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Verfahrensgang

BAG, Urt. vom 27.02.2007 – 3 AZR 618/06, IPRspr 2007-45

Rechtsgebiete

Arbeitsrecht → Arbeitsrecht gesamt bis 2019
Zuständigkeit → Durchführung des Verfahrens (bis 2019)
Insolvenz- und Anfechtungsrecht

Leitsatz

Ein Antrag des Arbeitgebers nach Chapter 11 des US-amerikanischen Bankruptcy Code (Title 11 U.S.C., Bankruptcy Reform Act vom 6.11.1978; Pub. L 95-598, 92 Stat. 2549) und das dadurch automatisch ausgelöste Reorganisationsverfahren unterbrechen den Kündigungsschutzprozess. Die Aufnahme dieses Rechtsstreits durch den Kläger beendet jedoch die Unterbrechung. Für die Fortsetzung des Kündigungsschutzprozesses bedarf es nicht einer gerichtlichen Aufhebung des US-amerikanischen Verfahrensstillstands.

Rechtsnormen

ArbGG § 9; ArbGG § 61a
BC 11/1978 (USA) § 301; BC 11/1978 (USA) § 362; BC 11/1978 (USA) §  1112 (b)
EGBGB Art. 30
EuInsVO 1346/2000 Art. 1; EuInsVO 1346/2000 Art. 2
GG Art. 12
InsO § 1; InsO § 3; InsO § 86; InsO §§ 92 f.; InsO § 108; InsO §§ 129 ff.; InsO §§ 217 ff.; InsO § 270; InsO §§ 270 ff.; InsO §§ 275 ff.; InsO § 279; InsO § 280; InsO § 283; InsO § 337; InsO § 343; InsO § 352
KSchG § 4; KSchG § 7; KSchG § 13
ZPO § 240; ZPO § 250; ZPO § 328

Sachverhalt

[Siehe auch die Parallelentscheidung gleichen Datums mit dem Az. 3 AZR 619/06.]


Die Parteien streiten im vorliegenden Verfahren darüber, ob ihr vor dem LAG anhängiger Kündigungsrechtsstreit durch das von der Bekl. beantragte Reorganisationsverfahren nach dem US-amerikanischem Bankruptcy Code unterbrochen ist.

Der Kl. war seit dem 1.4.1987 bei der Bekl., einer international tätigen Fluggesellschaft mit Sitz in A./USA am Standort Frankfurt/M. beschäftigt. Zuletzt arbeitete er als Regionaldirektor. Im Jahr 2004 kündigte die Bekl. das Arbeitsverhältnis des Kl. aus wichtigem Grund fristlos und sodann unter Aufrechterhaltung der fristlosen Kündigung vorsorglich ordentlich zum nächstmöglichen Termin. Gegen beide Kündigungen hat der Kl. Kündigungsschutzklage erhoben. Die Bekl. hat im Wege der Widerklage Auskunfts- und Schadensersatzansprüche geltend gemacht.

Das ArbG hat durch Teilurteil der Kündigungsschutzklage und einem Teil der Widerklageanträge stattgegeben. Hiergegen haben sowohl der Kl. als auch die Bekl. Berufung eingelegt. Nach Eingang der Berufungen beim LAG hat die Bekl. einen Antrag nach dem US-amerikanischen Bankruptcy Code gestellt.

Das LAG hat entschieden, dass der Rechtsstreit ‚infolge Eröffnung des Verfahrens nach Chapter 11 Bankruptcy Code über das Vermögen der Bekl. unterbrochen’ ist. Es hat gegen diese Entscheidung Rechtsbeschwerde zugelassen. Der Kl. hat dieses Rechtsmittel form- und fristgerecht eingelegt. Der Senat hat das Rechtsbeschwerdeverfahren in entspr. Anwendung des § 48 I ArbGG i.V.m. §§ 17 ff. GVG in das Revisionsverfahren verwiesen. Nach Einlegung des Rechtsmittels hat der Kl. den vor dem LAG noch anhängigen Rechtsstreit mit einem den Beklagtenvertretern zugestellten Schriftsatz aufgenommen. Ihnen hat die Bekl. nach Beginn des Reorganisationsverfahrens nach dem US-amerikanischen Bankruptcy Code erneut Prozessvollmacht erteilt.

Aus den Entscheidungsgründen:

(Randnummern der IPRspr-Redaktion)

[1]Die Revision des Kl. ist erfolgreich. Gegenstand seines Rechtsmittels ist die prozessuale Frage, ob der Kündigungsschutzrechtsstreit derzeit unterbrochen ist. Dies ist nicht mehr der Fall ...

