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Verfahrensgang

OLG Dresden, Beschl. vom 20.10.2010 – 11 Sch 4/09, IPRspr 2010-308

Rechtsgebiete

Schiedsgerichtsbarkeit

Leitsatz

Eine Vertragsstrafe von 0,2 Prozent für jeden Tag des Zahlungs- und Leistungsverzugs verstößt gegen den deutschen ordre public.

Spricht ein ausländisches Schiedsgericht eine solche Vertragsstrafe einer Schiedspartei zu, so führt der Verstoß gegen den deutschen ordre public nicht dazu, dass der Schiedsspruch im Inland nicht vollstreckt werden kann.

Der Schiedsspruch ist im Inland in der Höhe für vollstreckbar zu erklären, die von der deutschen Rechtsordnung gerade noch hingenommen werden kann (Anschluss an BGH, Urteil vom 17. Juli 2008, I ZR 168/05, dort für deutsche Vertragsstrafen).

Ein Verzugsstrafzins von 0,1 Prozent pro Tag ist gerade noch hinnehmbar.

Rechtsnormen

216/1994 Sb SchiedsverfahrenG (Tschechien) § 31
CISG Art. 6

Sachverhalt

Der Schiedsbeklagte (Bekl.) hatte für die Schiedsklägerin (Kl.) den Alleinvertrieb von Mühlen und Walzwerken in Deutschland übernommen. Der zwischen ihnen geschlossene Vertrag enthielt eine Klausel zugunsten tschechischen Rechts. Die Kl. lieferte dem Bekl. 2004 bis 2006 13 Mühlen und Walzwerke. Der Bekl. bezahlte diese Maschinen zögerlich. Die Kl. verklagte ihn daraufhin vor dem vertraglich vereinbarten Schiedsgericht der Tschechischen Wirtschafts- und Agrarkammer in Prag auf Zahlung der restlichen Kaufpreise aus fünf Lieferungen und Vertragsstrafzinsen von 0,2% pro Tag aus den genannten Kaufverträgen sowie wegen verspäteter Zahlung aus weiteren Kaufverträgen. Der Bekl. verteidigte sich mit Gewährleistungsansprüchen. Das Schiedsgericht hat zwei Zeugen der Kl. dazu gehört, welche Gebrauchsanleitungen und Konformitätserklärungen den Maschinen beilagen, ob der Bekl. gemahnt worden sei und wie ein Protokoll vom 7.11.2006 zustande gekommen sei, in welchem Kl. und Bekl. gemeinsam die Zahlungsrückstände des Bekl. festgestellt, weitere Lieferung und Verzicht auf Strafzinsen in Aussicht genommen haben, falls der Bekl. die Rückstände bezahlt haben würde. Das Schiedsgericht hat den Bekl. antragsgemäß verurteilt.

Die Kl. beantragt, den Schiedsspruch (ohne Berücksichtigung der Aufrechnung) für vollstreckbar zu erklären.

Aus den Entscheidungsgründen:

(Randnummern der IPRspr-Redaktion)

[1]Der Schiedsspruch ist wegen des Vertragsstrafzinses nur in Höhe von 0,1% pro Tag vollstreckbar. Eine Vollstreckung wegen der weiteren 0,1% pro Tag würde gegen den ordre public international von Deutschland verstoßen ...

[2]Im Einzelnen:

[3]Die Einwände des Bekl. gegen den Schiedsspruch:

[4]1. Der Bekl. darf sich im Verfahren auf Vollstreckbarerklärung darauf berufen, das Schiedsgericht habe rechtliches Gehör verletzt, willkürlich gehandelt und den deutschen ordre public verletzt, obwohl er innerhalb der dafür vorgesehenen Frist beim staatl. Gericht der Tschechischen Republik nicht beantragt hat, den Schiedsspruch aufzuheben.

[5]Denn die drei genannten Gründe berechtigen in der Tschechischen Republik nach dem Gesetz Nr. 216/1994 Sb. – Zàkon o rozhodcím rízení a o vykonu rozhodcích nàlezû (über das Schiedsverfahren und die Vollstreckung von Schiedssprüchen) – vom 30.11.1994 das staatliche Gericht nicht, den Schiedsspruch aufzuheben. Das ergibt sich aus dem § 31 litt. a bis g. Es kommt deswegen nicht darauf an, ob auch nach ‚neuem’ Recht zur Vollstreckbarerklärung von Schiedssprüchen eine Schiedspartei mit Einwendungen gegen den Schiedsspruch ausgeschlossen ist, die sie vor einem staatlichen Gericht des Landes hätte geltend machen können, in dem der Schiedsspruch erlassen wurde.

