Auf einstweilige Maßnahmen staatlicher Gerichte, die der Sicherung von materiell-rechtlichen Ansprüchen dienen, findet das EuGVÜ oder die EuGVO Anwendung, auch wenn über den Bestand dieser Ansprüche in der Hauptsache in einem schiedsrichterlichen Verfahren zu entscheiden ist.
Mit Urteil der Arrondissementsrechtsbank Rotterdam wurde die AGg. verurteilt, innerhalb von zwei Werktagen nach Zustellung dieses Urteils als Sicherheit für die Bezahlung der Forderung der ASt., wie diese im Endurteil des Schiedsgerichts festgesetzt worden ist, von einer gut beleumundeten niederländischen Bank eine Bankgarantie in dieser Höhe zu leisten. Verbunden war dies mit der Androhung eines an die Kl. zu zahlenden Zwangsgelds für jeden Tag, den die Bekl. damit in Verzug ist. Die AGg. wurde weiter verurteilt, die Kosten dieses summarischen Verfahrens zu tragen.
Auf Antrag der Rechtsbeschwf. hat der Vorsitzende einer Zivilkammer des LG angeordnet, dass das Urteil mit der Vollstreckungsklausel zu versehen ist. Auf die hiergegen eingelegte sofortige Beschwerde hat das OLG den Beschluss des LG aufgehoben und den Antrag auf Vollstreckbarerklärung zurückgewiesen. Mit der Rechtsbeschwerde verfolgt die ASt. ihren Antrag auf Vollstreckbarerklärung weiter.
[1]II. Das gemäß §§ 15 I AVAG, 574 I 1 Nr. 1 ZPO statthafte Rechtsmittel ist zulässig, § 574 II Nr. 2 ZPO, weil die Entscheidung des BeschwG von der Rechtsprechung des EuGH abweicht. Die Rechtsbeschwerde ist auch im Übrigen zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden, §§ 15 II und III, 16 AVAG, 575 II bis IV ZPO.
[2]Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet. Entgegen der Auffassung des BeschwG ist auf die beantragte Vollstreckbarerklärung das EuGVÜ anwendbar.
[3]1. Das BeschwG hat zutreffend gesehen, dass sich die Möglichkeit der Vollstreckbarerklärung des Urteils des Rotterdamer Gerichts, das vom 4.10.2001 stammt, nicht nach der EuGVO richtet. Diese Verordnung ist gemäß ihrem Art. 76 erst am 1.3.2002 in Kraft getreten. Gemäß Art. 66, 68 EuGVO ist deshalb auf den Streitfall das zuvor geltende EuGVÜ anzuwenden.
[4]2. Das BeschwG hat jedoch zu Unrecht angenommen, dass nach Art. 1 II Nr. 4 EuGVÜ dieses Abkommen für den vorliegenden Fall nicht gelte. Nach dieser Bestimmung ist dieses Übereinkommen nicht anwendbar auf die Schiedsgerichtsbarkeit.
[5]Das BeschwG hat gemeint, der Begriff der Schiedsgerichtsbarkeit sei weit auszulegen; darunter fielen auch Gerichtsentscheidungen, die Schiedssprüche in sich einschlössen. Dies sei hier der Fall, weil das Urteil des Rotterdamer Gerichts das Endurteil des Schiedsgerichts vom 1.10.1993 in sich mit aufnehme. Dies ergebe sich sowohl aus dem Tenor dieser Entscheidung wie auch aus den Entscheidungsgründen. Diese Beurteilung hält rechtlicher Prüfung nicht stand.
[6]a) Richtig ist allerdings der Ausgangspunkt des BeschwG. Art. 1 II Nr. 4 EuGVÜ ist – nicht anders als nunmehr Art. 1 II lit. d EuGVO – weit auszulegen. Von der Ausnahmeregelung werden alle staatsgerichtlichen Verfahren erfasst, die einem Schiedsverfahren dienen, ein Schiedsgericht unterstützen oder seine Funktionsfähigkeit herstellen sollen. So greift die Ausnahme ein, wenn Gegenstand des Rechtsstreits die Wirksamkeit oder Unwirksamkeit eines Schiedsvertrags ist, wenn ein Schiedsurteil für vollstreckbar erklärt oder wenn es aufgehoben werden soll (vgl. Thomas-Putzo-Hüßtege, ZPO, 29. Aufl., Art. 1 EuGVVO Rz. 9; Zöller-Geimer, ZPO, 27. Aufl., Art. 1 EuGVVO Rz. 43; m. krit. Bewertung Schlosser, EU-Zivilprozessrecht, 2. Aufl., Art. 1 Rz. 23; Kropholler, Europäisches Zivilprozessrecht, 8. Aufl., Art. 1 Rz. 41 ff.; Rauscher-Mankowski, Europäisches Zivilprozessrecht, 2. Aufl., Art. 1 Brüssel I-VO Rz. 27 ff.; Geimer-Schütze, Europäisches Zivilverfahrensrecht, 2. Aufl., Art. 1 Rz. 150 ff.).
[7]Das EuGVÜ ist insbesondere dann nicht anwendbar, wenn Schiedsrichter ernannt oder abberufen werden sollen, selbst wenn das Bestehen oder die Gültigkeit einer Schiedsvereinbarung nur eine Vorfrage des Rechtsstreits ist (EuGH, Urt. vom 25.7.1991 – Rs C-190/89, NJW 1993, 189, 190).
