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Verfahrensgang

BGH, Urt. vom 20.07.2012 – V ZR 135/11, IPRspr 2012-72

Rechtsgebiete

Sachenrecht
Allgemeine Lehren → Ermittlung, Anwendung und Revisionsfähigkeit ausländischen Rechts

Leitsatz

Wird über eine in Deutschland belegene Sache ein Vertrag nach ausländischem Recht abgeschlossen und ist fraglich, ob das Eigentum übergehen soll, muss der Vertrag zunächst nach den von dem Vertragsstatut vorgegebenen Regeln ausgelegt werden; deutsches Recht als lex rei sitae entscheidet darüber, ob eine danach vereinbarte Eigentumsübertragung auch den Anforderungen an eine dingliche Einigung gemäß § 929 Satz 1 BGB entspricht.

Rechtsnormen

BGB § 868; BGB § 929; BGB § 1205
FGG-RG Art. 111 f.
ZPO § 293; ZPO § 545

Sachverhalt

[Das vorgehende Urteil des BGH vom 22.2.2010 – II ZR 287/07 – wurde bereits in IPRspr. 2010 unter der Nr. 82 (LS) berücksichtigt.]


Die Parteien streiten im Rahmen einer Hauptintervention der Kl. um die Rechte an angereichertem Uran 235, an dem die Kl., eine Schweizer Bank, ein vertragliches Pfandrecht für sich in Anspruch nimmt. In dem im Hinblick auf die Interventionsklage ausgesetzten Hauptprozess verlangt die Bekl. zu 1), ein Unternehmen brasilianischen Rechts, ihrerseits die Herausgabe des Urans von der Bekl. zu 2), einem deutschen Unternehmen. Nach der Anreicherung des Urans in Großbritannien in den 1980er Jahren lagerte die Bekl. zu 1) u.a. das in 14 Zylindern befindliche Uran in einem von der Bekl. zu 2) in Deutschland betriebenen Lager für Kernbrennstoffe ein. Die Kl. gewährte der NEAG, einer AG Schweizer Rechts, ein Darlehen. In einem im Jahr 1989 geschlossenen Vertrag einigten sich die Kl. und die NEAG über die Bestellung eines Pfandrechts an allen künftig in gesonderter Korrespondenz bezeichneten Waren. Am 7.3.1994 schloss die Bekl. zu 1) mit der NEAG u.a. über das in den 14 Zylindern gelagerte Uran einen Sachdarlehensvertrag (loan agreement) nach brasilianischem Recht, wonach das Uran von der Bekl. zu 1) in dem Lager der Bekl. zu 2) an die NEAG geliefert und das Eigentum dabei übergehen sollte. Im April 1994 wies ein als Vertreterin der NEAG auftretendes und mit dieser konzernmäßig verbundenes Unternehmen, die NTC mit Sitz in Colorado/USA, die Bekl. zu 1) an, das Uran auf das Materialkonto der SPC, eines Tochterunternehmens der Bekl. zu 2), zu übertragen. Aufgrund dessen wies das Vorstandsmitglied S. der Bekl. zu 1) die Bekl. zu 2) an, das Uran auf das Materialkonto der SPC bei der Bekl. zu 2) zu übertragen sowie die SPC darüber zu informieren, dass die Zylinder Eigentum der Bekl. zu 1) seien. Hintergrund dessen war, dass sich die NTC ihrerseits mit einem dem Recht des US-Bundesstaats Colorado unterstellten Vertrag vom 8.4.1993 verpflichtet hatte, der SPC Uran zu überlassen. Im Februar 1995 fiel die NTC in Konkurs. Die Bekl. zu 1) erklärte daraufhin gegenüber der NEAG die Anfechtung sämtlicher Erklärungen ihres Vorstandmitglieds S. Im März 1995 nahm die Kl. gegenüber der Bekl. zu 2) ein Pfandrecht an dem für die NEAG gelagerten Uran in Anspruch; im April 1995 kündigte sie das der NEAG gewährte Darlehen.

Die Kl. hat mit ihrer Hauptintervention die Feststellung beantragt, dass der Bekl. zu 1) kein Herausgabeanspruch gegen die Bekl. zu 2) zusteht, sowie die Verurteilung der Bekl. zu 2) zur Herausgabe des näher bezeichneten Urans an sie. Das LG hat den Hauptanträgen stattgegeben. Die dagegen eingelegte Berufung der Bekl. zu 1) ist nach einer Vorlage an den EuGH erfolglos geblieben. Mit Urteil vom 22.2.2010 (II ZR 287/07 aaO) hat der BGH das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen, das die Klage nunmehr abgewiesen hat. Mit der von dem Berufungsgericht zugelassenen Revision will die Kl. die Wiederherstellung der Entscheidung des LG erreichen.

