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Verfahrensgang

LAG Düsseldorf, Urt. vom 17.03.2008 – 14 Sa 1312/07, IPRspr 2008-126

Rechtsgebiete

Zuständigkeit → Besonderer Vertragsgerichtsstand

Leitsatz

Hat ein Arbeitgeber, mit dem ein Arbeitsvertrag geschlossen wurde, im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats keinen Wohnsitz, besitzt er aber in einem Mitgliedstaat eine Zweigniederlassung, Agentur oder sonstige Niederlassung, so wird er gemäß Art. 18 II EuGVO für Streitigkeiten aus deren Betrieb so behandelt, als hätte er seinen Wohnsitz im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats.

Der Begriff der Niederlassung ist nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs autonom auszulegen. Der Europäische Gerichtshof spricht insoweit von einem Mittelpunkt geschäftlicher Tätigkeit, der auf Dauer als Außenstelle des Stammhauses hervortritt, eine Geschäftsführung hat und von seiner sachlichen Ausstattung her in der Weise Geschäfte mit Dritten betreiben kann, dass diese, obgleich sie wissen, dass möglicherweise ein Rechtsverhältnis mit dem im Ausland (hier: Kroatien) ansässigen Stammhaus begründet wird, sich nicht unmittelbar an dieses zu wenden brauchen.

Rechtsnormen

ArbGG § 68
EUGVVO 44/2001 Art. 4; EUGVVO 44/2001 Art. 18; EUGVVO 44/2001 Art. 18 ff.; EUGVVO 44/2001 Art. 19; EUGVVO 44/2001 Art. 21; EUGVVO 44/2001 Art. 23; EUGVVO 44/2001 Art. 60
ZPO § 21; ZPO § 29; ZPO § 39; ZPO § 261; ZPO § 538

Sachverhalt

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit zweier arbeitgeberseitiger Kündigungen sowie um Vergütungsansprüche der Kl. von März bis Oktober 2005.

Die 55 Jahre alte Kl. kroatischer Staatsangehörigkeit ist bei der Bekl. bzw. deren Rechtsvorgängerin beschäftigt. Die Bekl. ist eine Aktiengesellschaft kroatischen Rechts mit Sitz in A./Kroatien, die aus dem Unternehmen „N. A. Arbeitsorganisation W.“ hervorgegangen ist. Die Anstellung der Kl. bei der Rechtsvorgängerin der Bekl. erfolgte nach damaligem kroatischen Recht aufgrund eines Arbeitsverhältnisbeschlusses der „Kommission für Arbeitsverhältnisse“ für die Verwaltung in A. auf unbestimmte Zeit. Mit Beschluss der Generaldirektion der Rechtsvorgängerin wurde die Kl. in der Folge als Sekretärin/Übersetzerin in die Zweigstelle E./Deutschland entsandt. Die Parteien schlossen dann „auf der Grundlage des Arbeitsgesetzes der Republik Kroatien“ einen schriftlichen Arbeitsvertrag. Der Kl. wurde darin ein Arbeitsplatz als Übersetzerin im Büro E. zugewiesen. Art. 15 des Vertrags sieht vor, dass im Falle eines Rechtsstreites zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber die tatsächliche örtliche Zuständigkeit des Gerichts in A. gegeben ist.

Das ArbG Düsseldorf hat die von der Kl. erhobene Feststellungs­ und Zahlungsklage mangels internationaler Zuständigkeit als unzulässig abgewiesen. Mit der dagegen gerichteten Berufung verfolgt die Kl. ihr erstinstanzliches Begehren weiter.

Aus den Entscheidungsgründen:

(Randnummern der IPRspr-Redaktion)

[1]A. Die Berufung der Kl. ist zulässig und auch begründet. Das Rechtsmittel führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das ArbG. Die Klage ist entgegen der Ansicht der Vorinstanz zulässig. Die internationale Zuständigkeit ist gegeben.

[2]I. Die internationale Zuständigkeit des angerufenen ArbG Düsseldorf folgt aus Art. 19 Nr. 1 i.V.m. Art. 18 II der EuGVO, die am 1.3.2002 in Kraft getreten ist.

