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Verfahrensgang

OLG Schleswig, vom 13.09.2007 – 2 W 227/06, IPRspr 2007-89

Rechtsgebiete

Kindschaftsrecht → Adoption
Allgemeine Lehren → Ordre public

Leitsatz

Dass eine ausländische (hier: die pakistanische) Rechtsordnung keine rechtliche Möglichkeit vorsieht, bestimmte Personen an Kindes statt im Sinne der §§ 1741 ff. BGB anzunehmen, entfaltet dieselbe Wirkung wie ein in einer ausländischen Rechtsnorm ausdrücklich ausgesprochenes Adoptionsverbot.

Die Anwendung eines ausländischen Rechts, das den Ehegatten von vornherein verwehrt, Kinder zu adoptieren, führt zu einem Ergebnis, das mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts unvereinbar ist. Dieses unerträgliche Ergebnis kann auch nicht durch die Möglichkeit der Adoption nach Annahme der deutschen Staatsangehörigkeit beider Ehegatten gemildert werden.

Der Umstand, dass der Anzunehmende bislang keine „eigene“ Beziehung zu der Bundesrepublik Deutschland knüpfen konnte, hindert nicht die Annahme einer ausreichenden Inlandsbeziehung.

Rechtsnormen

BGB § 1741; BGB §§ 1741 ff.
EGBGB Art. 6; EGBGB Art. 14; EGBGB Art. 22
FGG § 27; FGG § 29; FGG § 43b
GG Art. 1; GG Art. 2; GG Art. 6
ZPO § 546

Sachverhalt

Die verheirateten Beteiligten zu 1) und 2) begehren eine Bescheinigung über die Durchführung des Adoptionsverfahrens hinsichtlich des Betroffenen, eines 2006 in G./Pakistan geborenen pakistanischen Staatsangehörigen.

Die in Deutschland wohnenden Beteiligten zu 1) und 2) waren ursprünglich beide pakistanische Staatsangehörige. Im Jahr 2007 erteilte der Kreis dem Beteiligten zu 1) jedoch eine Einbürgerungszusicherung.

Da die Ehe der Beteiligten zu 1) und 2) kinderlos blieb, wollten sie den Betroffenen als Kind annehmen und einen Einreiseantrag für ihn stellen. Die Beteiligte zu 2) erhielt Anfang 2006 von dem zuständigen Gericht in G./Pakistan die Eigenschaft eines guardian für den Betroffenen.

Am 9.6.2006 beurkundete der deutsche Notar B. einen Adoptionsantrag des Beteiligten zu 1). Dieser lautete dahingehend, dass der Betroffene von den Beteiligten zu 1) und 2) als gemeinschaftliches und eheliches Kind angenommen werden sollte.

Um dem Betroffenen die Einreise nach Deutschland zu ermöglichen, beantragte der Beteiligte zu 1) beim AG eine Bescheinigung über die Durchführung des Adoptionsverfahrens.

Das AG hat den Antrag mit der Begründung abgelehnt, dass das anwendbare pakistanische Recht eine Adoption im Sinne des BGB nicht kenne. Gegen diesen Beschluss hat der Beteiligte zu 1) Beschwerde eingelegt. Das AG hat der Beschwerde nicht abgeholfen und auch das LG hat die Beschwerde zurückgewiesen.

Gegen den Beschluss des LG wendet sich der Beteiligte zu 1) mit seiner weiteren Beschwerde.

Aus den Entscheidungsgründen:

(Randnummern der IPRspr-Redaktion)

[1]Die gemäß §§ 27 I, 29 FGG zulässige weitere Beschwerde hat mit der Maßgabe Erfolg, dass die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das AG anzuweisen ist, dem Beteiligten zu 1) die beantragte Bescheinigung zu erteilen.

[2]Die angefochtene Entscheidung beruht auf einer Rechtsverletzung (§§ 27 I FGG, 546 ZPO).

