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Verfahrensgang

BAG, Urt. vom 26.05.2011 – 8 AZR 37/10, IPRspr 2011-62

Rechtsgebiete

Arbeitsrecht → Arbeitsrecht gesamt bis 2019

Leitsatz

Das Arbeitsvertragsstatut ist wandelbar. Ein Wechsel des anzuwendenden Rechts kommt in Betracht, wenn die Arbeitsvertragsparteien ein anderes Arbeitsvertragsstatut ausdrücklich vereinbaren oder wenn ein Arbeitnehmer, für dessen Arbeitsverhältnis keine Rechtswahl vereinbart ist, dauerhaft in das Ausland entsandt wird.

Nach einem Betriebsübergang in das Ausland kommt als Vertragsstatut von Arbeitsverträgen, in denen keine Rechtswahl vereinbart ist, regelmäßig das Recht des Staats zur Anwendung, auf dessen Gebiet der Betriebsübergang erfolgt ist. Für eine vor dem Betriebsübergang ausgesprochene, nach deutschem Recht, namentlich nach § 613a BGB, zu beurteilende Kündigung, ist eine solche Änderung des Arbeitsvertragsstatuts jedoch ohne Belang. [LS der Redaktion]

Rechtsnormen

BGB § 613a
EGBGB Art. 27 ff.; EGBGB Art. 30; EGBGB Art. 43
Rom I-VO 593/2008 Art. 28

Sachverhalt

[Vgl. die Parallelentscheidungen 8 AZR 792/09 (Vorinstanz LAG Stuttgart = IPRspr. 2009 Nr. 53) und 8 AZR 793/09.]


Die Parteien streiten um die Wirksamkeit zweier Kündigungen. Der Kl. ist bei der Bekl. im Betrieb M. in dem selbständigen Geschäftsbereich V als Vertriebsingenieur beschäftigt und arbeitete teilweise von zu Hause aus. Die Alleingesellschafterin der Bekl. ist die G G AG. Zu deren Unternehmen gehört auch die G P S AG in B./CH bei Ba., knapp 60 km von M. entfernt. Die Bekl. sprach zwei Kündigungen des mit dem Kl. bestehenden Arbeitsverhältnisses aus; zugleich erhielt der Kl. ein Arbeitsvertragsangebot der G P S AG in B./CH, welches der Kl. ablehnte. Danach veräußerte die Bekl. die für ihre Produktion und Montage genutzten Anlagen, Maschinen und Werkzeuge sowie ihr Lager an die G P S AG in B./CH. Die laufenden Projekte der Bekl. aus dem Geschäftsbereich V wurden auf die G P S AG übertragen. Kunden und Lieferanten wurden dahin informiert, dass die geschäftlichen Aktivitäten von V in B./CH konzentriert, dass alle bestehenden Verträge nahtlos übernommen würden und dass als neue Rechnungsanschrift die der G P S AG in der Schweiz gelte. Der Kl. hat die Auffassung vertreten, die Kündigungen seien mangels sozialer Rechtfertigung unwirksam, insbes. bestritt er das Vorliegen einer unternehmerischen Entscheidung und berief sich auf einen Betriebsübergang in die Schweiz.

Das ArbG hat die Klage hins. beider Kündigungen abgewiesen. Das LAG hat auf die Berufung des Kl. das arbeitsgerichtliche Urteil abgeändert und die Unwirksamkeit beider Kündigungen festgestellt. Die weitergehende Berufung des Kl. hat es zurückgewiesen. Mit der vom LAG zugelassenen Revision erstrebt die Bekl. die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.

Aus den Entscheidungsgründen:

(Randnummern der IPRspr-Redaktion)

[1]B. Dem LAG ist im Ergebnis zu folgen ...

[2]III. Der Berücksichtigung des beabsichtigten Betriebsteilübergangs und der Betriebsverlagerung von M. nach B./CH bei der Beurteilung der Kündigung vom 27.10. 2008 steht nicht entgegen, dass es sich um einen grenzüberschreitenden Sachverhalt handelt. Die fehlende Stilllegungsabsicht der Bekl. und § 613a BGB sind auch in diesem Zusammenhang zu beachten.

[3]1. Nach den Regeln des IPR bestimmt sich die Frage, welches Gesetzesrecht auf einen Privatrechtssachverhalt anzuwenden ist, nach den Regelungen des Staats, dessen Gericht zur Entscheidung angerufen wird. Dies sind vorliegend die das Arbeitsrecht betreffenden Bestimmungen der Art. 27 bis 37 EGBGB. Diese sind zwar zum 17.12.2009 durch die Bestimmungen der Rom-I-VO abgelöst worden. Nach Art. 28 Rom-I-VO finden aber die Regelungen des EGBGB auf Vertragsverhältnisse, die vor dem 17.12.2009 begründet worden sind, weiterhin Anwendung.

