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Verfahrensgang

LAG Hessen, Urt. vom 01.09.2008 – 16 Sa 1296/07, IPRspr 2008-48

Rechtsgebiete

Arbeitsrecht → Arbeitsrecht gesamt bis 2019

Leitsatz

Unter eine „vorübergehende“ Entsendung im Sinne des Art. 30 II Nr. 1 EGBGB fällt jeder erlaubte Arbeitseinsatz in einem anderen Staat als dem, in dem der Arbeitnehmer in Erfüllung seines Vertrags gewöhnlich seine Arbeit verrichtet.

Mangels der Festlegung einer zeitlichen Grenze ist eine „vorübergehende“ Entsendung im Sinne des Art. 30 II Nr. 1 EGBGB jede nicht „endgültige“ Entsendung. Eine „endgültige“ Entsendung liegt dann vor, wenn sich der Schwerpunkt des Arbeitsverhältnisses so verschoben hat, dass der Einsatz des Arbeitnehmers in einem anderen als dem bisherigen Staat endgültige, abschließende und damit gerichtsverlagernde Züge angenommen hat.

Damit Art. 30 II Halbsatz 2 EGBGB zum Tragen kommen kann, muss eine Mehrzahl von Einzelumständen vorliegen, die auf eine bestimmte Rechtsordnung hinweisen. Die Verbindung zu dem anderen Staat muss stärker sein als die durch die Regelanknüpfung zu dem Recht des Arbeitsorts oder der einstellenden Niederlassung hergestellte Beziehung. Dies beurteilt sich in erster Linie nach der Staatsangehörigkeit der Vertragsparteien, dem Sitz des Arbeitgebers und dem Wohnort des Arbeitnehmers. Ergänzend sind die Vertragssprache und die Währung, in der die Vergütung bezahlt wird, zu berücksichtigen.

Die Anwendung türkischen Rechts führt nicht dadurch zu einem Verstoß gegen Art. 6 EGBGB, dass der Kündigungsschutz, anders als nach deutschem Recht, nicht vorrangig als Bestandschutz ausgestaltet ist, sondern sich der Arbeitgeber durch Zahlung einer Entschädigung vom Arbeitnehmer in jedem Falle lösen kann.

Rechtsnormen

4857/2003 ArbeitsG (Türkei) Art. 21; 4857/2003 ArbeitsG (Türkei) Art. 22
ArbGG § 64; ArbGG § 67; ArbGG § 69
BGB § 615
EGBGB Art. 4; EGBGB Art. 6; EGBGB Art. 27; EGBGB Art. 30; EGBGB Art. 34
KSchG § 1; KSchG §§ 1 ff.; KSchG § 4; KSchG §§ 9 f.; KSchG § 14
ZPO § 8; ZPO § 256; ZPO § 263; ZPO § 293; ZPO § 511; ZPO § 533; ZPO § 726

Sachverhalt

[Die Revision schwebt beim BAG unter dem Az. 2 AZR 963/08.]


Die Parteien streiten um die Beendigung des Arbeitsverhältnisses sowie um damit in Zusammenhang stehende Zahlungsansprüche des Kl.

Der Kl., der damals türkischer Staatsangehöriger war und seinen Wohnsitz in der Türkei hatte, war seit 1990 aufgrund schriftlicher Verpflichtungserklärung bei der Bekl., einer türkischen Geschäftsbank mit Sitz in der Türkei, zunächst in einer türkischen Filiale der Bekl. beschäftigt. 1995 wurde der Kl. von der Bekl. in deren niederländische Filiale nach Rotterdam entsandt. Dort wurde der Kl. in NGL vergütet. 2001 nahm der Kl. die niederländische Staatsangehörigkeit an, eine ausdrückliche Mitteilung hiervon an die Bekl. erfolgte nicht. 2002 wurde der Kl. in die unselbständige Niederlassung der Bekl. in Frankfurt a.M. versetzt. 2002 bestätigte die Bekl. dem Kl., dass er weiter dem türkischen Arbeitsrecht sowie den Personalanweisungen und Personalrichtlinien der Bekl. unterliege. Dieses in türkischer Sprache abgefasste Schreiben unterzeichnete der Kl. mit „zur Kenntnis genommen“.

