländischen Staatsangehörigkeit ausgegangen war, hatte sich im hier maßgeblichen Zeitpunkt der Eheschließung (1978) bereits ein Wandel zu einer differenzierenden Rechtsauffassung vollzogen. Danach war bei Personen, die neben einer ausländischen Staatsangehörigkeit auch die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen, nicht stets die inländische maßgebend, sondern bei einer wesentlich engeren Beziehung des Mehrstaaters zu seinem ausländischen Heimatrecht kollisionsrechtlich an die ‚effektive’ ausländische Staatsangehörigkeit anzuknüpfen (vgl. BVerwG, Urt. vom 6.12.1983 – 1 C 122/80 (IPRspr. 1983 Nr. 79), BVerwGE 68, 220; BayObLG, Beschl. vom 23.11.1995 aaO 81 m.w.N.) ...e) Ein anderes Ergebnis würde sich selbst dann nicht ergeben, wenn man – entgegen der Auffassung der Kammer – wegen der sich hier ergebenden Rechtsfolgen die Vorbehaltsklausel des Art. 30 EGBGB a.F. anwenden würde. Nach dieser Norm war die Anwendung eines ausländischen Gesetzes ausgeschlossen, wenn die Anwendung gegen die guten Sitten oder gegen den Zweck eines deutschen Gesetzes verstoßen hätte (sog. Ordre-public-Vorbehalt). Entscheidend für die Frage, ob ein Verstoß gegen den deutschen ordre public vorliegt, sind nicht so sehr die Voraussetzungen der geschaffenen Rechtslage, sondern es kommt wesentlich auf die Rechtsfolgen an (vgl. BGH, Beschl. vom 14.1.1971 – IV ZB 14/69 (IPRspr. 1971 Nr. 101), BGHZ 55, 188). Die Frage, unter welchen Umständen im Falle der Beurteilung einer Vaterschaftsanerkennung nach ausländischem Recht die Ordre-public-Klausel Platz greifen kann, hat die Rspr. mehrfach beschäftigt. Auszugehen ist zunächst grundsätzlich davon, dass bei der Anwendung dieser Klausel große Zurückhaltung geboten ist, da sich der deutsche Richter grundsätzlich nicht zum Sittenrichter über fremdes Recht erheben darf (Palandt-Thorn, BGB, 70. Aufl., Art. 6 EGBGB Rz. 6). Ferner setzt die Anwendung der Vorbehaltsklausel voraus, dass der zu beurteilende Tatbestand eine genügende Inlandsbeziehung aufweist. Unter Berücksichtigung dieser Vorgaben mag man einen Verstoß gegen den deutschen ordre public in Erwägung ziehen, wenn die betroffene Familie ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik hat bzw. hatte und wegen der Besonderheiten des Einzelfalls eine Legitimation des Kindes schlechthin ausgeschlossen ist bzw. war (vgl. BGH, Beschl. vom 26.10.1977 – IV ZB 7/77 (IPRspr. 1977 Nr. 98b), BGHZ 69, 387; LG Freiburg, Beschl. vom 1.3.1982 – 4 T 36/80 (IPRspr. 1982 Nr. 97), juris). In der vorliegenden Sache hatte der Kl. im Zeitpunkt der in Betracht kommenden Legitimationshandlung (vgl. zum maßgeblichen Zeitpunkt: BVerwG, Urt. vom 17.12.1985 – 1 C 45/82 (IPRspr. 1985 Nr. 5), BVerwGE 72, 291) und die Jahre danach jedoch mit seinen Eltern in der UdSSR bzw. in Kasachstan gelebt, und es ist nicht ersichtlich, dass es dem Vater des Kl. zu Lebzeiten schlechthin nicht möglich gewesen wäre, seinem Sohn nach hiesigem Recht wirksam die deutsche Staatsangehörigkeit zu verschaffen. Schon aus diesen Erwägungen heraus liegt die Anwendung des Ordre-public-Vorbehalts nach Überzeugung der Kammer im hiesigen Verfahren fern.

[9]Wollte man dem dennoch näher treten, so dürfte keineswegs einfach die bisherige Rechtsfolge ausgeblendet und durch ein (beliebiges) dem Kl. günstiges Ergebnis ersetzt werden, sondern die sich ergebende regelungsbedürftige Lücke wäre hilfsweise durch die Anwendung deutschen Ersatzrechts zu schließen (vgl. Palandt-Thorn aaO Rz. 13).

[10]Zu prüfen wäre folglich, ob unter Anwendung des im Zeitpunkt der Legitimationshandlung (Heirat im Jahr 1978) geltenden deutschen Sachrechts von einer wirksamen Legitimation auszugehen ist. Dies ist im Ergebnis zu verneinen.

Fundstellen

LS und Gründe

StAZ, 2014, 22

Permalink

https://iprspr.mpipriv.de/2013-112

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