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Verfahrensgang

OLG Karlsruhe, Beschl. vom 18.08.2010 – 5 WF 122/10, IPRspr 2010-294

Rechtsgebiete

Anerkennung und Vollstreckung → Anwalts- und Kostenrecht

Leitsatz

Beantragt eine deutsche Staatsangehörige Prozesskostenhilfe für ein Ehescheidungsverfahren vor deutschen Gerichten, darf im Hinblick auf den Justizgewährungsanspruch die Prozessführung nicht deshalb als mutwillig angesehen werden, weil es der Antragstellerin möglich ist, das Verfahren kostengünstiger vor den Gerichten ihres ausländischen Wohnsitzes (hier: Schweiz) nach dem ausländischen (hier: schweizerischen) Scheidungsrecht durchzuführen. [LS der Redaktion]

Rechtsnormen

EGV-Amsterdam Art. 12
EheGVO 1347/2000 Art. 3
FamFG § 113
GG Art. 2; GG Art. 3
ZPO § 115

Sachverhalt

Die ASt. ist eine in der Schweiz wohnhafte deutsche Staatsangehörige, die VKH für einen Scheidungsantrag begehrt. Der AGg. ist türkischer Staatsangehöriger. Die Beteiligten haben am 3.11.1998 in der Türkei die Ehe geschlossen. Der letzte gemeinsame gewöhnliche Aufenthalt der Beteiligten befand sich in K./Schweiz. Nach der Trennung der Parteien im Jahr 2007 zog der AGg. wieder nach Deutschland in den Bezirk des AG, in dem die Beteiligten früher ihren gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt hatten.

Das AG wies den Antrag auf Bewilligung von VKH zurück. Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde der ASt. Das AG half der sofortigen Beschwerde nicht ab und legte sie dem OLG vor.

Aus den Entscheidungsgründen:

(Randnummern der IPRspr-Redaktion)

[1]II. Die sofortige Beschwerde der ASt. ist zulässig und begründet. Das international und örtlich zuständige AG – FamG – (Art. 3 I EheGVO, § 122 FamFG) kann die begehrte VKH nicht mit dem Argument der Mutwilligkeit der beabsichtigten Rechtsverfolgung, an deren hinreichender Erfolgsaussicht im Übrigen kein Zweifel besteht, zurückweisen.

[2]Die ASt. hat, soweit deutsche Gerichte für ihr Rechtsschutzbegehren zuständig sind, einen verfassungsrechtlichen Anspruch auf Gewährleistung eines wirkungsvollen Rechtsschutzes in bürgerlich-rechtlichen Rechtsstreitigkeiten. Dieser Justizgewährungsanspruch resultiert aus dem Rechtsstaatsprinzip im Zusammenhang mit Art. 2 I GG bzw. einzelnen weiteren Grundrechten (BVerfGE 85, 337, 345; 88, 118, 123; 108, 341, 347; Mangoldt-Klein-Stark-Huber, GG, 5. Aufl., Bd. I, Art. 19 IV Rz. 352, 355; Maunz/Dürig/Schmidt-Aßmann, GG, Bd. II [Erg.-Lfg. 42] Art. 19 IV Rz. 16). Die Gewährleistung schließt zwar eine gesetzliche Ausgestaltung der Voraussetzungen und Bedingungen des Zugangs nicht aus. Der Zugang zu den Gerichten darf aber nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert werden ( BVerfGE 81, 123, 129).