Die Bekl. kündigte 2005 das Arbeitsverhältnis zum Kl.

Mit seiner Klage wendet sich der Kl. gegen die Kündigung der Bekl. und macht Annahmeverzugsansprüche geltend. Das ArbG hat u.a. die Unwirksamkeit der Kündigung festgestellt und auf den Auflösungsantrag der Bekl. das Arbeitsverhältnis für beendet erklärt. Gegen das Urteil haben der Kl. Berufung und die Bekl. Anschlussberufung eingelegt.

Aus den Entscheidungsgründen:

(Randnummern der IPRspr-Redaktion)

[1]Die gemäß §§ 8 II, 511 ZPO an sich statthafte Berufung, die, soweit es den Feststellungsantrag betrifft, nach § 64 II lit. c ArbGG unabhängig vom Beschwerdegegenstand, im Übrigen im Hinblick auf die Höhe des Beschwerdegegenstands (§ 64 II lit. b ArbGG) bedenkenfrei ist, erweist sich nur teilweise als zulässig ...

[2]In der Sache hat die Berufung, soweit zulässig, keinen Erfolg, während die Anschlussberufung teilweise zur Abänderung des erstinstanzlichen Urteils führt.

[3]Im Einzelnen gilt Folgendes:

[4]Die Klage ist zulässig.

[5]Die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte ist gegeben. Das hat das ArbG zutreffend ausgeführt, hierauf wird Bezug genommen (§ 69 II ArbGG).

[6]Die Hauptanträge des Kl. sind zulässig. Neben den ohne weiteres als Leistungsanträgen zulässigen Anträgen des Kl. auf Weiterbeschäftigung und Zahlung gilt dies auch für seinen Feststellungsantrag. Die Feststellungsklage des Kl. ist nach § 4 Satz 1 KSchG statthaft und erforderlich, die gesetzliche Dreiwochenfrist für die Geltendmachung der Unwirksamkeit der Kündigung wurde vom Kl. gewahrt.

[7]Der hauptsächliche Feststellungsantrag des Kl. muss erfolglos bleiben, weil das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die Kündigung der Bekl. vom 27.4. 2005 beendet worden ist.

[8]Auf die Vorschriften des KSchG kann der Kl. sein Feststellungsbegehren nicht stützen, weil dieses für das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien keine Anwendung findet. Vielmehr gilt zwischen den Parteien türkisches Recht. Nach türkischem Recht kann der Kl. die begehrte Feststellung nicht verlangen.

[9]Nach Art. 27 I EGBGB unterliegt der Vertrag dem von den Parteien gewählten Recht. Das ist hier türkisches Recht.

[10]Insoweit kann es dahinstehen, ob die Parteien im Vertrag vom 7.7.1990 ausdrücklich die Geltung türkischen Rechts vereinbart haben und ob sich eine solche etwaige ausdrückliche Vereinbarung nur auf das damals begründete Praktikantenverhältnis bezogen hat. Eine Rechtswahl nach Art. 27 EGBGB kann nämlich auch konkludent erfolgen. Das ist hier geschehen. Weil beide Parteien auch nach Beendigung des Praktikantenverhältnisses und Fortsetzung der Vertragsbeziehungen türkische Staatsangehörige waren und das sich an die Praktikantenzeit anschließende Arbeitsverhältnis in der Türkei vollzogen wurde, bauten die gesamten vertraglichen Abreden nach dem Willen der Vertragsparteien auf der türkischen Rechtsordnung auf und wären sonst nicht verständlich gewesen. Dafür, dass die Parteien die vertraglichen Beziehungen insoweit einverständlich modifiziert hätten, spricht nichts. Im Gegenteil hat die Bekl. mit dem Schreiben vom 9.10.2002 dies ausdrücklich nochmals bestätigt, ohne dass der Kl. dem entgegengetreten wäre.

