Die Vollstreckungsimmunität eines fremden Staats (hier: Russische Föderation) beschränkt sich auf den Umfang der hoheitlichen Zwecksetzung, das allgemeine Völkerrecht steht bei gemischt genutzten Gegenständen einer Vollstreckung in die nicht-hoheitlich genutzten Teile der Gegenstände grundsätzlich nicht entgegen. [LS der Redaktion]
[Die Entscheidung des BGH vom 1.10.2009 – VII ZB 37/08 – wurde bereits in IPRspr. 2009 unter der Nr. 164 abgedruckt.]
Hintergrund der Verfassungsbeschwerden bilden Zwangsvollstreckungsverfahren des Beschwf., die ein Gebäudeeigentum der Russischen Föderation an einem Grundstück in Berlin-Mitte betreffen.
Im Verfahren 2 BvR 3057/09 hob das AG Berlin-Mitte mit den angegriffenen Beschlüssen vom 24.9.2009 ein bereits angeordnetes Zwangsversteigerungs- und Zwangsverwaltungsverfahren auf. Das LG Berlin wies die sofortigen Beschwerden des Beschwf. mit den angegriffenen Beschlüssen vom 12.10.2009 sowie die Anhörungsrügen des Beschwf. mit den angegriffenen Beschlüssen vom 16.11.2009 und 23.11.2009 als unbegründet zurück.
[1]III. Die zur gemeinsamen Entscheidung verbundenen Verfassungsbeschwerden werden nicht zur Entscheidung angenommen. Die Annahme der Verfassungsbeschwerden zur Entscheidung ist – mangels hinreichender Aussicht auf Erfolg – insbes. nicht zur Durchsetzung der in § 90 I BVerfGG bezeichneten Rechte des Beschwf. angezeigt (§ 93a II lit. b BVerfGG) ...
[2]2. Die Verfassungsbeschwerde in dem Verfahren 2 BvR 3057/09 ist jedenfalls unbegründet.
[3]a) Die angegriffenen Beschlüsse des AG Mitte und des LG Berlin verletzen das grundrechtsgleiche Recht des Beschwf. aus Art. 101 I 2 GG nicht. Das AG Mitte und das LG Berlin waren nicht zur Vorlage an das BVerfG zur Bestimmung der Tragweite des Grundsatzes der Vollstreckungsimmunität eines fremden Staats bei gemischter Nutzung des Vollstreckungsgegenstands verpflichtet. Eine solche Vorlage wäre unzulässig gewesen, weil objektive Zweifel hins. der Tragweite dieser allgemeinen Regel des Völkerrechts nicht bestanden.
[4]aa) Nach der Rspr. des BVerfG ist eine Vorlage nach Art. 100 II GG bereits dann geboten, wenn das erkennende Gericht bei der Prüfung der Frage, ob und mit welcher Tragweite eine allgemeine Regel des Völkerrechts gilt, auf ernstzunehmende Zweifel stößt, mag das Gericht selbst auch keine Zweifel haben (vgl. BVerfGE 23, 288 [316]; 64, 1 [14 f.] (IPRspr. 1983 Nr. 127); 75, 1 [11]; 96, 68 [77]). Nicht das erkennende Gericht, sondern nur das BVerfG hat die Befugnis, vorhandene Zweifel selbst aufzuklären. Ernstzunehmende Zweifel an dem Bestehen oder der Tragweite einer allgemeinen Regel des Völkerrechts bestehen dann, wenn das Gericht von der Meinung eines Verfassungsorgans oder von den Entscheidungen hoher deutscher, ausländischer oder internationaler Gerichte oder von den Lehren anerkannter Autoren der Völkerrechtswissenschaft abweichen würde (vgl. BVerfGE 23 aaO [319]; 96 aaO).
[5]bb) Solche ernstzunehmenden Zweifel führt der Beschwf. nicht an.
