Selbst sofern ein doppelter gewöhnlicher Aufenthalt eines Kindes durch die Eltern vereinbart und zumindest zeitweilig umgesetzt werden sollte, wird das Sorgerecht des (mit-)sorgeberechtigten Elternteils dann im Sinne des Art. 3 HKiEntÜ verletzt, wenn das Kind gegen den Willen dieses Elternteils vom anderen Elternteil aus dem einen in den anderen Staat verbracht wird, in dem die Eltern den teilweisen oder vorübergehenden Aufenthalt des Kindes vereinbart haben (hier: Verbringung des Kindes von Polen nach Deutschland).
Die ASt., eine polnische Staatsangehörige, und der AGg., der deutscher Staatsangehöriger ist, sind die Eltern der beiden Kinder, welche sowohl die polnische als auch die deutsche Staatsangehörigkeit haben.
Die Parteien unterhielten in Polen eine langjährige Beziehung, ohne jedoch miteinander verheiratet zu sein. Nach der endgültigen Trennung der Parteien kehrte der AGg. nach Deutschland zurück.
In der Folgezeit hielten sich die Kinder teilweise beim Vater in Deutschland und teilweise bei der Mutter in Polen auf.
Im Jahr 2007 gaben die Parteien vor dem deutschen Konsulat in W./Polen gemäß § 1626a II Nr. 1 BGB die Erklärung ab, dass sie die elterliche Sorge uneingeschränkt gemeinsam ausüben wollen. Zudem unterzeichneten sie diesbezüglich eine handschriftliche, in englischer Sprache abgefasste Erklärung.
Als die Kinder bei der ASt. in Polen waren, kam es zwischen den Parteien zu Streitigkeiten, da die ASt. sich mit einer Rückkehr der Kinder nach Deutschland nicht einverstanden erklärte.
Daraufhin erschien der AGg. am Wohnsitz der ASt. in Polen und kehrte am gleichen Tag mit beiden Kindern per Flugzeug nach Deutschland zurück. Die genauen Umstände der Verbringung der Kinder nach Deutschland sind zwischen den Parteien streitig.
Das AG Nürnberg hat mit Beschluss die Herausgabe der Kinder an die ASt. zum Zwecke der sofortigen Rückführung in die Republik Polen angeordnet und dem AGg. für den Fall der Zuwiderhandlung gegen die Verpflichtung aus dem Beschluss Zwangsmittel angedroht.
Gegen den Beschluss wendet sich der AGg. mit seiner Beschwerde.
[1]II. Die zulässige Beschwerde des AGg. hat in der Sache keinen Erfolg, weil auch unter Berücksichtigung des Beschwerdevorbringens vom Vorliegen der Voraussetzungen des HKiEntÜ für die Anordnung einer Rückführung der Kinder nach Polen auszugehen ist und die weiteren Anordnungen des AG nicht zu beanstanden sind.
[2]1. Das Verbringen der Kinder durch den AGg. von Polen nach Deutschland am 11.2.2007 war widerrechtlich im Sinne des Art. 3 HKiEntÜ.
[3]a) Im Ergebnis zutreffend ist das AG zunächst davon ausgegangen, dass das Vorliegen der Voraussetzungen des Art. 3 HKiEntÜ nicht daran scheitert, dass A. oder J. am 11.2.2007 ihren gewöhnlichen Aufenthalt nicht bei der Mutter in Polen hatten.
[4]Der – grundsätzlich nach objektiven Kriterien festzustellende – gewöhnliche Aufenthalt auch im Sinne von Art. 3 HKiEntÜ ist am ‚Daseinsmittelpunkt’ anzunehmen, also am Mittelpunkt der Lebensführung des Minderjährigen, der v.a. durch den Schwerpunkt der sozialen Bindungen bestimmt wird. Ein Wechsel des gewöhnlichen Aufenthalts setzt deshalb ein gewisses Maß an sozialer Integration am neuen Aufenthaltsort voraus. Zu berücksichtigen sind insoweit insbesondere familiäre Bindungen, der Besuch von Kindergarten oder Schule.
[5]Als ein Indiz für eine ausreichende Integration an einem neuen Aufenthaltsort kann insbesondere die Dauer des Aufenthalts an dem neuen Ort dienen. Insoweit wird als ‚Faustregel’ (vgl. etwa Baetge, IPRax 2001, 575) häufig die auch vom AG herangezogene Sechs-Monats-Frist verwendet: Deren Ablauf an einem neuen Aufenthaltsort wird i.d.R. als ein Indiz für eine ausreichende Integration angesehen.