[3]Der Justizgewährungsanspruch ist auch bei der Gestaltung der VKH, die die Situation einer unbemittelten Person weitgehend der Situation eines Bemittelten bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes angleichen soll (BVerfGE 67, 245, 248), zu beachten. Zwar kann die Gewährung von VKH davon abhängig gemacht werden, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg hat und nicht mutwillig erscheint (BVerfG, FamRZ 2010, 793). Der Begriff der Mutwilligkeit muss aber unter Berücksichtigung des verfassungsrechtlich geschützten Justizgewährungsanspruchs bestimmt werden. Keine Bedenken bestehen, im Fall einer vom Rechtsschutzziel aussichtslosen oder nicht notwendigen Prozess- bzw. Verfahrensführung PKH bzw. VKH zu verweigern. Denn diese Fälle werden vom Schutzzweck des Justizgewährungsanspruch nicht erfasst. Ebenso bestehen keine Bedenken, den Antragsteller zu verpflichten, im Rahmen der Justizgewährung den kostengünstigsten oder einfachsten Weg zu wählen, wenn auf diese Weise das erstrebte Rechtsschutzziel gleichwertig erreicht werden kann (vgl. Zöller-Geimer, ZPO, 28. Aufl., § 114 Rz. 34; Thomas-Putzo-Reichold, ZPO, 30. Aufl., § 114 Rz. 7 f.). Denn dadurch wird die Justizgewährung als solche nicht beeinträchtigt. Das ist dagegen der Fall, wenn der Gesichtspunkt der Kostengünstigkeit oder Einfachheit dazu verwendet wird, den Antragsteller auf einen ausländischen Gerichtsstand zu verwiesen. Denn in diesem Fall wird nicht die Justizgewährung im Einzelfall gestaltet, sondern insgesamt verweigert.

[4]Allerdings ist in Einzelfällen PKH abgelehnt worden, weil nach Auffassung des erkennenden Gerichts die Prozessführung im Ausland kostengünstiger oder unter erleichterten Bedingungen durchgeführt werden konnte (OLG Frankfurt, FamRZ 1991, 94 (IPRspr. 1990 Nr. 189); OLGR Celle 1998, 58 (IPRspr. 1998 Nr. 203); OLG Hamm, FamRZ 2001, 1533 (IPRspr. 2001 Nr. 124)). Dabei handelte es sich jedoch im Wesentlichen um Fälle, in denen die Antragsteller nicht nur sich im Ausland aufhielten, sondern es sich auch um ausländische Staatsangehörige handelte, die nach ausländischem Recht zu beurteilende und im Ausland angesiedelte Sachverhalte unterbreiteten. Es kann dahingestellt bleiben, ob in diesen Fällen ausnahmsw. sachliche Gründe bestehen, die eine Einschränkung des Justizgewährungsanspruchs verfassungskonform rechtfertigen (zust. Stein-Jonas-Bork, ZPO, 21. Aufl., § 114 Rz. 32; Kalthoener-Büttner, Prozess- und Verfahrenskostenhilfe, 5. Aufl., Rz. 459; dagegen MünchKommZPO-Motzer, ZPO, 3. Aufl., § 114 Rz. 92; Baumbach-Lauterbach-Albers-Hartmann, ZPO, 67. Aufl., § 114 Rz. 109; Mankowski, IPRax 1999, 155; OLG Frankfurt, IPRax 1983, 46 (IPRspr. 1982 Nr. 140); OLG Zweibrücken, IPRax 1999, 475 (IPRspr. 1999 Nr. 336)). Denn diese Erwägungen lassen sich nicht übertragen auf den Fall eines deutschen Staatsangehörigen, der seine Rechte in einem gegebenen inländischen Gerichtsstand wahrnehmen will.