Aus den Entscheidungsgründen:

(Randnummern der IPRspr-Redaktion)

[1]II. Die Revision hat Erfolg. Mit der von dem Berufungsgericht gegebenen Begründung lassen sich weder ein Pfandrechtserwerb der Kl. noch das Rechtsschutzinteresse für den auf negative Feststellung gerichteten Antrag verneinen.

[2]1. Im Ausgangspunkt zutreffend nimmt das Berufungsgericht an, dass sich die Bestellung des Pfandrechts ebenso wie die weiteren sachenrechtlichen Tatbestände nach deutschem Recht als der zur Zeit der fraglichen Rechtsänderungen maßgeblichen lex rei sitae beurteilen; die nachträgliche Verbringung des Urans in das Ausland durch die Bekl. zu 2) ändert daran nichts (vgl. BGH, Urt. vom 2.2.1966 – VIII ZR 153/64 (IPRspr. 1966–1967 Nr. 54), BGHZ 45, 95, 99 f.; MünchKomm-Wendehorst, 5. Aufl., Art. 43 EGBGB Rz. 128) ... Nach deutschem Recht als lex rei sitae beurteilt sich nur, ob die dem ausländischen Recht unterstellte Vertragsbeziehung den in § 868 BGB geregelten Vertragsverhältnissen gleichzusetzen ist. Auf die schuldrechtlichen Beziehungen zwischen der SPC und der NTC ist nach den Feststellungen des Berufungsgerichts, die in der Revisionsbegründung nicht angegriffen werden, das Recht des US-Bundesstaats Colorado anwendbar.

[3]2. Das Berufungsgericht ist im Wege der Auslegung der zwischen der NTC und der SPC bestehenden Absprachen zu dem Ergebnis gelangt, die SPC habe das Uran nicht für die NTC besitzen, sondern selbst Eigentum erlangen sollen. Dagegen wendet sich die Revision mit Erfolg.

[4]a) Allerdings ist die Auslegung eines einer ausländischen Rechtsordnung unterstehenden Vertrags jedenfalls gemäß § 545 I ZPO in der maßgeblichen bis zum 31.8.2009 g.F. (Art. 111 I und II, Art. 112 I FGG-RG) nicht revisibel, weil die Bestimmungen über die Vertragsauslegung als Bestandteil des ausländischen Rechts nicht nachprüfbar sind. Grundsätzlich zulässig ist jedoch die auf § 293 ZPO gestützte Verfahrensrüge, mit der eine unzureichende oder fehlerhafte Ermittlung des ausländischen Rechts geltend gemacht wird. Aus dieser Norm leitet sich nach der st. Rspr. des BGH die Pflicht des Tatrichters ab, das für die Entscheidung eines Rechtsstreits maßgebende ausländische Recht von Amts wegen zu ermitteln. Wie sich der Tatrichter die erforderliche Kenntnis des ausländischen Rechts verschafft, steht zwar in seinem Ermessen. Die Entscheidungsgründe müssen aber erkennen lassen, dass er dieses Ermessen tatsächlich ausgeübt hat (vgl. nur Senat, Urteile vom 6.11.1998 – V ZR 224/97 (IPRspr. 1998 Nr. 3), ZfIR 1999, 264, 265 f.; vom 8.5.1992 – V ZR 95/91 (IPRspr. 1992 Nr. 1), NJW 1992, 3106 f.; vom 24.11.1989 – V ZR 240/88 (IPRspr. 1989 Nr. 3), NJW-RR 1990, 248, 249; BGH, Urt. vom 23.4.2002 – XI ZR 136/01 (IPRspr. 2002 Nr. 3), NJW-RR 2002, 1359 ff.).

[5]b) Daran gemessen rügt die Revision zu Recht, dass das Berufungsgericht das von ihm für anwendbar erachtete Recht des US-Bundesstaats Colorado bei der Auslegung der vertraglichen Absprachen zwischen der SPC und der NTC nicht ermittelt hat. Es hat festgehalten, es gebe keine Zweifelsfragen, die die Heranziehung des Rechts des US-Bundesstaats Colorado erforderlich machten. Gleichwohl hat es den Vertrag ausgelegt, ohne zu erkennen zu geben, welchen Auslegungsregeln es dabei gefolgt ist, und hat mit seiner Annahme, die SPC habe das Eigentum erlangen und das Uran deshalb nicht für die NTC besitzen sollen, den klaren Wortlaut der vertraglichen Vereinbarungen in sein Gegenteil verkehrt. Gemäß Nr. 5 des Vertrags über die Lagerung von angereichertem Uran vom 8.4.1993 sollte das Eigentumsrecht an dem von der NTC zur Lagerung an die SPC gelieferten Kernmaterial zu jeder Zeit bei der NTC verbleiben. Eine nahezu wortgleiche Regelung findet sich in der – von der SPC gegengezeichneten – Absichtserklärung der NTC vom 18.4.1994, die sich (u.a.) auf die Lieferung des von der Kl. mit der Hauptintervention beanspruchten Urans bezog. In dieser Erklärung ist ferner ausgeführt, dass die SPC jedem von der NTC benannten Dritten bestätigen wird, dass sie das Kernmaterial für die NTC verwahrt. Nichts anderes folgt aus der der SPC erteilten Erlaubnis zu der Verarbeitung des Urans. Dafür sprechen – wie die Revision mit Recht hervorhebt – ebenfalls sowohl der eindeutige Wortlaut als auch der systematische Zusammenhang der in Nr. 5 des Vertrags vom 8.4.1993 getroffenen Absprachen. Denn im Anschluss an die Regelung des Eigentums der NTC folgt unmittelbar und ‚dessen ungeachtet’ die Erlaubnis der SPC zu der Verarbeitung des ‚eingelagerten [Kernmaterials]’.