[6]Ist der Aufenthalt an einem neuen Ort von vornherein auf Dauer angelegt, kann ein Wechsel des gewöhnlichen Aufenthalts auch vor Ablauf der sechs Monate, u.a. auch schon mit Beginn des Aufenthalts am neuen Ort, angenommen werden (vgl. etwa BGH, NJW 1981, 520 (IPRspr. 1980 Nr. 94)). Inwieweit sonst subjektive Momente für die Begründung eines (neuen) gewöhnlichen Aufenthalts eine Rolle spielen, ist im Einzelnen umstritten (vgl. Baetge aaO 573, 576; Staudinger-Blumenwitz, Neub. EGBGB/IPR, 2003, Art. 5 EGBGB Rz. 46).
[7]Geht es, wie im vorliegenden Fall, um den gewöhnlichen Aufenthalt minderjähriger Kinder, ist im objektiven Bereich deren Daseinsmittelpunkt grundsätzlich unabhängig von dem der Eltern zu bestimmen (vgl. Baetge, IPRax 2006, 313, 314). Soweit für die Bestimmung des gewöhnlichen Aufenthalts dagegen subjektive Elemente, wie etwa der Bleibewille an einem neuen Ort, von Bedeutung sind, kommt es dagegen auf den Willen der gesetzlichen Vertreter, im vorliegenden Fall also der Eltern, an (vgl. Baetge IPRax 2001 aaO).
[8]Im vorliegenden Fall haben die Kinder ihren Lebensmittelpunkt bis zur Trennung der Parteien im April 2006 unzweifelhaft in Polen gehabt.
[9]Was A. angeht, haben dessen vorübergehende Aufenthalte beim Vater in Deutschland ab April 2006, auch wenn man hinsichtlich der Dauer der Aufenthalte auch für die Zeit vom 20.6. bis 16.7.2006 und vom 1. bis 21.8.2006 von der Darstellung des AGg. ausgeht, noch nicht zu einer Änderung des Daseinsmittelpunkts des Kindes mit dem Ergebnis geführt, dass der gewöhnliche Aufenthalt in Polen beendet und ein neuer in Deutschland begründet worden ist.
[10]Eine soziale Integration in Deutschland hat allerdings mit dem Aufenthalt beim Vater und dem Schulbesuch in W./Deutschland ab Anfang September 2006 begonnen. Wie das AG zutreffend festgestellt. hat, war vom 2.9.2006 bis zum 5.1.2007, dem Zeitpunkt, zu welchem dem AGg. spätestens klar sein musste, dass die ASt. mit einem weiteren Aufenthalt A.s in Deutschland nicht mehr einverstanden war, die Frist von sechs Monaten noch nicht abgelaufen.
[11]Das AG hat es abgelehnt, aus der Vereinbarung der Parteien über den Schulbesuch A.s in Bayern ab dem Schuljahr 2006/2007 einen Wechsel des gewöhnlichen Aufenthalts schon vor Ablauf der Sechs-Monats-Frist abzuleiten. Dem ist zu folgen.
[12]Anzumerken ist insoweit zunächst, dass eine Vereinbarung der Eltern über den Aufenthalt der gemeinsamen Kinder, wie sie im vorliegenden Fall im Schriftstück vom 5.7.2006 niedergelegt worden ist, nicht unmittelbar den gewöhnlichen Aufenthalt des Kindes bestimmen kann. Wo ein Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, ist grundsätzlich anhand der angeführten objektiven Kriterien zu klären (vgl. dazu Baetge aaO). Die Vereinbarung vom Juli 2006 könnte allerdings insoweit von Bedeutung sein, als der darin niedergelegte und objektiv bis 22.12.2007 umgesetzte gemeinsame Wille der Parteien, dass A. ab September 2006 beim Vater in Deutschland lebt und die Schule besucht, zu einem Wechsel des gewöhnlichen Aufenthalts schon vor dem Ablauf der im Regelfall einzuhaltenden Sechs-Monats-Frist alsbald nach Beginn des Schulbesuchs [führte], jedenfalls aber bis zum 22.12.2006 anzunehmen ist.