[2]A. ... B. Die Revision des Kl. ist begründet. Der vor dem LAG anhängige Kündigungsschutzprozess ist nicht mehr unterbrochen.

[3]I. Der im Revisionsverfahren zu entscheidende prozessuale Zwischenstreit betrifft nur den Kündigungsschutzprozess. Der Kl. möchte eine zügige Fortführung dieses für ihn besonders wichtigen Prozesses erreichen ... Eine Unterbrechung des vor dem LAG anhängigen Widerklageverfahrens greift er mit seinem Rechtsmittel nicht an. Der Senat hat darüber zu befinden, ob der Kündigungsschutzprozess noch unterbrochen ist. Maßgebend sind die prozessualen Verhältnisse im Zeitpunkt der Entscheidung über das eingelegte Rechtsmittel.

[4]Der Prüfungsgegenstand hat sich nicht dadurch verändert, dass nach Erlass der angegriffenen Entscheidung das LAG beschlossen hat, ein Gutachten zu den Auswirkungen des US-amerikanischen Reorganisationsverfahrens auf den anhängigen Prozess einzuholen. Durch diesen Beweisbeschluss hat sich das vorliegende Revisionsverfahren nicht erledigt.

[5]II. Der Rechtsstreit war zwar unterbrochen. Die Aufnahme des Kündigungsschutzrechtsstreits durch den Kl. hat aber zu einer Beendigung der Unterbrechung geführt.

[6]1. Der Antrag der Bekl. nach Chapter 11 [Reorganization] des US-amerikanischen Bankruptcy Code – Title 11 U.S.C. des Bankruptcy Reform Act – vom 6.11.1978 (Pub.L 95-598, 92 Stat. 2549; im Folgenden BC) hatte eine Unterbrechung des Verfahrens nach § 352 InsO bewirkt. Das Reorganisationsverfahren nach dem BC ist als Insolvenzverfahren im Sinne des § 352 InsO anzusehen. Die vom Kl. erhobenen Bedenken greifen im Ergebnis nicht durch.

[7]a) Das Reorganisationsverfahren nach dem BC ist allerdings mit dem Leitbild eines Insolvenzverfahrens, das der EuInsVO zugrunde liegt, nur sehr schwer zu vereinbaren.

[8]aa) Nach der Definitionsvorschrift des Art. 2 lit. a EuInsVO sind unter ‚Insolvenzverfahren’ die in Art. 1 I genannten ‚Gesamtverfahren’ zu verstehen. Art. 1 I EuInsVO bestimmt den Anwendungsbereich dieser Verordnung. Sie gilt ‚für Gesamtverfahren, welche die Insolvenz des Schuldners voraussetzen und den vollständigen oder teilweisen Vermögensbeschlag gegen den Schuldner sowie die Bestellung eines Verwalters zur Folge haben’. Art. 2 litt. d bis f EuInsVO deuten darauf hin, dass eine Eröffnungsentscheidung eines Justizorgans oder einer sonstigen Stelle eines Mitgliedstaats für ein Insolvenzverfahren im Sinne der EuInsVO nötig ist. Nach Art. 2 lit. f EuInsVO ist ‚Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung’ der ‚Zeitpunkt, in dem die Eröffnungsentscheidung wirksam wird’. Unter ‚Entscheidung’ ist, falls es sich um die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens handelt, die Entscheidung jedes Gerichts zu verstehen, ‚das zur Eröffnung eines derartigen Verfahrens ... befugt ist’ (Art. 2 lit. e EuInsVO). ‚Gericht’ ist ‚das Justizorgan oder jede sonstige zuständige Stelle eines Mitgliedstaats, die befugt ist, ein Insolvenzverfahren zu eröffnen’ (Art. 2 lit. d EuInsVO).

[9]bb) Der Typik eines derartigen Insolvenzverfahrens entspricht das Reorganisationsverfahren nach dem US-amerikanischen BC allenfalls gerade noch.

