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Verfahrensgang

OLG Koblenz, Beschl. vom 19.09.2012 – 13 UF 1086/11, IPRspr 2012-80

Rechtsgebiete

Ehe und andere familienrechtliche Lebens- und Risikogemeinschaften → Güterrecht
Allgemeine Lehren → Ordre public

Leitsatz

Eine Scheidung durch Selbstloskauf nach ägyptischem Recht verstößt nicht gegen den deutschen ordre public, wenn die Ehefrau unter Anwendung des ägyptischen Rechts in für sie zumutbarer Weise die Scheidung durchsetzen kann. [LS der Redaktion]

Rechtsnormen

1/2000 PersonalstatutG (Ägypten) Art. 18 ff.; 1/2000 PersonalstatutG (Ägypten) Art. 19; 1/2000 PersonalstatutG (Ägypten) Art. 20
BGB § 1615l
EGBGB Art. 6; EGBGB Art. 14; EGBGB Art. 17
FamFG §§ 58 f.

Sachverhalt

Der AGg. wendet sich gegen die erstinstanzlich erfolgte Scheidung seiner Ehe mit der ASt. nach deutschem Recht. Beide Beteiligte sind ägypt. Staatsangehörige. Sie haben 2002 vor dem Standesbeamten des ägypt. Bezirks B. M. geheiratet. Aus der Ehe ging eine Tochter hervor. Das AG hat durch den angefochtenen Beschluss die Ehe der Parteien geschieden und festgestellt, dass ein Versorgungsausgleich nicht stattfindet. Hiergegen richtet sich die Beschwerde des AGg.

Aus den Entscheidungsgründen:

(Randnummern der IPRspr-Redaktion)

[1]II. Die Beschwerde des AGg. ist form- und fristgerecht eingelegt worden und auch im Übrigen zulässig (§§ 58 f. FamFG). In der Sache hat das Rechtsmittel jedoch keinen Erfolg.

[2]Zutreffend macht der AGg. allerdings geltend, dass die Ehe der Beteiligten nicht nach deutschem, sondern nach ägyptischem Recht zu scheiden ist.

[3]Gemäß Art. 17 I 1 i.V.m. Art. 14 I Nr. 1 EGBGB unterliegt die Scheidung dem Recht, das im Zeitpunkt des Eintritts der Rechtshängigkeit des Scheidungsantrags für die allgemeinen Wirkungen der Ehe maßgebend ist. Dies ist das Recht des Staats, dem beide Ehegatten angehören oder während der Ehe zuletzt angehörten, wenn einer von ihnen diesem Staat noch angehört. Im vorliegenden Fall waren beide Eheleute zum Zeitpunkt der Rechtshängigkeit des Scheidungsantrags ägyptische Staatsangehörige; sie sind es auch bis zum heutigen Tag, sodass grundsätzlich ägypt. Recht für die Ehescheidung anzuwenden ist. Dem steht die Vorschrift des Art. 6 EGBGB (ordre public) nicht entgegen. Nach dieser Bestimmung ist eine Rechtsnorm eines anderen Staats nicht anzuwenden, wenn ihre Anwendung zu einem Ergebnis führt, das mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts offensichtlich unvereinbar ist; unvereinbar mit dem deutschen ordre public, namentlich mit den Grundrechten, wäre das Heimatrecht der Beteiligten nach der Vorbehaltsklausel des Art. 6 EGBGB dabei nur dann, wenn die Anwendung der ausländischen Normen im konkreten Fall mit den Grundrechten unvereinbar wäre und der zu beurteilenden Sachverhalt im übrigen einen hinreichend engen Inlandsbezug aufweisen würde (vgl. BGH, Urt. vom 11.10.2006 – XII ZR 79/04 (IPRspr. 2006 Nr. 52), juris; MünchKomm-Winkler v. Mohrenfels, 5. Aufl., Art. 17 EGBGB Rz. 110 m.w.N.). Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor, weil die ASt. die Scheidung ihrer Ehe auch unter Anwendung ägypt. Rechts in für sie zumutbarer Weise durchsetzen kann. Die Scheidung nach ägypt. Recht durch Selbstloskauf (Art. 20 i.V.m. Art. 18 II, 19 des Gesetzes Nr. 1/2000 über den Erlass des Gesetzes zur Regelung einiger Grundsätze und Maßnahmen der Prozessführung in Angelegenheiten des Personalstatus [J.O. Nr. 4a vom 29.1.2000]) verstößt in der konkreten Fallgestaltung nicht gegen den ordre public:

