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Verfahrensgang

BGH, Beschl. vom 20.01.2009 – VIII ZB 47/08, IPRspr 2009-211

Rechtsgebiete

Zuständigkeit → Durchführung des Verfahrens (bis 2019)

Leitsatz

Die öffentliche Zustellung einer Klage an einen ausländischen Beklagten, dessen ladungsfähige Anschrift bekannt ist, kann nur dann bewilligt werden, wenn die Zustellung im Wege der Rechtshilfe einen derart langen Zeitraum in Anspruch nehmen würde, dass ein Zuwarten der betreibenden Partei billigerweise nicht zugemutet werden kann. Dies ist nicht schon deshalb anzunehmen, weil die Dauer der Zustellung im Wege der Rechtshilfe möglicherweise einen Zeitraum von sechs bis neun Monaten überschreiten wird.

Rechtsnormen

GG Art. 103
HZÜ Art. 15
ZGB 1994/2001 (Russ. Föderation) Art. 194; ZGB 1994/2001 (Russ. Föderation) Art. 203
ZPO § 167; ZPO § 185; ZPO § 293; ZPO § 574; ZPO § 575; ZPO § 577

Sachverhalt

Die Kl. nimmt die Bekl. u.a. auf die Übertragung von „Eigentumsrechten des Anteils am Stammkapital der Betreibergesellschaft“ eines Gasfelds, hilfsweise auf Feststellung einer Schadensersatzverpflichtung in Anspruch. Sie hat ihre Klage beim LG eingereicht und die öffentliche Zustellung beantragt. Das LG hat den Antrag der Kl. abgelehnt. Das KG hat die dagegen gerichtete sofortige Beschwerde zurückgewiesen. Mit der vom KG zugelassenen Rechtsbeschwerde hat die Kl. ihren Antrag auf öffentliche Zustellung der Klage weiterverfolgt. Während des Rechtsbeschwerdeverfahrens hat ein Rechtsanwalt dem LG unter Vorlage einer Prozessvollmacht die Vertretung der Bekl. angezeigt. Auf den Antrag der Kl. sind dem Prozessbevollmächtigten der Bekl. daraufhin durch die Geschäftsstelle des BGH eine beglaubigte und eine einfache Abschrift der Klage nebst Anlagen und Übersetzungen gegen Empfangsbekenntnis zugestellt worden. Nach Übersendung der Klageschrift an den Prozessbevollmächtigten der Bekl. hat die Kl. das Rechtsbeschwerdeverfahren für erledigt erklärt und beantragt, die Erledigung festzustellen.

Aus den Entscheidungsgründen:

(Randnummern der IPRspr-Redaktion)

[1]II. Der Antrag, die Erledigung des Rechtsbeschwerdeverfahrens festzustellen, ist unbegründet, weil die Rechtsbeschwerde von Anfang an unbegründet war.

[2]1. Die Rechtsbeschwf. hat allerdings in zulässiger Weise das Rechtsbeschwerdeverfahren für erledigt erklärt.

[3]a) ... b) Die Erledigung kann vom Beschwerdeführer im Rechtsbeschwerdeverfahren einseitig erklärt werden, wenn das erledigende Ereignis als solches außer Streit steht (vgl. BGH, Beschl. vom 5.7.2005 – VII ZB 10/05, WM 2005, 1991 m.w.N.). Das ist hier der Fall. Nach Zustellung der Klage an den Prozessbevollmächtigten der Bekl. besteht kein Bedürfnis für eine öffentliche Zustellung mehr, sodass das Interesse der Kl. an der Durchführung des Rechtsbeschwerdeverfahrens entfallen ist. Dass die Zustellung auf Betreiben der Kl. erfolgt ist, berührt entgegen der Auffassung der Bekl. die Wirksamkeit der Zustellung nicht.

[4]2. Die gemäß § 574 I 1 Nr. 2 ZPO statthafte und nach § 575 ZPO zulässige Rechtsbeschwerde war jedoch von Anfang an nicht begründet.