[11]Diese Rechtswahl ist mit Art. 30 I EGBGB vereinbar. Danach darf bei Arbeitsverträgen die Rechtswahl der Parteien nicht dazu führen, dass dem Arbeitnehmer der Schutz entzogen wird, der ihm durch die zwingenden Bestimmungen des Rechts gewährt wird, das nach Art. 30 II EGBGB mangels einer Rechtswahl anzuwenden wäre. Das türkische Recht wäre nach dieser Vorschrift auch dann das maßgebliche Recht, wenn die Parteien es nicht vereinbart hätten.

[12]Gemäß Art. 30 II Nr. 1 EGBGB unterliegt ein Arbeitsverhältnis dem Recht des Staats, in dem der Arbeitnehmer in Erfüllung des Arbeitsvertrags gewöhnlich seine Arbeit verrichtet, selbst wenn er vorübergehend in einen anderen Staat entsandt ist. Dabei wird der Arbeitsort regelmäßig durch den gewöhnlichen Einsatz- und Tätigkeitsort bestimmt.

[13]Nach dieser Regelanknüpfung verweist bereits das objektive Arbeitsvertragsstatut auf deutsches Recht. Zwar kommt es zur Bestimmung des gewöhnlichen Arbeitsorts grundsätzlich auf den gewöhnlichen Arbeitsort zum Zeitpunkt der Entscheidung an, sodass mit dem gewöhnlichen Arbeitsort auch das anzuwendende Arbeitsrecht wechseln kann. Etwas anderes gilt jedoch nach Art. 30 II Nr. 1 EGBGB, wenn der Arbeitnehmer vorübergehend in einen anderen Staat entsandt wird. In diesem Fall kann der gewöhnliche Arbeitsort weiter in dem Staat liegen, von dem aus der Arbeitnehmer entsandt worden ist.

[14]Hier muss von einer vorübergehenden Entsendung des Kl. von der Türkei nach Deutschland ausgegangen werden.

[15]Art. 30 II Nr. 1 EGBGB verlangt eine ‚vorübergehende’ Entsendung. Begrifflich verlangt dies zunächst, dass der Kl. eine Vorbeschäftigung in der Türkei aufweist. Das ist der Fall, weil der Kl. ab Beginn seines Arbeitsverhältnisses zunächst für rund fünf Jahre in der Türkei tätig war. Welche rechtliche Qualität die vorübergehende Entsendung an sich besitzen muss, sagt das Gesetz nicht. Deshalb fällt hierunter jeder erlaubte Arbeitseinsatz, ohne dass es darauf ankommt, ob dieser aufgrund Vertrags oder erlaubter einseitiger Gestaltung erfolgt (vgl. Richardi-Wlotzke-Birk, Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht, 2. Aufl., Bd. 1, § 20 Rz. 36). Soweit das Gesetz weiter fordert, dass es sich um eine ‚vorübergehende’ Entsendung handeln muss, kann dies, mangels Festlegung einer zeitlichen Höchstgrenze nur so verstanden werden, dass es sich nicht um eine ‚endgültige’ Entsendung handeln darf. Wie die ‚vorübergehende’ Entsendung von der ‚endgültigen’ Entsendung abzugrenzen ist, muss sich dabei, mangels exakter zeitlicher Anhaltspunkte, am Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung orientieren. Sinn des Art. 30 II Nr. 1 EGBGB ist die Zuordnung der vertraglichen Beziehungen zum gewöhnlichen Arbeitsort, weil dort der Schwerpunkt des Arbeitsverhältnisses liegt. Ob sich dieser Schwerpunkt verschoben hat, muss daher davon abhängig [sein], inwieweit der Einsatz des Arbeitnehmers in einem anderen als dem bisherigen Staat endgültige, abschließende und damit gerichtsverlagernde Züge angenommen hat (vgl. Richardi-Wlotzke-Birk aaO Rz. 37).

