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Verfahrensgang

OLG Stuttgart, Urt. vom 15.01.2007 – 5 U 98/06, IPRspr 2007-242

Rechtsgebiete

Insolvenz- und Anfechtungsrecht

Leitsatz

Die in einem ausländischen (hier: französischen) Insolvenzverfahren durch den Insolvenzverwalter erfolgte Ermächtigung des Gemeinschuldners zur Durchsetzung von zur Insolvenzmasse gehörigen Ansprüchen ist vor dem Hintergrund des deutschen Verfahrensrechts und seinen Erfordernissen an eine gewillkürte Prozessstandschaft nicht zu beanstanden.

Ein vor Inkrafttreten der EuInsVO eröffnetes Verfahren entfaltet seine Wirkung allein in dem Staat (hier: Frankreich), in dem das Verfahren eröffnet wurde. Das Schicksal eines außerhalb des Verfahrensstaats bestellten dinglichen Sicherungs- und Verwertungsrechts beurteilt sich nach dem Recht der Belegenheit der dinglichen Sicherheit.

Es verstößt gegen den inländischen ordre public, wenn die zur Anwendung berufene ausländische Regelung die Berücksichtigung eines gesicherten Anspruchs im Konkurs bei unverschuldeter, auf mangelnder Kenntnis des Gläubigers vom Verfahren beruhender Verspätung nach einem Jahr ausschließt, ohne dass dem Gläubiger rechtliches Gehör gewährt wird.

Rechtsnormen

1985-98 LiquidationL (Frankr.) Art. 52; 1985-98 LiquidationL (Frankr.) Art. 66; 1985-98 LiquidationL (Frankr.) Art. 169
BGB §§ 812 ff.
C. com. (Frankr.) Art. L621-1 ff.; C. com. (Frankr.) Art. L621-9; C. com. (Frankr.) Art. L621-43; C. com. (Frankr.) Art. L621-45; C. com. (Frankr.) Art. L621-46
EGBGB Art. 6; EGBGB Art. 38; EGBGB Art. 43
EGInso Art. 102
EuInsVO 1346/2000 Art. 3 ff.; EuInsVO 1346/2000 Art. 5; EuInsVO 1346/2000 Art. 16; EuInsVO 1346/2000 Art. 17; EuInsVO 1346/2000 Art. 43
GG Art. 14
InsO §§ 334 ff.; InsO §§ 335 ff.; InsO § 351
KO § 237
ZPO § 328

Sachverhalt

Über das Vermögen des Kl., der in Frankreich ein Weingut betrieb, ist seit 1993 in Frankreich ein Insolvenzverfahren rechtshängig, das zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat noch nicht abgeschlossen war.

Der Kl. verlangte – in gewillkürter Prozessstandschaft auf der Grundlage einer von ihm dazu vorgetragenen Ermächtigung des französischen Insolvenzverwalters – die teilweise Rückzahlung des an die Bekl. aus der Verwertung eines zuvor in seinem Eigentum stehenden Grundstücks in A./Deutschland ausgekehrten Erlöses. Ausgekehrt worden war der Erlösanteil an die Bekl. als Inhaberin einer auf dem Grundstück lastenden Grundschuld, die u.a. drei Darlehen der Bekl. an den Kl. und dessen Ehefrau sicherte.

Das LG wies die Klage des Kl. ab. Die hiergegen eingelegte Berufung des Kl. blieb ebenfalls erfolglos.

Aus den Entscheidungsgründen:

(Randnummern der IPRspr-Redaktion)

[1]II. Die Berufung des Kl. ist zurückzuweisen. Sie ist nicht begründet; das Ergebnis des landgerichtlichen Urteils, die Abweisung der Klage, bleibt auf der Grundlage des Berufungsverfahrens aufrechterhalten.

[2]1. Die Klage des Kl. scheitert indes, entgegen der insofern zu strengen Sicht des LG, nicht schon an fehlender oder auch nur nicht nachgewiesener Ermächtigung des Kl. zur Erhebung der Klage im vorliegenden Verfahren.