[3]Die Ausführungen des LG sind rechtsfehlerhaft. Das LG hat bei der Kernfrage des vorliegenden Verfahrens – der Prüfung des Art. 6 EGBGB – den Stellenwert der §§ 1741 ff. BGB als ‚grundwertehaltige’ Vorschriften der inländischen Rechtsordnung sowie den bereits vorliegenden starken Inlandsbezug außer Acht gelassen und darüber hinaus verkannt, dass der Hinweis auf die Möglichkeit der Annahme der deutschen Staatsangehörigkeit bei der Frage der Anwendbarkeit des Art. 6 EGBGB kein tragender Gesichtspunkt sein kann (vgl. BVerfGE 31, 58). Infolgedessen ist das LG zu dem unzutreffenden Ergebnis gelangt, dass eine Adoption des Betroffenen durch die Beteiligten zu 1) und 2) nicht möglich sei und hat die Beschwerde des Beteiligten zu 1) gegen die Entscheidung des AG, mit der der Antrag des Beteiligten zu 1) auf Erteilung einer Bescheinigung über die Durchführung eines Adoptionsverfahrens abgelehnt worden ist, abgelehnt.

[4]Diese Entscheidung hält der rechtlichen Überprüfung nicht stand.

[5]Der Beteiligte zu 1) hat einen Anspruch auf Erteilung der beantragten Bescheinigung über die Durchführung eines Adoptionsverfahrens.

[6]Die Zuständigkeit der deutschen Gerichte ist gemäß § 43b I FGG gegeben. Zum Zeitpunkt der Antragstellung war § 43b I 1 Nr. 2 FGG einschlägig. Nachdem der Beteiligte zu 1) inzwischen die deutsche Staatsangehörigkeit angenommen hat, ergibt sich die Zuständigkeit auch aus § 43b I 1 Nr. 1 FGG. Deshalb ist in der Bundesrepublik ein Adoptionsverfahren durchzuführen, wenn nach dem anwendbaren Recht ein Adoptionsverfahren möglich ist und die jeweiligen Voraussetzungen für eine Annahme an Kindes statt vorliegen. Sind diese Voraussetzungen gegeben, hat der Antragsteller – hier der Beteiligte zu 1) – einen Anspruch auf Erteilung einer entsprechenden Bescheinigung zur Vorlage bei Behörden, wenn er hierfür ein rechtliches Interesse glaubhaft machen kann. Im vorliegenden Fall ist ein derartiges Interesse hinreichend dargetan, denn die Erteilung der Bescheinigung ist nach Vortrag des Beteiligten zu 1) Voraussetzung dafür, dass der Betroffene in die Bundesrepublik einreisen und ein Adoptionsverfahren durchgeführt werden kann.

[7]Im Kern geht es deshalb – wie die Vorinstanzen richtig erkannt haben – darum, ob die Durchführung eines Adoptionsverfahrens in der Bundesrepublik unter den hier gegebenen Umständen in Betracht kommt.

[8]Rechtlich zutreffend haben sowohl AG als auch LG ausgeführt dass, sofern Ehegatten die Annahme eines Kindes beabsichtigen, die Adoption dem Recht unterliegt, das nach Art. 14 I EGBGB für die allgemeinen Wirkungen der Ehe maßgebend ist, Art. 22 I 2 EGBGB. Da Art. 14 I Nr. 1 EGBGB für die allgemeinen Wirkungen der Ehe auf das Recht des Staats verweist, dem beide Ehegatten angehören oder während der Ehe zuletzt angehörten, wenn einer von ihnen dem Staat noch angehört, haben die Vorinstanzen zutreffend das pakistanische Recht für anwendbar gehalten. Hieran ändert sich dadurch, dass der Beteiligte zu 1) inzwischen die deutsche Staatsangehörigkeit angenommen hat, nichts, denn die Beteiligte zu 2) ist immer noch pakistanische Staatsangehörige, so dass nunmehr Art. 14 I Nr. 1 Alt. 2 EGBGB zur Anwendung kommt.

[9]Das pakistanische IPR führt nicht zu einer Rückverweisung und zur Anwendbarkeit deutschen Rechts, denn es knüpft nur bei Nicht-Moslems an das domicile des Ehemanns an (Bergmann-Ferid-Henrich, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht [153. Lfg.], Pakistan S. 78).