[10](1) Bereits der vom Schuldner eingereichte Antrag in einem Verfahren nach dem BC begründet automatisch eine order for relief [§ 301 (b) BC] und löst damit ohne weiteres das Reorganisationsverfahren aus. Dieser Antrag bedarf keines besonderen Vorbringens und keiner Beweisführung. Eine formelle Anordnungsentscheidung, insbesondere über einen Eröffnungsgrund, gibt es nicht. Der eintretende stay ist automatic and selfoperating, bedarf also keiner gerichtlicher Maßnahmen (vgl. dazu u.a. Habscheid, Grenzüberschreitendes (internationales) Insolvenzrecht der Vereinigten Staaten von Amerika und der Bundesrepublik Deutschland, 1998, § 23 I; Jander/Sohn, RIW 1981, 744, 746 f.; Kemper, Die US-amerikanischen Erfahrungen mit ‚Chapter 11’, 1996, 16 ff.). Durch den automatic stay werden sämtliche Maßnahmen der Gläubiger eingestellt, vom Schuldner irgendetwas zu verlangen. In Missbrauchsfällen kommt nach § 1112 (b) BC die vorzeitige Beendigung des Reorganisationsverfahrens in Betracht. Dabei handelt es sich aber um einen zumindest ‚dornenreichen’ Weg.

[11](2) Die Rechtsstellung der Bekl. in dem Reorganisationsverfahren nach dem BC unterscheidet sich deutlich von der eines Insolvenzschuldners nach der EuInsVO und der InsO.

[12]Im Reorganisationsverfahren nach dem BC darf ein trustee nur auf Antrag eines Beteiligten eingesetzt werden, wenn dafür ein gesetzlich vorgesehener Grund vorliegt (vgl. dazu u.a. Kemper aaO 56). In der Regel und so auch im vorliegenden Fall verbleiben die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnisse dem Schuldner. Er nimmt in dem Reorganisationsverfahren als debtor in possession alle Befugnisse eines trustee wahr. Die EuInsVO setzt voraus, dass es einen Verwalter gibt (Art. 2 lit. b). Auch im deutschen Insolvenzrecht gibt es zwar eine Eigenverwaltung durch den Schuldner (§§ 270 ff. InsO). Er übt seine Verwaltungs- und Verfügungsbefugnisse aber unter der Aufsicht eines vom Insolvenzgericht zu bestellenden Sachwalters aus (§ 270 I InsO). Dem Sachwalter stehen – im Vergleich zum US-amerikanischen Recht – weitergehende Mitwirkungsrechte zu (vgl. §§ 275 ff. InsO). Einige Rechte kann der Schuldner nur mit Zustimmung des Sachwalters ausüben (vgl. § 279 I 3 InsO). Nur der Sachwalter kann die Haftung nach §§ 92 f. InsO für die Insolvenzmasse geltend machen und die Rechtshandlungen nach §§ 129 ff. InsO anfechten (§ 280 InsO). Angemeldete Forderungen kann auch der Sachwalter eigenständig bestreiten mit der Folge, dass die Forderung als nicht festgestellt gilt (§ 283 I InsO). Der nach der InsO bestellte Sachwalter ist ein Verwalter im Sinne der EuInsVO und folgerichtig im Anhang C zu dieser Verordnung aufgeführt. Ein vergleichbares Organ fehlt im Reorganisationsverfahren nach dem US-amerikanischen BC.

[13]cc) Es handelt sich jedoch auch dann um ein ausländisches Insolvenzverfahren im Sinne des § 352 InsO, wenn das Reorganisationsverfahren nach dem BC nicht den Anforderungen genügt, die der EuInsVO zu entnehmen sind.

[14](1) Das Leitbild der EuInsVO ist nicht als zwingende Anforderung an ausländische Insolvenzverfahren in Drittstaaten anzusehen. Der Gesetzgeber hat eine Grundentscheidung für das Universalitätsprinzip getroffen. Nicht nur inländischen Insolvenzverfahren, sondern in gleicher Weise auch ausländischen Verfahren soll universelle Wirkung zukommen (BT-Drucks. 12/2443 S. 235). Daraus lässt sich zwar keine schrankenlose Anerkennung der insolvenzrechtlichen Wirkungen von Auslandsverfahren herleiten, denn dies wäre rechtspolitisch nicht zu verantworten (vgl. BT-Drucks. 12/2443 S. 236). Das deutsche internationale Insolvenzrecht zeichnet sich aber durch eine große Offenheit aus. Dies zeigt auch § 343 I 2 Nr. 2 InsO. Danach wird ein ausländisches Insolvenzverfahren nur ‚soweit’ nicht anerkannt, als es zu einem Ergebnis führt, das ‚mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts offensichtlich unvereinbar ist, insbesondere ... mit den Grundrechten unvereinbar ist’. Dem Konzept und dem Zweck des deutschen internationalen Insolvenzrechts widerspräche es, die auf den Wirtschaftsraum der EG zugeschnittenen Anforderungen und Leitbilder auf andersartige Rechtsordnungen mit ihren vielfältigen Verfahren und Rechtsstatuten zu übertragen. Deshalb ist in erster Linie darauf abzustellen, ob das ausländische Verfahren im Großen und Ganzen Zwecken dienstbar gemacht wird, die § 1 InsO als Aufgaben des deutschen Insolvenzverfahrens umschreibt.