[3]a) Auszugehen ist zunächst davon, dass das französische Recht, das insofern maßgeblich ist, dem französischen Insolvenzverwalter nicht verbietet, den Gemeinschuldner zur Durchsetzung eines Anspruchs, der zur Insolvenzmasse gehört, zu ermächtigen. Das französische Insolvenzrecht ist heute im Sechsten Buch des neuen Code de commerce geregelt; diese Regelungen des geltenden französischen Rechts sind jedenfalls für die vorliegende Frage als zeitlich maßgebliche Regelungen heranzuziehen. Danach bleibt der Gemeinschuldner Inhaber der zur Masse zählenden Rechte und Ansprüche; die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis liegt beim Verwalter (administrateur) unter Aufsicht des Gerichts (Art. L.621-1 ff. C. com.). In diesen Vorschriften ist über eine Beschränkung des Verwalters, den Gemeinschuldner für eine Prozessführung heranzuziehen, nichts zu finden. Die im Urteil des LG genannte Vorschrift Art. L.641-9 C. com. existiert in den dem Senat vorliegenden kommentierten Ausgaben des C. com. von 2005 und 2007 (Ausgabe Dalloz, Code de commerce, 2005 und 2007) nicht. Vielleicht ist erstinstanzlich Art. L.621-9 C. com. gemeint, der einige Pflichten des Verwalters und Regelungsbefugnisse des Gerichts enthält; zum hier fraglichen Problem ist der Norm aber nichts zu entnehmen. Auszugehen ist deshalb davon, dass nach französischem Recht eine solche Ermächtigung des Gemeinschuldners nicht unstatthaft ist.

[4]b) Ob Ermächtigung für den vorliegenden Prozess erteilt worden ist, ist ehestens an dem Schreiben des französischen Insolvenzverwalters T. vom 21.3.2006 auszurichten. Das Schreiben ist auf den landgerichtlichen Beschluss vom 18.1.2006 geschrieben worden und spricht von einer Ermächtigung der Eheleute H., ein Verfahren gegen die S[... ]bank zu betreiben. Dieser Text und der Kontext, dass der landgerichtliche Beschluss im Hintergrund steht und dass das Schreiben die Vorgeschichte (Abstimmung mit RA Be., Übermittlung an RA Ba.) einbezieht, sollte den auslegungsfähigen Text genügen lassen; er enthält damit die vom französischen Recht als zulässig erachtete Ermächtigung des Gemeinschuldners. Die erstinstanzlich gemachte Aussage des Zeugen G. hingegen steht dieser Wertung nicht entgegen; sie beruht auf einem vor diesem Schreiben mit T. geführten Gespräch und ist durch diese Schreiben überholt. Auch ist sie in diesem Punkt von geringer Substanz. Sie enthält Erwägungen und Mutmaßungen; die jüngere schriftliche Stellungnahme des Insolvenzverwalters T. ist von besserer ‚Präzision’ und ist eben auch vor dem Hintergrund der richterlichen Anfrage gegeben worden.

[5]Vor diesem Hintergrund ist nach deutschem Verfahrensrecht und seinen Erfordernissen an eine gewillkürte Prozessstandschaft der Kl. als prozessführungsbefugt zu betrachten ...

[6]c) Bei diesem Ergebnis bedarf es keiner Auseinandersetzung mit der Rüge des Kl., das LG habe sein Urteil nicht sowohl auf fehlende Prozessführungsbefugnis als auch auf das Fehlen eines durchsetzbaren Anspruchs stützen können.

[7]2. Auch wenn der Berufung des Kl. im eben erörterten Gesichtspunkt Recht zu geben ist, bleibt sie im Ergebnis doch erfolglos. Dem Kl. steht der seinerseits mit der Klage geltend gemachte Anspruch auf Leistung des Klagbetrags in Höhe von 92 385,15 €  auf einer im Inland durchsetzbaren Rechtsgrundlage nicht zu; es bleibt deshalb bei dem vom LG gewonnen Ergebnis der Abweisung der Klage als unbegründet. Im Einzelnen hat insofern Folgendes – zum Teil in Übereinstimmung mit dem angefochtenen Urteil, zum Teil in Präzisierung der dortigen Urteilsgründe – zu gelten:

[8]a) Richtig hat das LG gesehen, dass für den durch den Kl. verfolgten Zahlungsanspruch, der auf Herausgabe eines Teils des der Bekl. als Grundschuldgläubigerin ausgekehrten Erlösbetrags geht, deutsches Recht gilt. Der geltend gemachte Anspruch lässt sich nur bereicherungsrechtlich qualifizieren. Art. 38 EGBGB führt insoweit zum deutschen Recht, das die gesamte schuld- wie sachenrechtliche Beziehung zwischen Kl. und Bekl. (Kreditverträge, Grundschuldbestellung und -inhaberschaft, Zweckabreden, schließlich den freihändigen Verkauf des Grundstücks auf Betreiben der Bekl.) beherrscht. Gelten somit §§ 812 ff. BGB, bedarf es vorliegend, wie das LG auch richtig gesehen hat, keiner Entscheidung, ob dem Kl. Leistungs- oder Eingriffskondiktion zur Verfügung stehen kann; Anspruchsvoraussetzung ist jeweils, dass die Bekl. die an sie ausgekehrten Beträge in Höhe des Klaganspruchs, die ihrerseits nicht strittig ist, nicht behalten darf. Nicht behalten dürfte die Bekl. diese Auskehrungsbeträge dann, wenn sie trotz der grundschuldlichen Absicherung der Bekl. wegen der Wirkungen des französischen Insolvenzverfahrens nicht mehr an sie hätten ausgekehrt werden dürfen.

[9]b) Grundsätzlich und in den wesentlichen Einzelheiten richtig hat das LG auch gesehen, dass insoweit – jedenfalls zum Teil – auf französisches Insolvenzrecht und seine Auswirkungen auf die Forderungen dinglich gesicherter Gläubiger abzustellen sein kann. Es bedarf insoweit indes der Präzisierung.

[10]aa) Auszugehen ist insofern im vorliegenden deutschen Verfahren vom deutschen kollisionsrechtlichen wie internationalinsolvenzrechtlichen Standpunkt. Würde insofern im vorliegenden Verfahren heute im Inland geltendes Kollisions- und Verfahrensrecht heranzuziehen sein, würden Maßgeblichkeit und Umfang der Maßgeblichkeit des in Frankreich geführten, den Kl. betreffenden Insolvenzverfahrens und seiner Wirkungen für im Inland gesicherte Gl. des Kl. aus Art. 3 ff., insb. Art. 5 EuInsVO folgen; die Anerkennung der Eröffnung des französischen Verfahrens und die Wirkung der Anerkennung im Inland würden sich aus Art. 16, 17 EuInsVO ergeben. Kämen die Vorschriften des Elften Teils der Insolvenzordnung (§§ 335 ff. InsO) zur Anwendung, wäre für die dinglich gesicherte Position der Bekl. ggf. § 351 InsO heranzuziehen. Im Ergebnis richtig ist indes schon erstinstanzlich gesehen worden, dass Art. 3 ff. EuInsVO wie §§ 335 ff. InsO auf den hier zu entscheidenden Sachverhalt aus Gründen ihrer erst nach dessen Entstehung einsetzenden zeitlichen Maßgeblichkeit nicht zur Anwendung gelangen (Art. 43 EuInsVO; Art. 2 des Gesetzes zur Neuregelung des Internationalen Insolvenzrechts vom 14.3.2003 [BGBl. I 345]).

[11]bb) Maßgeblichkeit und Umfang dieser Maßgeblichkeit des französischen Verfahrens und des diesem Verfahren zugrunde liegenden Rechts ergeben sich deshalb im vorliegenden Verfahren aus dem 1993 im Inland maßgeblich gewesenen Recht, d.h. aus den mangels gesetzlicher Regelung von Rspr. u. Lit. geschaffenen richterrechtlichen oder schon gewohnheitsrechtlichen Regelungen, auf deren Grundlage dann Art. 102 EGInsO a.F. (vor 2003) als allgemein gehaltene Gesetzesregel geschaffen worden ist. Auch auf dieser ‚altrechtlichen’ und im vorliegenden Verfahren maßgeblichen insolvenzkollisionsrechtlichen Grundlage ist seit BGHZ 95, 256 ff. (IPRspr. 1985 Nr. 218) und der dort ausgesprochenen Anerkennung des konkursrechtlichen Universalitätsprinzips ein ausländisches Insolvenzverfahren im Inland anzuerkennen [siehe die Nachw. zu Rspr. und Lit. in der Nachfolge von BGHZ 95, 256 z.B. bei Kilger-Schmidt, Insolvenzgesetze, 17. Aufl., § 237 KO Anm. 2d)). Ebenso kann es auf dieser altrechtlichen Grundlage im Inland die Wirkungen äußern, die aus der Sicht des deutschen internationalen Insolvenzrechts damaliger Zeit der lex concursus zu unterliegen haben.