[10]In Pakistan richten sich Ehe- und Kindschaftsrecht grundsätzlich nach der Religion der Eltern (Bergmann-Ferid-Henrich aaO S. 72). Allerdings ist das Vomundschafts- und Pflegschaftsrecht einheitlich für alle Bevölkerungsgruppen im Guardians and Awards Act 1890 vom 21.3.1890 (VIII of 1890) geregelt. In diesem ist ein Adoptionsverfahren nicht vorgesehen. Da im Übrigen das muslimische Recht keine Adoption kennt, gibt es im pakistanischen Recht auch kein staatliches Adoptionsverfahren (Bergmann-Ferid-Henrich aaO S. 77 f.).

[11]Eine Adoption des Betroffenen durch die Beteiligten zu 1) und 2) wäre deshalb wegen des Fehlens einer entsprechenden Regelung im pakistanischen Recht nicht möglich, sofern nicht trotz der Verweisung in das pakistanische Recht deutsches Adoptionsrecht anwendbar wäre.

[12]In der vorliegenden Fallkonstellation ergibt sich die Anwendung deutschen Adoptionsrechts aus Art. 6 EGBGB.

[13]Nach Art. 6 EGBGB ist eine Rechtsnorm eines anderen Staats nicht anzuwenden, wenn ihre Anwendung zu einem Ergebnis führt, das mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts offensichtlich unvereinbar ist. Sie ist insbesondere nicht anzuwenden, wenn die Anwendung mit den Grundrechten unvereinbar ist.

[14]Einer Anwendung des Art. 6 EGBGB steht nicht entgegen, dass sich im vorliegenden Fall das mit den wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts offensichtlich unvereinbare Ergebnis nicht aus der Anwendung einer konkreten Rechtsnorm eines anderen Staats ergeben würde, sondern aus dem Fehlen einer im deutschen Recht vorhandenen Regelung. Normzweck des Art. 6 EGBGB ist die Wahrung des ordre public gegenüber abweichendem fremden Recht. Die Erfüllung dieser Funktion kann zur bloßen Nichtanwendung der ausländischen Vorschriften, zu deren Ergänzung oder zur Anwendung des inländischen Rechts als Ersatzrecht anstelle des ausgeschlossenen fremden Rechts führen (MünchKomm-Sonnenberger, 4. Aufl., Art. 6 EGBGB, Rz. 17). Fehlt in dem anzuwendenden Recht eine aus Sicht der deutschen Rechtsordnung unerlässliche Regelung, ohne dass das maßgebende Recht eine äquivalente Lösung enthält, so muss eine vom fremden Recht nicht vorgesehene Rechtsfolge angeordnet werden. Die aus deutscher Sicht von vornherein bestehende Lücke – Wertungslücke oder primäre Nomenleere – ist bei Versagen einer Ersatzlösung im fremden Recht nunmehr mit der in dieser Rechtsordnung vermissten deutschen Vorschrift zu schließen (vgl. MünchKomm-Sonnenberger aaO Rz. 95).

[15]Gegenstand der Prüfung am Maßstab des Art. 6 EGBGB ist nicht die abstrakte ausländische Norm oder ihre bloße Anwendung, auch nicht ihre Funktion, sondern das Ergebnis ihrer Anwendung im konkreten Fall, d.h. die infolge ihrer Anwendung konkret erzeugten Rechtswirkungen. Entscheidend ist dabei das Gesamtergebnis der Anwendung ausländischen Rechts. Dazu kann es erforderlich sein, den gesamten rechtlichen Kontext der betreffenden Norm, also die Gesamtregelung des Lebenssachverhalts im ausländischen Recht in Betracht zu ziehen. Dies gilt auch bei Fehlen von Normen, deren Existenz nach den wesentlichen Grundsätzen deutschen Rechts für erforderlich gehalten wird. Möglicherweise schafft das ausländische Recht an anderer Stelle einen Ausgleich, der im Ergebnis einen Verstoß gegen den ordre public entfallen lässt (MünchKomm-Sonnenberger aaO Rz. 47).