[6]2. Das Schiedsgericht hat das CISG ohne Willkür auf den Streitfall der Schiedsparteien angewandt.

[7]Der Bekl. meint, das Schiedsgericht habe ohne Begründung und deswegen willkürlich den Fall nicht nach dem tschechischen HGB beurteilt und ihn deswegen um seine Gewährleistungsansprüche gebracht, obwohl die Parteien ausdrücklich die Geltung des tschechischen HGB im Vertrag vereinbart hätten.

[8]Das CISG verlangt vom Käufer eine Mängelrüge in angemessener Frist für jeden Mangel. Das tschechische HGB belässt dem Käufer Gewährleistungsansprüche auch ohne Mängelrüge, wenn der Mangel für den Verkäufer offenkundig ist. Hier hatte der Käufer vor dem Schiedsgerichtsverfahren weder das Fehlen von Bedienungsanleitungen und Konformitätserklärungen in deutscher Sprache gerügt noch das Vorhandensein von Rost.

[9]Das Schiedsgericht hat die Anwendung des CISG begründet: Es hat gemeint, dass Art. 6 CISG, welches innerstaatliches tschechisches Recht ist, verlange, dass die Parteien das CISG ausdrücklich ausschließen müssten, um seine Anwendung zu verhindern. Die Vereinbarung des tschechischen HGB alleine bedeute nur, dass das HGB für diejenigen Fragen gelte, für welche das CISG keine Regelung bereithalte.

[10]Diese Auslegung ist mindestens vertretbar und deswegen nicht willkürlich.

[11]3. Der Bekl. meint, das Schiedsgericht habe sein rechtliches Gehör verletzt, weil es sich nicht damit auseinandergesetzt habe, dass die Kl. Roststellen an ihren Maschinen zugegeben habe.

[12]Dieser Einwand ist nicht begründet. Das Schiedsgericht hat zum einen die Anwendung des CISG begründet und zum anderen die Mail der Kl. vom 21.9.2006 anders gedeutet als der Bekl. In dieser Mail antwortet die Kl. auf eine Reklamation eines Abnehmers des Bekl. Unter Nr. 5 heißt es: ‚Vom Problem mit Rost wissen wir. Am Anfang war es wirklich ein richtiges Problem für uns. Heute haben wir die Lackierungstechnologie gewechselt und die Maschinen sind in Ordnung. Trotzdem, die Aggressivität einiger chemischer Konservierungsmittel stellt ein Problem auch für sehr gute und Qualitätslacken dar. Wir stimmen zu, dass irgendwelche Lackierungen der Rostpunkte nichts löst. Es ist jetzt ein Problem. Wie es zu lösen? Haben in dieser Sache einige Vorschläge. Wir entschuldigen sehr für dieses Problem.’

[13]Das Schiedsgericht meint zu Recht, damit gestehe die Kl. nicht eine mangelhafte Lackierung zu, im Gegenteil. Die Lackierungsfehler seien in der Vergangenheit aufgetreten, aber inzwischen behoben.

[14]Damit hat sich das Schiedsgericht mit den Argumenten des Bekl. auseinandergesetzt, wenn auch auf eine für den Bekl. nicht zufriedenstellende Art und Weise. Von Willkür jedenfalls und Verletzung rechtlichen Gehörs kann nicht die Rede sein ...

[15]5. Schließlich wendet der Bekl. ein, der vom tschechischen Schiedsgericht ausgeurteilte Vertragsstrafzins von 0,2% pro Tag dürfe in Deutschland wegen Verstoßes gegen den deutschen ordre public international nicht vollstreckt werden.

[16]Mit diesem Einwand hat der Bekl. teilweise Erfolg.

[17]Im Verfahren zur Vollstreckbarerklärung ausländischer Schiedssprüche ist sowohl nach dem Genfer Abkommen zur Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche vom 29.9.1927 (RGBl. 1930 II 1068) wie nach dem New Yorker UN-Übereinkommen über die Anerkennung und Vollsteckung ausländischer Scheidssprüche vom 10.6.1958 (BGBl. 1961 II 22) der Einwand zulässig, die Vollstreckung des Schiedsspruchs würde gegen den deutschen ordre public international verstoßen.

