Eine ausländische (hier: österreichische) Entscheidung über den Kindesunterhalt ist mit einem inländischen Unterhaltstitel vereinbar, wenn sie diesen mit einbezogen hat. Ihr kann daher nicht die Anerkennung gemäß Art. 34 Nr.3 EuGVO verweigert werden.
Wenn das ausländische (hier: österreichische) Recht im Gegensatz zum deutschen wegen noch fortdauernder Betreuungsleistungen durch das Zusammenleben mit einem Elternteil über die Vollendung der Volljährigkeit hinaus zwischen Betreuungs- und Barunterhalt unterscheidet und einem Elternteil die volle Barunterhaltspflicht auferlegt, steht dem nicht der ordre public (Art. 34 Nr. 1 EuGVO) entgegen. [LS der Redaktion]
Der AGg. ist der Vater des im September 1984 geborenen ASt. Beide Parteien sind deutsche Staatsangehörige. Mit Beschluss des AG Bad Bramstedt vom 3.9.1992 wurde dem AGg. aufgegeben, an den ASt. bis zur Volljährigkeit monatlichen Unterhalt zu zahlen. Der Unterhalt wurde in der Folgezeit einvernehmlich monatlich herabgesetzt. Der Bekl. zahlte den danach geschuldeten Unterhalt.
Im Jahre 1999 zog der ASt. mit seiner Mutter nach Österreich. Mit seiner am 30.4.2003 eingegangenen Klage begehrte der ASt. erhöhten Unterhalt für die Zeit ab Mai 2000. Am 16.9.2003 schlossen die Parteien vor dem Bezirksgericht Purkersdorf einen Teilvergleich. Diesen Unterhalt hat der AGg. erfüllt. Mit Beschluss des Bezirksgerichts Purkersdorf vom 30.12.2005 wurde dem AGg. aufgegeben, an den ASt. über die aus dem Teilvergleich geschuldeten Beträge hinaus für die Zeit von Mai 2000 bis September 2003 rückständigen Unterhalt in Höhe von 8 148,59 € nebst Zinsen sowie laufenden monatlichen Unterhalt für die Zeit von Oktober 2003 und 2004 und ab Januar 2005 zu zahlen. Auf das Rechtsmittel des AGg. änderte das Landesgericht St. Pölten mit Beschluss vom 30.6.2006 das angefochtene Urteil hinsichtlich des Unterhaltsrückstands bis September 2003 ab und reduzierte diesen auf insgesamt 6 705,21 € nebst Zinsen. Auf die Revision des AGg. hob der Oberste Gerichtshof der Republik Österreich mit Teilurteil vom 15.11.2006 die Instanzurteile auf, soweit über den Unterhaltsanspruch für die Zeit ab Oktober 2005 entschieden war. Insoweit hat es das Verfahren zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das erstinstanzliche Gericht zurückverwiesen. Im Übrigen (Unterhaltszeitraum bis September 2005) hat es die angefochtenen Entscheidungen als Teilurteil aufrechterhalten.
Auf Antrag des ASt. hat das LG den nach dem Teilurteil geschuldeten Unterhalt insgesamt für in der Bundesrepublik Deutschland vollstreckbar erklärt. Auf die sofortige Beschwerde des AGg. hat das OLG nach fast vollständiger Erfüllung des nach dem Teilvergleich geschuldeten Unterhalts die Entscheidung zur Vollstreckbarkeit abgeändert und die Vollstreckbarkeit nur noch wegen des nicht bereits erfüllten Teils des geschuldeten Unterhalts angeordnet. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des AGg., mit der er weiterhin vollständige Abweisung des Antrags begehrt. Im Rechtsbeschwerdeverfahren beantragt dieser nunmehr die einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung aus dem angefochtenen Beschluss.
[1]II. Der nach § 22 II AVAG zulässige Antrag ist in der Sache unbegründet.
[2]1. Der Antrag scheitert allerdings nicht schon daran, dass der AGg. in zweiter Instanz keinen Antrag auf Vollstreckungsschutz nach § 22 II AVAG gestellt hat, wie es grundsätzlich zu verlangen ist. Denn mit der Begründung seiner Beschwerde hatte der AGg. bereits eine einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung – notfalls gegen Sicherheitsleistung – beantragt. Das OLG hat über diesen Antrag allerdings nicht entschieden. Mit seinem Antrag im Rechtsbeschwerdeverfahren geht der AGg. nicht über diesen Antrag im Beschwerdeverfahren hinaus (zum Vorrang des Einstellungsantrags in zweiter Instanz vgl. Senatsbeschl. vom 4. März 2009 – XII ZR 198/08, juris Tz. 4).
[3]2. Der Antrag ist dennoch zurückzuweisen.