[16]Prüfungsmaßstäbe für das Ergebnis der Anwendung des vom deutschen IPR berufenen ausländischen Rechts sind nach Art. 6 EGBGB die Grundrechte als besonders hervorgehobene Wertentscheidungen der Verfassung, sowie die weiteren wesentlichen Grundsätze des deutschen Rechts (MünchKomm-Sonnenberger aaO Rz. 49).

[17]Bei der Prüfung der Unvereinbarkeit mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts ist zu beachten, dass die wesentlichen deutschen Rechtsgrundsätze von Zeit und Raum abhängig und damit wandelbar sind (MünchKomm-Sonnenberger aaO Rz. 57). Deshalb ist auch zu berücksichtigen, dass der ordre public nicht statisch und unveränderlich ist, sondern als Substrat der geltenden Rechtordnung ebenso wie diese eine Ausprägung der elementaren Wertvorstellungen der inländischen und zunehmend auch der europäischen Rechtsgemeinschaft darstellt und infolge dessen dem Wandel dieser Wertvorstellungen unterworfen ist und ihm – wenn auch bisweilen mit zeitlicher Verzögerung – folgt (BGHZ 169, 240) (IPRspr. 2006 Nr. 52).

[18]Es geht im Rahmen des Art. 6 Satz 1 EGBGB um die Prüfung, ob die Anwendung fremden Rechts im konkreten Fall angesichts eines hinreichend starken Inlandsbezugs zu einem Ergebnis führen würde, das aus Sicht grundlegender deutscher Rechtsvorstellungen nicht mehr hinnehmbar ist (BGHZ aaO), das in untragbarem Widerspruch zu den Grundgedanken der deutschen Rechtsordnung und der ihnen zugrunde liegenden Gerechtigkeitsvorstellungen steht (OLG Hamm, IPRspr. 2000 Nr. 81), so dass das Ergebnis der Rechtsanwendung als unerträglich empfunden werden muss (OLG Saarbrücken, FamRZ 1992, 848) (IPRspr. 1992 Nr. 3a). Führt die Anwendung ausländischen Rechts zu einem Ergebnis, das von dem Ergebnis der Anwendung einfachgesetzlichen deutschen Rechts abweichen würde, ist zu beachten, dass eine Vorschrift des einfachen Rechts nur dann zur öffentlichen Ordnung im Sinne eines unverzichtbaren Kernbestands der eigenen Rechtsordnung gehört, wenn der Gesetzgeber durch sie ein Prinzip verwirklichen wollte, das er als wesentlichen und unverzichtbaren Bestandteil der rechtsethischen, sittlichen, wirtschaftlichen oder politischen Ordnung ansieht. Entscheidend sind damit die ‚Grundwertehaltigkeit’ einer Norm und der mit ihrer Schaffung verfolgte Zweck, der übergeordneten Prinzipien wie z.B. dem Kindeswohl, dem Minderjährigenschutz oder dem allgemeinen Persönlichkeitsschutz dienen sollte. Für das Gewicht der deutschen Vorschrift ist ferner bedeutsam, inwieweit sie mit europäischem oder internationalem Standard übereinstimmt (vgl. MünchKomm-Sonnenberger aaO Rz. 62).

[19]Art. 6 Satz 2 EGBGB ist als ergänzende Klausel mit spezifischem Verfassungsbezug zu verstehen, zu deren Präzisierung die Ausführungen des BVerfG im sog. Spanierbeschluss (BVerfGE 31, 58) heranzuziehen sind. Legt man die von dem BVerfG vorgegebenen Kriterien zugrunde, so gilt für die Anwendung von Art. 6 Satz 2 EGBGB, dass zunächst der Inhalt des betreffenden Grundrechts bestimmt werden muss. Ist der Inhalt des Grundrechts definiert, so setzt die Anwendung des Art. 6 Satz 2 EGBGB weiter eine Klärung voraus, worin der Verstoß liegt, der sich aus der Anwendung der ausländischen Norm ergeben soll (vgl. MünchKomm-Sonnenberger aaO Rz. 51 ff.).

