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Verfahrensgang

BVerfG, Beschl. vom 24.06.2010 – 1 BvR 3332/08, IPRspr 2010-4

Rechtsgebiete

Allgemeine Lehren → Ermittlung, Anwendung und Revisionsfähigkeit ausländischen Rechts

Leitsatz

Ein Gericht verstößt gegen das durch Art. 3 I in Verbindung mit Art. 20 III GG gewährleistete Gebot einer weitgehenden Angleichung der Situation von Bemittelten und Unbemittelten bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes, wenn es die Anforderungen an die Bewilligung von Prozesskostenhilfe im Zusammenhang mit der Anwendung ausländischen Rechts überspannt. [LS der Redaktion]

Rechtsnormen

BVerfGG § 93a; BVerfGG § 93c; BVerfGG § 95
GG Art. 3; GG Art. 20
ZPO § 293; ZPO § 568

Sachverhalt

Die Verfassungsbeschwerde betrifft ein zivilgerichtliches PKH-Verfahren. Der Beschwf. nimmt im Ausgangsverfahren den Vater seiner früheren Frau (nachfolgend: Bekl.) auf Zahlung in Anspruch. Beschwf. und Bekl. sind iranische Staatsbürger, leben aber seit Jahrzehnten in Deutschland. Parallel zur Klage stellte der Beschwf. Antrag auf PKH-Bewilligung. Zur Begründung seines Anspruchs trug er im Wesentlichen vor: Er, der Beschwf., sei Geschäftsführer einer Teppichhandels-GmbH gewesen, an der sich der Bekl. mit einer Einlage still beteiligt habe. Als Sicherheit für die Rückzahlung der Beteiligung habe er dem Bekl. Ende 1999 sein Haus in Teheran angeboten. Ein Teil der Beteiligung sei zurückgezahlt worden. Überdies habe der Bekl. Teppiche aus der Firma entnommen. Nachdem die GmbH wegen Vermögenslosigkeit nicht mehr fortgeführt worden sei, habe die GmbH sämtliche Ansprüche gegen den Bekl. an ihn abgetreten. 2006 habe der Bekl. sein, des Beschwf., Haus verwertet. Der Klageanspruch ergebe sich folglich aus der Summe der Rückzahlungen, des Werts der entnommenen Teppiche und des Hauses in Teheran abzgl. der vom Bekl. geleisteten Beteiligung. Das LG wies den Antrag auf PKH zurück. Nachdem der Beschwf. gegen diesen Beschluss sofortige Beschwerde eingelegt hatte, übertrug der Einzelrichter beim OLG die Sache wegen „besonderer Schwierigkeiten rechtlicher Art“ auf den Senat. Am selben Tag wies der Senat des OLG die sofortige Beschwerde durch die mit der Verfassungsbeschwerde angegriffene Entscheidung zurück. In seinem 21-seitigen Beschluss arbeitete das OLG zahlreiche rechtliche Fragen ab und prüfte mehrere denkbare Anspruchsgrundlagen, hins. derer es die Anwendbarkeit deutschen Rechts nach IPR vorab behandelte. Im Zusammenhang mit der Frage, ob die dt. Formvorschriften auf die vom Beschwf. behauptete Sicherungsvereinbarung Anwendung fänden, prüfte es inzident, ob nach iranischem Recht zwingende Formvorschriften für den Abschluss eines derartigen schuldrechtlichen Vertrags bestünden.

Aus den Entscheidungsgründen:

(Randnummern der IPRspr-Redaktion)

[1]II. 1. Die Voraussetzungen einer stattgebenden Kammerentscheidung gemäß § 93c I–1 i.V.m. § 93a II lit. b BVerfGG liegen vor, soweit sich der Beschwf. gegen die Zurückweisung seiner sofortigen Beschwerde gegen die Versagung von Prozesskostenhilfe durch das OLG wendet. Insofern ist die Verfassungsbeschwerde zulässig und unter Berücksichtigung des in der Rspr. des BVerfG bereits geklärten verfassungsrechtlichen Maßstabs aus Art. 3 I i.V.m. Art. 20 III GG offensichtlich begründet (a). Es kann dahingestellt bleiben, ob der Beschluss des OLG gegen weitere Grundrechte verstößt (b). Der die sofortige Beschwerde zurückweisende Beschluss ist aufzuheben und die Sache an das OLG zurückzuverweisen (c). Der ebenfalls angefochtene Beschluss des OLG über die Anhörungsrüge wird dadurch gegenstandslos (d).

[2]a) Der angegriffene Beschluss des OLG vom 15.9.2008 verletzt den Beschwf. in seinem Grundrecht aus Art. 3 I i.V.m. Art. 20 III GG in seiner Bedeutung als Gebot der Rechtsschutzgleichheit.