[4]Eine Einstellung der Zwangsvollstreckung nach § 22 II AVAG kommt im Verfahren der Rechtsbeschwerde nicht in Betracht, wenn das Rechtsmittel keine Aussicht auf Erfolg hat (zur Revision und zur Nichtzulassungsbeschwerde vgl. Senatsbeschl. vom 4.6.2008 – XII ZR 55/08, NJW-RR 2008, 1038 m.w.N.). Das ist hier der Fall. Denn ein Zulassungsgrund im Sinne des § 15 I AVAG i.V.m. § 574 I Nr. 1, II ZPO und Art. 44 EuGVO ergibt sich weder aus der Antragsbegründung, noch ist ein solcher sonst ersichtlich.
[5]Nach Art. 45 II EuGVO darf die zu vollstreckende ausländische Entscheidung keinesfalls in der Sache selbst nachgeprüft werden. Im Beschwerdeverfahren darf die Vollstreckbarerklärung nur aus einem der in den Art. 34, 35 EuGVO aufgeführten Gründe versagt oder aufgehoben werden. Solche Gründe liegen hier nicht vor.
[6]a) Die vollstreckbare österreichische Entscheidung ist insbesondere nicht unvereinbar mit dem Beschluss des AG Bad Bramstedt vom 3.9.1992. Zwar überschneiden sich die Entscheidungen teilweise in zeitlicher Hinsicht, weil der deutsche Unterhaltstitel bis zur Volljährigkeit des ASt., also bis September 2002, galt, während die vollstreckbaren österreichischen Entscheidungen auch rückständigen Unterhalt für die Zeit ab Mai 2000 zugesprochen haben. Zutreffend weist der OGH in seiner Entscheidung vom 15.11.2006 (9 Ob 121/06V) aber darauf hin, dass der Wechsel des gewöhnlichen Aufenthalts des ASt. von Deutschland nach Österreich gemäß Art. 4 des Haager Übereinkommens über das auf Unterhaltspflichten anzuwendende Recht vom 2.10.1973 (BGBl. 1986 II 825, 837; HUnthÜ) zu einem Wechsel des anwendbaren materiellen Unterhaltsrechts geführt hat. Denn insoweit ist auf den gewöhnlichen Aufenthalt des Unterhaltsberechtigten abzustellen, der nach dem Umzug in Österreich lag (vgl. Wendl-Dose, Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis, 7. Aufl., § 9 Rz. 1, 10 f.). Allein dieser Wechsel des anwendbaren Rechts, der auch nach dem Vortrag des AGg. zu einer deutlich höheren Unterhaltspflicht führt, ermöglicht auch nach deutschem Prozessrecht eine Anpassung des bestehenden Unterhaltstitels. Ob dies in einem förmlichen Abänderungsverfahren (nach deutschem Prozessrecht gemäß § 323 ZPO) oder in Form einer Nachtragsklage erfolgt, ist für den Umfang des dann geschuldeten Unterhalts unerheblich (vgl. Wendl-Schmitz aaO § 10 Rz. 158d). Ein Versagungsgrund im Sinne von Art. 34 Nrn. 1 und 3 EuGVO liegt schon deswegen nicht vor, weil die vollstreckbare österreichische Entscheidung den rechtskräftig feststehenden Unterhaltstitel mit einbezogen und von dem nach österreichischem Recht geschuldeten Unterhalt abgesetzt hat.
[7]b) Entgegen der Auffassung des AGg. verstößt die vollstreckbare Entscheidung der österreichischen Gerichte auch nicht deswegen gegen den deutschen ordre public (Art. 34 Nr. 1 EuGVO) weil sie auf die am 30.4.2003 eingegangene Klage rückständigen Unterhalt ab Mai 2000 zugesprochen hat. Zwar ist rückwirkender Unterhalt aus Gründen des Vertrauensschutzes nach deutschem materiellen Recht nur begrenzt geschuldet. So sieht § 1613 I BGB vor, dass Verwandtenunterhalt regelmäßig erst ab dem Zeitpunkt geschuldet wird, in dem der Unterhaltspflichtige zum Zwecke der Geltendmachung des Unterhaltsanspruchs aufgefordert worden ist, über seine Einkünfte und sein Vermögen Auskunft zu erteilen, er sich in Verzug befindet oder der Unterhaltsanspruch rechtshängig geworden ist. Eine rückwirkende Inanspruchnahme sieht das deutsche materielle Unterhaltsrecht aber auch im Falle eines Sonderbedarfs (§ 1613 II Nr. 1 BGB) oder dann vor, wenn der Unterhaltsberechtigte aus rechtlichen Gründen (§ 1613 II Nr. 2 lit. a BGB) oder aus tatsächlichen Gründen aus dem Verantwortungsbereich des Unterhaltspflichtigen (§ 1613 II Nr. 2 lit. b BGB) an der Geltendmachung des Unterhaltsanspruchs gehindert war. Das ist etwa auch bei einem Anspruch nach § 1607 III BGB der Fall (vgl. Senatsurt. vom 22.10.2008 – XII ZR 46/07, FamRZ 2009, 32 zum Scheinvaterregress). Dem ordre public unterliegt insoweit allenfalls der hinter der Regelung des § 1613 BGB stehende Gedanke des Vertrauensschutzes. Dieser ist allerdings auch durch die Entscheidungen der österreichischen Gerichte gewahrt. Denn dem AGg. war bewusst, dass sein im September 1984 geborener Sohn nach wie vor unterhaltsberechtigt und nach Österreich verzogen war. Darauf, dass sich nach österreichischem Recht ein höherer Unterhaltsanspruch ergeben konnte als zuvor vor dem AG Bad Bramstedt zugesprochen worden war, konnte der AGg. sich – auch im Hinblick auf sein Einkommen als Oberstudiendirektor – einstellen.