[20]Schließlich setzt die Anwendung des Art. 6 EGBGB eine hinreichend starke örtliche Beziehung des zu entscheidenden Sachverhalts zur deutschen Rechtsordnung im Urteilszeitpunkt voraus. Als relevante Inlandsbeziehung kommen alle persönlichen und sachlichen Umstände in Betracht. Von besonderem Gewicht sind Wohnsitz und gewöhnlicher Aufenthalt im Inland und die deutsche Staatsangehörigkeit der betroffenen Personen. Liegt nur eines dieser Merkmale vor, ist in der Regel die erforderliche Binnenbeziehung anzunehmen (MünchKomm-Sonnenberger aaO Rz. 84).

[21]Im vorliegenden Fall würde die Anwendung des pakistanischen Rechts zu einem Ergebnis führen, das mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts offensichtlich unvereinbar ist.

[22]Zwar ist fraglich, ob die Beteiligten zu 1) und 2) ein verfassungsrechtlich garantiertes Recht auf Familiengründung geltend machen können in dem Sinne, dass ihnen in der Bundesrepublik ein Adoptionsverfahren ermöglicht werden muss und die deutschen Behörden zu der erforderlichen Mitwirkung verpflichtet sind (entspr. zur Eheschließung BVerfGE 31, 58). Obwohl Art. 6 GG als verbindliche Wertentscheidung für den gesamten Bereich des Ehe und Familie betreffenden privaten und öffentlichen Rechts einen besonderen Schutz durch die staatliche Ordnung gebietet (vgl. BVerfGE 105, 313), der auch die durch eine Adoption entstandene Familie schützt (vgl. BVerfGE 80, 81; BVerfG, NJW 1990, 895; Friauf, Verfassungsgarantie und sozialer Wandel – das Beispiel von Ehe und Familie: NJW 1986, 2595/2602) ist nicht ersichtlich, dass in Rspr. u. Lit. aus Art. 6 GG bislang ein ‚Recht auf Durchführung eines Adoptionsverfahrens’ abgeleitet worden wäre. Ein verfassungsrechtlich garantiertes Recht auf Familiengründung oder Elternrecht auf Familienplanung wird von der Rechtsprechung bislang überwiegend verneint (vgl. LSG BW, Urt. vom 14.2.2007 – L 5 KR 973/06, juris; OLG Frankfurt, NJW 1993, 2388).

[23]Ob eine derartige grundrechtlich gesicherte Position besteht, kann im vorliegenden Fall indes offen bleiben, denn die Vorschriften der §§ 1741 ff. BGB, die auf einfachgesetzlicher Ebene die Zulässigkeit einer Adoption regeln, gehören wegen ihrer Grundwertehaltigkeit zur ‚öffentlichen Ordnung’ im Sinne eines unverzichtbaren Kernbestands der inländischen Rechtsordnung. Durch die Vorschriften über die Adoption wollte der Gesetzgeber das Prinzip des Kindeswohls verwirklichen, das einen unverzichtbaren Bestandteil der rechtsethischen und sittlichen Ordnung in der Bundesrepublik darstellt. § 1741 BGB nennt als Kernvorschrift die wichtigsten Voraussetzungen für eine Adoption und lässt dabei zugleich den Zweck der Adoption erkennen. Nach § 1741 I BGB muss die Adoption dem Wohl des Kindes dienen und zu einer neuen Eltern-Kind-Beziehung führen. Schon durch den Gesetzeswortlaut und die Stellung der Vorschrift wird unterstrichen, dass die Adoption im Interesse des Kindes erfolgt, nicht dagegen, wie zurzeit der Entstehung des BGB, im Interesse des Annehmenden (vgl. Staudinger-Frank, BGB, Neub. 2007, § 1741 Rz. 3). Mit der in § 1741 I 2 BGB als zweiter Adoptionsvoraussetzung normierten Erwartung, dass zwischen dem Annehmenden und dem Kind ein Eltern-Kind-Verhältnis entstehe, hat der Gesetzgeber allerdings auch deutlich gemacht, dass die Adoption nicht nur eine rechtliche Statusveränderung zum Vorteil des Kindes bewirken soll, sondern in erster Linie der tatsächlichen Herstellung eines neuen Familienbandes dient (Staudinger-Frank aaO Rz. 4). Auch wenn die Adoption damit in erster Linie dem Kindeswohl dient, stellt sie doch für kinderlos gebliebene Ehepaare die einzige Möglichkeit dar, eine Familie mit vollwertigen verwandtschaftlichen Beziehungen zu begründen, wenn ihnen der Status als ‚Pflegefamilie’ nicht ausreichend erscheint.

