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Verfahrensgang

BGH, Urt. vom 10.06.2009 – VIII ZR 108/07, IPRspr 2009-58

Rechtsgebiete

Sachenrecht

Leitsatz

Bei einem grenzüberschreitenden Versendungskauf in das Ausland erfolgt die für einen Eigentumsübergang nach deutschem Recht erforderliche Besitzverschaffung am Kaufgegenstand in aller Regel erst mit dessen Ablieferung am Bestimmungsort. Wird der nach deutschem Recht im Inland eingeleitete Erwerbstatbestand bis zum Grenzübertritt nicht mehr vollendet, beurteilt sich die Frage, ob und zu welchem Zeitpunkt das Eigentum am Kaufgegenstand übergeht, gemäß Art. 43 I EGBGB nach dem dann für das Recht des Lageorts zuständigen ausländischen Sachrecht. Das gilt auch für die Voraussetzungen, unter denen Eigentumserwerb vom Nichtberechtigten kraft guten Glaubens möglich ist.

Rechtsnormen

BGB §§ 929 ff.; BGB § 932; BGB §§ 932 ff.; BGB § 985; BGB § 989
EGBGB Art. 43
HGB § 366
ZPO § 293

Sachverhalt

Die Bekl., eine deutsche Opel-Vertragshändlerin, verkaufte im Herbst 2004 einen Opel Astra Coupé an die DBD, eine deutsche Zwischenhändlerin. Sowohl die Auftragsbestätigung der Bekl. als auch ihre Rechnung vom 31.1.2005 sahen einen Eigentumsvorbehalt bis zur vollständigen Zahlung des Kaufpreises vor. Außerdem war in den geltenden AGB der Bekl. vorgesehen, dass es dem Käufer für die Dauer des Eigentumsvorbehalts untersagt sein sollte, über das Fahrzeug zu verfügen oder Dritten vertraglich eine Nutzung einzuräumen. Die DBD verkaufte das Fahrzeug ihrerseits an die in Frankreich ansässige Kl. weiter und ließ es am 3.2.2005 durch einen Frachtführer bei der Bekl. abholen, der es nach Frankreich zur Kl. transportierte. Kfz-Brief wie -schein und COC verblieben bei der Bekl. Die Kl. zahlte den Kaufpreis für das ihr gelieferte Fahrzeug an die DBD und verkaufte es ihrerseits in Frankreich weiter. Als ihr Abnehmer eine vereinbarte Zusatzausstattung vermisste, kam er mit der Kl. überein, das Fahrzeug zwecks Einbaus der fehlenden Tuning-Komponenten noch einmal zur Bekl. zu verbringen. Diese nahm das Fahrzeug in Besitz und verweigerte eine Herausgabe unter Hinweis auf den mit der DBD vereinbarten Eigentumsvorbehalt, weil die DBD ihr den geschuldeten Kaufpreis nicht bezahlt habe.

Die Kl. hat zunächst die Herausgabe von Fahrzeug und Kfz-Brief verlangt. Das LG hat der Klage stattgegeben. Das Berufungsgericht hat, nachdem die Kl. wegen einer zwischenzeitlich von der Bekl. vorgenommenen Weiterveräußerung des Fahrzeugs an einen Dritten ihre Klage auf Zahlung von Schadensersatz umgestellt hatte, die Berufung der Bekl. mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Bekl. auf den entsprechend geänderten Antrag der Kl. zur Zahlung von Schadensersatz verurteilt wird. Hiergegen wendet sich die Bekl. mit ihrer vom Senat zugelassenen Revision.

Aus den Entscheidungsgründen:

(Randnummern der IPRspr-Redaktion)

[1]II. [Die Beurteilung des Berufungsgerichts] hält einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand. Das Berufungsgericht hat die Frage, ob die Kl. gutgläubig das Eigentum am herausverlangten Fahrzeug erworben hat, rechtsfehlerhaft am Maßstab des deutschen Rechts (§§ 932 BGB, 366 HGB) beurteilt. Es hat dabei – genauso wie die Parteien – Art. 43 EGBGB übersehen, dessen Anwendbarkeit entgegen der Auffassung der Revision nicht zur Disposition der Parteien steht und der auch im Revisionsverfahren von Amts wegen zu prüfen ist (BGHZ 177, 237 (IPRspr 2008-44), Tz. 8; 136, 380, 386, jeweils m.w.N.). Art. 43 EGBGB führt hier dazu, dass ein Eigentumserwerb der Kl. nach Maßgabe der Bestimmungen des französischen Rechts zu klären gewesen wäre. Gleiches gilt für einen anschließenden Eigentumserwerb des französischen Abnehmers der Kl., den das Berufungsgericht – nach seinem Standpunkt folgerichtig – nicht mehr geprüft hat.