[6](1) Es besteht eine allgemeine Regel des Völkerrechts, wonach die Zwangsvollstreckung durch den Gerichtsstaat aus einem gerichtlichen Vollstreckungstitel gegen einen fremden Staat, der über ein nicht-hoheitliches Verhalten (acta iure gestionis) dieses Staats ergangen ist, in Gegenstände dieses Staats ohne Zustimmung des fremden Staats unzulässig ist, soweit diese Gegenstände im Zeitpunkt des Beginns der Vollstreckungsmaßnahme hoheitlichen Zwecken des fremden Staats dienen (vgl. BVerfGE 46, 342 [392] (IPRspr. 1977 Nr. 117); 64 aaO [40]). Insbesondere darf nicht auf Gegenstände zugegriffen werden, die der diplomatischen Vertretung des fremden Staats zur Wahrnehmung ihrer amtlichen Funktionen dienen (ne impediatur legatio). Wegen der Abgrenzungsschwierigkeiten bei der Beurteilung einer Gefährdung dieser Funktionsfähigkeit und wegen der latent gegebenen Missbrauchsmöglichkeiten zieht das allgemeine Völkerrecht den Schutzbereich zugunsten des fremden Staats sehr weit und stellt auf die typische, abstrakte Gefahr, nicht aber auf die konkrete Gefährdung der Funktionsfähigkeit der diplomatischen Vertretung durch Maßnahmen des Empfangsstaats ab (vgl. BVerfGE 46 aaO [394 ff.]; 117, 141 [156] (IPRspr 2006-106)).
[7]Die Abgrenzung, ob die Gegenstände, in die vollstreckt werden soll, im Zeitpunkt des Beginns der Vollstreckungsmaßnahme hoheitlichen oder nicht-hoheitlichen Zwecken des fremden Staats dienen, ist mangels entspr. Kriterien im allgemeinen Völkerrecht (vgl. hierzu die teilw. [noch] unverbindlichen, aber möglicherweise zur Entstehung von allgemeinen Völkerrecht beitragenden Beispiele in Art. 4 der Resolution Contemporary Problems Concerning the Immunity of States in Relation to Questions of Jurisdiction and Enforcement des Institut de Droit International von 1991; Art. 19 der Draft Articles on Jurisdictional Immunities of States and Their Property der Völkerrechtskommission von 1991; Art. 21 des Übereinkommens über die Gerichtsimmunität der Staaten und ihres Vermögens vom 2.12.2004 [Resolution A/RES/59/38]) grundsätzlich nach der Rechtsordnung des Gerichtsstaats vorzunehmen (vgl. BVerfGE 16, 27 [62] (IPRspr. 1962–1963 Nr. 171) für das Erkenntnisverfahren).
[8](2) Dem Beschwf. gelingt es nicht, objektive Zweifel an der Tragweite dieser allgemeinen Regel des Völkerrechts zu wecken, indem er unter Bezugnahme auf das von ihm in Auftrag gegebene Privatgutachten rechtsvergleichend auf die in anderen Gerichtsstaaten entwickelten Kriterien für hoheitlichen Zwecken dienende Gegenstände eines fremden Staats verweist und sich vor diesem Hintergrund kritisch mit der Rspr. des BVerfG auseinandersetzt. Er schlägt im Ergebnis lediglich vor, in welche Richtung sich die allgemeine Regel des Völkerrechts im Hinblick auf den Rechtsschutz privater Gläubiger de lege ferenda entwickeln sollte.