[15]Nach § 1 InsO dient das Insolvenzverfahren dazu: ‚die Gläubiger eines Schuldners gemeinschaftlich zu befriedigen, indem das Vermögen des Schuldners verwertet und der Erlös verteilt oder in einem Insolvenzplan eine abweichende Regelung insbesondere zum Erhalt des Unternehmens getroffen wird. Dem redlichen Schuldner wird Gelegenheit gegeben, sich von seinen restlichen Verbindlichkeiten zu befreien’. Diese Ziele können auch durch Sanierungsverfahren erreicht werden. In der Gesetzesbegründung wird ausdrücklich betont, dass ‚neben Verfahren, die wie das bisherige deutsche Konkursverfahren in erster Linie auf alsbaldige Liquidation des Schuldnervermögens angelegt sind, auch Verfahren anerkannt werden können, durch die nach Eintritt einer Insolvenz die Konkurseröffnung vermieden werden soll, sofern mit diesem Verfahren – wie mit dem bisherigen deutschen Vergleichsverfahren – auch das Ziel der Befriedigung der Gläubiger verfolgt wird’ (BT-Drucks. 12/2443 S. 236). Diesen Anforderungen wird das Reorganisationsverfahren nach dem BC gerecht. Es diente sogar dem Insolvenzplanverfahren nach §§ 217 ff. InsO zum Vorbild.

[16](2) Die verfahrensmäßige Ausgestaltung der Insolvenzverfahren in Drittstaaten wird von unterschiedlichen rechts-, wirtschafts- und sozialpolitischen Zielen bestimmt. Dies gilt auch für die Frage, wie das Insolvenzverfahren eröffnet wird – durch Entscheidung eines staatlichen Organs oder automatisch durch Antragstellung –, ob und welche Kontrollorgane neben dem Insolvenzgericht bestehen, welche Stellung der Schuldner und die Gläubiger im Einzelnen haben. Das Verfahren nach dem US-amerikanischen BC entspricht den Mindestanforderungen an ein rechtsstaatliches Verfahren. Der Schuldner unterliegt als debtor in possession einer gerichtlichen Kontrolle. Unerheblich ist es, ob eine weitergehende Kontrolle des Schuldners wünschenswert wäre.

[17]b) Aus der Gesetzessystematik und dem Zweck des § 352 InsO ergibt sich, dass nur ein nach § 343 InsO anerkanntes ausländisches Insolvenzverfahren die Unterbrechung eines Rechtsstreits auslösen kann. Die Anerkennung der Eröffnung des ausländischen Insolvenzverfahrens bedeutet – worauf in der Gesetzesbegründung (BT-Drucks. 15/16 S. 21) ausdrücklich hingewiesen worden ist –, ‚dass dieses unmittelbar, d.h. ohne ein besonderes Anerkennungsverfahren, im Inland Wirkungen entfaltet’. Die Anerkennungsvoraussetzungen des § 343 I 2 InsO sind erfüllt.

[18]aa) § 343 I 2 Nr. 1 InsO verlangt nicht eine Eröffnungsentscheidung des mit dem ausländischen Insolvenzverfahren befassten Gerichts. Der automatic stay steht einer gerichtlichen Gestaltungsentscheidung gleich (vgl. u.a. Habscheid aaO 311 f.).

[19]Erforderlich und ausreichend ist die internationale Zuständigkeit des mit dem Reorganisationsverfahren befassten United States Bankruptcy Court Southern District of New York. Grundsätzlich verteilen die Vorschriften über die örtliche Zuständigkeit nicht nur die Rechtsprechungsaufgaben auf die einzelnen deutschen Gerichte nach örtlichen Gesichtspunkten, sondern legen mittelbar auch den Umfang der internationalen Zuständigkeit fest (vgl. u.a. BAG, 9.10.2002 – 5 AZR 307/01 (IPRspr. 2002 Nr. 151), AP Nr. 18 zu § 38 ZPO Internationale Zuständigkeit = EzA Nr. 1 zu § 29 ZPO 2002, zu I. 2 der Gründe m.w.N.).