[16]Daraus folgt hier:

[17]Zwischen den Parteien herrschte ursprünglich Einvernehmen darüber, dass der Kl. in Deutschland nicht auf Dauer eingesetzt werden sollte. Das zeigt das vom Kl. gegengezeichnete Schreiben vom 9.10.2002, in dem auf die Personalbestimmungen der Bekl. und die danach gegebene Möglichkeit der Bekl., den Kl. zu versetzen oder zu entsenden, Bezug genommen wird. Damit musste, unabhängig davon, ob eine einseitige Versetzung des Kl. rechtlich möglich war, auch der Kl. erkennen, dass Deutschland nicht sein Einsatzgebiet auf Dauer sein sollte. Bestätigt wird dieser übereinstimmende Wille der Parteien indiziell durch den Umstand, dass der Kl. vor der Arbeitsaufnahme in Deutschland temporär in den Niederlanden eingesetzt war und von dort schlicht nach Deutschland wechselte. Das spricht, angesichts des Umstands, dass es sich bei der Bekl. um eine international tätige Bank handelt, zusätzlich dafür, dass beide Parteien ganz selbstverständlich davon ausgegangen sind, dass ein Wechsel des Tätigkeitsorts in einen anderen Staat den in der Türkei liegenden Schwerpunkt des Arbeitsverhältnisses und damit den dort liegenden gewöhnlichen Arbeitsort nicht verändern sollte, vielmehr eine Rückkehr des Kl. in die Türkei jederzeit möglich sein sollte. Dass in der Tat der Kl. auch selbst diesen Rückkehrwillen ursprünglich besessen hat, zeigt sein Vortrag, er habe diesen mittlerweile verloren. Verlieren kann man nur etwas, was man einmal besessen hat. Da sich der Verlust des Rückkehrwillens weder während seiner Tätigkeit in den Niederlanden noch bis zum Gespräch im Februar 2005 gegenüber der Bekl. manifestierte, konnte und durfte daher die Bekl. ihrerseits annehmen, dass zwischen den Parteien, entsprechend der bisherigen praktischen Durchführung des Arbeitsverhältnisses, weiter Einigkeit darüber herrschte, dass der Kl. nicht endgültig in Deutschland bleiben sollte. Die Dauer der Tätigkeit des Kl. in Deutschland bis zu dem von der Bekl. beabsichtigten Rückruf in die Türkei ist mit nicht einmal drei Jahren nicht so lang, das sich allein aufgrund des Zeitfaktors eine vorübergehenden Entsendung zu einer endgültigen verfestigt hätte. Ob für den Kl. schließlich in Deutschland Sozialversicherungsbeiträge abzuführen sind oder nicht, ist schon deshalb ohne Bedeutung, weil Art. 30 EGBGB nicht auf sozialversicherungsrechtliche Bestimmungen verweist. Dann besteht auch keine Notwendigkeit eines Gleichlaufs von Sozialversicherungsrecht und internationalem Arbeitsrecht.

[18]Jedenfalls greift, selbst wenn man eine vorübergehende Entsendung des Kl. von der Türkei aus verneinen wollte, die objektive Regelanknüpfung wegen Art. 30 II Halbs. 2 EGBGB nicht.

[19]Nach dieser Vorschrift gilt die nach Art. 30 II Nrn. 1 und 2 EGBGB getroffene Zuordnung des Arbeitsverhältnisses nicht, wenn sich aus der Gesamtheit der Umstände ergibt, dass der Arbeitsvertrag engere Verbindungen zu einem anderen Staat aufweist. In diesem Fall ist das Recht dieses anderen Staats anzuwenden. Diese sog. Ausweichklausel ist hier einschlägig.

[20]Damit Art. 30 II Halbs. 2 EGBGB zum Tragen kommen kann, muss eine Mehrzahl von Einzelumständen vorliegen, die auf eine bestimmte Rechtsordnung hinweisen. Die Verbindung zu dem anderen Staat muss stärker sein als die durch die Regelanknüpfung zu dem Recht des Arbeitsorts oder der einstellenden Niederlassung hergestellte Beziehung. Dies beurteilt sich in erster Linie nach der Staatsangehörigkeit der Vertragsparteien, dem Sitz des Arbeitgebers und dem Wohnort des Arbeitnehmers. Ergänzend sind die Vertragssprache und die Währung, in der die Vergütung bezahlt wird, zu berücksichtigen (vgl. BAG, Urt. vom 12.12.2001, NZA 2002, 735 (IPRspr. 2001 Nr. 52); BAG, Urt. vom 29.10.1992, NZA 1993, 743 (IPRspr. 1992 Nr. 69b)).

