Für Ansprüche nach §§ 37b, 37c WpHG ist gemäß Art. 5 Nr. 3 EuGVO der Sitz der Börse, an dem die streitgegenständlichen Wertpapiere zum Handel zugelassen sind, als Erfolgsort anzusehen.
Die Kl. macht gegen die Bekl. Schadensersatzansprüche aus §§ 37b, 37c WpHG und 826 BGB wegen verspäteter bzw. unterlassener Ad-hoc-Mitteilungen geltend. Die Bekl. hat ihren satzungsmäßigen Sitz in den Niederlanden; dort befinden sich auch ihre Headoffices. Die Kl. trägt zur Begründung ihrer Klage vor, die Bekl. habe Insiderinformationen zurückgehalten bzw. unzutreffende Ad-hoc-Mitteilungen veröffentlicht. Dadurch sei der Kurswert der Aktien der Bekl. beeinflusst worden. Die Kl. habe Aktien zu einem nicht dem tatsächlichen Marktwert entsprechenden, zu hohen Kurs erworben.
Die Kl. hat zunächst Klage beim LG Frankfurt/Main erhoben. Durch Beschluss hat das LG Frankfurt/Main sich für örtlich unzuständig erklärt und die Sache an das LG München I verwiesen. Das LG München I hat nach Anhörung der Parteien die Übernahme abgelehnt und die Sache zur Zuständigkeitsbestimmung nach § 36 I Nr. 6 ZPO dem erkennenden OLG vorgelegt.
[1]II. Die Voraussetzungen für eine Zuständigkeitsbestimmung gemäß § 36 I Nr. 6 ZPO liegen vor. Sowohl das LG Frankfurt/Main als auch das LG München I haben sich in unanfechtbaren Beschlüssen für örtlich unzuständig erklärt.
[2]Das LG München I ist infolge des Verweisungsbeschlusses des LG Frankfurt/Main vom 22.2.2010 zuständig geworden.
[3]1) Zwar spricht viel dafür, dass das LG Frankfurt/Main nach Art. 5 Nr. 3 EuGVO zur Entscheidung des Rechtsstreits zuständig war.
[4]a) Der Anwendungsbereich der EuGVO ist eröffnet, weil die Bekl. ihren Sitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hat (Art. 2 EuGVO). Bereits durch den satzungsmäßigen Sitz der Bekl. in den Niederlanden ist auch ein grenzüberschreitender Bezug des Sachverhalts gegeben, der nach h.M. weitere (ungeschriebene) Voraussetzung für die Anwendung der EuGVO darstellt (Rauscher-Mankowski, Europäisches Zivilprozessrecht, 2.Aufl., Vorb. Art. 2 Brüssel I-VO Rz. 11, 13). Darauf, ob die Bekl. außerdem noch einen Verwaltungssitz im Sinne des Art. 60 I lit. b EuGVO in Deutschland hat, kommt es in diesem Zusammenhang nicht an; allein dadurch würde das Verfahren nicht zu einem reinen Binnensachverhalt (abgesehen davon, dass im vorliegenden Fall auch die Kl. ihren Sitz nicht in Deutschland hat). Im Hinblick auf den Vorrang des Gemeinschaftsrechts ist das deutsche Zuständigkeitsrecht nur noch insoweit relevant, als die EuGVO keine Regelungen enthält.
[5]b) Die Voraussetzungen des Art. 5 Nr. 3 EuGVO sind vorliegend erfüllt. Nach dieser Vorschrift kann eine Person, die ihren Wohnsitz in einem Vertragsstaat hat, wegen Ansprüchen aus einer unerlaubten Handlung oder einer einer solchen gleichgestellten Handlung ‚vor dem Gericht des Orts [verklagt werden], an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist oder einzutreten droht’. Im Hinblick auf die Formulierung ‚vor dem Gericht des Orts’ regelt diese Vorschrift – anders als bei der Regelung des allgemeinen Gerichtsstands nach Art. 2 EuGVO (‚vor den Gerichten dieses Mitgliedstaats’) – nicht nur die internationale, sondern auch die örtliche Zuständigkeit.