[9]Die Verfassungsbeschwerde vermag keine objektiven Zweifel an der Tragweite des Grundsatzes der Vollstreckungsimmunität zu wecken, wenn sie ausführt, dass maßgebliche Kriterien für die Reichweite der Vollstreckungsimmunität bei gemischt genutzten Gegenständen der Schwerpunkt der Zwecksetzung oder die konkrete Gefährdung der hoheitlichen Zwecksetzung sein könnten. Nach s . 3(1) des australischen Foreign States Immunities Act 1985 (Act No. 196 of 1985) vom 16.12.1985 sei diplomatisches Vermögen (diplomatic property) solches, das überwiegend (predominantly) der diplomatischen Vertretung des fremden Staats zur Wahrnehmung ihrer amtlichen Funktionen diene. US-amerikanische Gerichte würden, wenn auch nur teilweise (vgl. Birch Shipping Corporation v. Embassy of the United Republic of Tanzania, 507 F. Supp. 311, 1981 A.M.C. 2666), die Zwangsvollstreckung in gemischt genutzte Konten eines fremden Staats zulassen.
[10]Das BVerfG hat durch die Formulierung ‚soweit’ (vgl. BVerfGE 46 aaO; 64 aaO) bereits eine Feststellung dazu getroffen, dass die Reichweite der Vollstreckungsimmunität eines fremden Staats sich auf den Umfang der hoheitlichen Zwecksetzung beschränkt, das allgemeine Völkerrecht bei gemischt genutzten Gegenständen mit anderen Worten einer Vollstreckung in die nicht-hoheitlich genutzten Teile von Gegenständen grundsätzlich nicht entgegensteht.
[11]Der Beschwf. legt nicht dar, dass sich seit dieser Feststellung Kriterien im allgemeinen Völkerrecht gebildet hätten, nach denen die Abgrenzung, ob und inwieweit ein Vollstreckungsgegenstand hoheitlichen oder nicht-hoheitlichen Zwecken des fremden Staats dient, vorgenommen werden müsste. Bei den allgemeinen Regeln des Völkerrechts nach Art. 25 GG handelt es sich in erster Linie um universell geltendes Völkergewohnheitsrecht (vgl. BVerfGE 15, 25 [32 ff.] (IPRspr. 1962–1963 Nr. 170); 16 aaO [33]; 23 aaO [317]; 109, 13 [27]; 117 aaO [149 f.]; 118, 124 [134] (IPRspr 2007-125)). Die Entstehung von Völkergewohnheitsrecht ist an zwei Voraussetzungen geknüpft: erstens an das zeitlich andauernde und möglichst einheitliche Verhalten unter weit gestreuter und repräsentativer Beteiligung von Staaten und anderen, rechtssetzungsbefugten Völkerrechtssubjekten; zweitens an die hinter dieser Übung stehende Auffassung, ‚im Rahmen des völkerrechtlich Gebotenen und Erlaubten oder Notwendigen zu handeln’ (opinio iuris sive necessitatis, vgl. BVerfGE 66, 39 [64 f.]; 96 aaO [86 f.]). Der Vortrag des Beschwf., dass die australische und die US-amerikanische Rechtsordnung auf den Schwerpunkt der Zwecksetzung bzw. die konkrete Gefährdung der hoheitlichen Zwecksetzung für die Reichweite der Vollstreckungsimmunität abstellen, reicht deshalb von vornherein nicht aus, um eine völkergewohnheitsrechtliche Geltung dieser obendrein inhaltlich unterschiedlichen Kriterien anzunehmen.
[12]Der Beschwf. setzt sich mit der Rspr. des BVerfG dahingehend auseinander, dass er die Entscheidung, wonach die Vollstreckung in gemischt genutzte Botschaftskonten eines fremden Staats nach allgemeinem Völkerrecht unzulässig ist (vgl. BVerfGE 46 aaO [397 ff.), für nicht übertragbar hält, weil die Zwangsversteigerung des Gebäudes seiner Auffassung nach die Nutzung der Diplomatenwohnungen nicht beeinträchtige. Diese Argumentation vermag ebenfalls keine objektiven Zweifel an der Tragweite des Grundsatzes der Völkerrechtsimmunität zu wecken, da sie sich allein auf die Anwendung der allgemeinen Regel des Völkerrechts durch das AG Mitte und das LG Berlin auf den konkreten Sachverhalt bezieht.