[21]Für eine engere Beziehung der Arbeitsverhältnisse zur Türkei als zur Bundesrepublik Deutschland spricht zunächst, dass die Bekl. ein türkisches Unternehmen mit Hauptsitz in der Türkei ist und der Kl. zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses türkischer Staatsangehöriger mit Wohnort in der Türkei war. Ferner war die Vertragssprache während des gesamten Arbeitsverhältnisses Türkisch. Schließlich ist bei der Antwort auf die Frage, ob die Ausweichklausel eingreift, auch der gesamte Verlauf des Arbeitsverhältnisses zu berücksichtigen (vgl. Staudinger-Magnus, BGB, 13. Bearb., Art. 30 EGBGB Rz. 177). Dieser ist dadurch gekennzeichnet, dass der Kl. während seines im Zeitpunkt der Kündigung knapp 15-jährigen Arbeitsverhältnisses zur Bekl. lediglich knapp drei Jahre in Deutschland und damit eine deutlich geringere Zeit als in der Türkei arbeitete. Soweit der Kl. insoweit darauf verweist, er habe die längste Zeit seines Arbeitsverhältnisses in den Niederlanden zugebracht, ändert das nichts. Für die Ausweichklausel des Art. 30 II Halbs. 2 EGBGB kommt es, soweit – wie hier – ausländisches (türkisches) Recht vereinbart ist, nur darauf an, ob die Zuordnung nach der Regelanknüpfung wegen der engeren Verbindung zu dem Staat, dessen Rechtsordnung vereinbart ist, zurücktreten muss. Ein Statutenwechsel zum niederländischen Recht über Art. 30 EGBGB kommt daher schon deshalb nicht in Betracht, weil der Kl. im Zeitpunkt der Kündigung weder in den Niederlanden tätig war noch Anhaltspunkte für eine Entsendung des Kl. aus den Niederlanden nach Deutschland ersichtlich sind. Damit fehlt es an objektiven Anknüpfungspunkten zu den Niederlanden. Entsprechend kann die Tätigkeit des Kl. für die Bekl. in den Niederlanden im Hinblick auf die Ausgleichsklausel auch nicht in die Betrachtung einbezogen werden.

[22]Demgegenüber wiegen die Umstände, dass der Kl. seine türkische Staatsangehörigkeit aufgegeben hat, er seinen letzten Wohnsitz in Deutschland hat und das Entgelt in Deutschland in Euro gezahlt wurde, wenig schwer. Die Vergütung in Euro war ebenso wie die Wohnsitznahme in Deutschland letztlich notwendige Folge einer Auslandstätigkeit des Kl. Darum kommt es auch nicht darauf an, ob dem Kl. eine Fremdsprachenzulage in türkischen Lira gezahlt wurde oder nicht. Der Wechsel der Staatsangehörigkeit spielt keine Rolle, weil es sich um eine rein persönliche Entscheidung des Kl. während des Arbeitsverhältnisses handelte und sich allein hierdurch die im Übrigen gegebene Nähe zum türkischen Recht nicht verflüchtigen konnte. Die Einzelumstände, die auf die türkische Rechtsordnung verweisen, verdrängen damit, selbst wenn man annimmt, durch die Regelanknüpfung des Art. 30 II Nr. 1 EGBGB werde eine Beziehung zur deutschen Rechtsordnung hergestellt, letztere.

[23]Deutsches Arbeitsrecht findet auf das Rechtsverhältnis zwischen den Parteien auch nicht nach Art. 34 EGBGB Anwendung. Denn bei den Regelungen des Kündigungsschutzes nach §§ 1 bis 14 KSchG handelt es sich nicht um zwingende internationale Vorschriften, weil insoweit nur ein Ausgleich der Individualinteressen zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber bezweckt wird (vgl. KR – Gemeinschaftskommentar zum Kündigungsschutzgesetz und zu sonstigen kündigungsschutzrechtlichen Vorschriften [Weigand], 7. Aufl., IPR Rz. 34 m.w.N.).