[12]cc) Zu Wirkungen des den Kl. betreffenden französischen Insolvenzverfahrens im Inland kann es auf der Grundlage der Geltung der durch §§ 334 ff. InsO bzw. Art. 3 ff. EuInsVO außer Kraft gesetzten altrechtlichen Regelungen aber nur kommen, wenn das französische Insolvenzrecht der Zeit vor der Einführung der EuInsVO auch im EU-Mitgliedstaat Frankreich mit seinem eigenen Kollisionsrecht die ihm vom deutschen Recht zugebilligte Geltung für im deutschen Inland belegenes bzw. domiziliertes Gemeinschuldnervermögen beansprucht (siehe BGHZ 122, 373, 376 (IPRspr. 1993 Nr. 200b); 125, 196, 203 (IPRspr. 1994 Nr. 198); w.N. bei Kilger-Schmidt aaO § 237 KO Anm. 2d a.E.; auch MünchKommInso-Reinhart, Bd. 3 [2003], Vor Art. 102 EGInsO Rz. 25). Das LG hat solche Geltung eines Universalitätsgrundsatzes auch für Frankreich in der Zeit vor Einführung der EuInsVO bejaht oder doch unterstellt. Indes ist dem erstinstanzlichen Urteil insoweit nicht ohne weiteres zu folgen. Eine gesetzliche Regelung der Frage der Wirkungen eines französischen Verfahrens im Ausland bestand in Frankreich vor dem Inkrafttreten der EuInsVO nicht. Überwogen haben dürfte in Frankreich die die ‚Territorialität’ der französischen Insolvenz bejahende Grundsatzauffassung (théorie de la territorialité de la faillite; siehe dazu MünchKomInsO-Augustin aaO Art. 102 EGInsO Anh II Frankreich Rz. 23 f.; Soinne, Traité des procédures collectives, 2. Aufl., Nr. 348 192/193, allerdings nicht im Einklang mit der aaO Nr. 353 197 vorgetragenen Auffassung vom universellen Anwendungsbereich [portée universelle] des in Frankreich eröffneten Verfahrens). Wird sie und nicht ein universeller Geltungsanspruch zugrunde gelegt (wie er in der in der Klage zit. Entscheidung des französischen Kassationshofs vom 19.11.2002 Reg. Nr. 00-22334, Bulletin civil 2002 I No. 275 S. 214 – nicht ergangen zur EuInsVO – anklingt und auch bei Soinne aaO 197 – siehe oben – formuliert ist, ebenso die Annahme in der Entscheidung des BGH vom 18.9. 2001 – IX ZB 51/00, die freilich ein im Elsass geführtes Verfahren nach Art. 169 des franz. Insolvenzgesetztes – Loi no. 85-98 du 25 janvier 1985 relative au redressement et à la liquidation judiciaires des entreprises – betraf), dann hat das 1993/1997 in Frankreich über das Vermögen des Kl. eröffnete französische Insolvenzverfahren lediglich in Frankreich Wirkungen entfaltet. In Ermangelung eines im Inland eröffneten ‚Partikularinsolvenzverfahrens’ sind dann für die grundbuchlich gesicherte Gläubigerposition der Bekl. im Inland zu beachtende Wirkungen des französischen Insolvenzverfahrens nicht eingetreten. Lediglich im anderen Fall, dass das französische Insolvenzverfahren solche Wirkungen seinerseits – universelle Geltung zugrunde legend – beansprucht, werden im vorliegenden Verfahren Bestehen und Ausmaß französischer Insolvenzrechtswirkungen entscheidungserheblich.

[13]c) Legt der Senat mit den vorstehend zitierten Quellen zum französischen Recht zugrunde, dass das in Frankreich seit 1993 geführte Insolvenzverfahren Wirkungen außerhalb Frankreichs nicht angestrebt hat und als altrechtlich begonnenes Verfahren auch heute nicht hat, bedarf es für die Entscheidung über die Klage der Prüfung der erstinstanzlich angestellten Erwägungen zum französischen Insolvenzrecht und zur Anerkennung seiner Wirkungen im Inland nicht. Beschränkungen der grundbuchlich gesicherten dinglichen Rechtsposition der Bekl. auf der Grundlage französischen Insolvenzrechts sind dann nicht zu erwägen (ebenso Häsemeyer, Insolvenzrecht, 2003, 888 ff., 889 f. m.w.N.). Der Kl. kann sich dann im vorliegenden Verfahren auch keinesfalls auf Feststellung der forclusion der Darlehensrückforderungen in den insolvenzbezogenen Entscheidungen der französischen Gerichte berufen. Diese haben dann zwar in Frankreich die Wirkung, dass die Bekl. mit ihren Forderungen im dortigen Verfahren ausgefallen ist, im Inland aber folgt daraus dann nicht die vom Kl. beanspruchte Wirkung, dass der Bekl. ungeachtet ihrer dinglichen Sicherung die gesicherte Forderung genommen ist. Aus deutscher wie französischer insolvenzkollisionsrechtlicher Sicht bleibt es dann bei der Maßgeblichkeit des deutschen Belegenheitsrechts für die Grundschuld und des deutschen Vertrags- bzw. Forderungsstatuts für die Darlehensrückforderung. Folge ist, dass dem Kl. der mit der Klage geltend gemachte Bereicherungsanspruch nicht zustehen kann, da die Bekl. als gesicherte Gl. den ihr ausgekehrten Erlösanteil beanspruchen konnte und kann.