[13]Der Senat ist der Auffassung, dass auch unter diesem Aspekt ein Wechsel des gewöhnlichen Aufenthalts A.s von Polen nach Deutschland bis zum 22.12.2006 bzw. bis 11.2.2007 nicht eingetreten ist, weil
[14]bereits nach den Herbstferien anlässlich der Streitigkeiten zwischen den Parteien zumindest Zweifel daran deutlich geworden sind, dass die ASt. weiter hinter der Abmachung vom 5.7.2006 steht und
[15]v.a. davon auszugehen ist, dass die Abmachung vom 5.7.2006 keine endgültige Übersiedelung A.s zum Vater, sondern nur einen zeitlich begrenzten Aufenthalt des Kindes in Deutschland vorsah.
[16]Insoweit spricht zwar vieles dafür, dass zwischen den Parteien entgegen der Darstellung der ASt. nicht nur ein Schulbesuch A.s in Bayern bis zu den Weihnachtsferien 2006, sondern entsprechend der Darstellung des AGg. für das gesamte Schuljahr 2006/2007 vereinbart war. Aber auch bei Zugrundelegung dieser Darstellung lag ein übereinstimmender Wille der Eltern, dass A. auf Dauer in Deutschland bleibt, nicht vor.
[17]Es kann dahinstehen, ob die zeitliche Begrenzung des geplanten Schulbesuches A.s in Bayern auch dann einer Beendigung des gewöhnlichen Aufenthalts A.s in Polen entgegengestanden hätte, wenn der Plan bis zum Ende des Schuljahrs durchgeführt worden wäre. Der Umstand, dass keine endgültige Umsiedelung A.s nach Deutschland vereinbart war, führt aber jedenfalls dazu, dass vor Ablauf der regelmäßig einzuhaltenden Sechs-Monats-Frist ein Wechsel des gewöhnlichen Aufenthalts des Kindes nicht angenommen werden kann (vgl. zur Bedeutung des Willens, auf Dauer an einem anderen Ort zu leben, Baetge aaO).
[18]Das Vorliegen der Voraussetzungen des Art. 3 und damit die Anwendung des HKiEntÜ könnte auch dann nicht verneint werden, wenn man davon ausgehen würde, dass A. als Folge der Vereinbarung vom 5.7.2006 bis 22.12.2006, möglicherweise auch noch am 11.2.2007, einen doppelten gewöhnlichen Aufenthalt in Polen und in Deutschland gehabt hat. Ob ein solcher mehrfacher gewöhnlicher Aufenthalt überhaupt möglich ist (dafür: OLG Karlsruhe, FamRZ 2003, 955 (IPRspr. 2002 Nr. 107), OLG Frankfurt, FPR 2001, 233) ist streitig (vgl. Baetge, IPRax, 2005, 335, 336). Teilweise wird die Möglichkeit eines gleichzeitigen gewöhnlichen Aufenthalts in mehreren Ländern abgelehnt und bei alternativem Aufenthalt des Kindes bei beiden Elternteilen angenommen, dass der gewöhnliche Aufenthalt des Kindes jeweils wechselt (so OLG Stuttgart, FamRZ 2003, 959 (IPRspr. 2003 Nr. 90)) oder dass es in einem solchen Fall bei dem vor der Vereinbarung und Praktizierung des Wechsels bestehenden gewöhnlichen Aufenthalt bleibt (so etwa OLG Rostock, FamRZ 2001, 642 (IPRspr. 2000 Nr. 85)).
[19]Ausgehend von den beiden zuletzt genannten Auffassungen wäre der gewöhnliche Aufenthalt A.s jedenfalls am 11.2.2007 bei der ASt. in Polen gewesen.
[20]Aber auch bei Annahme eines doppelten gewöhnlichen Aufenthalts läge eine Verletzung des Sorgerechts der sorgeberechtigten Mutter im Sinne des Art. 3 HKiEntÜ vor, wenn das Kind – wie im vorliegenden Fall – gegen den Willen dieses Elternteils vom anderen Elternteil in ein anderes Land verbracht wird. Es gibt deshalb entgegen der in zwei Entscheidungen – des OLG Karlsruhe (FamRZ 2003, 955 (IPRspr. 2002 Nr. 107)) und des OLG Frankfurt (FPR 2001, 233) – vertretenen Auffassung keinen Grund, in einem solchen Fall das Vorliegen der Voraussetzungen der Art. 3, 4 HKiEntÜ bzw. die Anwendung des HKiEntÜ abzulehnen (so auch Baetge IPRax 2005 aaO).
[21]Ausgehend von der geschilderten rechtlichen Situation steht auch bei J. die Praktizierung eines wechselnden Aufenthalts in Polen und Deutschland in der Zeit von April 2006 bis längstens 8.12.2006 entsprechend der Vereinbarung vom 5.7.2006 dem Fortbestehen eines gewöhnlichen Aufenthalts des Kindes in Polen auch noch am 11.2.2007 nicht entgegen.