[24]Das danach für das Arbeitsverhältnis geltende türkische Recht verweist auch seinerseits nicht wieder auf das deutsche Recht, sodass dieses gleichwohl anzuwenden wäre (Art. 4 I 2 EGBGB).

[25]Das ArbG hat das insoweit maßgebliche türkische Recht ermittelt, weiterer Ermittlungen nach § 293 ZPO bedarf es nicht. Seine Ausführungen, wonach türkisches Recht nicht auf deutsches Recht zurückverweist, macht sich die Berufungskammer, zur Vermeidung bloßer Wiederholungen zu eigen und verweist auf dieselben (§ 69 II ArbGG), zumal auch die Parteien im Berufungsrechtszug insoweit keine Bedenken geäußert haben.

[26]Die Anwendung türkischen Rechts führt im vorliegenden Fall auch nicht zu einem Verstoß gegen Art. 6 EGBGB (ordre public). Ein solcher Verstoß liegt nur dann vor, wenn die Anwendung ausländischen Rechts zu schlichtweg unerträglichen Ergebnissen führte (vgl. BAG, Urt. vom 10.4.1974, AP Nr. 12 zu Internat. Privatrecht (IPRspr. 1974 Nr. 30b)). Davon kann hier keine Rede sein. Das türkische Recht gewährt, wie noch auszuführen sein wird, ebenfalls einen Schutz gegen ordentliche Kündigungen, indem es für diese einen rechtfertigenden Grund verlangt. Dass der Kündigungsschutz, anders als nach deutschem Recht, nicht vorrangig als Bestandschutz ausgestaltet ist, sondern sich der Arbeitgeber durch Zahlung einer Entschädigung vom Arbeitnehmer in jedem Falle lösen kann, vermag keine entscheidende Rolle zu spielen. Auch Kündigungsschutz in der Form, dass die erzwungene Aufgabe des Arbeitsverhältnisses durch Geldzahlung ausgeglichen wird, ist Kündigungsschutz. Das belegen die entsprechenden deutschen Regelungen (§§ 9, 10, 14 KSchG).

[27]Weil danach deutsches Recht auf das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht anzuwenden ist, kann die Kündigung der Bekl. vom 27.4.2005 auch nicht nach § 1 KSchG unwirksam sein.

[28]Der Feststellungsantrag des Kl. hat auch keinen Erfolg, wenn man das für das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien danach anzuwendende türkische Arbeitsrecht zugrunde legt.

[29]Den Inhalt des maßgeblichen türkischen Rechts hat das ArbG ermittelt, weiterer Ermittlungen bedarf es nicht.

[30]Wie das ArbG unter Auswertung der eingeholten Sachverständigengutachten im Einzelnen ausgeführt hat, führt eine nach türkischem Recht unwirksame Kündigung nicht dazu, dass das Arbeitsverhältnis fortbesteht, sondern lediglich dazu, dass das Arbeitsverhältnis vier Monate nach Zugang der Kündigung, und damit hier am 27.8.2007 um 24 Uhr, endete und der Arbeitgeber unter bestimmten Voraussetzungen zur Wiedereinstellung des Arbeitnehmers verpflichtet ist. (Art. 21 I türk. Arbeitsgesetz vom 22.5.2003). Das schließt eine gerichtliche Entscheidung, dass das Arbeitverhältnis durch die streitbefangene Kündigung nicht beendet worden ist, aus, sodass der hauptsächliche Feststellungsantrag des Kl. unbegründet ist.

[31]Ebenfall nicht begründet sind der Weiterbeschäftigungsantrag des Kl. und der auf § 615 BGB gestützte Antrag auf Zahlung von Annahmeverzugslohn. Einen Weiterbeschäftigungsanspruch kann es nach türkischem Recht aufgrund der mit der Kündigung auf jeden Fall eintretenden Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht geben; § 615 BGB findet mangels Geltung deutschen Rechts keine Anwendung. Vergütungsansprüche für die Zeit der Kündigungsfrist hat die Bekl. im Übrigen durch Zahlung der Ankündigungsentschädigung, nämlich des innerhalb der Kündigungsfrist geschuldeten Arbeitsentgelts, erfüllt.