[2]1. Das Berufungsgericht hat den erkannten Schadensersatzanspruch auf §§ 985, 989 BGB und damit auf deutsches Sachrecht gestützt. Dies begegnet keinen rechtlichen Bedenken. Zwar handelt es sich sowohl bei der Ausfuhr des streitigen Fahrzeugs nach Frankreich wie auch bei seiner erneuten Einfuhr zum Zwecke der Nachbesserung um grenzüberschreitende Sachverhalte, die die deutsche wie die französische Sachenrechtsordnung berühren. Jedoch unterliegen die auf Eigentum gestützten Herausgabeansprüche des (vermeintlichen) Eigentümers ebenso wie die aus dem Eigentümer-Besitzer-Verhältnis kommenden Folgeansprüche wegen Unmöglichkeit einer Herausgabe dem in Art. 43 I EGBGB geregelten Sachstatut und damit dem Recht des Staats, in dem sich die Sache befindet [BGH, Urt. vom 25.9.1997 – II ZR 113/96 (IPRspr. 1997 Nr. 60), NJW 1998, 1321, unter II. 1. a); MünchKomm-Wendehorst, 4. Aufl., Art. 43 EGBGB Rz. 96, 100; Bamberger-Roth-Spickhoff, BGB, 2. Aufl., Art. 43 EGBGB Rz. 8, jeweils m.w.N.]. Das ist hier das deutsche Recht als das Recht des Orts, an dem sich das herauszugebende Fahrzeug bei der anderweitigen Veräußerung durch die Bekl. befunden hat.

[3]2. Ob der von der Kl. geltend gemachte Anspruch begründet ist, hängt davon ab, ob die Kl. selbst oder ihr französischer Abnehmer im Zeitpunkt der Weiterveräußerung Eigentümer des Fahrzeugs war und dieses Eigentum durch die Weiterveräußerung des Fahrzeugs verloren hat.

[4]a) Ob die Kl. das Eigentum am Fahrzeug von der DBD erworben hat, ist indessen nicht nach deutschem Recht zu beurteilen. Denn ein solcher Erwerb hätte nach deutschem Recht nicht im Inland stattgefunden, weil die DBD der Kl. vor Grenzübertritt weder den Besitz noch eine zum Eigentumserwerb erforderliche besitzgleiche Position am Fahrzeug im Sinne von §§ 929 ff. BGB eingeräumt hat. Der zwischen der DBD und der Kl. geschlossene Kaufvertrag ist vielmehr in der Weise ausgeführt worden, dass der Kl. das Fahrzeug erst an deren Sitz in Frankreich durch den von der DBD eingesetzten Frachtführer ausgehändigt worden ist. Da die für einen Eigentumsübergang nach deutschem Sachenrecht erforderliche Besitzverschaffung bei einem Versendungskauf in aller Regel erst mit Ablieferung der Sache am Bestimmungsort erfolgt (Palandt-Weidenkaff, BGB, 68. Aufl., § 447 Rz. 14) und kein Anhalt besteht, dass es sich vorliegend anders verhalten hat, ist nach deutschem Recht der im Inland eingeleitete Erwerbstatbestand bis zum Grenzübertritt nicht mehr vollendet worden. Ob und zu welchem Zeitpunkt anschließend das Eigentum am Fahrzeug auf die Kl. übergegangen ist, beurteilt sich deshalb gemäß Art. 43 I EGBGB nach französischem Recht als dem für das Recht des Lageorts zuständigen Sachrecht (vgl. Senatsurt. vom 30.1.1980 – VIII ZR 197/78 (IPRspr. 1980 Nr. 140), WM 1980, 410 unter II. 2; RGZ 103, 30, 31; KG, NJW 1988, 341 f. (IPRspr. 1987 Nr. 41); Palandt-Thorn aaO Art. 43 EGBGB (IPR) Rz. 7; Erman-Hohloch, BGB, 12. Aufl., Art. 43 EGBGB Rz. 23 m.w.N.). Dieses knüpft ebenfalls an das Recht des Lageorts an [Hübner-Constantinesco, Einführung in das französische Recht, 4. Aufl., § 30, 2. b) bb)] und nimmt so die Verweisung auf.