[14]d) Der weiteren Erwägungen, die das LG angestellt hat, bedarf es hingegen dann, wenn der Senat als auch vor Inkrafttreten der EuInsVO schon geltende französische Rechtslage zugrunde legt, dass das französische Verfahren die ihm vom deutschen internationalen Insolvenzrecht eingeräumten Wirkungsmöglichkeiten seinerseits beansprucht hat. Zu einem dem Kl. günstigeren Ergebnis und zum Erfolg seiner Berufung und Kl.age führen indes auch diese Erwägungen nicht.

[15]aa) Zutreffend hat das LG festgestellt, dass die Darlehensforderungen der Bekl. gegen den Kl. aus den 1988 gewährten beiden Darlehen im französischen Verfahren nach dem dort angewandten französischen Recht aufgrund verspäteter Geltendmachung nicht mehr geltend zu machen waren. Nach bis 1994 geltendem französischen Insolvenzrecht erloschen auch gesicherte Forderungen von Gläubigern im Konkurs des Gemeinschuldners, wenn sie sich nicht in der Liste der Verpflichtungen befanden, die der Schuldner für die Eröffnung der Insolvenz aufzustellen und bei Gericht einzureichen hatte, sofern sie nicht binnen vier Monaten nachgemeldet bzw. binnen Jahresfrist beim Insolvenzgericht geltend gemacht wurden (so i.E. richtig das landgerichtliche Urt. unter Bezugnahme auf das Vorläuferrecht des heutigen Art. L.621-45 C. com., nämlich Art. 52, 66 des franz. Insolvenzgesetzes. Da die Forderungen der Bekl. innerhalb dieser Zeiträume nicht geltend gemacht wurden, waren sie aus der Sicht des französischen Rechts mit Zeitablauf erloschen.

[16]Richtig hat das LG insofern auch gesehen, dass das französische Recht in diesem Punkte 1994/1995 ohne hier nützliche Rückwirkung geändert worden ist. Seither und heute gelten für die Anmeldung von Gläubigerforderungen Art. L.621-45 C. com. (Pflicht des Schuldners zur Aufstellung und Einreichung der Liste seiner Schulden in beglaubigter Form), Art. L.621-46 II C. com. (keine Ausschluss- und Erlöschenswirkung für z.B. grundbuchlich gesicherte Gläubiger, die nicht persönlich benachrichtigt wurden) und Art. L.621-43 I 2 C. com. (Benachrichtigung der registermäßig gesicherten Gläubiger an ihrem Wahldomizil).

[17]Wären diese neuen Regelungen im vorliegenden Verfahren unmittelbar zur Anwendung zu bringen, hätte die Bekl. nach französischem Insolvenzrecht ihre Forderungen behalten; sie ist in dem französischen Verfahren nicht benachrichtigt und auch sonst nicht gehört oder beteiligt worden. In der Liste des Kl./Schuldners ist sie nicht in Erscheinung getreten. Der Neuregelung ist in Frankreich aber Rückwirkung nur in sehr beschränktem Umfang und jedenfalls nicht für Verfahren wie die im vorliegenden Fall in Frankreich geführten Sanierungs- und Insolvenzverfahren beigelegt worden. Die einschlägige französische Rechtsprechung ist so gut wie einheitlich (Rückwirkung wird verneint von der Cour d‘appel, Paris 22.11.1996, Dalloz Affaires 1997, 159; 28.2.1997, Dalloz 1997 Informations Rapides 109; 25.9.1998, Dalloz Affaires 1998, 1746; ebenso Cour de cassation [chambre commerciale], 11.6.2002, Actes de procédure collective 2002 no. 2002. Anders lediglich das Handelsgericht Nanterre, 29.9.1995, Banque et droit 1996 [Heft 34]; w.N. in der Dalloz-Ausgabe Code de commerce 2005 Art. L 621-46 Anm. 2 ff. [870–872]). Mangels Rückwirkung der 1994/95 eingeführten Neuregelung des französischen Rechts konnte die Bekl. ihre Kreditforderungen gegen den Kl. nicht mehr als im dortigen Verfahren zu berücksichtigende Gläubigerforderungen anmelden.