[5]Die Ablehnung der VKH durch das AG – FamG – beruht darauf, dass die deutsche ASt. in der Schweiz wohnhaft ist und ausländisches Recht zur Anwendung kommt. Von dem Wohnsitz der ASt. und dem nach deutschem IPR anwendbaren Recht kann aber im Rahmen des Justizgewährungsanspruchs nicht abhängig gemacht werden, ob VKH gewährt wird oder nicht. Es handelt sich nicht um Gesichtspunkte, die eine unterschiedliche Gewährung von VKH und damit eine Ungleichbehandlung von Antragstellern, die die übrigen Voraussetzungen der VKH erfüllen, rechtfertigen, sondern die Berücksichtigung dieser Gesichtspunkte führte zu einer Verletzung von Art. 3 GG und dem dadurch geschützten Recht auf unterschiedslose und absolute gleichwertige Gewährung von Rechtsschutz (vgl. dazu Maunz-Dürig-Scholz aaO Bd. ) [Erg.-Lfg. 33] Art. 3 Rz. 42 ff.). In der Berücksichtigung läge im Übrigen auch zulasten von EU-Bürgern ein Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot des Art. 12 EG, der auch verdeckte, an Kriterien wie Wohnsitz u.ä. anknüpfende Ungleichbehandlungen verbietet (Geiger, EUV/EGV, 4. Aufl., Art. 12 EGV R. 8).

[6]Die von dem AG – FamG – herangezogenen Gesichtspunkte führten letztlich im Ergebnis zur Einführung der Lehre des forum non conveniens in das deutsche Prozessrecht (zutr. Mankowski aaO). Diese im common law beheimatete Lehre, die dem Richter, in der Regel allerdings nur auf – im Streitfall nicht vorliegenden – Antrag des Beklagten, die Möglichkeit gibt, trotz gegebener Zuständigkeit die Annahme der Klage und eine Sachentscheidung abzulehnen, ist dem deutschen Prozessrecht fremd (vgl. eingehend Geimer, IZPR, 6. Aufl., Rz. 1073 ff.; OLG München, IPRax 1984, 319 (IPRspr. 1983 Nr. 129b)). Die gesetzlichen Bestimmungen über die Zuständigkeit und das anwendbare Recht sind für das Gericht bindend. Diese Bindung kann im deutschen Prozessrecht auch nicht über den Gesichtspunkt der Mutwilligkeit gelockert werden; zumal diese Lockerung nur Personen beträfe, die VKH benötigen. Damit wäre wiederum hinsichtlich des Justizgewährungsanspruchs ein gleichheitswidriger Zustand zwischen bemittelten und unbemittelten Personen geschaffen. Die Anwendung ausländischen Rechts ist im IPR vorgesehen. Sie kann nicht im Bereich der VKH durch Auslegung des Begriffs der Mutwilligkeit umgangen werden.

[7]Letztlich sprechen auch praktische Erwägungen gegen die Berücksichtigung der von dem AG – FamG – herangezogenen Gesichtspunkte. Denn die sichere Beurteilung, ob eine Rechtsverfolgung in einem ausländischen Gerichtsstand kostengünstiger und effektiver wäre, setzt nicht nur eine profunde Kenntnis des ausländischen Prozessrechts, IPR und Sachrechts voraus, sondern auch der ausländischen gerichtlichen Praxis und befrachtet damit das Verfahren der VKH-Bewilligung mit komplizierten Erwägungen, was dem Zweck des Verfahrens als einem dem eigentlichen Verfahren vorgeschalteten kursorischen Prüfungsverfahren (‚hinreichende’ Aussicht auf Erfolg) widerspricht.

[8]Da die hinreichende Erfolgsaussicht des beabsichtigten Scheidungsantrags nicht verneint werden kann und die Angaben der ASt. über ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse vorliegen, kann der Senat über den Antrag endgültig entscheiden. Einer Zurückverweisung an das AG – FamG – zur weiteren Prüfung bedarf es nicht. Die ASt. erhält einen Grundbedarf von 960 SFR. Daraus errechnet sich unter Berücksichtigung einer Verbrauchergeldparität von 120 ein Betrag von 600 Euro, der der ASt. zur Verfügung steht. Diese Berechnung führt bei einem Freibetrag von 395 Euro für die ASt. zu einer monatlichen Rate von 75 Euro (§§ 115 ZPO, 113 I FamFG).

Fundstellen

LS und Gründe

FamRZ, 2010, 2095

Permalink

https://iprspr.mpipriv.de/2010-294

Lizenz

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