[8]Zum Umfang des Ausschlusses der Schiedsgerichtsbarkeit gibt der Bericht Schlosser folgende Erläuterungen: ‚Das EuGVÜ bezieht sich nicht auf gerichtliche Verfahren, die einem Schiedsverfahren dienen sollen, wie etwa Verfahren zur Ernennung oder Abberufung von Schiedsrichtern ... Dieses (gemeint: das EuGVÜ) bezieht sich auch nicht auf Verfahren und Entscheidungen über Anträge auf Aufhebung, Änderung, Anerkennung und Vollstreckung von Schiedssprüchen. Das gilt auch für Gerichtsentscheidungen, die Schiedssprüche in sich inkorporieren ...’ (Schlosser, Bericht Nrn. 64, 65; abgedr. ABl. 1979 Nr. C 59 S. 71, 93; hierauf Bezug nehmend auch EuGH, Urt. vom 17.11.1998 – Rs C-391/95, EuZW 1999, 413, 415 Rz. 32).
[9]b) Bei dem Urteil des Rotterdamer Gerichts handelt es sich entgegen der Auffassung des BeschwG aber nicht um ein Urteil, das das Urteil eines Schiedsgerichts in diesem Sinne unterstützte, seinen Inhalt für vollstreckbar erklärte oder das Schiedsurteil seinem Inhalt nach inkorporierte. Das Urteil lässt das von ihm in Bezug genommene Schiedsurteil völlig unberührt. Es leitet vielmehr aus dem den Rechtsbeziehungen zwischen den Parteien zugrunde liegenden Vertrag eine Verpflichtung der AGg. ab, auf erstes Ersuchen der ASt. Sicherheitsleistung für ihre vertraglichen Verpflichtungen zu erbringen ... Die vom Schiedsgericht ausgesprochene Verpflichtung wird weder auf Richtigkeit überprüft noch in das Urteil einbezogen. Lediglich im Hinblick auf den Umstand, dass die Zahlung der AGg. bisher ausgeblieben ist und eine Vollstreckung des Schiedsspruchs in Deutschland möglicherweise noch viele Jahre dauern könne, wurde die Erbringung einer Sicherheitsleistung in einem summarischen Verfahren angeordnet.
[10]Die Entscheidung des Schiedsurteils soll mit dem hier in Frage stehenden Urteil des Rotterdamer Gerichts weder vollstreckt noch für vollstreckbar erklärt werden. Auch gründet das Urteil den zu sichernden Anspruch nicht auf die Unanfechtbarkeit jenes Schiedsspruchs. Dieser wird vielmehr nur in Bezug genommen zur näheren Bezeichnung der materiellen Forderung, für die Sicherheit geleistet werden soll. Der Anspruch auf Sicherheitsleistung wird selbständig aus dem zugrunde liegenden Vertrag abgeleitet.
[11]c) Von der Regelung des Art. 1 II Nr. 4 EuGVÜ werden nicht erfasst einstweilige Maßnahmen, die lediglich der Sicherung eines Anspruchs dienen, nicht aber der Durchführung des Schiedsverfahrens oder der Vollstreckung des Schiedsurteils (Thomas-Putzo-Hüßtege aaO; Zöller-Geimer aaO Rz. 45 a.E.; Geimer-Schütze aaO Rz. 164; Rauscher-Mankowski aaO Rz. 28b; OLG München – 25 W 1067/00, OLG-Report 2000, 266, 267 (IPRspr. 2000 Nr. 150)).
[12]Dies ergibt sich entgegen der Auffassung des BeschwG insbesondere auch aus dem Urteil des EuGH vom 17.11.1998 (aaO 415; vgl. auch Urt. vom 27.4.1999 – Rs C-99/96, EuZW 1999, 727, 729 f.). Danach sind einstweilige Maßnahmen grundsätzlich nicht auf die Durchführung eines Schiedsverfahrens gerichtet; sie werden vielmehr parallel zu einem solchen Verfahren angeordnet. Gegenstand einer solchen Maßnahme ist nicht die Schiedsgerichtsbarkeit, sondern die Sicherung der Ansprüche. Daher bestimmt sich die Anwendung des Übereinkommens auf eine einstweilige Maßnahme nicht nach deren Rechtsnatur, sondern nach derjenigen der durch sie gesicherten Ansprüche (vgl. auch OLG München aaO).
[13]Bei den gesicherten Ansprüchen handelt es sich um zivilgerichtliche Ansprüche nach Art. 1 I 1 EuGVÜ. Entgegen der Auffassung des BeschwG geht es nicht um die Sicherung des Anspruchs aus einem bereits unanfechtbar gewordenen Schiedsspruch, sondern um die Sicherung der Durchsetzung des materiell-rechtlichen Anspruchs, der daneben allerdings Gegenstand des schiedsgerichtlichen Verfahrens war. Auf die Vollstreckbarerklärung und Klauselerteilung ist deshalb das Übereinkommen anwendbar.
[14]3. Da das BeschwG die Anwendbarkeit des EuGVÜ zu Unrecht verneint hat, ist die angefochtene Entscheidung aufzuheben und die Sache zur erneuten Entscheidung zurückzuverweisen. Das BeschwG wird nunmehr zu prüfen haben, ob die Voraussetzungen für eine Vollstreckbarerklärung nach dem Übereinkommen vorliegen.