[18]Nach Sachlage konnte der Bekl. in dem französischen Verfahren auch die von der französischen Gerichtspraxis entwickelte Hilfsregelung insofern nicht helfen. Keine Ausschluss- und Erlöschenswirkung wurde von einigen Gerichten für den Fall absichtlicher Nichtaufnahme bejaht (so Cour d‘appel Douai, 30.1.1997, Rev. procédures collectives 1999, 213 obs. Larrieu; Cour d‘appel Pau, 22.3.1999, Actes des procédures collectives 1999 no. 202). Einen deliktsrechtlichen Schadensersatzanspruch gab bei fraude des Schuldners die Cour de cassation [chambre commerciale] 2.5.2001, Bulletin civil 2002 IV no. 81 = Dalloz 2001. AJ. 1725 obs. Lienhard). Für Absicht oder Betrug zum Nachteil der Bekl. ist im vorliegenden Verfahren indes nichts dargetan.

[19]bb) Die nach französischem Recht gegebene Rechtslage hat indes zunächst nur die bereits oben zu c) festgestellte Wirkung, dass die Bekl. mit den der forclusion anheimgefallenen Forderungen aus 1988 nicht an dem französischen Insolvenzverfahren als dortige Gl. beteiligt ist. Weitere Folgerungen hat die altrechtliche und in dem dortigen Verfahren zeitlich zur Geltung gekommene Regelung des französischen Rechts an sich nicht. Insbesondere folgt daraus nicht, wie vom Kl. mit seiner Klage und für die Berufung angenommen, dass dann die im Inland von der Bekl. innegehabte grundbuchliche Sicherung mit dem Ergebnis entwertet ist, dass sich die Bekl. trotz Nichtbezahlung ihrer Darlehensrückforderung nicht aus ihrem Grundpfandrecht in Höhe des ausstehenden Kreditbedarfs befriedigen kann. Voraussetzung dafür wäre, dass die Regelung des französischen Rechts nach den Regeln des im vorliegenden Verfahren maßgeblichen deutschen Insolvenzkollisionsrechts diese Wirkung haben kann. Das deutsche Insolvenzkollisionsrecht enthält eine solche Regelung aber nicht. Es weist zwar in der Zeit seit dem Bekenntnis der Rechtsprechung zum Universalitätsprinzip dem Recht des Insolvenzverfahrensstaats, der lex fori concursus, die beherrschende Rolle zu [siehe die oben unter 2. b) bb) und cc) in Bezug genommene Rspr.], macht davon aber gerade für dingliche Sicherungsrechte erhebliche und im vorliegenden Zusammenhang bedeutsame Ausnahmen. So beurteilt sich das Schicksal eines außerhalb des Verfahrensstaats bestellten dinglichen Sicherungs- und Verwertungsrechts nach allgemeiner Auffassung nicht nach dem Recht des Insolvenzverfahrensstaats, sondern nach dem Recht der Belegenheit der dinglichen Sicherheit, d.h. bei einem Grundpfandrecht nach der Belegenheit des sichernden Grundstücks. Im heute geltenden, für das Verhältnis Deutschland-Frankreich maßgeblichen Recht der EuInsVO ist dies in Art. 5 I EuInsVO geregelt; parallel dazu besteht die Regelung des § 351 InsO n.F., die im Verhältnis zweier EU-Staaten durch Art. 5 EuInsVO überlagert ist. Als ungeschriebene Regelung galt diese Regel schon zuvor, sei es auf der allgemeinen Grundlage von Art. 102 EGInsO oder – vor dessen Inkrafttreten – auf der Basis