[5]a) Das BeschwG hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt:

[6]Die Voraussetzungen, unter denen die öffentliche Zustellung einer Klage nach § 185 ZPO bewilligt werden könne, seien nicht gegeben. Eine öffentliche Zustellung der Klage komme in Fällen, in denen die ladungsfähige Anschrift des Beklagten im Ausland bekannt sei, nur dann in Betracht, wenn eine Zustellung im Ausland nicht möglich sei oder keinen Erfolg verspreche. Beides sei hier nicht der Fall. Es sei zwar anzunehmen, dass die öffentliche Zustellung (richtig: die Zustellung im Wege der Rechtshilfe) einer Klage auch dann keinen Erfolg verspreche, wenn erfahrungsgemäß eine so außergewöhnlich langsame Erledigung der Zustellung auf dem Rechtshilfeweg zu erwarten sei, dass der betreffenden Partei ein Zuwarten billigerweise nicht zugemutet werden könne. Davon könne hier jedoch nicht ausgegangen werden.

[7]Der Antrag auf öffentliche Zustellung könne auch nicht darauf gestützt werden, dass bei Rechtshilfeersuchen an die Russische Föderation generell mit einer unzumutbar langen Bearbeitungsdauer zu rechnen sei. Darüber, ob es im vorliegenden Fall zu Verzögerungen kommen werde, ließen sich derzeit nur Vermutungen anstellen, denn ein Rechtshilfeersuchen sei den russischen Behörden noch nicht einmal übersandt worden. Für die Bewilligung der öffentlichen Zustellung müssten konkrete Anhaltspunkte bestehen, dass das Rechtshilfeersuchen undurchführbar sei oder erfolglos bleibe.

[8]Nichts anderes gelte mit Rücksicht darauf, dass die Kl. die Erhebung der Einrede der Verjährung durch die Bekl. befürchte. Soweit sich der geltend gemachte Anspruch nach deutschem materiellem Recht richte, habe die Kl. nicht zu befürchten, dass die Rückwirkungsfiktion des § 167 ZPO nicht zu ihren Gunsten greifen werde, sodass schon die Einreichung der Klage zu einer Unterbrechung der Verjährung führe. Soweit die Kl. vertragliche Erfüllungsansprüche geltend mache, die nach russischem Recht zu beurteilen seien, sei ebenfalls nicht ersichtlich, dass die Verjährung der Ansprüche drohe. Nach dem insoweit anzuwendenden russischen Recht sei für die Unterbrechungswirkung der Klageerhebung von vornherein auf den Zeitpunkt der Klageeinreichung abzustellen.

[9]b) Die dagegen gerichteten Angriffe der Rechtsbeschwerde hätten keine andere Entscheidung gerechtfertigt.