[4]2. Die Parteien des Rechtsstreits haben keine ausdrückliche oder stillschweigende Rechtswahl getroffen. Das auf den zwischen ihnen geschlossenen Arbeitsvertrag anzuwendende Recht ist daher nach den in Art. 30 II EGBGB benannten Anknüpfungskriterien zu bestimmen. Vor dem Zeitpunkt des beabsichtigten Betriebsübergangs, also vor dem 1.1.2009, ist wegen der dauerhaften Erfüllung der Arbeitspflicht in Deutschland und der Tatsache, dass sich aus den Gesamtumständen keine engere Verbindung des Arbeitsvertrags oder des Arbeitsverhältnisses zu einem anderen Land ergibt, deutsches Recht anzuwenden, also auch § 613a BGB. Zwar ist das Arbeitsvertragsstatut, also die Frage, welches nationale Recht in einem Arbeitsverhältnis anzuwenden ist, wandelbar. Einerseits können die Arbeitsvertragsparteien ein anderes Arbeitsvertragsstatut ausdrücklich vereinbaren. Andererseits kommt es regelmäßig zu einem Wechsel des anzuwendenden Rechts, wenn ein Arbeitnehmer, für dessen Arbeitsverhältnis keine Rechtswahl vereinbart ist, dauerhaft in das Ausland entsandt wird (Thüsing, NZA 2003, 1303; MünchKommArbR-Oetker, 3. Aufl., Bd. 1, § 11 Rz. 37; Palandt-Thorn, BGB, 68. Aufl., Art. 30 EGBGB Rz. 7). Die Parteien haben aber weder vor dem 1.1.2009 ein anderes Arbeitsvertragsstatut vereinbart, noch ist der Kl. vor diesem Zeitpunkt bereits dauerhaft zur Erbringung seiner Arbeitsleistung nach B./CH entsandt worden. Ein Arbeitsvertragsangebot der G P S AG in B./CH vom 24.10.2008 hat der Kl. abgelehnt. Im Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung am 27.10.2008 als dem maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt greift deutsches Recht, da keine Umstände dafür ersichtlich sind, dass es vor dem Betriebsübergang zu einer Änderung des Arbeitsvertragsstatuts gekommen ist.

[5]3. Die Parteien streiten nicht darüber, mit wem der Kl. ab dem 1.1.2009 ein Arbeitsverhältnis hat und welches Recht dafür gilt. Die beantragte Feststellung eines Arbeitsverhältnisses zur Bekl. bei unverändertem Fortbestand und den Weiterbeschäftigungsantrag des Kl. hat das LAG rechtskräftig abgewiesen. Selbst wenn das Arbeitsverhältnis des Kl. nach dem Betriebsübergang gemäß einem anderen nationalen Recht zu beurteilen wäre und wenn sich diesem zufolge kein Eintritt des Erwerbers in die Rechte und Pflichten aus den im Zeitpunkt des Übergangs bestehenden Arbeitsverhältnissen ergäbe, wirkte dies nicht in der Weise vor, dass der beabsichtigte Betriebsübergang bei der Beurteilung der streitbefangenen Kündigungen außer Betracht zu bleiben hätte.

[6]a) Nach der Rspr. des Senats ist § 613a BGB auch bei Betriebsübergängen in das Ausland grunds. anwendbar (BAG, Urt. vom 16.5.2002 – 8 AZR 319/01, [zu B. III. 1 b) cc) (3)], AP Nr. 237 zu § 613a BGB = EzA BGB § 613a Nr. 210 [Verlagerung n. Österreich]; vgl. auch 20.4.1689 – 2 AZR 431/88, BAGE 61, 369 = AP Nr. 81 zu § 613a BGB = EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 61 [mögl. Betriebsübergang n. Frankreich]).