[20]Örtlich zuständig nach § 3 I 1 InsO ist ausschließlich das Insolvenzgericht, in dessen Bezirk der Schuldner seinen allgemeinen Gerichtsstand hat. Liegt der Mittelpunkt einer selbständigen wirtschaftlichen Tätigkeit des Schuldners an einem anderen Ort, so ist ausschließlich das Insolvenzgericht zuständig, in dessen Bezirk dieser Ort liegt. Durch § 3 I 2 InsO ist u.a. klargestellt worden, dass es bei mehreren Niederlassungen auf die Hauptniederlassung ankommt (vgl. BT-Drucks. 12/2443 S. 10). Schuldnerin ist im vorliegenden Fall die Bekl.. Sie hat ihren Sitz in den Vereinigten Staaten. Dort liegt auch der Mittelpunkt ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit. Ebenso wenig wie nach § 328 I Nr. 1 ZPO bei der Anerkennung ausländischer Urteile kommt es auf die örtliche Zuständigkeit innerhalb des ausländischen Staats an (vgl. BGH, 29.4.1999 – IX ZR 263/97 (IPRspr. 1999 Nr. 160), BGHZ 141, 286, zu III. 1 der Gründe) . Da das Insolvenzrecht in den USA überwiegend bundesrechtlich geregelt ist, kommt es allein darauf an, dass eine US-amerikanische Zuständigkeit gegeben ist.

[21]bb) Die Unterbrechung des Rechtsstreits durch das US-amerikanische Reorganisationsverfahren stellt kein Ergebnis dar, das mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts offensichtlich unvereinbar ist (§ 343 I 2 Nr. 2 InsO). Selbst nach deutschem Recht führt die Insolvenzeröffnung zur Unterbrechung eines anhängigen Feststellungsprozesses, wenn der Streitgegenstand zumindest einen mittelbaren Bezug zur Insolvenzmasse hat. Ein derartiger Bezug liegt schon dann vor, wenn die obsiegende Partei auf der Basis der arbeitsgerichtlichen Entscheidung vermögensrechtliche Ansprüche geltend machen kann. Dementsprechend betrifft eine Feststellungsklage die Insolvenzmasse, wenn sie den Weg für einen vermögensrechtlichen Anspruch und damit für eine Insolvenzforderung oder Masseverbindlichkeit ebnet (vgl. BAG, 12.4.1983 – 3 AZR 73/82, AP Nr. 3 zu § 240 ZPO; BGH, 27.3.1995 – II ZR 140/93, NJW 1995, 1750, zu I. 1 der Gründe; Zwanziger, Das Arbeitsrecht der Insolvenzordnung, 3. Aufl., § 185 InsO Rz. 8; Stein-Jonas-Roth, ZPO, 22. Aufl., § 240 Rz. 11 f.) . Dies ist bei einer Kündigungsschutzklage der Fall. Der Arbeitnehmer kann bei einem Obsiegen mit der Kündigungsschutzklage zahlreiche vermögensrechtliche Ansprüche geltend machen. Deshalb wird nach § 240 ZPO ein Kündigungsrechtsstreit durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens immer unterbrochen (BAG, 18.10.2006 – 2 AZR 563/05 Rz. 19) .

[22]c) Es widerspricht nicht der Rechtsprechung des BGH und des BFH, dass der Rechtsstreit durch die Eröffnung des Reorganisationsverfahrens nach dem BC unterbrochen ist. Zur früheren Rechtslage – vor Inkrafttreten des § 352 InsO und vor der Änderung des § 240 ZPO – hatte der BGH zunächst die Ansicht vertreten, dass ein im Ausland eröffnetes Konkursverfahren einen im Inland anhängigen Rechtsstreit gegen den Gemeinschuldner nicht unterbreche. Diesen Standpunkt hatte auch der BFH mit Beschluss vom 12.10.1977 (I R 17/77, BFHE 123, 406) (IPRspr. 1977 Nr. 193) eingenommen. Im Urteil vom 11.7.1985 (IX ZR 178/84 (IPRspr. 1985 Nr. 218), BGHZ 95, 256, zu I. 5 der Gründe) hatte dann der BGH diese Rechtsfrage offengelassen. Mit den Beschlüssen vom 13.5.1997 (IX ZR 309/96, NJW 1997, 2525) (IPRspr. 1997 Nr. 219) und 26.11.1997 (IX ZR 309/96, ZIP 1998, 659) (IPRspr. 1997 Nr. 219 N. 1) hat er seine Rechtsauffassung geändert und ist davon ausgegangen, dass die Eröffnung eines grundsätzlich anzuerkennenden Auslandskonkurses gemäß § 240 ZPO einen im Inland gegen den Gemeinschuldner anhängigen, die Konkursmasse betreffenden Prozess unterbricht, sofern das ausländische Recht die ausschließliche Prozessführungsbefugnis des Konkursverwalters auch mit Bezug auf Schuldnervermögen in fremden Staaten vorsieht. Dieser geänderten Rechtsprechung des BGH hat sich der BFH angeschlossen (21.1.1998 – I ER-P-1/98). Diese vom BGH und vom BFH gestellten Anforderungen an eine Unterbrechung durch ein ausländisches Insolvenzverfahren haben auf einer erweiternden Anwendung des § 240 ZPO und auf dem damals geltenden Konkursrecht beruht.

