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Verfahrensgang

BGH, Beschl. vom 26.11.2009 – VII ZB 42/08, IPRspr 2009-240

Rechtsgebiete

Anerkennung und Vollstreckung → Vermögensrechtliche Angelegenheiten

Leitsatz

Das Vollstreckungsorgan hat eine unklare Bezeichnung im Vollstreckungstitel nach allgemeinen Grundsätzen auszulegen. Dabei darf es außerhalb des Titels liegende Umstände grundsätzlich nicht berücksichtigen (im Anschluss an BGH, Beschluss vom 23.10.2003 – I ZB 45/02, BGHZ 156, 335).

Diese Grundsätze gelten auch, wenn die Zwangsvollstreckung aus einem ausländischen Titel betrieben wird, der nach Art. 5 ff. EuVTVO als Europäischer Vollstreckungstitel bestätigt worden ist.

Rechtsnormen

AVAG § 3; AVAG § 7
EuVTVO 805/2004 Art. 3; EuVTVO 805/2004 Art. 5 ff.; EuVTVO 805/2004 Art. 20
ZPO §§ 574 f.; ZPO §§ 704 ff.; ZPO § 750; ZPO § 1082

Sachverhalt

Der Schuldner betreibt als Einzelkaufmann eine Firma mit der Bezeichnung „Rohrpost-Technik, Fernmelde- und Uhrenanlagen B. H.“, die in das Handelsregister eingetragen ist. Die in den Niederlanden ansässige Gl. berühmt sich zweier Ansprüche gegen den Schuldner. Sie hat über diese Beträge ein Versäumnisurteil eines niederl. Gerichts erlangt. In diesem ist, der Klageschrift entsprechend, auf der Beklagtenseite nicht der Schuldner als natürliche Person genannt, sondern eine „Gesellschaft mit beschränkter Haftung H. Rohrpost GmbH, mit Sitz in B. (Deutschland)“. Dieses Versäumnisurteil hat das AG B. an den Schuldner zugestellt; die niederl. Zustellungsersuchen hatten die „H. Rohrpost“ als Zustellungsadressaten bezeichnet. Auf Antrag der Gl. hat das niederl. Gericht das Versäumnisurteil als Europäischen Vollstreckungstitel bestätigt. Die Schuldnerbezeichnung in der Bestätigung lautet „H. Rohrpost GmbH“. Unter Bezugnahme auf das Urteil samt Bestätigung hat die Gl. bei dem AG gegen den Schuldner unter der Bezeichnung „Rohrpost-Technik, Fernmelde- und Uhrenanlagen B. H., Herrn Dipl.-Ing. M. H., S.-Straße, B.“ den Erlass eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses für verschiedene Konten des Schuldners beantragt. Das AG hat den Antrag mit der Begründung zurückgewiesen, die Schuldnerbezeichnung stimme nicht mit der im Schuldtitel überein. Die sofortige Beschwerde der Gl. ist erfolglos geblieben. Mit der vom BeschwG zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt die Gl. ihren Antrag weiter.

Aus den Entscheidungsgründen:

(Randnummern der IPRspr-Redaktion)

[1]II. Die gemäß §§ 574 I 1 Nr. 2, II 2, 575 ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde ist unbegründet.

[2]1. ... 2. ... Die Zwangsvollstreckung aus dem Versäumnisurteil des niederländischen Gerichts kann nicht gegen den Schuldner durchgeführt werden, da das Urteil als beklagte, zur Zahlung verurteilte Partei nicht den Schuldner, sondern eine GmbH und damit ein anderes Rechtssubjekt bezeichnet.

[3]a) Bei dem niederländischen Versäumnisurteil handelt es sich um einen nach deutschem Recht vollstreckbaren Titel. Gemäß § 1082 ZPO findet im Inland die Zwangsvollstreckung aus Titeln statt, die im Ursprungsmitgliedstaat als Europäischer Vollstreckungstitel nach der EuVTVO bestätigt worden sind, ohne dass es einer Vollstreckungsklausel bedarf. Gemäß Art. 20 I EuVTVO richtet sich das Verfahren der Zwangsvollstreckung grundsätzlich nach den allgemeinen Vorschriften der §§ 704 ff. ZPO; die bestätigte Entscheidung wird unter den gleichen Bedingungen vollstreckt wie eine im Inland ergangene Entscheidung.

[4]b) Nach § 750 I 1 ZPO darf die Zwangsvollstreckung nur beginnen, wenn die Person, gegen die sie stattfinden soll, in dem Urteil namentlich bezeichnet ist. Damit wird für das Vollstreckungsorgan die Prüfung, dass Gläubiger und Schuldner als Parteien des Zwangsvollstreckungsverfahrens mit den Personen identisch sind, für und gegen die der durch den Titel vollstreckbar gestellte Anspruch durchzusetzen ist, zuverlässig ermöglicht. Es geht dabei nicht nur darum, die Inanspruchnahme Unbeteiligter auszuschließen, sondern gegenüber dem Vollstreckungsschuldner zweifelsfrei klarzustellen, dass sich die Vollstreckung gegen ihn richtet (vgl. BGH, Beschl. vom 23.10.2003 – I ZB 45/02, BGHZ 156, 335, 339; Zöller-Stöber, ZPO, 28. Aufl., § 750 Rz. 1).