[6]c) Die Ermittlung der maßgeblichen nach dem Recht des US-Bundesstaats Colorado zu bestimmenden Auslegungsregeln war schon deshalb unverzichtbar, weil dem Wortlaut bei der Auslegung schriftlicher Verträge jedenfalls in der herkömmlichen US-amerikanischen Rechtstradition noch weitaus größere Bedeutung beigemessen wird als nach kontinentaleuropäischem Recht. Auch wird die Heranziehung von außerhalb der Urkunde liegenden Umständen bei einem klaren Wortlaut regelmäßig als unzulässig angesehen (vgl. nur Assmann-Bungert-Harrer/Wiegmann, Handbuch des US-amerikanischen Handels-, Gesellschafts- und Wirtschaftsrechts, 2001, 78; Merkt, ZHR 171 (2007), 490, 496 f.). Dagegen bedurfte es nicht zwingend – wie die Revision meint – einer weiteren Ermittlung des ausländischen Rechts im Hinblick auf die Regelung der Eigentumsverhältnisse nach einer erfolgten Verarbeitung. Denn entscheidend ist, wie die Parteien die Eigentums- und Besitzverhältnisse vor einer solchen Verarbeitung gestalten wollten ...

[7]III. Die Sache ist danach nicht zur Entscheidung reif. Für das weitere Verfahren erteilt der Senat die folgenden Hinweise:

[8]1. Die Entstehung eines Pfandrechts der Kl. setzt gemäß § 1205 BGB voraus, dass sich die NEAG als Eigentümerin mit der Kl. über die Bestellung eines Pfandrechts geeinigt und ihr das Uran übergeben hat ...

[9]b) Das Eigentum der NEAG ist zu prüfen ...

[10]cc) Die NEAG muss auch im Zeitpunkt der Konkretisierung der Pfandsache, spätestens also im September 1995, noch Eigentümerin gewesen sein ...

[11](1) Im Hinblick darauf bedarf es – wie o.a. – einer rechtsfehlerfreien Auslegung der vertraglichen Absprachen zwischen der NTC und der SPC nach dem Recht des US-Bundesstaats Colorado im Hinblick darauf, ob die Parteien nur einen Verwahrungs- bzw. Lagervertrag abschließen wollten oder ob tatsächlich eine Eigentumsübertragung beabsichtigt war. Das gilt zunächst für die dingliche Einigung zwischen der NTC und der SPC, die das Berufungsgericht diesen Absprachen entnommen hat. Zwar bestimmen sich die sachenrechtlichen Anforderungen an die Eigentumsübertragung nach dem deutschen Recht als lex rei sitae. Wird jedoch über eine in Deutschland belegene Sache ein Vertrag nach ausländischem Recht abgeschlossen und ist fraglich, ob das Eigentum übergehen soll, muss der Vertrag zunächst nach den von dem Vertragsstatut vorgegebenen Regeln ausgelegt werden (vgl. Staudinger-Stoll, BGB, 13. Bearb., IntSachenR [1996] Rz. 296; MünchKomm-Wendehorst aaO Rz. 82; Palandt-Thorn, BGB, 71. Aufl., Art. 43 EGBGB Rz. 4); deutsches Recht als lex rei sitae entscheidet darüber, ob eine danach vereinbarte Eigentumsübertragung auch den Anforderungen an eine dingliche Einigung gemäß § 929 Satz 1 BGB entspricht.

Fundstellen

nur Leitsatz

BB, 2012, 2125
EWiR, 2012, 761, mit Anm. Jaensch

LS und Gründe

IHR, 2012, 243
MDR, 2012, 1077
RIW, 2012, 804
JZ, 2013, 305
WM, 2013, 858

Permalink

https://iprspr.mpipriv.de/2012-72

Lizenz

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