so bestehender Rspr. u. Lit. (siehe zum Umfang der Inlandswirkungen des Auslandskonkurses die Zusammenstellung der Rspr. bei Kilger/K. Schmidt aaO § 237 Anm. 6a und b; Einbeziehung dinglicher Sicherungsrechte in die Auslandsinsolvenz ist hier nicht ausgesprochen; ebenso Häsemeyer aaO 897 für inländische Absonderungsrechte usf. unter Darlegung der nicht einheitlichen, hier nicht aufzugreifenden Sicht kollisionsrechtlicher Einordnung; siehe ferner MünchKommInso-Reinhart aaO Art. 102 EGInsO Rz. 321; ausf. Rz. 148 ff., 155; FrankfKommInsO-Wimmer, 4. Aufl., § 351 Rz. 2 a.E.). Für den vorliegenden Fall ergibt sich daraus, dass die deutschem Recht (heute Art. 43 I EGBGB, in der Zeit vor dessen Inkrafttreten [am 1.6.1999] entsprechende gewohnheitsrechtliche Regelung; siehe dazu Erman-Hohloch, BGB, 11. Aufl., Art. 49 EGBGB Rz. 2 und Vor Art. 43 Rz. 1, 3 f.; Palandt-Heldrich, BGB, 66. Aufl., Vor Art. 43 EGBGB Rz. 1) unterliegende Grundschuld der Bekl. als dingliches Sicherungsrecht durch die der Bekl. ungünstige Regelung des französischen Rechts und die dieser Regelung folgenden französischen Gerichtsentscheidungen nicht betroffen worden ist. Diese ‚Privilegierung’ des im Rahmen der Regelungen der lex rei sitae und nicht der lex fori concursus gesicherten Grundpfandgläubigers betrifft notwendig nicht nur die dingliche Position, d.h. die ‚Grundschuld’ als im deutschen Recht abstrakt gefasstes Sicherungs- und Verwertungsrecht, sondern auch das aus dieser Rechtsposition folgende Verwertungsrecht. Steht dem Grundpfandgläubiger in der Sicht der lex rei sitae, die mit dem Forderungsstatut zusammenfallen mag, der durch die Grundschuld gesicherte und mit der Zweckabrede verbundene Rückforderungsanspruch aus dem grundpfandlich gesicherten Kredit zu, dann kann der Grundschuldinhaber seine Grundschuld im Sinne des Verwertungsverfahrens, im deutschen Recht des Zwangsversteigerungsverfahrens einschließlich der freihändigen Verwertung, durchsetzen; die abweichende Position des das Insolvenzverfahren beherrschenden Rechts vermag ihm im Inland daran nicht zu hindern. Art. 5 I und II Nr. 1 EuInsVO macht diese Rechtslage für das geltende Recht eindeutig. Die deutsche Sichtweise vor Inkrafttreten der EuInsVO, auf die es im vorliegenden Fall in zeitlicher Hinsicht ankommt, war in diesem Punkt indes nicht anders. Auch in der zu § 237 KO und dann zu Art. 102 EGInsO entwickelten Sicht war die Rechtsposition des im Inland dinglich gesicherten Grundpfandgläubigers durch die Regelungen des deutschen Rechts geprägt, die sich bei einem im Inland anzuerkennenden ausländischen Insolvenzverfahren gegen dessen ggf. abweichende und den Grundpfandgläubiger nachteiligere Regelungen durchzusetzen vermochte (siehe die o.g. Nachweise zum Insolvenzrecht). Als Ergebnis folgt für das vorliegende Verfahren, dass die Bekl. ihre Grundschuld wie geschehen verwerten konnte und dem Kl. der vorgetragene Anspruch aus §§ 812 ff. BGB nicht zu Gebote steht.