[5]c) Bei dieser rein formalen Prüfung hat das Vollstreckungsorgan die namentliche Bezeichnung des Schuldners im Titel nach allgemeinen Regeln auszulegen (vgl. BGH, Beschl. vom 23.10.2003 aaO; MünchKommZPO-Heßler, 3. Aufl., § 750 Rz. 24). Dabei sind Umstände, die außerhalb des Titels liegen, wegen der Formalisierung des Vollstreckungsverfahrens grundsätzlich nicht zu berücksichtigen. Das gilt insbesondere für solche Umstände, die das materielle Rechtsverhältnis der Parteien betreffen. Für das Vollstreckungsorgan ist es ohne Bedeutung, welche sachlich-rechtlichen Ansprüche dem Gläubiger zustehen. Es ist nicht seine Aufgabe, im Vollstreckungsverfahren das materielle Recht zur Grundlage seiner Maßnahmen zu machen und einem Gläubiger ohne entsprechenden Schuldtitel einen Zugriff in Vermögen Dritter zu gestatten (vgl. BGH, Urt. vom 26.9.1957 – III ZR 67/56, NJW 1957, 1877, 1878).

[6]Allerdings kann das Prozessgericht, das als zuständiges Vollstreckungsorgan über eine Zwangsvollstreckungsmaßnahme aus einem Titel entscheidet, den es selbst erlassen hat, sein Wissen aus dem Erkenntnisverfahren bei der Auslegung des Titels mit heranziehen und damit auch Umstände berücksichtigen, die außerhalb des Titels liegen (vgl. BGH, Beschl. vom 23.10.2003 aaO). Eine Übertragung dieses Grundsatzes auf die Fälle, in denen das Vollstreckungsorgan einen nicht von ihm selbst erlassenen Titel vollstreckt, kommt nicht in Betracht. Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde folgt aus § 750 I 1 ZPO nicht, dass für beide Fallgestaltungen derselbe Auslegungsmaßstab gelten müsste.

[7]Die so verstandene Möglichkeit der Auslegung dient dazu, die wahre Bedeutung einer unklaren Bezeichnung im Titel zu klären. Darüber hinausgehende Korrekturen darf das Vollstreckungsorgan nicht vornehmen. Es darf insbesondere nicht einem anderen als dem vom Gericht bestimmten Rechtssubjekt die Schuldnerrolle zuordnen; maßgebend ist der Vollstreckungstitel, nicht die materielle Rechtslage (vgl. MünchKommZPO-Heßler aaO Rz. 29).

[8]d) Diese Auslegungsgrundsätze sind auch hier anwendbar. Nach Art. 20 I 1 EuVTVO gilt für die Zwangsvollstreckung und damit auch für die Art und Weise, wie die Identität der im Titel bezeichneten Person mit dem Vollstreckungsschuldner festgestellt wird, das Recht des Vollstreckungsmitgliedstaats.

[9]e) Die dagegen gerichteten Einwände der Rechtsbeschwerde sind nicht stichhaltig.

[10]aa) Ohne Bedeutung ist, dass der Schuldner und nicht eine ausweislich des Handelsregisters nicht einmal existierende GmbH mit der Gl. in Geschäftsverbindung stand. Ebenso ist ohne Bedeutung, ob der Schuldner durch Irreführung der Bezeichnung Anlass zur Klage gegen eine GmbH gegeben hatte. Denn auf diese materiellen Einwendungen gegen die Richtigkeit des Titels kommt es nicht an.

[11]bb) Der Schuldner ist im Rechtsverkehr auch nicht als GmbH aufgetreten, sodass dahinstehen kann, ob der Titel andernfalls als gegen ihn persönlich ergangener Titel verstanden werden könnte.

[12]cc) Die Rechtsbeschwerde meint, das BeschwG beachte nicht, dass die Zwangsvollstreckung nicht aus einem deutschen, sondern aus einem niederländischen Titel erfolgen solle und dass für die Konkretisierung ausländischer Titel Besonderheiten gälten. Der BGH habe insoweit ausgeführt, dass das deutsche Vollstreckungsorgan unter bestimmten Bedingungen berechtigt sei, durch Auslegung Unklarheiten im Vollstreckungstitel auszuräumen und künftig eintretende Veränderungen selbst zu berücksichtigen; damit solle das Erfordernis eines neuen Erkenntnisverfahrens tunlichst vermieden werden (BGH, Beschl. vom 4.3.1993 – IX ZB 55/92, BGHZ 122, 16, 17, 18 (IPRspr. 1993 Nr. 171) und Urt. vom 6.11.1985 – IVb ZR 73/84, NJW 1986, 1440 (IPRspr. 1985 Nr. 184)).