[24]Dass die pakistanische Rechtsordnung für die Beteiligten zu 1) und 2) keine rechtliche Möglichkeit vorsieht, den Betroffenen an Kindes statt im Sinne der §§ 1741 ff. BGB anzunehmen, entfaltet dieselbe Wirkung wie ein in einer ausländischen Rechtsnorm ausdrücklich ausgesprochenes Adoptionsverbot. Ein solches Adoptionsverbot hatte der Senat in seiner Entscheidung vom 31.5.2001 (NJW-RR 2001, 1372) (IPRspr. 2001 Nr. 105) für mit den wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts unvereinbar gehalten und in diesem Zusammenhang ausgeführt:

[25]‚Nach dem Zweck des deutschen Rechts liegt heute die Bedeutung der Adoption in erster Linie in der Fürsorge für Kinder, deren Eltern sich nicht um sie kümmern wollen oder können. Sie sollen aufgrund der Adoption in einer harmonischen und lebenstüchtigen Familie als Kinder aufwachsen können. Eine abweichende Auffassung würde die sich aus Art. 2 I i.V.m. Art. 1 I GG ergebenden Anforderungen, die auch für Ausländer gelten, nicht hinreichend berücksichtigen. Danach ist das Kind ein Wesen mit eigener Menschenwürde und eigenem Recht auf Entfaltung seiner Persönlichkeit. Es bedarf des Schutzes und der Hilfe, um sich zu einer verantwortlichen Persönlichkeit innerhalb der sozialen Gemeinschaft zu entwickeln. Die Erziehung und Betreuung eines minderjährigen Kindes durch Mutter und Vater innerhalb einer harmonischen Gemeinschaft gewährleistet dabei am ehesten, dass dieses Ziel erreicht wird. Mit der Adoption soll einem Kind, das ein gesundes Zuhause entbehren musste, eine Familie gegeben werden. Durch eine Adoption erhält das Kind eine bessere rechtliche Stellung als ein Pflegekind, weil dadurch ein Höchstmaß an Geborgenheit gesichert wird. Diese verfassungsrechtlich gebotene Auffassung entspricht der Entwicklung des internationalen Rechts. So bestimmt Art. 12 des Gesetzes zu dem Europäischen Übereinkommen vom 24.4.1967 über die Adoption von Kindern vom 25.8.1980 (BGBl. II 1093), dass die Rechtsordnung einer Person nicht deshalb untersagen darf, ein Kind anzunehmen, weil sie ein eheliches Kind hat oder haben könnte.’

[26]Auch andere Gerichte, die mit ähnlichen Fragestellungen befasst waren, haben in einem religiös motivierten Adoptionsverbot einen Verstoß gegen den deutschen ordre public gesehen. So hat das AG Hagen bereits in einer Entscheidung vom 14.3.1984 (IPRax 1984, 279) (IPRspr. 1984 Nr. 110) ausgeführt:

[27]‚Die Familienplanung gehört nach den deutschen Rechtsvorstellungen zu den grundlegenden Rechten von Ehegatten. Es steht daher in ihrer Entscheidungsbefugnis, ob und in welchem Umfang sie die Familie durch ein leibliches oder durch die Annahme eines fremden Kindes erweitern wollen ... Der völlige Ausschluss der Kindesannahme aufgrund einer auf religiösen Vorstellungen basierenden Rechtsordnung, die in der Bundesrepublik wegen der gänzlich andersartigen kulturellen und soziologischen Strukturen nicht ohne weiteres nachvollziehbar ist, die überdies die Rechtsstellung des nicht dieser Religionsgemeinschaft angehörenden Ehegatten außer Betracht lässt und keine Rücksicht auf das Wohl des Kindes nimmt, ... steht mit deutschen Gerechtigkeitsvorstellungen in untragbarem Widerspruch.’

