Ein amerikanisches Reorganisationsverfahren nach Chapter 11 des US-amerikanischen Bankruptcy Code (11 USC §§ 1101 ff.) bezweckt die Regelung eines insolvenzrechtlichen Tatbestands, und namentlich der Unzulänglichkeit des Schuldnervermögens, und ist damit ein Insolvenzverfahren, das einen deutschen Zivilprozess gemäß § 240 ZPO unterbricht.
Der Unterbrechung des Verfahrens steht nicht entgegen, dass der Schuldner nach dem Konkursstatut zur Verfügung über das insolvenzbefangene Vermögen sowie insbesondere auch zur Prozessführung weiterhin befugt ist. Das Bedürfnis nach einer Unterbrechung besteht unabhängig von der Prozessführungsbefugnis, da die Verfahrensunterbrechung auch dazu dient, einen störungsfreien Ablauf des Insolvenzverfahrens zu ermöglichen, und den Verfahrensbeteiligten eine Prüfungs- und Überlegungsfrist einzuräumen.
Die Kl. nimmt die Bekl. auf Schadensersatz wegen des Abhandenkommens von Transportgut in Anspruch.
Das Bestehen des Anspruchs wurde bereits durch Urteil dem Grunde nach festgestellt.
Zwischen den Parteien ist jedoch umstritten, welche Auswirkungen die zwischenzeitliche Eröffnung eines Verfahrens nach Chapter 11 des US-Bankruptcy Code über das Vermögen der Bekl. auf den gegenwärtigen Prozess hat.
[1]II. Da zwischen den Parteien in der Sache streitig ist, ob das Verfahren unterbrochen ist, ist dies, weil der Senat die Unterbrechung bejaht, durch Zwischenurteil (§ 303 ZPO) auszusprechen (vgl. BGH, Urt. vom 28.10.1981 – II ZR 129/80, BGHZ 82, 209, juris Rz. 21; Zöller-Greger, ZPO, 26. Aufl., Vor § 239 Rz. 3).
[2]Die Eröffnung eines ausländischen Insolvenzverfahrens, das nach dem ihm zugrunde liegenden Recht – dem Konkursstatut – eine individuelle Rechtsverfolgung in Bezug auf das in Deutschland belegene Vermögen des Schuldners untersagt, hat nach Inkrafttreten der Vorschrift des § 352 I 1 InsO am 20.3.2003, die ohne Übergangsregelung mit dem Gesetz zur Neuregelung des Internationalen Insolvenzrechts vom 14.3.2003 (BGBl. I 345) eingefügt worden ist, zur Folge, dass ein anhängiger inländischer Rechtsstreit unterbrochen wird, der die Insolvenzmasse betrifft.
[3]Diese Voraussetzung ist im Hinblick darauf erfüllt, dass am 15.9.2005 ein Verfahren nach Chapter 11 des US-amerikanischen Bankruptcy Code (11 USC §§ 1101 ff.; im Folgenden BC) gegen die Bekl. eröffnet worden ist, das gemäß § 362 BC universale Geltung hat [vgl. Taupitz, ZZP 105 (1992), 218 (225)]. Das zur Beurteilung heranzuziehende US-amerikanische Recht konnte der Senat auf der Grundlage vorliegender Veröffentlichungen (Resnick-Sommer, Collier Pamphlet Edition of the Bankruptcy Code and Rules, 2003; LexisNexis) gemäß § 293 ZPO feststellen, ohne dass es der Einholung sachverständigen Rats bedurft hätte, weil die Parteien die getroffenen Feststellungen des fremden Rechts nicht in Frage gestellt und auch keine abweichende Rechtspraxis geltend gemacht, vielmehr im Rechtsstreit auf der Grundlage der Regelungen des Chapter 11 BC argumentiert haben.