[23]Seither hat sich sowohl die prozessuale als auch die ihr zugrunde liegende insolvenzrechtliche Rechtslage entscheidend geändert, insbesondere durch das Inkrafttreten des § 352 InsO und die Möglichkeit eines Insolvenzverfahrens mit Anordnung der Eigenverwaltung. Aufgrund der nunmehrigen Rechtslage verlangt der BGH für eine Unterbrechung des Rechtsstreits keinen Wechsel der Prozessführungsbefugnis mehr (vgl. 7.12.2006 – V ZB 93/06, ZIP 2007, 249, zu II. 2 der Gründe). Er bejaht eine Unterbrechung des Rechtsstreits nach § 240 Satz 1 ZPO auch dann, wenn das Insolvenzgericht keinen Insolvenzverwalter bestellt, sondern die Eigenverwaltung durch den Schuldner anordnet.

[24]2. Nach § 352 I 2 InsO i.V.m. § 250 ZPO hat die Unterbrechung des Kündigungsschutzrechtsstreits dadurch geendet, dass der Kl. diesen Rechtsstreit ordnungsgemäß aufgenommen hat. Trotz des automatic stay hat es einer gerichtlichen Aufhebung des US-amerikanischen Verfahrensstillstands [relief from stay nach § 362 (d) bis (g) BC] für die Fortsetzung des Kündigungsschutzprozesses nicht bedurft.

[25]a) Der Kündigungsrechtsstreit ist zwar erst nach Erlass der angegriffenen Entscheidung aufgenommen worden. Diese prozessuale Tatsache ist aber im Revisionsverfahren zu berücksichtigen ...

[26]b) Der für eine Aufnahme des Rechtsstreits in Betracht kommende Personenkreis bestimmt sich nach der lex fori concursus, also nach US-amerikanischem Recht. Insoweit ist der Wortlaut des § 352 I 2 InsO unmissverständlich. Die Art und Weise der Aufnahme richtet sich nach der lex fori und damit nach deutschem Prozessrecht (vgl. BT-Drucks. 12/2443 S. 244). Problematisch ist nur, nach welcher Rechtsordnung sich die Voraussetzungen für die Aufnahme des Rechtsstreits richten und was unter der ‚Berechtigung zur Fortführung des Rechtsstreits’ zu verstehen ist. Im Ergebnis kommt es jedoch darauf nicht an.

[27]aa) Dem Gesetzeswortlaut, der Gesetzessystematik und dem darin zum Ausdruck kommenden Gesetzeszweck ist zu entnehmen, dass sich alle Voraussetzungen (‚ob’) der Aufnahme eines inländischen Rechtsstreits nach dem Recht des Staats, in dem das Insolvenzverfahren eröffnet wurde, richten und die Form der Aufnahme (‚wie’) nach deutschem Prozessrecht. Nach dem Gesetzestext ist es nötig, dass die Person, die den Rechtsstreit aufnimmt, zu dessen Fortführung im konkreten Fall berechtigt ‚ist’. Es genügt nicht, dass sie berechtigt sein kann.

[28]§ 352 I 2 InsO verwendet auch nicht den im Prozessrecht gängigen Ausdruck der Prozessführungsbefugnis. Dies ist konsequent, weil auf ausländische Rechtsordnungen mit ihren vielfältigen Regelungen abgestellt wird. Der neutral gefasste Ausdruck ‚berechtigt’ spricht ebenfalls dafür, dass die Aufnahmevoraussetzungen der am Ort des Insolvenzgerichts geltenden Rechtsordnung zu entnehmen sind und es auf die im deutschen Recht üblichen Differenzierungen nicht ankommt. Nach dem Willen des Gesetzgebers ‚soll nicht in die Regelung der insolvenzrechtlichen Befugnisse der Beteiligten durch den ausländischen Staat eingegriffen werden’ (BT-Drucks. 15/16 S. 24; BT-Drucks. 12/2443 S. 244).