[5]b) Den Statutenwechsel in das französische Sachrecht, wie er auch in Art. 43 II EGBGB zum Ausdruck kommt, hat das Berufungsgericht nicht berücksichtigt und dementsprechend nicht den Inhalt derjenigen Rechtsnormen gemäß § 293 ZPO ermittelt, nach denen im französischen Recht ein Eigentumserwerb erfolgt. Ebenso wenig hat das Berufungsgericht beachtet, dass das Sachstatut des Lageorts die Möglichkeiten und Voraussetzungen für einen Eigentumserwerb vom Nichtberechtigten kraft guten Glaubens bestimmt (BGHZ 100, 321, 324 (IPRspr. 1987 Nr. 40); BGH, Urt. vom 29.5.2000 – II ZR 334/98, NJW-RR 2000, 1583, unter II. 1, III. 2; Erman-Hohloch aaO Rz. 12; Staudinger-Stoll, BGB (1996), IntSachenR Rz. 300; MünchKomm-Wendehorst aaO Rz. 80; Palandt-Thorn aaO Rz. 3, jeweils m.w.N.). Es hat deshalb bei seiner Beurteilung außer Betracht gelassen, dass sich ungeachtet des für den Kaufvertrag maßgeblichen Vertragsstatuts ein im Inland noch nicht vollendeter Eigentumserwerb mit Grenzübertritt nach Frankreich nach Maßgabe des französischen Rechts vollzieht, das in diesem Fall auch Art und Umfang des Schutzes eines gutgläubigen Besitzers bei einem Erwerb vom Nichtberechtigten regelt (Sonnenberger-Dammann, Französisches Handels- und Wirtschaftsrecht, 3. Aufl., Rz. IX 41 m.w.N.).

[6]c) Das Berufungsgericht hätte sich mithin zur Bejahung eines gutgläubigen Eigentumserwerbs durch die Kl. nicht auf die §§ 929 ff. BGB und hierbei insbesondere auch nicht auf § 366 HGB stützen dürfen. Diese Bestimmung enthält sachlich eine Erweiterung des in den §§ 932 ff. BGB geregelten Verkehrsschutzes und bestimmt damit zugleich die Voraussetzungen eines Eigentumsübergangs in Fällen, in denen nach dem Willen des Gesetzgebers die bürgerlich-rechtlichen Gutglaubensvorschriften wegen der bestehenden Bedürfnisse des Handelsverkehrs nach einer gewissen Reibungslosigkeit der Geschäftsabwicklung bereits bei einem guten Glauben an die Verfügungsbefugnis des Veräußerers zur Anwendung kommen sollen (vgl. MünchKommHGB-Welter, 2. Aufl., § 366 Rz. 22 f.; Ensthaler-Weber, GK-HGB, 7. Aufl., § 366 Rz. 1). Die Vorschrift hätte daher nur angewandt werden dürfen, wenn Art. 43 I EGBGB zu einer – hier aber nicht gegebenen – Anwendbarkeit inländischen Rechts geführt hätte.

[7]Einen Übergang des Eigentums am Fahrzeug auf die Kl. hätte das Berufungsgericht daher am Maßstab des französischen Rechts beurteilen müssen. Dazu bedarf es gemäß § 293 ZPO weiterer tatrichterlicher Ermittlungen zur französischen Rechtspraxis, wie sie insbesondere in der Rechtsprechung der französischen Gerichte ihren Ausdruck gefunden hat [vgl. BGH, Urt. vom 30.1.2001 – XI ZR 357/99 (IPRspr. 2001 Nr. 1), WM 2001, 502 unter II. 2. b) aa); vom 23.6.2003 – II ZR 305/01 (IPRspr. 2003 Nr. 1b), NJW 2003, 2685, unter II. 2. a)]. Dasselbe gilt für die Frage, ob zumindest der französische Abnehmer der Kl. von dieser (gutgläubig) das Eigentum an dem Fahrzeug erlangt hat.

Fundstellen

nur Leitsatz

BB, 2009, 1537
DB, 2009, 1649
MDR, 2009, 1030

LS und Gründe

BGHReport, 2009, 917
NJW, 2009, 2824
RIW, 2009, 567
VersR, 2009, 1372
WM, 2009, 1484
IHR, 2010, 103

Permalink

https://iprspr.mpipriv.de/2009-58

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