[4]Dieses Verfahren ist als ausländisches Insolvenzverfahren anerkennungsfähig (§ 343 I 1 InsO). Das Verfahren, das freiwillig oder unfreiwillig eingeleitet werden kann, führt mit Antragstellung zum Ausschluss anderer Verfahren der Gläubiger gegen das Vermögen des Schuldners (automatic stay), der Schuldner behält Besitz und Kontrolle über sein Vermögen und erfüllt selbst alle Aufgaben und Pflichten eines trustee (vgl. Hay, US-Amerikanisches Recht, 3. Aufl., Rz. 625; Smid-Rattunde, Der Insolvenzplan, 2. Aufl., Rz. 2.37; Jander, RIW/AWD 1981, 744 (750). Das Gericht ernennt ein Gläubigerkomitee; der Schuldner muss einen Vorschlag zur Reorganisierung oder Liquidation einbringen und dessen Annahme binnen 180 Tagen nach Antragstellung zu erreichen suchen, anderenfalls ein solcher Plan von jeder betroffenen Partei erstellt werden kann; ein Reorganisationsplan teilt die Gläubiger in Gruppen ein und legt die Rechte einer jeden fest; Gruppen, die sich benachteiligt fühlen, können über den Plan abstimmen, wobei besondere Abstimmungsregeln gelten; stimmen nicht alle Gläubigergruppen zu, trifft das Gericht eine eigene Entscheidung auf der Grundlage dessen, was es für recht und billig hält, kann aber auch nicht zustimmende Parteien durch Beschluss an den Schuldnerplan binden (Hay aaO; vgl. auch Jander aaO 750, 751; vgl. zum Ablauf des Sanierungsverfahrens auch Riesenfeld, KTS 1983, 85 ff.).
[5]Ob dieses Verfahren nach deutschen Rechtsgrundsätzen als Insolvenz[Konkurs]verfahren zu qualifizieren ist, wird nicht einheitlich beantwortet. In einer älteren Entscheidung hat der BGH dies unterstellen können (vgl. Urt. vom 11.1.1990 – IX ZR 27/89, NJW 1990, 990 (IPRspr. 1990 Nr. 164), juris Rz. 15), später hat er die Frage, ob der Antrag auf Einleitung eines Verfahrens nach Chapter 11 BC einem Konkursantrag gemäß § 30 KO gleichsteht, offengelassen (vgl. Urt. vom 11.7.1991 – IX ZR 230/90, ZIP 1991, 1014 (IPRspr. 1991 Nr. 237b), juris Rz. 20 ff.). Das OLG Hamburg (IPRax 1992, 170) (IPRspr. 1991 Nr. 236) hat die Frage verneint, weil die nach deutschem Recht notwendigen Voraussetzungen einer Konkurseröffnung, nämlich Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung, nicht stets vorliegen müssten und auch die Organe der Gesellschaft regelmäßig verfügungsberechtigt blieben.
[6]Im Schrifttum ist die Anerkennungsfähigkeit des amerikanischen Reorganisationsverfahrens vereinzelt für den Fall, dass Konkurs- bzw. nach heutigem Recht Insolvenzgründe nicht vorliegen, verneint worden (vgl. Balz, EWiR 1990, 257 f.).
[7]Demgegenüber wird mehrheitlich die Anerkennungsfähigkeit befürwortet.
[8]Zum Teil wird dies damit begründet, dass nach amerikanischer Auffassung auch die Reorganisation, nicht anders als die Liquidation, Gläubigerbefriedigung in einer äquivalenten Form bezweckt und während des Verfahrens jederzeit die Möglichkeit besteht, es bei Aussichtslosigkeit einer Reorganisation in die Liquidation (vgl. zur Relevanz dieses Kriteriums BGH, Urt. vom 11.7.1991 aaO juris Rz. 21 m.w.N.) überzuleiten (vgl. Flessner/Schulz, IPRax 1991, 163; Jander aaO 745; Riesenfeld aaO 98). In der Vergangenheit ist darauf hingewiesen worden, dass auch das deutsche Recht die Bereinigung der Insolvenzsituation durch das liquidierende Konkursverfahren und das die Liquidation abwendende Vergleichsverfahren kennt und die anerkannte entsprechende Anwendung des internationalen Konkursrechts auf das internationale Vergleichsrecht auch bei der Qualifikation von Vergleichsverfahren berücksichtigt werden müsse (vgl. Reinhart, Sanierungsverfahren im internationalen Insolvenzrecht, 1995, 151 ff.; Mohrbutter-Wenner, Handbuch der Insolvenzverwaltung, 7. Aufl., Anm. XXIII.108), ferner darauf, dass das Insolvenzplanverfahren sein Vorbild im Chapter-11-BC-Verfahren gefunden hat (vgl. Wittig, ZInsO 1999, 373; Smid-Rattunde aaO Rz. 2.35).