[6]Der Begriff der unerlaubten Handlung im Sinne dieser Vorschrift ist dabei autonom, d.h. ohne Rücksicht auf die nationale Rechtsordnung des Forums oder des materiell anwendbaren Rechts, auszulegen. Darunter ist jegliche Schadenshaftung zu verstehen, die nicht aus einem Vertrag herrührt (Rauscher-Leible aaO Art. 5 Brüssel I-VO Rz. 78; Zöller-Geimer, ZPO, 28. Aufl., Art. 5 EuGVVO Rz. 22 f.). Der auf einen Verstoß gegen die §§ 37b und 37c WpHG gestützte außervertragliche Schadensersatzanspruch ist daher ebenso wie andere Kapitalanlagedelikte als unerlaubte Handlung zu qualifizieren.
[7]Unter dem ‚Ort, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist’, ist sowohl der Handlungsort als auch der Erfolgsort zu verstehen (EuGHE 1976, 1735 = NJW 1977, 495; Zöller-Geimer aaO Rz. 26). Erfolgsort ist der Ort, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist, wobei es allein auf den Primärschaden ankommt (EuGH vom 6.10.2004, NJW 2004, 2441 [Kronhofer]; Zöller-Geimer aaO; Rauscher-Leible aaO Rz. 86). Nicht maßgeblich ist der Ort, an dem weitere Schäden eingetreten sind, wie z.B. der Sitz eines geschädigten Anlegers, wenn dort lediglich – in Form einer Minderung des Gesamtvermögens – die nachteiligen Folgen eines Umstands spürbar geworden sind, der bereits an einem anderen Ort einen Schaden verursacht hatte (EuGH, NJW 2004, 2441 [Nr. 19]; Kropholler, Europäisches Zivilprozessrecht, 8. Aufl., Art. 5 EuGVO Rz. 87), weil dies zu ausufernden, nicht mehr klar vorhersehbaren Zuständigkeiten führen würde.
[8]Nach diesen Kriterien ist die Stadt ... [Deutschland] als Sitz der Börse, an dem die streitgegenständlichen Aktien der Bekl. zum Handel zugelassen sind, als Erfolgsort anzusehen.
[9]Der Senat teilt insoweit nicht die Auffassung des LG Frankfurt/Main zu der vergleichbaren nationalen Zuständigkeitsregelung des § 32 ZPO, der Schadenseintritt sei nicht Tatbestandsmerkmal, sondern die unerlaubte Handlung bestehe allein im Unterlassen der Veröffentlichung bzw. in der Veröffentlichung bestimmter Insiderinformationen – was jedenfalls nicht in der Stadt ... [Deutschland] geschehen sei. Denn die Schädigungshandlung in Form der Verletzung der in § 15 WpHG geregelten Publizitätspflicht führt per se noch nicht zu einem Anspruch des Anlegers nach den §§ 37b, 37c WpHG. Hinzutreten muss vielmehr auch ein bestimmter ‚Erfolg’ dieser Schädigungshandlung in Form einer tatsächlichen Beeinflussung des Marktpreises, aus dem dann wiederum der Schaden des Anlegers resultiert. Auch der Tatbestand des Kapitalanlagebetrugs (§ 264a StGB) setzt nach seinem Wortlaut – anders als etwa § 263 StGB – keinen Schaden voraus. Dennoch besteht ein zivilrechtlicher Anspruch nach § 823 II BGB i.V.m. § 264a StGB nur dann, wenn aus der verbotenen Handlung auch ein Schaden entstanden ist, sodass insoweit der Schaden durchaus als Tatbestandsmerkmal anzusehen ist (vgl. OLG Köln, Urt. vom 26.08.1999 – 1 U 43/99, zit. n. juris Rz. 102).
[10]Deshalb erscheint es sachgerecht, den Erfolgsort für die unterlassene bzw. falsche Kapitalmarktinformation dort anzusiedeln, wo sich der Markpreis bildet und damit durch die behauptete Schädigungshandlung beeinflusst worden sein kann, das ist der Ort, an dem die streitgegenständlichen Wertpapiere zum Handel zugelassen sind (so auch Bachmann, IPRax 2007, 77, 82; MünchKommZPO-Patzina [Online-Ausgabe], 3. Aufl., § 32b Rz. 10 sieht den Marktort als Handlungsort an; für die vglb. Konstellation eines Schadensersatzanspruchs wegen unerlaubter Preisabsprachen ebenso Zöller-Geimer aaO Rz. 27; v. Hein, IPRax 2005, 17, 22). Damit wird auch der Forderung des EuGH Genüge getan, wonach es sowohl für den Kläger ohne Schwierigkeiten feststellbar sein muss, welches Gericht er anrufen kann, als auch für einen verständigen Beklagten erkennbar sein soll, vor welchem Gericht er verklagt werden kann (EuGH, NJW 2004, 2441 [Nr. 20], vgl. auch Erwgr. 11 der EuGVO).