[4]Die Ehescheidung kann nach den Bestimmungen für den Selbstloskauf auch gegen den Willen des Mannes einseitig von der Frau betrieben werden. Hierzu bedarf es keiner vorherigen Vereinbarung zwischen den Eheleuten. Die Gründe, die die Frau zu dem Scheidungsentschluss bewegen, bedürfen keines Beweises und müssen nicht ausschl. in der Sphäre des Ehemanns liegen. Die Frau verliert beim Selbstloskauf allerdings den Vermögenswert der während der Ehezeit für die gemeinsame Lebensführung erbrachten Leistungen. Nach dem Inhalt jener Vorschriften spricht das Gericht die Scheidung der Ehe nämlich erst aus, wenn die Frau auf alle finanziellen Ansprüche verzichtet und eine vom Mann gezahlte Brautgabe zurückerstattet. (vgl. Bergmann-Ferid-Henrich, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht [178. Lfg.], Ägypten S. 32 f.; Rohe, Das neue ägyptische Familienrecht: Auf dem Weg zu einem zeitgemäßen Islamischen Recht: Das Standesamt 2001,193, 204). Die Durchführung dieses Verfahrens ist der ASt. zumutbar. Sie hatte ohnehin bereits in der ersten Instanz durch ihre Verfahrensbevollmächtigte erklären lassen, dass sie auf die Verpflichtung des AGg. zur Zahlung der Brautgabe im Fall der Scheidung verzichtet und sie auch keine Unterhaltsansprüche geltend machen wolle. Es ist aber auch nicht erkennbar, dass die ASt. bei einer Scheidung nach deutschem Recht weitergehende (Unterhalts)ansprüche hätte. Der AGg. ist ersichtlich zur Zahlung nachehelichen Unterhalts nicht leistungsfähig, zumal die Ansprüche der gemeinsamen Tochter auf Zahlung von Kindesunterhalt vorrangig sind. Im Übrigen ist zu berücksichtigen, dass die ASt. seit nahezu zwei Jahren mit einem anderen Partner zusammenlebt und mit diesem ein gemeinsames Kind hat. Sie hat Unterhaltsansprüche gegen den Vater dieses Kindes gemäß § 1615l BGB; Unterhaltsansprüche gegen den AGg. dürften verwirkt sein. Die Unterhaltsansprüche des Kindes bleiben auch bei einer Scheidung nach ägyptischem Recht unberührt (vergleiche Art. 20 III des Gesetzes Nr. 1/2000). Die Scheidung aufgrund einer Klage auf Selbstloskauf ist im Übrigen nicht davon abhängig, dass die ASt. weitere Zahlungen – zu denen sie nicht in der Lage wäre – leistet.

[5]Die o.a. Voraussetzungen für eine Scheidung der Beteiligten gemäß Art. 20 i.V.m. Art.18 II und 19 I und II des ägypt. Gesetzes Nr. 1/2000 liegen nunmehr vor:

[6]Die ASt. hat im Verhandlungstermin vom 16.5.2012 vor dem Senat erklärt, dass sie auf alle geldwerten Rechte aus der Ehe, insbes. aus der Heiratsurkunde und sonstigen im Zusammenhang mit der Schließung geschlossenen Vereinbarungen verzichtet, auch auf Unterhaltsansprüche für sich selbst; der AGg. hat diesen Verzicht angenommen. Zwischen den Beteiligten besteht im Übrigen Einigkeit darüber, dass die in der Heiratsurkunde vereinbarte Brautgabe von 5001 ägypt. Pfund nie gezahlt wurde; eine Erstattung dieses Betrags kommt mithin nicht in Betracht. Damit liegt der gemäß Art. 20 des Gesetzes Nr. 1/2000 erforderliche Verzicht der ASt. auf alle finanziellen Ansprüche vor.