[8]c) Auch soweit das österreichische Recht für die Zeit ab Volljährigkeit des unterhaltsberechtigten Kindes – abweichend vom deutschen materiellen Recht – keine gemeinsame Barunterhaltspflicht der Eltern vorsieht, verstößt dies nicht gegen den deutschen ordre public im Sinne des Art. 34 Nr. 1 der EuGVO. Nach deutschem Recht endet mit dem Eintritt der Volljährigkeit die elterliche Sorge im Rechtssinne und als Teil davon die – insbesondere die Pflicht zur Pflege und Erziehung des Kindes umfassende – Personensorge (§§ 1626, 1631 BGB). Zugleich tritt an die Stelle des entfallenden Betreuungs- ein erhöhter Barunterhaltsbedarf. Damit entfällt nach dem Gesetz die Grundlage für eine Gleichbewertung von Betreuungs- und Barunterhalt (§ 1606 III 2 BGB) ohne Rücksicht darauf, ob im Einzelfall etwa ein volljähriges Kind weiter im Haushalt eines Elternteils lebt und von diesem noch gewisse Betreuungsleistungen erhält. Vom Eintritt der Volljährigkeit an besteht nach dem Gesetz kein rechtfertigender Grund, weiterhin nur den bisher allein barunterhaltspflichtigen Elternteil mit dem nunmehr insgesamt in Form einer Geldrente zu entrichtenden Unterhalt zu belasten, wenn auch der andere Elternteil über Einkünfte verfügt, die ihm die Zahlung von Unterhalt ermöglichen (Senatsurt., BGHZ 164, 375, 378 = FamRZ 2006, 99, 100). Versorgungsleistungen, die das volljährige Kind ab diesem Zeitpunkt von einem Elternteil entgegennimmt, sind deswegen von ihm mit dem von beiden Eltern erhaltenen Barunterhalt zu finanzieren. Allerdings sieht auch das deutsche Recht in § 1603 II 2 BGB Privilegierungen volljähriger unverheirateter Kinder bis zur Vollendung des 21. Lebensjahrs vor, wenn sie noch im Haushalt eines Elternteils wohnen und sich in der allgemeinen Schulausbildung befinden. Wenn das österreichische Recht im Gegensatz dazu wegen noch fortdauernder Betreuungsleistungen durch das Zusammenleben mit einem Elternteil über die Vollendung der Volljährigkeit hinaus zwischen Betreuungs- und Barunterhalt unterscheidet und einem Elternteil die volle Barunterhaltspflicht auferlegt, ist dies im Vollstreckungsverfahren nach Art. 45 II EuGVO hinzunehmen. Ein Verstoß gegen den deutschen ordre public ist darin nicht zu erblicken (vgl. OGH, Teilurteil vom 15.11.2006 – 9 Ob 121/06V, www.ris.bka.gv.at). Insbesondere liegt darin kein Verstoß gegen das Gleichheitsgebot aus Art. 3 GG. Denn der aus Art. 45 II EuGVO folgenden grundsätzlichen Bindung an das ausländische materielle Recht im Rahmen der Vollstreckbarerklärung für die Bundesrepublik Deutschland ist eine unterschiedliche rechtliche Beurteilung gleich gelagerter Sachverhalte immanent. Der Grund für die unterschiedliche Beurteilung liegt darin, dass ein international zuständiges Gericht nach dem auf der Grundlage des HUnthÜ anwendbaren Recht entscheidet. Dieses richtet sich nach dem ständigen Aufenthalt des unterhaltsberechtigten Kindes. Die unterschiedliche Behandlung gegenüber rein innerdeutschen Unterhaltssachverhalten hat deswegen seinen Grund in dem Aufenthalt des ASt., der wiederum ebenso behandelt wird wie andere in Österreich wohnende volljährige Kinder.