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Verfahrensgang

LG Hamburg, Urt. vom 06.01.2011 – 327 O 779/10, IPRspr 2011-22

Rechtsgebiete

Vertragliche Schuldverhältnisse → Allgemeines Vertragsrecht

Leitsatz

Art. 6 II 2 Rom-I-VO stellt keine Marktverhaltensregel im Sinne des § 4 Nr. 11 UWG dar.

Die Rechtswahlklausel in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen eines Fernabsatzvertrags („Es gilt deutsches Recht, unter Ausschluss des UN-Kaufrechts, auch wenn aus dem Ausland bestellt wird“) ist wettbewerbsrechtlich zulässig, wenn die Klausel zur Anwendung des nach Art. 4 Rom-I-VO ohnehin anwendbaren Rechts des gewöhnlichen Aufenthalts des Verkäufers führt. [LS der Redaktion]

Rechtsnormen

BGB § 305c
EGBGB Art. 27 ff.
PAngV § 2
Rom I-VO 593/2008 Art. 3; Rom I-VO 593/2008 Art. 4; Rom I-VO 593/2008 Art. 6; Rom I-VO 593/2008 Art. 9; Rom I-VO 593/2008 Art. 10
UWG §§ 3 f.; UWG § 4; UWG § 8

Sachverhalt

Die ASt. nimmt die AGg. im Rahmen eines einstweiligen Verfügungsverfahrens auf Unterlassung wegen Verstößen gegen die PAngV und gegen AGB- und Verbraucherschutzrecht in ihren AGB in Anspruch. Die Parteien sind Wettbewerber auf dem Gebiet des Verkaufs von Süßwaren und Kaffeeprodukten. Die ASt. verfügt über ein Ladengeschäft in O./Deutschland und zwei Onlineshops, darunter einen unter der Domain www. ... de; sie ist sog. Powerseller auf der Handelsplattform ... de. Die AGg. ist ein deutscher Verlag. Zu ihrem Verlagsangebot gehört u.a die Zeitschrift ... Sie betreibt daneben unter der Domain www ... de einen Onlineshop, über den Waren aus den o.g. Produktgruppen zum Kauf angeboten werden. Streitgegenstand des Antrags zu 1) sind zwei Seiten aus dem Onlineshop der AGg. Streitgegenstände der Anträge zu 2) sind verschiedene Klauseln aus den AGB der AGg.

Aus den Entscheidungsgründen:

(Randnummern der IPRspr-Redaktion)

[1]Die Anträge auf Erlass einer einstweiligen Verfügung sind zulässig, aber nur teilweise begründet.

[2]I. Die Anträge sind zulässig, insbes. fehlt es der ASt. nicht an der erforderlichen Aktivlegitimation gemäß § 8 III Nr. 1 und IV UWG ...

[3]II. Der ASt. stehen die geltend gemachten Unterlassungsansprüche in der Sache nur hins. des gerügten Verstoßes gegen die PAngV zu [Antrag zu 1)], nicht aber hins. der gerügten Verstöße in den AGB der AGg. [Anträge zu 2)] ...

[4]1. Der Verfügungsanspruch hins. des Antrags zu 1) folgt aus §§ 3, 4 Nr. 11, 8 I UWG i.V.m. § 2 I 1, 2 PAngV

[5]2. Die Verfügungsanträge hins. der Anträge zu 2 a) bis d) sind unbegründet. Sie folgen insbes. nicht aus einem Verstoß gegen Vorgaben des Verbraucherschutz- und AGB-Rechts nach §§ 3, 4 Nr. 11, 8 I UWG.

[6]a) ... d) Die Verwendung der Klausel in § 10 der AGB, in der es heißt: ‚Es gilt deutsches Recht unter Ausschluss des UN-Kaufrechts, auch wenn aus dem Ausland bestellt wird’, ist nicht wettbewerbsrechtlich unlauter gemäß §§ 3, 4 Nr. 11 UWG.

[7]aa) Die ASt. greift diese Klausel an mit dem Argument, dass der letzte Halbsatz der Klausel deutlich mache, dass die Anwendung deutschen Rechts dazu führen solle, dass derjenige, der aus dem Ausland bestelle, so behandelt werden solle wie derjenige, der nach deutschem Recht aus dem Inland bestelle. Die ASt. sieht darin einen Verstoß gegen Art. 6 Rom-I-VO und stützt sich auf eine Entscheidung des LG Berlin (Urt. vom 19.10.2010, zit. n. dem Schriftsatz der ASt. vom 3.1.2011, dort S. 4 ff.).