[29]bb) Selbst wenn es auf die Unterscheidung zwischen den rechtlichen Möglichkeiten (‚können’) und den prozessualen Verhaltenspflichten (‚dürfen’) ankäme, änderte sich im Ergebnis nichts. Der automatic stay wirkt auf die prozessualen Befugnisse (Berechtigungen) der Gläubiger unmittelbar ein. Er hat zur Folge, dass sämtliche Handlungen unwirksam sind, die unter Verstoß gegen den Verfahrensstillstand unternommen wurden (Kemper aaO 96). Das US-amerikanische Recht hat sich für einen umfassenden automatic stay und dementsprechend für einen weiten Handlungsbegriff entschieden, unter den das Weiterbetreiben eines Rechtsstreits fällt. Zur Durchsetzung eines vom automatic stay erfassten Rechtsstreits bedarf es nach US-amerikanischem Recht einer gerichtlichen Aufhebung des Verfahrensstillstands im Einzelfall (zum relief from stay vgl. Kemper aaO 99 ff.) . Trotzdem ist der gekündigte Arbeitnehmer nicht gehindert, den Kündigungsrechtsstreit aufzunehmen. Dies ergibt sich aus § 337 i.V.m. § 108 InsO und der verfassungsrechtlich gebotenen Effektuierung des Kündigungsschutzes. Zudem verstößt die Einschränkung der Aufnahmemöglichkeiten bei Kündigungsprozessen gegen den ordre public. Dieser Grundsatz erstreckt sich auf das Verfahrensrecht und begrenzt nach § 343 I Nr. 2 InsO die Anerkennung des ausländischen Insolvenzverfahrens.

[30](1) Nach § 337 InsO i.V.m. Art. 30 II Nr. 1 EGBGB ist im vorliegenden Fall deutsches Arbeitsrecht anzuwenden. Es gelten nicht die US-amerikanischen, sondern die deutschen Bestandsschutzregelungen. Nach § 108 InsO bestehen die Arbeitsverhältnisse auch bei Insolvenz des Arbeitgebers fort. Der Bestandsschutz wird nur durch die in der InsO vorgesehenen Sonderregelungen eingeschränkt. Ein ausländisches Insolvenzverfahren berührt also für sich genommen den Bestand des Arbeitsverhältnisses nicht.

[31]§ 337 InsO trägt der besonderen Bedeutung des Kündigungsschutzes für den Arbeitnehmer Rechnung. Der Gesetzgeber hielt ‚eine vom Recht des Staats der Verfahrenseröffnung abweichende Sonderanknüpfung ... auch für Arbeitsverhältnisse geboten, da diese oftmals existentielle Bedeutung für den Arbeitnehmer haben ... Insbesondere die Beendigung des Arbeitsverhältnisses berührt wesentlich die soziale Ordnung, so dass grundsätzlich das Recht des Arbeitverhältnisses auch in der Insolvenz maßgeblich sein sollte, um der personellen Einbettung des Arbeitsverhältnisses in der dafür zuständigen Rechtsordnung Rechnung zu tragen’ (BT-Drucks. 15/16 S. 18).

[32](2) Nach Sinn und Zweck des § 337 InsO ist die Bedeutung des Kündigungsschutzes im deutschen Rechtssystem und damit auch der Zusammenhang mit den Grundrechten zu beachten.

[33]Dem Staat obliegt eine aus dem Grundrecht des Art. 12 I GG folgende Schutzpflicht, der die geltenden Kündigungsschutzvorschriften Rechnung tragen (BVerfG, 27.1.1998 – 1 BvL 15/87, BVerfGE 97, 169, zu B. I der Gründe) . Bei der Regelung des Kündigungsschutzes hatte der Gesetzgeber ‚aufseiten des Arbeitnehmers gewichtige Belange in die Waagschale zu werfen. Berufliche Tätigkeit, für die Art. 12 I GG den erforderlichen Freiraum gewährleistet, kann er ausschließlich durch den Abschluss und den Fortbestand von Arbeitsverträgen realisieren. Der Arbeitsplatz ist die wirtschaftliche Existenzgrundlage für ihn und seine Familie’ [BVerfG, 27.1.1998 aaO zu B. I. 3. b) aa) der Gründe].