[10]Nach § 185 Nr. 3 ZPO kann eine Zustellung durch öffentliche Bekanntmachung erfolgen, wenn sie im Ausland nicht möglich ist oder keinen Erfolg verspricht. Das ist allerdings nicht erst dann der Fall, wenn feststeht, dass eine Zustellung im Wege der Rechtshilfe endgültig nicht erfolgen wird. Der Zweck dieser Vorschrift liegt darin, den Anspruch auf Justizgewährung für die Partei zu sichern, wenn auf anderem Wege eine Zustellung nicht durchführbar ist (Stein-Jonas-Roth, ZPO, 22. Aufl., § 185 Rz. 1; Zöller-Stöber, ZPO, 27. Aufl., § 185 Rz. 1). Das Gebot, einen wirkungsvollen Rechtsschutz zu gewähren, erfordert, dass dieser in angemessener Zeit zu erlangen ist (vgl. BGH, Urt. vom 26.1.1989 – X ZR 23/87, NJW 1989, 1477 [I. 4]). Keinen Erfolg verspricht die Zustellung daher schon dann, wenn die Durchführung einen derart langen Zeitraum in Anspruch nehmen würde, dass ein Zuwarten der betreibenden Partei billigerweise nicht zugemutet werden kann. Allerdings ist andererseits zu beachten, dass eine Bewilligung der öffentlichen Zustellung den Anspruch auf rechtliches Gehör des Prozessgegners aus Art. 103 I GG gefährdet. Für die Entscheidung der Frage, ob die Dauer einer Zustellung im Wege der Rechtshilfe nicht mehr zumutbar ist, bedarf es daher einer Abwägung der beiderseitigen Interessen, wobei es auf die Umstände des Einzelfalls ankommt (vgl. OLG Köln, MDR 2008, 1061; OLG Düsseldorf, OLGR 2004, 456 f.; OLG Hamburg, NJWE-WettbR 1997, 284; MünchKommZPO-Häublein, 2. Aufl., § 185 Rz. 9; Musielak-Wolst, ZPO, 6. Aufl., § 185 Rz. 6; Wieczorek-Schütze-Rohe, ZPO, 3. Aufl., § 185 Rz. 2, 28 ff.; Fischer, ZZP 107 (1994), 163, 171; Geimer, NJW 1989, 2204). Diese Interessenabwägung fällt in den Bereich der tatrichterlichen Würdigung, die vom Rechtsbeschwerdegericht nur auf Rechtsfehler geprüft werden kann. Das BeschwG hat bei seiner Entscheidungsfindung alle wesentlichen Umstände rechtsfehlerfrei berücksichtigt und gewürdigt.

[11]aa) Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde ist der Anspruch der Kl. auf Justizgewährung nicht schon deshalb verletzt, weil die Zustellung möglicherweise einen Zeitraum von sechs bis neun Monaten erfordert. In Rspr. u. Lit. wird allerdings z.T. in Anlehnung an Art. 15 II HZÜ eine Dauer von sechs Monaten generell als Grenze angesehen (OLG Köln, NJW-RR 1998, 1683, 1684 (IPRspr. 1997 Nr. 175); Geimer aaO 2204 f.; Stein-Jonas-Roth aaO Rz. 10; HK-ZPO/Eichele, 2. Aufl., § 185 Rz. 6). Dieser Auffassung ist nicht zu folgen. Da eine Bewilligung der öffentlichen Zustellung den Anspruch des Prozessgegners auf rechtliches Gehör nach Art. 103 I GG gefährdet, sind insoweit strenge Anforderungen zu stellen. Sie ist nur dann zu rechtfertigen, wenn eine andere Art der Zustellung aus sachlichen Gründen nicht oder nur schwer durchführbar ist (BVerfG, NJW 1988, 2361; BGH, Urt. vom 6.4.1992 – II ZR 242/91, NJW 1992, 2280 [II. 1]). Insoweit ist zu beachten, dass eine Dauer von bis zu einem Jahr für eine Zustellung im Ausland nicht ungewöhnlich ist (vgl. dazu Rahm-Künkel-Breuer, Handbuch des Familiengerichtsverfahrens [Stand: November 2008] Bd. 4, VIII Rz. 42). Ein Zeitraum von sechs bis neun Monaten überschreitet danach nicht den Zeitrahmen für Rechtshilfeverfahren, wie er auch sonst im internationalen Rechtsverkehr üblich ist. Dies steht der Annahme entgegen, es handele sich um einen Zeitraum, bei dem ein Zuwarten der betreibenden Partei billigerweise nicht zugemutet werden könne (ebenso Linke, Internationales Zivilprozessrecht, 4. Aufl., Rz. 231; Pfennig, Die internationale Zustellung in Zivil- und Handelssachen, 1988, 122; Fischer aaO; Mansel, IPRax 1987, 210, 212).