[7]Gemäß Art. 20 II i.V.m. Art. 18 II, 19 des o.g. Gesetzes setzt die Ehescheidung aufgrund einer Klage auf Selbstloskauf in den Fällen, in denen die Eheleute ein minderjähriges Kind haben, voraus, dass das Gericht mindestens zwei Versöhnungsversuche erfolglos durchführt, wobei zwischen den beiden Versuchen mindestens 30 Tage und höchstens 60 Tage liegen sollen. Außerdem bedarf es eines weiteren Versöhnungsversuchs, den zwei vom Gericht beauftragte Schlichter durchgeführt haben. Auch diese Voraussetzungen liegen hier vor. Der Senat hat im Verhandlungstermin vom 16.5.2012 erstmals versucht, die Eheleute wieder zu versöhnen; der zweite Versöhnungsversuch vor dem Senat fand am 27.6.2012 statt. Beide Versöhnungsversuche waren erfolglos. Die ASt. hat wiederholt erklärt, dass sie auf jeden Fall geschieden werden und sodann alsbald den Vater ihres jüngsten Kindes, mit dem sie bereits seit dem Jahre 2010 zusammenlebt, heiraten möchte. Der AGg. hat erklärt, dass er ebenfalls geschieden werden wolle, dies aber durch ein islamisches Gericht in Ägypten. Der Versöhnungsversuch der vom Gericht beauftragte Schlichter war ebenfalls erfolglos. Die Schlichter ... [A] und ... [B] haben im Rahmen ihrer Vernehmung vor dem Senat übereinstimmend erklärt, dass am 14.8.2012 ein Schlichtungsversuch stattfinden sollte. Die ASt. war zu dem Termin mit dem von ihr benannten und vom Senat eingesetzten Schlichter ... [A] erschienen. Für den AGg. war Richter am OLG ... [B] als Schlichter beauftragt worden, nachdem der AGg. es versäumt hatte, in der zweiten Sitzung vor dem Senat einen Schlichter zu benennen (vgl. zur Zulässigkeit der Beauftragung eines vom Gericht ausgesuchten Schlichters in diesen Fällen Art. 19 I des Gesetzes Nr. 1/2000). Anlässlich des Versöhnungstermins war indes ein Gespräch mit dem AGg. aufgrund der glaubhaften Angaben beider Schlichter nicht möglich. Der AGg. beschränkte sich darauf, Verwünschungen auszusprechen. Er bekundete, er setze sich nicht mit der ASt. an einen Tisch. Sodann verließ er den Raum, in dem der Versöhnungsversuch stattfinden sollte. Aufgrund der übereinstimmenden Angaben der beiden Schlichter zum Verlauf des Termins sowie im Hinblick auf die Bekundungen der Beteiligten im Rahmen der vor dem Senat durchgeführten Versöhnungsversuche steht zur vollen Überzeugung des Gerichts fest, dass auch alle Versöhnungsversuche gescheitert sind und eine Wiederherstellung der ehelichen Lebensgemeinschaft nicht zu erwarten ist.

[8]Nach alledem liegen die Voraussetzungen für die Scheidung der Ehe nach ägypt. Recht vor. Die Ehe ist unwiderruflich nach Art. 20 des Gesetzes Nr. 1/2000 zu scheiden.

[9]Der Versorgungsausgleich nach deutschem Recht war nicht durchzuführen. Gemäß Art. 17 III 1 EGBGB ist der Versorgungsausgleich grundsätzlich nur dann durchzuführen, wenn die Ehe nach deutschem Recht geschieden wird und das Recht eines der Staaten, denen die Ehegatten im Zeitpunkt des Eintritts der Rechtshängigkeit des Scheidungsantrags angehören, einen Versorgungsausgleich kennt. Daran fehlt es hier. Die Ehe wird nach ägypt. Recht geschieden; außerdem waren beide Eheleute zum Zeitpunkt der Rechtshängigkeit des Scheidungsantrags Ägypter und das ägypt. Recht kennt bislang keinen Versorgungsausgleich (vgl. hierzu Bergmann-Ferid-Henrich aaO S. 34). Gemäß Art. 17 III 2 EGBGB kann zwar auf Antrag eines Ehegatten ausnahmsweise der Versorgungsausgleich durchgeführt werden, wenn der andere Ehegatte in der Ehezeit eine inländische Versorgungsanwartschaft erworben hat und die Durchführung des Versorgungsausgleichs nicht unbillig ist. Vorliegend hat indes kein Beteiligter die Durchführung des Versorgungsausgleichs gemäß Art. 17 III 2 EGBGB beantragt.

[10]Die Beschwerde des AGg. war nach alledem zurückzuweisen.

Fundstellen

nur Leitsatz

FamRBint., 2013, 85, mit Anm. Finger

LS und Gründe

NJW, 2013, 1377, mit Anm. Hohloch

Permalink

https://iprspr.mpipriv.de/2012-80

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