[22]Auch wenn man nicht nur die unstreitigen, sondern auch die vom AGg. behaupteten Aufenthaltszeiten des Kindes in Deutschland sowie den behaupteten und teilweise belegten Kindergartenbesuch in W./Deutschland unterstellt, kann nach den aufgezeigten Grundsätzen noch nicht von einer Integration des Kindes in Deutschland in der Weise ausgegangen werden, dass es dadurch zu einem bis zu den Weihnachtsferien 2006 bzw. bis zum 11.2.2007 fortwirkenden vollständigen Wechsel des gewöhnlichen Aufenthalts des Kindes von Polen nach Deutschland gekommen ist.
[23]Auch insoweit ist im Übrigen die am 5.7.2006 getroffene Vereinbarung der Eltern über das Wechselmodell jedenfalls seit den Weihnachtsferien 2006 von der ASt. nicht mehr mitgetragen worden.
[24]b) Die Voraussetzungen des Art. 3 HKiEntÜ sind auch insoweit erfüllt, als durch das Verbringen der Kinder nach Deutschland am 11.2.2007 ein bestehendes Sorgerecht der ASt. verletzt wurde, das diese zum genannten Zeitpunkt auch tatsächlich ausgeübt hat.
[25]Geht man davon aus, dass die Kinder am 11.2.2007 ihren gewöhnlichen Aufenthalt (zumindest auch) in Polen hatten, liegt es nahe, dass das Sorgerecht für die Kinder über das dann zunächst maßgebliche polnische IPR nach materiellem polnischen Recht zu beurteilen ist. Dass danach die (mit dem Vater nicht verheiratete) Mutter jedenfalls ein Mitsorgerecht hat, ergibt sich aus Art. 93 des poln. Familien- und Vormundschaftskodex vom 25.2.1964 (Dz.U. Nr. 9 Pos. 59; im Folgenden FGB; vgl. Bergmann-Ferid-Henrich, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht [162. Lfg.], Polen S. 42 f., 57). Aber auch nach deutschem Recht wäre die ASt. (nach § 1626a BGB) mitsorgeberechtigt.
[26]Die Verbringung der Kinder nach Deutschland am 11.2.2007 erfolgte auch gegen den Willen der ASt.
[27]Es kann dabei dahinstehen, ob der AGg. entsprechend der Darstellung der ASt. an diesem Tag seinen deutschen Personalausweis und seinen Führerschein sowie die Reisepässe der Kinder der ASt. als Garantie dafür überlassen hat, dass er die Kinder wieder zurückgibt, oder ob der AGg. entsprechend seiner Darstellung die Dokumente mit seinem Sakko bei der ASt. vergessen hat. Angesichts dessen, dass die ASt. bereits in den Weihnachtsferien erklärt hatte, dass sie die Kinder nicht nach Deutschland zurücklassen will, und die Rückkehr der Kinder auch gegenüber dem am 5.1.2007 angereisten AGg. verweigert hat, spricht alles dafür, dass sie auch am 11.2.2007 jedenfalls mit einer Mitnahme der Kinder nach Deutschland nicht einverstanden war.
[28]2. Damit sind die Kinder aber am 11.2.2007 vom AGg. im Sinne des Art. 3 HKiEntÜ widerrechtlich von Polen nach Deutschland verbracht worden. Da der Antrag der ASt. vom 3.4.2007 auf Rückführung innerhalb eines Jahres nach dem 11.2.2007 gestellt worden ist, liegen grundsätzlich die Voraussetzungen für die Anordnung einer sofortigen Rückgabe der Kinder nach Art. 12 HKiEntÜ vor.
[29]3. Einer Rückführungsanordnung steht auch Art. 13 HKiEntÜ nicht entgegen.
[30]a) Davon, dass der AGg. nachgewiesen hätte, dass die ASt. dem Verbringen der Kinder nach Deutschland am 11.2.2007 zugestimmt oder dieses nachträglich genehmigt hätte, kann nach den Ausführungen zu 1. b) nicht ausgegangen werden.
[31]b) Die Anordnung einer Rückgabe kann nach Art. 13 I lit. b HKiEntÜ unterbleiben, wenn die Rückgabe mit der schwerwiegenden Gefahr eines körperlichen oder seelischen Schadens für das Kind verbunden ist oder das Kind auf andere Weise in eine unzumutbare Lage bringt.