[32]Die Hilfsanträge des Kl. haben nur teilweise Erfolg.

[33]Den Ausspruch der Unwirksamkeit der Kündigung kann der Kl. schon deshalb nicht verlangen, weil insoweit das nach § 256 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse fehlt.

[34]Unbeschadet des Umstands, dass auf das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien türkisches Arbeitsrecht anzuwenden ist, bestimmt sich im vorliegenden Fall das maßgebliche Prozessrecht nach deutschem Recht. Denn deutsche Gerichte haben nach der lex fori zu verfahren (vgl. Zöller-Geimer, ZPO, 26. Aufl., IZPR Rz. 1). Das gilt auch für die Zulässigkeit einer Feststellungsklage. Deren Zulässigkeit bestimmt sich nach § 256 ZPO (vgl. Zöller-Geimer aaO Rz. 10) ...

[35]Im Übrigen hat der auf Feststellung gerichtete Antrag des Kl., ihn unter den im Antrag bezeichneten Bedingungen wieder einzustellen, Erfolg. Denn die Kündigung der Bekl. ist nach türkischem Recht unwirksam.

[36]Dass insoweit von der Bekl. keine außerordentliche Kündigung, sondern eine ordentliche Kündigung ausgesprochen worden ist, hat das ArbG unter Auswertung der Sachverständigenbekundungen festgestellt. Auch wenn das Arbeitsverhältnis mit Ausspruch der Kündigung faktisch beendet und die Gehaltszahlung eingestellt wird, handelt es sich um eine ordentliche Kündigung, wenn der Arbeitgeber – wie hier die Bekl. – das für die Dauer der Kündigungsfrist zu zahlende Entgelt kapitalisiert und als Ankündigungsentschädigung an den Arbeitnehmer auszahlt.

[37]Ebenso zutreffend hat das ArbG ausgeführt, dass die ordentliche Kündigung der Bekl. mangels Kündigungsgrund unwirksam ist.

[38]Die insoweit maßgeblichen rechtlichen Bestimmungen hat das ArbG unter Auswertung der Sachverständigengutachten herangezogen und gewürdigt. Dem folgt die Berufungskammer. Danach scheitert eine verhaltens- oder leistungsbedingte Kündigung bereits daran, dass der Arbeitgeber nach türkischem Recht verpflichtet ist, den Arbeitnehmer zuvor anzuhören, und die fehlende Anhörung zur Unwirksamkeit der Kündigung führt. Das wird von den Parteien im Berufungsrechtszug auch nicht in Zweifel gezogen. Angehört worden ist der Kl. vor Ausspruch der Kündigung nicht. Derartiges hat die Bekl. auch nie behauptet.

[39]Die Kündigung der Bekl. ist auch nicht betriebsbedingt nach türkischem Recht gerechtfertigt.

[40]Nach der Bekundung der Sachverständigen kann die Weigerung eines Arbeitnehmers, einer Versetzung zuzustimmen, einen betriebsbedingten Grund abgeben, weil einseitige Versetzungen nach türkischem Recht nicht (mehr) zulässig sind (Art. 22 türk. Arbeitsgesetz). Voraussetzung dafür ist jedoch, dass die Versetzung ihrerseits aus betrieblichen Gründen erfolgt. Derartige betriebliche Gründe hatte die Bekl., wie das ArbG zutreffend ausgeführt hat, erstinstanzlich nicht vorgetragen. Soweit sich die Bekl. im Berufungsrechtszug auf ihre Entscheidung beruft, das Privatkundengeschäft in Frankfurt a.M. aufzugeben, ist dies unerheblich. Dies ist schon deshalb nicht geeignet, die Kündung zu rechtfertigen, weil nach dem eigenen Vorbringen der Bekl. der entsprechende Entschluss der Geschäftsleitung erst am 6.10.2005 und damit lange nach Zugang der Kündigung gefasst worden ist. Daraus kann nicht abgeleitet werden, dass im maßgeblichen Zeitpunkt des Kündigungszugangs ein Beschäftigungsbedarf für den Kl. in Frankfurt a.M. jedenfalls mit Ablauf der Kündigungsfrist nicht mehr vorhanden war.