[9]Hervorgehoben wird in jüngerer Zeit, dass das Verfahren nach Chapter 11 BC als Reorganisations- oder Sanierungsverfahren nicht als reines Entschuldungsverfahren qualifiziert werden kann, der geordneten Lösung des finanziellen Zusammenbruchs des Schuldners dient, also der Einwand, die Insolvenzgründe müssten nicht stets vorliegen, in funktionaler Betrachtung zu eng gegriffen ist [vgl. Graf, Die Anerkennung ausländischer Innsolvenzentscheidungen, Studien zum ausländischen und internationalen Privatrecht 113 (2003), 279 f.] und den erweiterten Zielsetzungen moderner Insolvenzgesetze nicht gerecht wird, die, wie im inländischen Planverfahren nach § 217 InsO zum Ausdruck kommt, auch die Aufrechterhaltung und Sanierung des Schuldners ohne Zerschlagung und Versilberung von Vermögenseinheiten zum Ziele haben (vgl. Uhlenbruck-Lüer, InsO, 12. Aufl., Art. 102 Rz. 126 f.; Mohrbutter-Wenner aaO Anm. XXIII.107). Selbst reine Entschuldungsverfahren, die sog. ‚Null-Pläne’, sind nach deutschem Insolvenzrecht zulässig (vgl. Graf aaO 280), jedenfalls in der Verbraucherinsolvenz anerkannt (vgl. OLG Köln, ZIP 1999, 1929, juris Rz. 13), weil eine bestimmte Mindestquote als Ergebnis einer konkursmäßigen Befriedigung nach deutschem Recht nicht vorausgesetzt wird (vgl. BGH, Beschl. vom 18.9.2001 – IX ZB 51/00, NJW 2002, 960 (IPRspr. 2001 Nr. 212), juris Rz. 16).
[10]Es ist weder zu fordern, dass das ausländische Verfahren in seiner Ausgestaltung einem inländischen Insolvenzverfahren spiegelbildlich entspricht (vgl. Mohrbutter-Wenner aaO Anm. XXIII.106; Taupitz aaO 226), noch ist im Rahmen der Qualifikation zu prüfen, ob die Rechtsstellung der Gläubiger der nach der InsO entspricht (vgl. MünchKommInsO-Reinhart, 2003, Art. 102 EGInsO Rz. 21).
[11]Die Grenze der Anwendung ausländischen Sanierungsrechts ist erst der ordre public, die nicht allein deshalb überschritten wird, weil das US-amerikanische Sanierungsverfahren bei Schuldnerantrag ohne den Nachweis der hiesigen Insolvenzgründe eröffnet werden kann [vgl. Wenner, KTS 1990, 429 (432)], zumal das Verfahren sich auf Insolvenz gründet, die unwiderleglich zu vermuten ist, wenn sich der Schuldner damit einverstanden erklärt, weil er die damit verbundenen Risiken und Nachteile als solventer Schuldner kaum auf sich laden wird [vgl. Flessner, IPRax 1992, 151 (152), ihm folgend Reinhart, Sanierungsverfahren im internationalen Insolvenzrecht, 1995, 168].
[12]Der Senat hält die für die Qualifikation des Chapter-11-BC-Verfahrens als Insolvenzverfahren angeführten Gründe in ihrer Gesamtheit für überzeugend und schließt sich dieser Auffassung an. Entscheidender Gesichtspunkt für die Qualifikation ist, ob das ausländische Verfahren die Regelung eines insolvenzrechtlichen Tatbestands, der Insuffizienz des Schuldnervermögens, bezweckt (vgl. HK-InsO-Stephan, 4. Aufl., § 343 Rz. 6). Diese Voraussetzung erfüllt das Verfahren nach Chapter 11 BC. Die Tatsache, dass dem Schuldner zu Verfahrensbeginn großzügig Schutz vor den Gläubigern gewährt wird, nachdem diese – jedenfalls in der Anfangszeit – nicht den Übergang des Verfahrens in die Liquidation beantragen können, hat als rechtspolitischer Gesichtspunkt der Verfahrensausgestaltung bei der grundsätzlichen Qualifikation des Verfahrens als (US-amerikanisches) Insolvenzverfahren, in dem eine Reorganisation des Schuldners nur mit Zustimmung der Gläubiger erzielt werden kann, außer Betracht zu bleiben (vgl. Reinhart aaO 176).