[32]Insoweit ist zunächst klarzustellen, dass die Ausnahmevorschrift des Art. 13 I lit. b im Hinblick auf die Ziele des HKiEntÜ, die Beteiligten von einem widerrechtlichen Verbringen von Kindern ins Ausland abzuhalten und die Sorgerechtsentscheidung am Ort des früheren gewöhnlichen Aufenthalts des Kindes zu, ermöglichen (vgl. etwa BVerfG, FamRZ 1996, 405 (IPRspr. 1996 Nr. 89)) eng auszulegen ist. Deshalb können nur ungewöhnlich schwerwiegende Beeinträchtigungen des Kindeswohls einer Rückführung entgegenstehen. Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen solcher außergewöhnlicher Beeinträchtigungen trägt der AGg.
[33]Eine in diesem Sinn zu verstehende schwerwiegende Gefahr eines körperlichen oder seelischen Schadens für die Kinder durch die Anordnung einer Rückgabe an die ASt. zum Zwecke der Rückführung nach Polen kann im vorliegenden Fall nicht bejaht werden.
[34]Soweit es um das vom AGg. der ASt. angelastete Unterbleiben einer ausreichenden zahnärztlichen Versorgung A.s in Polen geht, sind die aufgetretenen – sicher massiven – Schäden, soweit ersichtlich, zwischenzeitlich in Deutschland beseitigt. Die Frage der Verantwortlichkeit für insoweit vorliegende Versäumnisse der Eltern mag für die Entscheidung über das eigentliche Sorgerecht von Bedeutung sein. Eine schwerwiegende Gefahr eines körperlichen Schadens durch die Rückführung des Kindes nach Polen zum Zweck der Durchführung eines Sorgerechtsverfahrens ist aber, auch weil ein akuter Handlungsbedarf nach der durchgeführten Sanierung nicht vorgetragen oder ersichtlich ist, nicht dargetan.
[35]Auch aus den durch die Bestätigung der deutschen Schule in W./Polen vom 29.6. 2006 belegten bzw. unstreitigen Schulversäumnissen A.s (53 Tage unentschuldigtes Fehlen im zweiten Halbjahr des Schuljahres 2005/2006, kein Schulbesuch nach den Weihnachtsferien 2006/2007 bis zum 11.2.2007) sowie aus dem Vortrag einer fehlenden Unterstützung A.s durch die Mutter in der deutschen Schule in W./Polen kann noch keine schwerwiegende Gefährdung des Wohls des Kindes im Sinne des Art. 13 I lit. b HKiEntÜ durch die Anordnung einer Rückführung abgeleitet werden. Ob es auch nach einer Rückführung zu weiteren Schulversäumnissen kommt, ist ungewiss. A. hat bei seiner Anhörung durch den Senat den Eindruck erweckt, dass er nach der Zeit, in der er in Deutschland die Schule besucht hat, den Sinn und die Notwendigkeit eines Schulbesuches durchaus erfasst hat. Auf die Frage, wie es denn seiner Vorstellung nach bei einer eventuellen Rückkehr nach Polen mit der Schule weitergehen solle, hat er erklärt, dass er es in Deutschland gelernt habe, Hausaufgaben zu machen. Falls es zu weiteren Schulversäumnissen des Kindes kommen sollte, hätte es der Vater als mitsorgeberechtigter Elternteil in der Hand, bei den zuständigen, polnischen Behörden entsprechende Maßnahmen anzuregen, falls solche von dort aus nicht ohnehin ergriffen werden würden.
[36]Der AGg. beruft sich – im Anschluss an entsprechende Ausführungen der Verfahrenspflegerin in erster Instanz – weiter darauf, dass es einen erheblichen psychischen Schaden für A. mit sich bringen würde, wenn das Kind als Folge der Anordnung der Rückführung nach Polen dort die zweite Klasse auch im zweiten Anlauf nicht schaffen würde und diese daraufhin ein drittes Mal besuchen müsste. Aus diesem Vortrag kann eine Gefährdung im Sinne des Art. 13 I lit. b HKiEntÜ schon deshalb nicht hergeleitet werden, weil es nicht feststeht und nach den jetzt ordentlichen Leistungen A.s in der Schule in Deutschland eher nicht zu erwarten ist, dass er in Polen erneut an der zweiten Klasse scheitert.