[13]Damit dringt die Rechtsbeschwerde nicht durch. In erster Linie obliegt es dem erkennenden Gericht oder derjenigen Stelle, die den Vollstreckungstitel geschaffen hat, dessen Inhalt und Grenzen eindeutig zu bezeichnen. Nur wo das versehentlich unterblieben oder in Hinblick auf künftige Entwicklungen nicht in vollem Umfang durchzuführen ist, kann das Vollstreckungsorgan die nötige Bestimmung selbst vornehmen, soweit dies aus dem Titel einschließlich etwaiger Entscheidungsgründe selbst oder aufgrund allgemein zugänglicher, leicht und sicher feststellbarer anderer Urkunden, auf die der Titel verweist, möglich ist (vgl. BGH, Beschl. vom 4.3.1993 aaO). Ein derartiger Fall liegt hier nicht vor. Auch rechtfertigt der Umstand, dass möglicherweise ein neues Erkenntnisverfahren durchgeführt werden muss, nicht eine Auslegung eines Urteils eines niederländischen Gerichts, die über die allgemein anerkannten Grundsätze für die Auslegung von Vollstreckungstiteln hinausgeht und zu einer Auswechslung des zur Zahlung verurteilten Rechtssubjektes führen würde.

[14]dd) Die Rechtsbeschwerde meint weiter, es müsse derjenige als Schuldner im Sinne von Art. 3 I lit. c EuVTVO angesehen werden, dem das verfahrenseinleitende Schriftstück ordnungsgemäß zugestellt worden sei und für den kein Zweifel bestehen könne, dass der im Ausland eingeleitete Rechtsstreit sich gegen ihn richten solle. Einer anderen Auslegung stünden die Zielsetzung der Verordnung, nämlich die weitgehende Erlangung der Freizügigkeit von gerichtlichen Entscheidungen, sowie der Grundsatz der Prozessökonomie und der Gleichklang mit der Auslegung des Begriffs ‚Partei’ in der Parallelverordnung, der EuGVO, entgegen.

[15]Das trifft nicht zu. Der von der Rechtsbeschwerde aufgestellte Auslegungsgrundsatz lässt sich den beiden Verordnungen nicht entnehmen. Gemäß Art. 20 I EuVTVO richtet sich die Zwangsvollstreckung und damit auch die Art und Weise, wie die Identität der im Titel bezeichneten Person mit dem Vollstreckungsschuldner festgestellt wird, nach dem Recht des Vollstreckungsmitgliedstaats, hier also nach deutschem Zwangsvollstreckungsrecht. Die von der Rechtsbeschwerde für ihr Verständnis der EuGVO herangezogene Entscheidung des EuGH vom 19.5.1998 (Rs C-351/96, VersR 1999, 594) betrifft einen anders gelagerten, in keiner Weise vergleichbaren Fall.

[16]Unbegründet ist die Rüge, das BeschwG hätte darauf hinwirken müssen, dass das niederländische Urteil hinsichtlich der Person des Schuldners konkretisiert wird. Es ist Sache der Gl., einen Titel vorzulegen, der sich gegen den Schuldner richtet. Dazu hatte sie ausreichend Gelegenheit. Bereits das AG hat in seinem Beschluss auf diesen Mangel hingewiesen und ihm gangbar erscheinende Wege zu seiner Korrektur aufgezeigt. Zu einer Rechtsberatung, dass möglicherweise ein Antrag der Gl. nach §§ 3, 7 AVAG erfolgversprechend sein könnte, war das BeschwG nicht verpflichtet.

[17]f) Danach hat das BeschwG zu Recht den Erlass eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses gegen den Schuldner abgelehnt. Das Urteil des niederländischen Gerichts richtet sich gegen die H. Rohrpost GmbH und damit gegen eine körperschaftlich verfasste juristische Person. Eine unklare Bezeichnung, die durch Auslegung geklärt werden müsste, liegt nicht vor. Die Vollstreckung dagegen soll gegen den Schuldner als natürliche Person durchgeführt werden. Zwischen ihm und der genannten GmbH besteht keine Identität; es handelt sich um zwei verschiedene Rechtssubjekte. Gegen ihn kann aus dem Titel nicht vollstreckt werden.

[18]g) Es besteht kein Anlass, die Sache dem EuGH vorzulegen. An der richtigen Anwendung des Gemeinschaftsrechts bestehen keine vernünftigen Zweifel (vgl. EuGH, Urt. vom 6.10.1982 – Rs C-283/81, NJW 1983, 1257).

Fundstellen

LS und Gründe

Europ. Leg. Forum, 2010, II-122
EuZW, 2010, 159
MDR, 2010, 231
NJW, 2010, 2137
Rpfleger, 2010, 222
WM, 2010, 358

nur Leitsatz

FamRZ, 2010, 289
JurBüro, 2010, 159

Permalink

https://iprspr.mpipriv.de/2009-240

Lizenz

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