[28]Wegen der erheblichen Bedeutung, die dem Rechtsinstitut der Adoption und den Prinzipien, die es verwirklichen soll, im deutschen Recht zukommt, ist eine Rechtsanwendung, die Ehegatten die Möglichkeit, Kinder zu adoptieren, von vornherein verwehrt, geeignet, zu einem Ergebnis zu führen, das mit den wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts unvereinbar ist (vgl. Senat, NJW-RR 2001, 1372 (IPRspr. 2001 Nr. 105); OLG Karlsruhe, FamRZ 1998, 56 (IPRspr. 1996 Nr. 114) mit zust. Anm. von Jayme, IPRax 1999, 49; AG Hagen, IPRax 1984, 279 (IPRspr. 1984 Nr. 110) mit zust. Anm. von Jayme, IPRax 1984, 280; AG Siegen, IPRax 1993, 184 (IPRspr. 1992 Nr. 147) mit zust. Anm. Schnabel, IPRax 1993, 169).

[29]Auch im vorliegenden Fall würde die Anwendung des pakistanischen Rechts, nach dem eine Adoption des Betroffenen durch die Beteiligten zu 1) und 2) ausgeschlossen wäre, zu einem Ergebnis führen, das in einem untragbaren Widerspruch zu den Grundgedanken der deutschen Rechtsordnung und der ihnen zugrunde liegenden Gerechtigkeitsvorstellungen steht. Die Beteiligten zu 1) und 2) wären gehindert, eine Familie im Sinne des Art. 6 GG – bestehend aus Eltern und Kindern – zu gründen, dem Betroffenen würde die gegenüber einem Pflegekind erhebliche bessere Stellung eines Adoptivkinds mit den bereits in der o.g. Entscheidung des Senats (NJW-RR 2001, 1372) (IPRspr. 2001 Nr. 105) dargelegten positiven Folgen für das Kindeswohl versagt.

[30]Dieses unerträgliche Ergebnis kann im konkreten Fall auch nicht durch die Möglichkeit der Adoption nach Annahme der deutschen Staatsangehörigkeit beider Ehegatten gemildert werden.

[31]Soweit das LG ausführt, die Beteiligten zu 1) und 2) seien nicht gehindert, nach der Annahme der deutschen Staatsangehörigkeit nach deutschem Recht ein Kind zu adoptieren, und diese Erwägung als einen tragenden Grund dafür ansieht, dass im Ergebnis kein Verstoß gegen den ordre public vorliegt, ist dies rechtsfehlerhaft. Der Verweis auf die Möglichkeit einer Einbürgerung darf im Kontext einer Prüfung des Art. 6 EGBGB kein ausschlaggebendes Kriterium sein, weil den Betroffenen durch die Anwendung dieser Vorschrift des IPR eine angemessene persönliche Lebensgestaltung ermöglicht werden soll, ohne dass sie ihre Zugehörigkeit zu ihrem Heimatstaat aufgeben müssen. Das BVerfG hat hierzu in seiner sog. Spanierentscheidung bereits im Jahre 1971 (BVerfGE 31, 58) Folgendes ausgeführt:

[32]‚Hieraus ergibt sich zugleich, dass die angefochtene Entscheidung einen übermäßigen und unverhältnismäßigen Eingriff in die Eheschließungsfreiheit der Beschwerdeführerin enthält. Dieses Grundrecht schützt den innersten Bereich der Lebensgestaltung; der Staat darf die Verwirklichung der gemeinsamen Lebensentscheidung nicht endgültig scheitern lassen, ohne dass dies durch ein anerkennenswertes höheres Interesse gerechtfertigt ist. Gerade in diesem Bereich muss die Rechtsanwendung die Leitidee des Grundgesetzes im Auge behalten, dass der Mensch im Mittelpunkt der Wertordnung der Verfassung steht und die gesetzlichen Regeln nicht Selbstzweck sind. Deswegen geht es auch nicht an, den einzig möglichen Ausweg aus dem rechtlichen Dilemma in der Einbürgerung des ausländischen Verlobten zu sehen. Abgesehen davon, dass die relativ strengen gesetzlichen Voraussetzungen dafür häufig nicht erfüllt sein werden, kommt eine solche Empfehlung der Kapitulation des internationalen Privatrechts gleich, dessen Funktion doch eben darin besteht, dem Betroffenen eine angemessene persönliche Lebensgestaltung zu ermöglichen, ohne dass sie ihre Zugehörigkeit zu ihrem Heimatstaat aufgeben müssen.’