[41]Weil die Kündigung der Bekl. danach unwirksam ist, kann der Kl. Wiedereinstellung verlangen, soweit er diesen Antrag binnen zehn Tagen nach Zustellung des rechtskräftigen Urteils stellt (Art. 21 I und IV türk. Arbeitsgesetz). Dies festgestellt zu wissen hat der Kl. ein rechtliches Interesse.

[42]Weil der Arbeitgeber nach türkischem Recht dieser Verpflichtung zur Wiedereinstellung des Kl. schlicht dadurch entgehen kann, dass er den Arbeitnehmer binnen einens Monats nach Antragstellung nicht wieder einstellt (Art. 21 I und IV türk. Arbeitsgesetz), in diesem Fall jedoch zur Zahlung einer Entschädigung verpflichtet ist, die bei gerichtlichem Streit über die Wirksamkeit der Kündigung im Urteil festzusetzen ist, hatte ein entsprechender Ausspruch zu erfolgen. Zulässigkeitsbedenken gegen diese Verfahrensweise bestehen nicht, weil zu Leistungen, die von dem Eintritt einer Bedingung abhängig sind, verurteilt werden kann. Probleme können sich freilich u.U. in der Zwangsvollstreckung ergeben (§ 726 I ZPO).

[43]Die Ausführungen des ArbG zur Höhe der Entschädigung mit 16 513 Euro sind nicht zu beanstanden. Der Kl. hat diese – wie ausgeführt – nicht zulässig angegriffen, die Bekl. hat im Berufungsrechtszug keine Einwände geltend gemacht.

[44]Der hilfsweise Zahlungsantrag des Kl. ist zulässig.

[45]Dahinstehen kann, ob der Kl. seine Klage insoweit erweitert hat. Auch wenn § 263 ZPO und damit auch § 533 ZPO gilt, ist die Klageerweiterung zulässig, weil sich die Bekl. auf dieselbe widerspruchslos eingelassen hat. Bedenken nach § 533 Nr. 2 ZPO bestehen nicht, weil diese Bestimmung im arbeitsgerichtlichen Verfahren nicht anzuwenden ist, sondern durch § 67 ArbGG verdrängt wird. Danach ist der Tatsachenvortrag des Kl. zu dem nunmehr auch geltend gemachten Betrag von 9 436 Euro nicht verspätet.

[46]Die Klage ist insoweit jedoch zur Zeit unbegründet.

[47]Richtig ist zwar, dass der Arbeitnehmer dann, wenn die Kündigung unwirksam ist, nach türkischem Recht für die Zeit nach Ablauf der Kündigungsfrist bis zur Wiedereinstellung die Zahlung der Vergütung bis zu maximal vier monatlichen Vergütungen verlangen kann. (Art. 21 II türk. Arbeitsgesetz). Voraussetzung für diese Zahlungsverpflichtung ist nach Art. 21 IV türk. Arbeitsgesetz jedoch, dass der Arbeitnehmer den Antrag auf Wiedereinstellung binnen der gesetzlichen Zehntagesfrist nach Rechtskraft des Urteils gestellt hatte. Geschieht dies nämlich nicht, schuldet der Arbeitgeber lediglich die bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses im Übrigen ihm obliegenden Leistungen. Diese sind hier nicht im Streit. Mithin kann der Kl. den geforderten Betrag derzeit nicht verlangen. Denn die Voraussetzungen für das Entstehen dieser Forderung liegen mangels Rechtskraft des Urteils und fristgerechten Antrags des Kl. nach Rechtskraft nicht vor. Eine bedingte Verurteilung der Bekl. hat der Kl. ausdrücklich nicht begehrt, sodass es keiner Beurteilung der Frage bedarf, ob der Kl. insoweit wegen Bezugs öffentlich-rechtlicher Leistungen teilweise nicht aktivlegitimiert ist.

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