[3]1. Nach Art. 19 Nr. 1 EuGVO kann ein Arbeitgeber, der seinen Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hat, vor den Gerichten des Mitgliedstaats, in dem er seinen Wohnsitz hat, verklagt werden. Für juristische Personen befindet sich der Wohnsitz im Sinne dieser Bestimmung an dem Ort, an dem sich ihr satzungsgemäßer Sitz, ihre Hauptverwaltung oder ihre Hauptniederlassung befindet (Art. 60 I EuGVO). Da sich der satzungsgemäße Sitz und die Hauptverwaltung der Bekl. in A./Kroatien befinden, ergibt sich unmittelbar aus Art. 19 Nr. 1 EuGVO die internationale Zuständigkeit des ArbG Düsseldorf nicht. Kroatien ist (noch) nicht Mitglied der EU. Damit ist entgegen der Auffassung der Vorinstanz die Prüfung nach den gegenüber der ZPO vorrangigen Bestimmungen der EuGVO allerdings nicht zu Ende. Ergänzend ist Art. 18 II EuGVO zu beachten: Hat ein Arbeitgeber, mit dem ein Arbeitsvertrag geschlossen wurde, im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats keinen Wohnsitz, besitzt er aber in einem Mitgliedstaat eine Zweigniederlassung, Agentur oder sonstige Niederlassung, so wird er für Streitigkeiten aus ihrem Betrieb so behandelt, wie wenn er seinen Wohnsitz im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats hätte. Der europäische Gesetzgeber hat auf diese Weise den Schutz des Arbeitnehmers entsprechend den Vorschriften für Verbraucher und Versicherungsnehmer erweitert. Seine Rechtsverfolgung in arbeitsrechtlichen Streitigkeiten soll erleichtert werden. Indem Art. 18 II EuGVO für Klagen eines Arbeitnehmers einen Sitz des Arbeitgebers in einem Mitgliedstaat fingiert, wird entgegen der Regel des Art. 4 EuGVO der prozessuale Schutz auch gegenüber Arbeitgebern in Drittstaaten ausgedehnt, die sich durch eine Niederlassung in einem Mitgliedstaat der EU auf dessen Arbeitsmarkt präsentieren und wirtschaftlich tätig sind (vgl. Kropholler, Europäisches Zivilprozessrecht, 8. Aufl., Art. 18 Rz. 5; Rauscher-Mankowski, EuZPR, Art. 18 Brüssel I-VO Rz. 10 f.; Thomas-Putzo-Hüßtege, ZPO, 28. Aufl., Anh. Art. 18 EuGVVO Rz. 3; Zöller-Geimer, ZPO, 26. Aufl., Anh. I Art. 18 EuGVVO Rz. 1; Baumbach-Lauterbach-Albers-Hartmann, ZPO, 66. Aufl., Anh. Art. 18 EuGVVO Rz. 3; KR-Weigand, Gemeinschaftskommentar zum KSchG und zu sonstigen kündigungsschutzrechtlichen Vorschriften, 8. Aufl., IPR Rz. 137; Müller, Die internationale Zuständigkeit deutscher Arbeitsgerichte und das auf den Arbeitsvertrag anwendbare Recht (Diss.), 2004, 58 ff; Däubler, NZA 2003, 1297 f.).

[4]2. Die Voraussetzungen von Art. 18 II EuGVO sind nach dem unstreitigen Parteivorbringen erfüllt.

[5]a) Die Bekl. hatte zum Zeitpunkt der Klageerhebung in E./Deutschland eine Niederlassung im Sinne der Vorschrift.

[6]aa) Der Begriff der Niederlassung ist nach der Rspr. des EuGH autonom auszulegen. Hierbei handelt es sich um eine Einrichtung, die wesentlich dadurch gekennzeichnet ist, dass sie der Aufsicht und Leitung eines Stammhauses unterliegt (EuGH, Urt. vom 6.10.1976 – Rs C-14/76 [De Bloos/Bouyer], NJW 1977, 490 f.). Der EuGH spricht von einem Mittelpunkt geschäftlicher Tätigkeit, der auf Dauer als Außenstelle des Stammhauses hervortritt, eine Geschäftsführung hat und sachlich so ausgestattet ist, dass er in der Weise Geschäfte mit Dritten betreiben kann, dass diese, obgleich sie wissen, dass möglicherweise ein Rechtsverhältnis mit dem im Ausland ansässigen Stammhaus begründet wird, sich nicht unmittelbar an dieses zu wenden brauchen, sondern Geschäfte an dem Mittelpunkt geschäftlicher Tätigkeit abschließen können, der dessen Außenstelle ist (vgl. EuGH, Urt. vom 22.11.1978 – Rs C-33/78 [Somafer/Saar-Ferngas], RIW 1979, 56 ff.).

[7]bb) In Anwendung dieser Rechtsgrundsätze kann nicht zweifelhaft sein, dass die Zweigstelle der Bekl. in der K.-Straße in E. eine ‚Niederlassung’ darstellte. Es gab eine personell und sachlich voll ausgestattete Büroorganisation, die mit eigener Leitung die Interessen der Bekl. bzw. deren Rechtsvorgängerin auf dem deutschen Markt wahrnahm. Es handelte sich nicht um eine einfache Repräsentanz ohne geschäftliche Befugnisse nach außen. Vielmehr wurden die Aufträge, die in Deutschland akquiriert wurden, von Mitarbeitern der Bekl. in E. – ggf. nach Absprache mit der Zentrale in A. – gegenüber dem jeweiligen Vertragspartner unterzeichnet. Die Kunden brauchten sich damit nicht an das Stammhaus zu wenden, um Geschäfte mit der Bekl. abzuschließen. Dies kennzeichnet gerade eine ‚Niederlassung’ im Sinne der EuGVO.