[7]b) Die Auffassung, bei Betriebsübergängen in das Ausland gelte § 613a BGB nicht, da die Geltung deutschen Gesetzesrechts an der deutschen Grenze ende, vermag nicht zu überzeugen (MünchKomm-Schaub, 3. Aufl., § 613a BGB Rz. 14; Loritz, RdA 1987, 65, 84; ArbG Hamburg, Urt. vom 20.7.1979 – S 15 Ca 410/78 (IPRspr. 1979 Nr. 36a), AP Nr. 25 zu § 613a BGB). Das im öffentlichen Recht zu beachtende Territorialitätsprinzip wird im grenzüberschreitenden Zivilrechtsverkehr von den Regelungen des IPR verdrängt. Andernfalls müsste schon bei einer vorübergehenden Entsendung eines Arbeitnehmers in das Ausland entgegen Art. 30 II Nr. 1 EGBGB das Recht des betroffenen ausländischen Staats Anwendung finden. Grundsätzlich ist daher die Anwendbarkeit des § 613a BGB nicht auf das Gebiet der Bundesrepublik beschränkt (Cohnen, FS zum 25-jährigen Bestehen der Arbeitsgemeinschaft Arbeitsrecht im Deutschen Anwaltsverein, 595; Richter, ArbuR 1992, 65; Feudner, NZA 1999, 1184). Bei Betriebsübergängen mit Auslandsbezug können sachgerechte Lösungen auch nicht über die Regelungen nach Art. 43 EGBGB, sondern nur über die Regelungen des Arbeitsvertragsstatuts nach Art. 30 EGBGB erzielt werden (Koch, RIW 1984, 592; Birk, RdA 1984, 129; Junker, Internationales Arbeitsrecht im Konzern, 1992, 235 ff.). Art. 43 EGBGB regelt die Rechte an einer Sache. Bei einem Betriebsübergang werden nicht nur und auch nicht notwendig Sachen, sondern eine Gesamtheit von materiellen und immateriellen Betriebsmitteln übertragen (BAG, Urt. vom 29.10.1992 – 2 AZR 267/92 (IPRspr. 1992 Nr. 69b) [zu II. 2 der Gründe], BAGE 71, 297 = AP Nr. 31 Internat. Privatrecht Arbeitsrecht = EzA EGBGB Art. 30 Nr. 2). Andererseits ist das Recht der Arbeitsverträge und der Arbeitsverhältnisse durch Art. 30 EGBGB speziell geregelt; eine für das Sachenrecht geltende Vorschrift kann für die Klärung des Arbeitsvertragsstatuts nicht herangezogen werden. Soweit beide Ansichten darauf hinweisen, ein ausländischer Betriebserwerber könne bei einer Verlagerung des Betriebs in das Ausland nicht zur Anwendung deutschen Rechts gezwungen werden, darf die Frage der Anwendbarkeit einer Norm nicht mit der Frage nach deren Durchsetzbarkeit im Ausland vermengt werden (MünchKommArbR-Wank aaO § 103 Rz. 60).

[8]c) Andererseits ist die Auffassung, nach einem Betriebsübergang in das Ausland ändere sich nicht das Vertragsstatut von Arbeitsverträgen, in denen keine Rechtswahl vereinbart ist (Moll-Cohnen/Tepass, Münchener Anwaltshandbuch Arbeitsrecht, 2. Aufl., § 50 Rz. 63; Feudner aaO 1185), nicht mit Art. 30 II EGBGB vereinbar. Verrichtet der Arbeitnehmer in Erfüllung seines Vertrags seine Arbeit gewöhnlich in einem bestimmten Staat, so unterliegt sein Arbeitsverhältnis dem Recht dieses Staats, es sei denn, aus der Gesamtheit der Umstände ergibt sich eine engere Verbindung zu einem anderen Staat.

[9]d) Regelmäßig wird sich daher das Arbeitsvertragsstatut eines Arbeitnehmers, in dessen Vertragsverhältnis keine Rechtswahl vereinbart ist, bei einem Wechsel von Deutschland in das Ausland infolge eines Betriebsübergangs ändern. In Ausnahmefällen kann eine engere Verbindung des Vertrags zum ‚alten’ Staat, also zu Deutschland denkbar sein. Regelmäßig wird aber nach dem Betriebsübergang das Recht des Staats zur Anwendung kommen, auf dessen Gebiet der Betriebsübergang erfolgt ist (Hergenröder, AR-Blattei SD [Stand: Juni 2007], Internationaler Betriebsinhaberwechsel 500.3 Rz. 50 ff.). Die Änderung des Arbeitsvertragsstatuts tritt aber erst ein, nachdem die Arbeitsverhältnisse übergegangen sind. Dies kann zwar bei einem Betriebsübergang in das Nicht-EU-Ausland zur Folge haben, dass die durch § 613a BGB oder durch die Richtlinie 2001/23/EG des Rates zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Unternehmens- oder Betriebsteilen vom 12.3.2001 (ABl. Nr. L 82/16) gewährleisteten, beim Betriebsübernehmer begründeten Rechte und Pflichten ersatzlos wegfallen, ändert aber nichts daran, dass derartige Rechtswirkungen erst nach dem Übergang des Arbeitsverhältnisses und nach dem Inkrafttreten des neuen Arbeitsstatuts Bedeutung erlangen können. Für eine vor dem Betriebsübergang ausgesprochene, nach deutschem Recht zu beurteilende Kündigung, sind solche Rechtsänderungen ohne Belang.

Fundstellen

nur Leitsatz

AuR, 2011, 271
BB, 2011, 1459
EWiR, 2011, 699, mit Anm. Rossa/Fuhlrott
GWR, 2011, 532, mit Anm. Henne
NJW, 2011, 3323
Europ. Leg. Forum, 2013, 26

LS und Gründe

DB, 2011, 2323
NZA, 2011, 1143
ZInsO, 2011, 2236
ZIP, 2011, 2023
BB, 2012, 577, mit Anm. Krannich

Permalink

https://iprspr.mpipriv.de/2011-62

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