[12]bb) Die Bewilligung der öffentlichen Zustellung war auch nicht deswegen geboten, weil – wie die Rechtsbeschwerde geltend macht – sich die Zustellungsdauer in Russland nach den von der Kl. eingeholten Auskünften auf zwei Jahre belaufen könne. Dieser Umstand könnte die öffentliche Zustellung nur dann rechtfertigen, wenn mit Sicherheit zu erwarten wäre, dass eine Zustellung einen derart langen Zeitraum in Anspruch nehmen werde. Denn die Bewilligung der öffentlichen Zustellung setzt voraus, dass konkrete Feststellungen getroffen werden können, aus denen sich ergibt, dass eine Zustellung in anderer Weise keinen Erfolg verspricht. Solche Feststellungen lassen sich aber nach dem eigenen Vorbringen der Kl. nicht treffen, weil es danach auch möglich ist, dass die Zustellung der Klage im Wege der Rechtshilfe innerhalb von (nur) sechs bis neun Monaten erfolgt.

[13]cc) Die Rechtsbeschwerde meint, der Kl. habe wegen drohender Verjährung ein längeres Zuwarten nicht zugemutet werden können. Die vom BeschwG geäußerte Auffassung, eine Verjährung sei nicht zu befürchten, weil nach Art. 194 II, 203 II russ. ZGB vom 26.11.2001 (Teil III; SZ Nr. 49 Pos. 4552) für die Unterbrechung der Verjährung auf den Zeitpunkt des Eingangs der Klage bei Gericht abzustellen sei, entfalte für das Hauptsacheverfahren keine Bindungswirkung. Es sei nicht auszuschließen, dass aufgrund neuer Erkenntnisse die Gerichte in den Tatsacheninstanzen den Eintritt der Verjährungsunterbrechung nach russischem Recht abweichend beurteilten, weil die Auswirkungen von Rechtshandlungen im Ausland in der russischen Rechtspraxis nicht geklärt seien. Dieses Risiko müsse die Kl., soweit es um die Anwendbarkeit des § 185 ZPO gehe, nicht hinnehmen, weswegen eine öffentliche Zustellung geboten sei. Damit dringt die Rechtsbeschwerde nicht durch.

[14]Bei der Frage, ob eine öffentliche Zustellung bewilligt werden kann, ist zwar auch zu berücksichtigen, ob Umstände vorliegen, die bei einer Durchführung des zeitaufwändigen Rechtshilfeverfahrens zu einer Vereitelung des Rechts der betreibenden Partei führen können. Es widerspräche in einem solchen Fall dem Gebot des wirkungsvollen Rechtsschutzes, die betreibende Partei auf das Rechtshilfeverfahren zu verweisen (vgl. OLG Düsseldorf aaO; OLG Hamm, MDR 1988, 589; OLG Hamburg, MDR 1970, 426; MünchKommZPO-Häublein aaO; vgl. auch Musielak-Wolst aaO; Wieczorek-Schütze-Rohe aaO Rz. 33). So liegt es hier aber nicht. Die Risiken, die sich daraus ergeben, dass die Unterbrechung der Verjährung nach russischem Recht zu beurteilen ist, hat das BeschwG in Betracht gezogen, indem es die Rechtslage nach dem anzuwendenden russischen Recht ermittelt hat. Da die Rechtsbeschwerde nicht die fehlerhafte Ermittlung ausländischen Rechts gemäß § 293 ZPO gerügt hat, ist der Senat an die Beurteilung des BeschwG gebunden (§ 577 II 3 ZPO). Danach ist zugrunde zu legen, dass die Unterbrechung der Verjährung nicht davon abhängt, dass die Klage der Bekl. zugestellt wird. Das abstrakte Prozessrisiko, dass die Tatsacheninstanzen bei Fortgang des Verfahrens die Frage der Unterbrechung der Verjährung durch Erhebung der Klage nach russischem Recht anders beurteilen, als dies bisher geschehen ist, stellt keinen ausreichenden Grund für eine öffentliche Zustellung dar.

Fundstellen

LS und Gründe

FamRZ, 2009, 684
IHR, 2009, 218
NJW-RR, 2009, 855
RIW, 2009, 489
Rpfleger, 2009, 323
IPRax, 2010, 247

nur Leitsatz

LMK, 2009, 280234, mit Anm. Geimer
MDR, 2009, 462

Aufsatz

Geimer, IPRax, 2010, 224 A

Permalink

https://iprspr.mpipriv.de/2009-211

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