[11]c) Die Anwendbarkeit des Art. 5 EuGVO dürfte vorliegend nicht durch einen inländischen Wohnsitz der Bekl. ausgeschlossen sein. Zwar geht das LG Frankfurt/Main im Grundsatz zutreffend davon aus, dass bei Zugrundelegung eines Beklagtenwohnsitzes in Deutschland Art. 5 nicht anwendbar wäre, sondern die örtliche Zuständigkeit nach den Vorschriften der ZPO zu bestimmen wäre. Dies ergibt sich aus dem Wortlaut des Art. 5 Satz 1 EuGVO, wonach eine Person unter den unter Nrn. 1–7 genannten Voraussetzungen ‚in einem anderen Mitgliedstaat’ als ihrem Wohnsitzstaat verklagt werden kann (vgl. Rauscher-Leible aaO Rz. 5; Kropholler aaO Vor Art. 5 Rz. 4; Baumbach-Lauterbach-Albers-Hartmann, ZPO, 68. Aufl., Art. 5 EuGVVO Rz. 1).
[12]Im vorliegenden Fall bestehen jedoch erhebliche Bedenken gegen die Annahme eines Wohnsitzes der Bekl. in der Stadt ... [Niederlande]:
[13]Nach Art. 60 I EuGVO hat eine juristische Person ihren Wohnsitz an dem Ort, an dem sich a) ihr satzungsmäßiger Sitz, b) ihre Hauptverwaltung oder c) ihre Hauptniederlassung befindet, wobei die drei Anknüpfungspunkte alternativ heranzuziehen sind. Die Begriffe sind autonom entspr. insbes. dem EU-Primärrecht (Art. 54 AEUV, früher Art. 48 EG) auszulegen.
[14]Der Ort der Hauptverwaltung entspricht dem effektiven Verwaltungssitz, d.h. dem Ort, an dem die grundlegenden unternehmerischen Entscheidungen getroffen werden. Das ist in der Regel der Ort, an dem der Vorstand seinen Sitz hat (Rauscher-Staudinger aaO Art. 60 Brüssel I-VO Rz. 1; Kropholler aaO Art. 60 Rz. 2.)
[15]Ob diese Voraussetzungen tatsächlich auf die Stadt ... [Niederlande] zutreffen, oder ob dort nicht lediglich ein Teil der ‚Verwaltung’ im Sinne eines Ausführungsorgans für andernorts getroffene Vorstandsentscheidungen sitzt, erscheint fraglich. Die Bekl. hat lediglich schlüssig dargelegt, dass sich der Sitz der Hauptverwaltung nicht in den Niederlanden befindet; unter Berücksichtigung des beiderseitigen Vorbringens spricht jedoch viel dafür, dass die eigentliche unternehmerische Leitung in Frankreich beheimatet ist.
[16]Ebenso bestehen nach dem bisherigen Vorbringen Bedenken gegen die Annahme einer Hauptniederlassung. Diese befindet sich an dem Ort, von dem aus die Gesellschaft mit der Umwelt in geschäftlichen Kontakt tritt; es muss sich um den Schwerpunkt des unternehmensexternen Geschäftsverkehrs mit einer Konzentration bedeutender Personal- und Sachmittel handeln (Rauscher-Staudinger aaO; Kropholler aaO). Im vorliegenden Fall hat die Bekl. nicht dargelegt, inwieweit tatsächlich von der Stadt ... [Niederlande] aus Außengeschäfte im Namen der Bekl. selbst – und nicht etwa im Namen der dort ansässigen Tochtergesellschaft – getätigt werden.
[17]2) Ob die Bekl. tatsächlich einen Wohnsitz in Deutschland hat, kann jedoch letztendlich offen bleiben, da die Zuständigkeit des LG Frankfurt/Main jedenfalls durch den Verweisungsbeschluss vom 22.2.2010 entfallen ist.