[13]Der Unterbrechung des Verfahrens steht nicht entgegen, dass der Entscheidung zugrunde zu legen ist, dass die Bekl. nach dem Konkursstatut die Verfügungsbefugnis über das insolvenzbefangene Vermögen nicht verloren hat und damit weiter prozessführungsbefugt ist.
[14]Vor Inkrafttreten des § 352 InsO war im Anwendungsbereich von § 240 ZPO, der die Unterbrechung des Verfahrens, wenn es die Insolvenzmasse betrifft, durch Insolvenzeröffnung regelt, anerkannt, dass die Norm dem infolge der Insolvenzeröffnung eintretenden Wechsel der Prozessführungsbefugnis Rechnung tragen und sowohl dem Konkursverwalter als auch den Parteien Gelegenheit geben soll, sich auf die durch die Verfahrenseröffnung veränderte rechtliche und wirtschaftliche Lage einzustellen, und dass dieser Gesetzeszweck auf die Eröffnung eines Konkurses im Ausland in gleicher Weise zutreffe, sofern u.a. das ausländische Konkursrecht die ausschließliche Prozessführungsbefugnis des Verwalters über das Massevermögen vorsehe (vgl. die noch unter Geltung der KO ergangene Entscheidung des BGH, Beschl. vom 13.5.1997 – IX ZR 309/96, NJW 1997, 2525 (IPRspr. 1997 Nr. 219), juris Rz. 9 f.).
[15]Der Wechsel der Prozessführungsbefugnis nach der lex fori concursus wird in der Kommentarliteratur teilweise als Voraussetzung des Eintritts der Unterbrechung gemäß § 352 I 1 InsO gefordert (vgl. Geimer, IZPR, 5. Aufl., Rz. 3529; Andres-Leithaus-Dahl, InsO, 2006, § 352 Rz. 3; Mohrbutter-Wenner aaO Anm. XXIII.159).
[16]Die Gegenmeinung, die die Unterbrechungswirkung unabhängig vom Verlust der Prozessführungsbefugnis eintreten lässt (vgl. Stephan aaO § 352 Rz. 5; FrankfKommInsO-Wimmer, 4. Aufl., § 352 Rz. 4), stellt hingegen zu Recht darauf ab, dass das Bedürfnis nach einer Unterbrechung unabhängig von der Prozessführungsbefugnis besteht, da sie auch dazu dient, einen störungsfreien Ablauf des Insolvenzverfahrens zu ermöglichen und den Verfahrensbeteiligten eine Prüfungs- und Überlegungsfrist einräumen will (vgl. Stephan aaO). Überdies sieht § 352 I 1 InsO die automatische Unterbrechung vor. In der Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung (vgl. BT-Drucks. 12/2443 zu § 391) heißt es ausdrücklich, dass in dem Ausnahmefall, in dem die ausländische Rechtsordnung dem Schuldner die Befugnis zur Fortführung eines anhängigen Prozesses belässt, so im Rahmen eines Insolvenzverfahrens ohne Insolvenzverwalter, nach Satz 1 zunächst eine Unterbrechung des inländischen Verfahrens eintritt, der Schuldner jedoch nach Satz 2 selbst zur Aufnahme berechtigt ist (so auch FrankfKommInsO-Wimmer aaO, MünchKommInsO-Reinhart aaO Rz. 352; Gottwald, Insolvenzrechtshandbuch, 3. Aufl., § 132 Rz. 49 f.). Allein dieses Ergebnis steht damit in Einklang, dass im Anwendungsbereich des § 240 ZPO eine Unterbrechung des Verfahrens ebenfalls eintritt, wenn mit der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens im Inland Eigenverwaltung (§ 270 InsO) des Schuldners angeordnet wird [vgl. MünchKommInsO-Reinhart aaO, Zöller-Greger aaO § 240 Rz. 5; OLG München, MDR 2003, 412 (413)].