[18]Ein solcher Verstoß liegt nur vor, wenn der Schiedsspruch im konkreten Fall zu dem Grundgedanken der deutschen Rechtsordnung in so starkem Widerspruch steht, dass seine Vollstreckung untragbar erscheint.

[19]Nach deutscher Vorstellung ist ein Vertragsstrafzins von knapp 73% p.a. ohne Deckelung nach oben für bloßen Zahlungsverzug ohne Notwendigkeit, inflationäre Entwicklungen im Gläubigerland auszugleichen, untragbar.

[20]Das hat der österr. OGH in seinem Beschluss vom 26.1.2005 (3 Ob 221/04 b, zit. n. juris) für einen Vertragsstrafzins von 0,2% pro Tag mit täglicher Kapitalisierung genauso gesehen.

[21]Es war zwischen den Schiedsparteien unstreitig, dass in der Tschechischen Republik in den Jahren 2004 bis heute nicht für einen Inflationsausgleich zu sorgen war. Dem Senat ist kein Fall bekannt, in dem für Zahlungsverzug ein so hoher Vertragsstrafzins vereinbart und durchgesetzt worden wäre.

[22]Es mag sein, dass in der Tschechischen Republik solche Zinssätze üblich sind. Das hat die Kl. unwidersprochen so vorgetragen. Der Bekl. hat lediglich bezweifelt, dass die Kl. ihren eigenen Zulieferern solche Vertragsstrafzinsen schulden würde.

[23]Erschwerend kommt hinzu, dass die Kl. neben den Vertragsstrafzinsen auch noch reguläre Verzugszinsen in Höhe von acht Prozentpunkten über dem Basiszinssatz, hier also knapp 10% p.a., von Rechts wegen verlangen könnte, von der Geltendmachung im vorliegenden Fall nur abgesehen hat.

[24]Schließlich kann auch der Umstand, dass die Kl. ihre eigenen Anwaltskosten im Schiedsverfahren nach der tschechischen Schiedsgerichtsordnung nicht ersetzt verlangen kann, den Vertragsstrafzins von 73% p.a. nicht rechtfertigen. Die Schiedsgerichtskosten selbst muss der Bekl. ihr erstatten.

[25]Die Vollstreckung eines Vertragsstrafzinses von 0,1% p.a. verstößt gerade noch nicht gegen den deutschen ordre public international.

[26]Der Senat setzt mit dieser Entscheidung nicht sein eigenes Ermessen an die Stelle des Schiedsgerichts, er bestimmt lediglich, welcher Bruchteil in Deutschland vollstreckt werden kann.

[27]Dabei orientiert sich der Senat an der Art und Weise, wie der BGH Vertragsstrafeversprechen unter Kaufleuten nach den Grundsätzen von Treu und Glauben reduziert. Mit Urteil vom 17.7.2008 (aaO) hat der BGH die Obergrenze bestimmt, bis zu der die Vertragsstrafe gerade noch hingenommen werden kann.

[28]Diese Obergrenze sieht der Senat für den Vertragsstrafzinsanspruch in 0,1% pro Tag. Das entspricht dem Doppelten dessen, was in Deutschland für den Überziehungszins gezahlt werden muss und hält sich im Rahmen der übrigen obergerichtlichen Rechtsprechung: Das OLG Celle hat einen solchen Vertragsstrafzinssatz gerade noch hingenommen in der Entscheidung vom 6.10.2005 (8 Sch 6/05) (IPRspr 2005-188) und auch der BGH hat am 4.3.1993 (IX ZB 55/92) (IPRspr. 1993 Nr. 171) eine Verzinsung von über 30% pro Jahr in einem ausländischen Urteil nicht beanstandet. Damit ist nur die Hälfte des Betrags vollstreckbar, den das Schiedsgericht als Vertragsstrafzins ausgeurteilt hatte.

[29]Der Kostenschiedsspruch war insoweit für vollstreckbar zu erklären, als das Schiedsgericht feste Zahlbeträge festgesetzt hatte.

[30]Soweit das Schiedsgericht nur eine Kostengrundentscheidung getroffen hat, die Kostenschuld des Bekl. aber noch nicht ausgerechnet hat (lit. e des Schiedsspruchs), war diese Kostengrundentscheidung nicht vollstreckbar, es fehlt noch die Kostenfestsetzung.

[31]Der Schiedsspruch betreffend die Widerklage war nicht für vollstreckbar zu erklären, weil die Kl. ihn durch Aufrechnung bereits erfüllt hat.

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