[34]Nur ein effektiver Kündigungsschutz kann seine verfassungsrechtliche Aufgabe voll erfüllen. Das materielle Recht kann nicht losgelöst von seiner prozessrechtlichen Durchsetzbarkeit gesehen werden. Eine rasche gerichtliche Klärung ist gerade im Kündigungsschutzprozess im Interesse beider Parteien dringend geboten. Im Verfahrensrecht verstärkt § 61a ArbGG in Rechtsstreitigkeiten über das Bestehen, das Nichtbestehen oder die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses den allgemein für das arbeitsgerichtliche Verfahren geltenden Beschleunigungsgrundsatz (§ 9 I ArbGG). Abgesehen davon, dass dem Prozessrecht nur eine dienende Funktion bei der Durchsetzung des materiellen Rechts zukommt, sorgt auch das KSchG für eine rasche gerichtliche Klärung in Kündigungsschutzsachen. Bei Versäumung der dreiwöchigen Klagefrist wird nach §§ 4, 7, 13 KSchG ‚das materielle Recht des Rechtsschutzes beraubt’ [BAG, 26.6.1986 – 2 AZR 358/85, BAGE 52, 263, zu B. II. 3. b) der Gründe]. Dies soll verhindern, dass die Frage der Wirksamkeit der Kündigung für längere Zeit in der Schwebe bleibt [BAG, 23.2.1978 – 2 AZR 462/76, BAGE 30, 141, zu B. III. 3. a) der Gründe]. Materielles Recht und Prozessrecht sind im Kündigungsschutzgesetz miteinander verknüpft.

[35]c) Das Erfordernis einer einzelfallbezogenen Aufhebung des Verfahrensstillstands durch ein Gericht verstößt bei Kündigungsschutzprozessen zudem gegen den verfahrensrechtlichen ordre public. Insoweit ist nach § 343 I 2 Nr. 2 InsO das US-amerikanische Insolvenzverfahren nicht anzuerkennen. Deshalb entfällt dieses mit den Grundrechten unvereinbare Erfordernis zur Fortsetzung des Kündigungsschutzrechtsstreits. Der aus dem Rechtsstaatsprinzip in Verbindung mit den Grundrechten – im vorliegenden Fall Art. 12 I GG – abzuleitende Justizgewährungsanspruch verhindert, dass der Anspruch auf die gerichtliche Durchsetzung des materiellen Rechts unzumutbar verkürzt wird [BVerfG, 25.7.2005 – 1 BvR 2419/03 u. 1 BvR 2420/03, WM 2005, 2014, zu II. 1. a) der Gründe m.w.N.]. Soll der Kündigungsschutzprozess nicht nur die Grundlage für die in der Vergangenheit entstandenen Insolvenzforderungen liefern, sondern auch klären, ob das Arbeitsverhältnis über die Insolvenzeröffnung hinaus fortbesteht, so gibt es keinen ausreichenden Grund, der es rechtfertigt, dem Arbeitnehmer einen effektiven Bestandsschutz zu verweigern. Dies widerspräche dem Grundrecht des Art. 12 I GG und verletzte den dieses Grundrecht flankierenden Justizgewährungsanspruch. Damit wäre es unvereinbar, den klagenden Arbeitnehmer – zunächst – auf ein ausländisches Verfahren mit ungewissem Ausgang zu verweisen.

[36]d) Deutsche Insolvenzverfahren können zwar ebenfalls sehr lange dauern. Soll der Kündigungsschutzprozess aber nicht nur die Grundlage für die in der Vergangenheit entstandenen Insolvenzforderungen liefern, sondern auch klären, ob das Arbeitsverhältnis über die Insolvenzeröffnung fortbesteht – woraus sich Masseforderungen ergeben können –, so kann der Arbeitnehmer den Kündigungsschutzprozess nach § 86 I InsO gegen den Insolvenzverwalter aufnehmen (BAG, 18.10.2006 – 2 AZR 563/05 Rz. 25) . Insoweit würde die Dauer eines deutschen Insolvenzverfahrens nicht zu einer Verzögerung des Kündigungsschutzprozesses führen.

Fundstellen

LS und Gründe

AP, Nr. 7 zu § 240 ZPO
DB, 2007, 2543
ZIP, 2007, 2047
NZI, 2008, 122

nur Leitsatz

AuR, 2007, 407
EWiR, 2007, 759, mit Anm. Mankowski

Bericht

Zwanziger, BB, 2008, 946

Permalink

https://iprspr.mpipriv.de/2007-45

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