[37]Schließlich ist auch mit dem Vortrag des AGg. und der Verfahrenspflegerin zu angeblichen – auch auf häufige Auslandsaufenthalte der ASt. zurückzuführende – Defiziten bei der Betreuung der Kinder während ihres Aufenthalts in Polen nicht ausreichend dargetan, dass die Rückkehr der Kinder nach Polen mit der schwerwiegenden Gefahr eines körperlichen oder seelischen Schadens für diese verbunden ist oder die Kinder auf andere Weise in eine unzumutbare Lage gebracht werden.
[38]Durch die in diesem Verfahren vorgelegten Belege mögen zwar negative Auswirkungen von Auslandsaufenthalten der ASt. in Spanien und Irland auf die Versorgung der Kinder punktuell, insbesondere hinsichtlich der Förderung in der Schule, belegt sein. Dies reicht jedoch nicht aus, um das Vorliegen der genannten Voraussetzungen des Art. 13 I lit. b HKiEntÜ bejahen zu können. Bei der Anhörung A.s durch den Senat haben sich im Übrigen keine Anhaltspunkte dafür ergeben, dass die Kinder etwa wegen der Auslandsaufenthalte der ASt. ohne Betreuungsperson zurückgeblieben sind.
[39]Auch das übrige Vorbringen des AGg. ist nicht geeignet, das Vorliegen einer Ausnahmesituation nach Art. 13 I lit. b HKiEntÜ darzutun.
[40]c) Die Anordnung einer Rückgabe des Kindes kann nach Art. 13 II HKiEntÜ auch dann abgelehnt werden, wenn festgestellt wird, dass sich ein Kind der Rückgabe widersetzt und dass es ein Alter und eine Reife erreicht hat, angesichts deren es angebracht erscheint, seine Meinung zu berücksichtigen.
[41]Der derzeit 8-jährige A. hat bei seiner Anhörung durch den Senat insoweit zunächst geäußert, dass es das Beste wäre, wenn seine Eltern sich darauf einigen würden, dass er in den Ferien bei seiner Mutter in Polen und im Übrigen beim Vater in Deutschland bleibt. Nach einer kurzen Überlegungspause hat er dann erklärt, dass es vielleicht doch besser sei, wenn er grundsätzlich bei seiner Mutter in Polen leben und nur in den Ferien den Vater in Deutschland besuchen würde. Angesichts dieser aktuellen Äußerungen des Kindes kann keinesfalls davon ausgegangen werden, dass dieses sich einer Rückgabe an die Mutter nach Polen in einer Weise widersetzt, die der Anordnung einer Rückführung entgegensteht. Es kann deshalb offen bleiben, ob A. bereits ein Alter und eine Reife erreicht hat, angesichts derer es angebracht erscheint, seine Meinung zu berücksichtigen.
[42]Bei J. kommt eine Anwendung des Art. 13 II HKiEntÜ angesichts seines Alters von nur vier Jahren von vornherein nicht in Betracht.
[43]Damit gibt es keinen Grund, die vom AG auf der Grundlage von Art. 12 HKiEntÜ angeordnete Herausgabe der Kinder an die ASt. zum Zwecke der sofortigen Rückführung in die Republik Polen zu beanstanden.
[44]4. Die vom AG unter II. und III. des Tenors getroffenen Anordnungen dienen der Vollstreckung der Herausgabeanordnung und finden ihre Grundlage in § 44 IntFamRVG. Dass das AG zusammen mit der Hauptsacheentscheidung unter III. bereits die besondere Verfügung getroffen hat, die nach § 44 III IntFamRVG zur Anwendung unmittelbaren Zwangs erforderlich ist, ist ebenfalls nicht zu beanstanden. Angesichts des bei der Anhörung durch den Senat deutlich gewordenen Verhältnisses der Kinder zu ihrer Mutter ist nicht zu erwarten, dass diese sich einer Rückkehr zur Mutter widersetzen werden und deshalb Gewalt gegen die Kinder angeordnet werden müsste. Auch aus diesem Grund kann die sofortige Anordnung nach § 44 III 1 IntFamRVG nach den für den Senat derzeit erkennbaren Umständen nicht als unverhältnismäßig angesehen werden.
[45]Es ist im Übrigen zu hoffen, dass die Elternteile im Interesse ihrer Kinder so vernünftig sind, die angeordnete Rückgabe der Kinder an die Mutter nach der Beendigung des laufenden Schuljahrs in Bayern einvernehmlich durchzuführen.
[46]Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens beruht auf § 52 II IntFamRVG und auf § 13a I 2 FGG.
[47]Die Festsetzung des Geschäftswerts erfolgt entsprechend §§ 131 II, 30 III, II KostO.