[33]Diese Ausführungen gelten im vorliegenden Fall entsprechend.

[34]Auch hier ist es seitens des BeschwG nicht angängig, die Beteiligten zu 1) und 2) darauf zu verweisen, als einzigen Ausweg aus dem rechtlichen Dilemma die deutsche Staatsangehörigkeit anzunehmen, um die beabsichtigte Adoption durchführen zu können, und dann im Hinblick auf diese Möglichkeit in dem konkreten Fall ein untragbares Ergebnis zu verneinen.

[35]Im vorliegenden Fall ist schließlich auch die zur Anwendung des Art. 6 EGBGB erforderliche hinreichend starke Beziehung des zu entscheidenden Sachverhalts zur deutschen Rechtsordnung gegeben.

[36]Soweit die Instanzgerichte die Auffassung vertreten, es fehle an einer hinreichenden Inlandsbeziehung, kann der Senat dem nicht folgen. Die Vorinstanzen haben die Anforderungen an die hinreichend starke Inlandsbeziehung rechtsfehlerhaft überspannt.

[37]Sowohl das räumliche als auch das zeitliche Moment einer hinreichend starken Inlandsbeziehung ist gegeben. Der Beteiligte zu 1) hält sich bereits seit 23 Jahren in der Bundesrepublik auf und hat inzwischen die deutsche Staatsangehörigkeit angenommen. Die Beteiligte zu 2) lebt seit 11 Jahren in der Bundesrepublik, ist mit dem Beteiligten zu 1) verheiratet; beide Beteiligte beabsichtigen weiterhin, ihren Lebensmittelpunkt in der Bundesrepublik zu nehmen. Diese erheblichen bei den Beteiligten zu 1) und 2) vorliegenden persönlichen und sachlichen Umstände reichen aus, um eine hinreichend starke Inlandsbeziehung anzunehmen. Der Umstand, dass der Betroffene bislang keine ‚eigene’ Beziehung zu der Bundesrepublik knüpfen konnte, hindert dagegen die Annahme einer ausreichenden Inlandsbeziehung nicht. Zwar ist der Betroffene als das Kind, dessen Wohl die deutschen Adoptionsvorschriften dienen sollen, die Person, die bei der Verwirklichung der hinter dem Adoptionsgedanken stehenden Prinzipien im Zentrum des Interesses steht. Hieraus folgt aber nicht, dass das deutsche Adoptionsrecht über den ordre public nur dann Anwendung finden kann, wenn die anzunehmende Person einen eigenen starken Inlandsbezug hat. Denn zum einen stellt die Anknüpfung der Art. 14, 22 EGBGB für das anwendbare Adoptionsrecht nicht auf das Personalstatut des Anzunehmenden, sondern auf das Ehestatut der Annehmenden ab, was dafür spricht, bei der Frage der Inlandsbeziehung entsprechend den Schwerpunkt bei den Beziehungen der Annehmenden zur Bundesrepublik zu setzen. Zum anderen ist zu berücksichtigen, dass dem Betroffenen durch die bereits bestehende rechtliche und tatsächliche Verbindung zu der Beteiligten zu 2), die die Vormundschaft nach pakistanischem Recht für den Betroffenen übernommen hat und im Augenblick bei ihm in Pakistan ist, ein hinreichender Inlandsbezug bereits vermittelt worden ist.

[38]Nach alledem war die angefochtene Entscheidung aufzuheben und die Sache an das AG zurückzuverweisen. Das AG wird dem Beteiligten zunächst die geforderte Bescheinigung auszustellen haben, damit die Einreise des Betroffenen in die Bundesrepublik möglich wird. Sodann wird ein Adoptionsverfahren durchzuführen sein, das sich – weil insoweit kein pakistanisches Recht existiert – nach deutschem Recht richtet.

Fundstellen

LS und Gründe

FamRZ, 2008, 1104
JAmt, 2008, 98
StAZ, 2008, 142

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