[8]b) Die von der Kl. erhobene Kündigungsschutz- und Zahlungsklage betrifft auch eine Streitigkeit aus dem Betrieb der Niederlassung. Sie hat schon deshalb den notwendigen unmittelbaren Bezug zum Betrieb der Zweigstelle der Bekl. in E., da die Kl. dort über viele Jahre dauerhaft beschäftigt war und überdies ihre Weisungen zur Ausführung der Arbeit von dort erhalten hatte (vgl. zu diesen Kriterien: Däubler aaO 1298; MünchKommZPO-Gottwald, 2. Aufl. [2002], Art. 18 EuGVO Rz. 4; Müller aaO 59 f.).

[9]c) Der Annahme der internationalen Zuständigkeit des ArbG Düsseldorf gemäß Art. 19 Nr. 1 i.V.m. Art. 18 II EuGVO steht die Gerichtsstandsvereinbarung der Parteien in Art. 15 des Arbeitsvertrags vom 30.3.1996 nicht entgegen. Dabei kann mit der Vorinstanz unterstellt werden, dass die Parteien damit die ausschließliche Zuständigkeit eines kroatischen Gerichts vereinbart hatten. Eine derartige Gerichtsstandsvereinbarung hat gemäß Art. 23 V EuGVO keine rechtliche Wirkung, da sie Art. 21 EuGVO zuwiderläuft. Nach Art. 21 kann von Art. 18 ff. EuGVO nur abgewichen werden, wenn die Vereinbarung nach der Entstehung der Streitigkeit geschlossen wird oder wenn sie dem Arbeitnehmer zusätzliche Gerichtsstände über die nach der VO bestehenden gerichtlichen Zuständigkeiten hinaus gewährt und damit seine Klagemöglichkeiten noch erweitert (zum Letzteren: Müller aaO 90 m.w.N.).

[10]d) Unerheblich ist, dass die Zweigstelle der Bekl. in E. im Laufe des Rechtsstreits aufgelöst wurde. Auch für die internationale Zuständigkeit gilt der Grundsatz der perpetuatio fori, d.h. eine gerichtliche Zuständigkeit wird durch eine Veränderung der sie begründenden Umstände nicht berührt (§ 261 III Nr. 2 ZPO).

[11]II. Die internationale Zuständigkeit wäre im Streitfall – unabhängig von den vorstehenden Ausführungen – im Übrigen gemäß § 39 ZPO, der hier entsprechend anwendbar ist, gegeben. Denn die Bekl. hat vor der Berufungskammer durch Erklärung zu Protokoll auf die Rüge der Unzuständigkeit verzichtet und damit ausdrücklich in die Verhandlung und Entscheidung der Sache durch ein deutsches ArbG eingewilligt. Die internationale Zuständigkeit kann auf diese Weise auch noch im Rechtsmittelverfahren begründet werden (vgl. BGH, Urt. vom 13.7.1987, NJW 1987, 3081 (IPRspr. 1987 Nr. 131)).

[12]III. Sonstige Bedenken gegen die Zulässigkeit der Klage bestehen nicht. Das ArbG Düsseldorf ist sowohl als Gerichtsstand der Niederlassung (§ 21 ZPO) als auch als Gerichtsstand des Erfüllungsorts (§ 29 ZPO) örtlich zuständig.

[13]IV. Der Rechtsstreit ist gemäß § 538 II Nr. 3 ZPO auf Antrag der Parteien unter Aufhebung des angefochtenen Urteils und des Verfahrens an das Gericht des ersten Rechtszugs zurückzuverweisen.

[14]1. Das Zurückverweisungsverbot des § 68 ArbGG steht nicht entgegen; es geht nicht um einen Mangel im Verfahren des ArbG im Sinne dieser Vorschrift (vgl. Germelmann/Matthes/Prütting/Müller-Glöge, ArbGG, 6. Aufl., § 68 Rz. 10 m.w.N.).

[15]2. Eine Zurückverweisung erscheint von der Sache her geboten. Denn im Streitfall ist in materieller Hinsicht vor der Behandlung der eigentlichen Streitfragen zunächst zu prüfen, ob kroatisches oder deutsches Arbeitsrecht zur Anwendung kommt. Dass in einem Vorprozess der Parteien deutsches Arbeitsrecht angewendet wurde, ist für den vorliegenden Rechtsstreit ohne Bedeutung. Eine Bindungswirkung besteht nicht. Den Parteien muss Gelegenheit gegeben werden, zu der Ausgangsfrage und den sich daran anschließenden tatsächlichen und rechtlichen Problemen Stellung zu nehmen. Das Interesse an einer schnelleren Erledigung durch ein Sachurteil der Berufungskammer tritt auch unter Berücksichtigung des für das arbeitsgerichtliche Verfahren allgemein und für Kündigungsschutzstreitigkeiten im Besonderen geltenden Beschleunigungsgrundsatzes gegenüber dem Verlust einer Tatsacheninstanz zurück (vgl. zur Abwägung: BGH, Urt. vom 15.3.2000, NJW 2000, 2024 f.). Die Parteien haben die Zurückverweisung im Übrigen übereinstimmend beantragt, was ebenfalls für diese Vorgehensweise spricht.

Fundstellen

LS und Gründe

EuZW, 2008, 740

Permalink

https://iprspr.mpipriv.de/2008-126

Lizenz

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