[3]aa) Nach st. Rspr. des BVerfG gebietet Art. 3 I i.V.m. Art. 20 III GG eine weitgehende Angleichung der Situation von Bemittelten und Unbemittelten bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes (vgl. BVerfGE 9, 124 [130 f.]). Dabei ist es verfassungsrechtlich unbedenklich, die Gewährung von Prozesskostenhilfe davon abhängig zu machen, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder -verteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg hat und nicht mutwillig erscheint. Die Prüfung der Erfolgsaussichten soll jedoch nicht dazu dienen, die Rechtsverfolgung oder -verteidigung selbst in das summarische Verfahren der Prozesskostenhilfe vorzuverlagern und dieses an die Stelle des Hauptsacheverfahrens treten zu lassen. Das PKH-Verfahren will den Rechtsschutz, den der Rechtsstaatsgrundsatz erfordert, nämlich nicht selbst bieten, sondern ihn erst zugänglich machen (BVerfGE 81, 347 [357]).

[4]bb) Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze hält die mit der Verfassungsbeschwerde angegriffene, die Prozesskostenhilfe versagende Entscheidung einer verfassungsrechtlichen Überprüfung offensichtlich nicht stand. Das OLG hat die Anforderungen an die Bewilligung von Prozesskostenhilfe in einer den unbemittelten Beschwf. benachteiligenden Weise überspannt.

[5]Bereits der durch einen hohen Begründungsaufwand veranlasste Umfang des 21-seitigen Beschlusses und die inhaltliche Komplexität seiner Erwägungen belegen hier die Schwierigkeit der entscheidungserheblichen Rechtsfragen. Das OLG hat darin alle in Betracht kommenden Rechtsgrundlagen einzeln aufgegriffen und jeweils zunächst nach den Vorschriften des IPR geprüft, ob deutsches oder iranisches Recht anwendbar sei. In diesem Rahmen war eine Vielzahl von Ausnahmevorschriften des EGBGB zu berücksichtigen, die teilweise die inzidente Prüfung iranischen Rechts erforderten. Hierzu wertete das OLG Urteile des Obersten Landesgerichts wie des Allgemein-Zivilgerichts Teheran aus und zog Vorschriften des iran. IPR aus dem iran. ZGB heran.

[6]Soweit das OLG meint, die entscheidungserhebliche Rechtsfrage, ob das iranische Recht zwingende Formvorschriften für Grundstücksverträge vorsieht, sei zwar noch nicht höchstrichterlich geklärt, könne jedoch im Hinblick auf die durch bereits vorliegende Rspr. bereitgestellten Auslegungshilfen ohne Schwierigkeiten beantwortet werden, überzeugt dies nicht und greift im Übrigen zu kurz. Unabhängig von der Zugänglichkeit der – ins Englische übersetzten – iranischen Gesetzesvorschriften erscheint es bereits fragwürdig, ob das OLG den Inhalt der inzident zu prüfenden iran. Gesetzesnormen aufgrund eigener Sachkunde zuverlässig ermitteln konnte oder ob bei pflichtgemäßer Ausübung des gemäß § 293 ZPO eingeräumten Ermessens nicht die Einholung eines Sachverständigengutachtens erforderlich gewesen wäre, zumal nicht ersichtlich ist, dass der erkennende Senat auf besondere Kenntnisse des iranischen Rechts zurückgreifen konnte. Denn an die Ermittlungspflicht des § 293 ZPO sind umso höhere Anforderungen zu stellen, je komplexer und je fremder im Vergleich zum deutschen das anzuwendende Recht ist (Zöller-Geimer, ZPO, 28. Aufl., § 293 Rz. 15). Zudem geht das OLG bei der Frage der PKH-Bewilligung darüber hinweg, dass nicht nur die inzidente Prüfung möglicher Formvorschriften des iranischen Rechts erforderlich war, sondern bereits – nach seiner Ansicht – die aufgrund kollisionsrechtlicher Normen zu ermittelnde Anwendbarkeit des deutschen Rechts eine umfassende und für jede Anspruchsgrundlage gesondert zu treffende Darstellung der Vorschriften des IPR verlangte.

[7]Schließlich steht die angegriffene Beurteilung im Widerspruch zu dem Beschluss des Einzelrichters des OLG, das Verfahren gemäß § 568 Satz 2 Nr. 1 Alt. 2 ZPO zur Entscheidung dem Senat zu übertragen. Warum das Verfahren einerseits wegen besonderer Schwierigkeiten rechtlicher Art nicht durch den Einzelrichter entschieden werden sollte, andererseits aber nach Meinung des Senats des OLG keine schwierigen Rechtsfragen aufweisen soll, die nach den in der verfassungsrechtlichen Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen die Bewilligung von Prozesskostenhilfe erfordern, ist nicht nachvollziehbar.

[8]Unter diesen Umständen ist das OLG der Bedeutung der in Art. 3 I i.V.m. Art. 20 III GG verbürgten Rechtsschutzgleichheit nicht gerecht geworden (BVerfGE aaO 359) ...

[9]c) Der die sofortige Beschwerde zurückweisende Beschluss ist wegen der Verletzung des Grundrechts aus Art. 3 I i.V.m. Art. 20 III GG in vollem Umfang aufzuheben und an das OLG zurückzuverweisen (§ 95 II BVerfGG).

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