[8]bb) Diese Auffassung wird von der Kammer nicht geteilt. Es kann dabei dahingestellt bleiben, ob – was bezweifelt werden kann – das deutsche Wettbewerbsrecht des UWG überhaupt den Schutz ausländischer Verkehrsteilnehmer bezweckt, insbesondere diese Verkehrsteilnehmer vor der Vereinbarung deutschen Rechts kraft Rechtswahl bewahren soll. Denn es handelt sich bei den Kollisionsnormen der Rom-I-VO schon nicht um Marktverhaltensregeln. Zudem verstößt die Rechtswahlklausel nicht gegen AGB-Recht, insbes. weder gegen § 305c I BGB noch gegen § 305c II BGB.

[9](1) Die Vorschriften des Kollisionsrechts bezwecken keine Regelung des Marktverhaltens im Sinne des § 4 Nr. 11 UWG.

[10]((a)) Das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht wird bestimmt durch die Regelungen in der Rom-I-VO. Sie ersetzte das zuvor auf völkerrechtlichen Verträgen beruhende deutsche Kollisionsrecht in den Art. 27 ff. EGBGB (EVÜ vom 19.06.1980). Art. 3 Rom-I-VO konstituiert den Rechtsgrundsatz, dass den Parteien eines Vertrags die freie Rechtswahl obliegt. Diese freie Rechtswahl erfährt durch die sog. Sonderanknüpfung in Art. 6 II 2 Rom-I-VO allerdings die Ergänzung, dass in den Fällen des Art. 6 I lit. a oder b Rom-I-VO die Rechtswahl nicht dazu führen darf, dass dem Verbraucher der Schutz seiner zwingenden Heimatvorschriften entzogen werde. Art. 6 Rom-I-VO macht folglich von dem Grundsatz der freien Rechtswahl nach Art. 3 keine Ausnahme. Vielmehr folgt aus dem Wortlaut des Art. 6 II 1, wonach die Parteien ungeachtet des Abs. 1 [...] das auf einen Vertrag, der die Anforderungen des Abs. 1 erfüllt, anzuwendende Recht nach Art. 3 wählen können, dass eine Rechtswahl gleichwohl auch bei allen Verbraucherverträgen zulässig bleibt (vgl. Palandt-Thorn, BGB, 69. Aufl., Rom I Art. 6 Rz. 8). Die Vorschrift des Art. 6 II 2 stellt lediglich die zusätzliche Anwendung der zwingenden Schutzvorschriften des Aufenthaltsstaats des Verbrauchers sicher (Palandt-Thorn aaO) – die Vorschrift des Art. 9 Rom-I-VO tut im Übrigen selbiges für zwingende nationale Eingriffsnormen.

[11]((b)) Die ASt. hat schon nichts dazu vorgetragen, welche Fälle vorliegend bei Geschäften der AGg. überhaupt in den Anwendungsbereich der Sondervorschriften des Art. 6 II 2 Rom-I-VO fallen könnten. Für die dadurch ggf. eröffnete Anwendbarkeit des Art. 6 I lit. a Rom-I-VO bedürfte es nämlich einer beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit der ASt. am ausländischen Sitz des Verbrauchers. Hierzu ist nichts vorgetragen worden, insbes. nicht, ob und, wenn ja, in welchen ausländischen Staaten die AGg. ihre gewerbliche Tätigkeit ausübe.

[12]((c)) Das Nämliche gilt für die Anwendbarkeit des Art. 6 I lit. b Rom-I-VO. Nach dieser Vorschrift bedürfte es einer ‚Ausrichtung’ der Tätigkeit der AGg. auf einen ausländischen Staat. Auch hierzu ist von der ASt. nichts vorgetragen worden, insbes. nicht, ob und, wenn ja, auf welche ausländischen Staaten die AGg. ihre gewerbliche Tätigkeit ausgerichtet habe. Die bloße Aufnahme einer Rechtswahlklausel in den eigenen AGB dürfte hierfür als Umstand nicht ausreichend sein.

[13]((d)) Auf eine – möglicherweise ohnehin dringlichkeitsschädliche – Ergänzung des Sachvortrags zu einem denkbaren Anwendungsfall des Art. 6 I lit. a oder b Rom-I-VO kommt es jedoch nicht an. Denn Art. 6 II 2 Rom-I-VO stellt – wie das Kollisionsrecht insgesamt – schon keine Marktverhaltensregel dar (a.A. LG Berlin aaO). Die Rom-I-VO enthält das durch EU-Verordnung vereinheitlichte Kollisionsrecht zur Bestimmung des anwendbaren Rechts bei Sachverhalten mit Auslandsberührung und löste das auf völkerrechtlichen Verträgen beruhende deutsche Kollisionsrecht in den Art. 27 ff. EGBGB ab. Derartige völkerrechtliche oder europarechtliche Regelungen des Kollisionsrechts verfolgen nicht den Zweck, das Marktverhalten zu regeln. Sie verfolgen allein den Zweck, die Reichweite der nationalen Rechtsordnungen zu bestimmen. Ein wettbewerbsrechtlich relevanter Marktbezug fehlt demgegenüber gänzlich.

[14]Zudem scheitert eine Einstufung des in Rede stehenden Art. 6 II 2 Rom-I-VO als eine Marktverhaltensregelung auch daran, dass, wie bereits ausgeführt, diese Vorschrift gerade keine Unzulässigkeit der Rechtswahl bei Verbraucherverträgen anordnet, sondern nur im Wege einer Sonderanknüpfung die ergänzende Anwendbarkeit weiterer Vorschriften des Aufenthaltsstaats des Verbrauchers, sodass auch unter diesem Blickwinkel ihr kein Gehalt einer Marktverhaltensregelung zugesprochen werden kann.

[15](2) Die angegriffene Rechtswahlklausel verstößt auch nicht gegen deutsches AGB-Recht.

[16]((a)) Eine Rechtswahl kann stillschweigend oder ausdrücklich vorgenommen werden, letztere kann auch in AGB möglich [sein] (vgl. hierzu Palandt-Thorn aaO Rom I Art. 3 Rz. 6). Für die Beurteilung der Wirksamkeit ist das Recht maßgebend, das nach der Rechtswahlklausel angewendet werden soll, Art. 3 V, 10 I Rom-I-VO (vgl. noch zum EGBGB: BGH, Urt. vom 26.10.1993 – XI ZR 42/93 (IPRspr. 1993 Nr. 37) = BGHZ 123, 380, zit. n. juris Tz. 14). Damit ist auch eine AGB-rechtliche Überprüfung nach dem gewählten Recht, hier dem deutschen, eröffnet.

[17]((b)) Die Klausel ist nicht überraschend im Sinne des § 305c I BGB. Dass ein Überraschungsmoment fehlt, ergibt sich schon daraus, dass die Vereinbarung deutschen Rechts für Kaufverträge, deren charakteristische Leistung von einem in Deutschland tätigen Unternehmer erbracht wird, im Zweifel ohnehin dem Vertragsstatut entspräche, das mangels Rechtswahl gelten würde, Art. 4 I lit. a Rom-I-VO (vgl. ähnlich BGH aaO Tz. 14 f.). In Ermangelung einer Rechtswahl unterliegt nach Art. 4 I lit. a Rom-I-VO das anwendbare Recht bei Kaufverträgen nämlich dem Recht des Staats, in dem der Verkäufer seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Eine solche Vereinbarung hätte daher zunächst einmal rein deklaratorischen Charakter; lediglich die Abwahl des UN-Kaufrechts, die die ASt. jedoch nicht beanstandet, würde in diesen Fällen mit der hier vorliegenden Klausel erstmalig konstituiert. Auch für Verbraucherverträge gilt zunächst nichts anderes. Auch hier ist eine Rechtswahl nach Art. 6 II 1 Rom-I-VO möglich, auch in den Fällen des Art. 6 I lit. a oder b Rom-I-VO.

[18]Auf eine – möglicherweise wiederum dringlichkeitsschädliche – Ergänzung des Sachvortrags der ASt., ob und, wenn ja, welche Konstellation unter den Anwendungsbereich dieser Sonderanknüpfung fallen mag, kommt es auch in diesem Zusammenhang jedoch nicht an, Denn auch für den Fall einer solchen Konstellation wäre keine Unwirksamkeit nach § 305c I BGB gegeben, da einem möglichen ausländischen Verbraucher als Vertragspartner in den Fällen des Art. 6 I lit. a oder b Rom-I-VO die Anwendung zwingender Bestimmungen seines Aufenthaltsrechts gerade nicht entzogen wird; dies wird durch die Sonderanknüpfung in Art. 6 II 2 Rom-I-VO autonom und rechtsverbindlich angeordnet.

[19](c)) Die Rechtswahlklausel ist auch nicht unklar im Sinne des § 305c II BGB. Insbesondere folgt eine Unklarheit nicht aus der fehlenden Aufführung möglicher – zusätzlich neben dem gewählten Vertragsstatut – anwendbarer ausländischer zwingender Bestimmungen. Mit der Klausel wird von dem Recht zur Rechtswahl aus Art. 3, 6 II 1, III Rom-I-VO Gebrauch gemacht. Die (mögliche) Folge des Art. 6 II 2 ergibt sich lediglich aus dem Gesetz. Eine erschöpfende Aufzählung möglicher – zusätzlich neben dem gewählten Vertragsstatut – anwendbarer ausländischer zwingender Bestimmungen ist von dem Unternehmer weder zu erwarten noch zumutbar.

Fundstellen

LS und Gründe

VuR, 2011, 473
MMR, 2012, 96

Permalink

https://iprspr.mpipriv.de/2011-22

Lizenz

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