[20]cc) Würde, abweichend von dem vorstehend dargelegten Teil der Entscheidungsbegründung, die heute nicht mehr in Kraft befindliche Regelung des französischen Rechts als Teil des über das Insolvenzverfahren herrschenden Rechts im vorliegenden Verfahren Wirkung beanspruchen können, käme sie – im Grundsatz in Übereinstimmung mit der Begründung des LG – gleichwohl nicht zur Anwendung, sondern scheiterte am Vorbehalt des deutschen ordre public. Den Ausgangserwägungen des landgerichtlichen Urteils dazu ist zuzustimmen. Das in Frankreich 1993/1997 eröffnete Insolvenzverfahren ist, angesichts der internationalen Zuständigkeit Frankreichs aufgrund von Wohnsitz und Geschäftstätigkeit des Kl. dort, anzuerkennen. Einer Einzelprüfung, worauf sich diese ‚Anerkennung’ bezieht, bedarf es hier nicht. Die daraus folgende Verpflichtung zur Beachtung von Regelungen und Ergebnissen des französischen Insolvenzrechts, die als Teil der französischen lex fori concursus diese Beachtung verlangen können, hindert im inländischen Verfahren indes die Berufung auf den Vorbehalt des ordre public nicht (ebenso und ausführlich, auch zu den Grenzen, MünchKommInso-Reinhart aaO Rz. 309 ff., 315 ff., 320 f.). Das gilt sowohl für den Vorbehalt des ‚materiellrechtlichen ordre public’ als auch des ‚verfahrensrechtlichen’, hier dann des ‚anerkennungsrechtlichen ordre public’. Einer genauen Abgrenzung zwischen den beiden Erscheinungsformen bedarf es im vorliegenden Fall im Übrigen nicht, da die Maßstäbe nicht unterschiedlich sind. Wird, wie das LG dies zum Teil gehandhabt hat, auf den materiellrechtlichen ordre public abgestellt, gilt im Grundsatz Art. 6 EGBGB. Wird im Hinblick darauf, dass französische Entscheidungen – bezogen auf das französische Insolvenzverfahren – das Weiterbestehen der Kreditforderungen der Bekl. verneint haben, der ‚anerkennungsrechtliche ordre public’ erwogen, ist Prüfungsmaßstab der Maßstab des § 328 I Nr. 1 ZPO, da insofern nach richtiger Ansicht insolvenzbezogene Entscheidungen vorliegen, deren ‚Anerkennung’ im Inland sich dann nicht nach den Regeln von EuGVÜ oder EuGVO zu richten hat (siehe MünchKommInso-Reinhart aaO Rz. 296; a.A., aber nicht überzeugend Kropholler, Europäisches Zivilprozessrecht, 8. Aufl., Art. 1 Rz. 37 m.w.N. in N. 113). Der Prüfungsmaßstab ist demgemäß nicht unterschiedlich. Seine Anwendung durch das LG ist im Ergebnis zu billigen, so dass das Klagbegehren des Kl., wenn es nicht schon aus den oben unter bb) dargelegten Gründen scheitert, schließlich am Vorbehalt des inländischen ordre public scheitert. Richtig ist insofern zunächst die Erkenntnis des LG, dass das in den französischen Gerichtsverfahren hinsichtlich der Kreditforderungen der Bekl. aus den beiden Darlehen von 1988 erzielte Ergebnis nach der dortigen Rechtsänderung auf der geltenden Rechtsgrundlage von Art. L.621-45 mit 46 und 43 C. com. nicht mehr entstehen kann. Die mit der Rechtsposition eines dinglich oder registermäßig gesicherten Gläubigers kaum zu vereinbarende altrechtliche Regelung, die bei ggf. unverschuldeter, aber mehr als einjähriger Verspätung den gesicherten Anspruch von der Berücksichtigung im Konkurs ausschloss, ist eben zur Behebung dieser Unvereinbarkeit abgeschafft und durch eine ‚rechtliches Gehör’ hinreichend gewährende Neuregelung ersetzt worden. Würde dieser Umstand im hiesigen Verfahren nicht beachtet werden, würde hier und jetzt ein Verfahrensergebnis entstehen, das so in Frankreich nicht mehr entstehen könnte. Die Bekl. hätte als im Lichte von Art. 6 EGBGB wie § 328 I Nr. 1 ZPO nicht hinzunehmenden Nachteil dann den Verlust ihres Kreditanspruchs aufgrund einer Regelung, deren Mangel die Gewährung des erforderlichen rechtlichen Gehörs war. Die Bekl. braucht sich insoweit nicht entgegenhalten zu lassen, sie hätte eben die regelmäßige Lektüre auch des französischen Staatsanzeigers sich zur Pflicht machen lassen müssen. Dies wäre allenfalls zu erwägen, hätte sich die Bekl. mit ihrer Kreditvergabe gezielt auf den französischen Markt begeben. So war es aber nicht, wenn sie 1988 Kredite an den in ihrer Region ansässigen und mit Grundbesitz ausgestatteten Kl. vergab. Auf diesen Mangel des rechtlichen Gehörs in der Anlage des alten französischen Rechts kann sich die Bekl. im vorliegenden Verfahren berufen; sie ist von diesen Nachteilen des französischen Rechts, die im Übrigen auch ihre im Inland von Art. 14 GG geschützte Vermögensposition berühren würden, auch belastet, wenn sie sie in den französischen Verfahren nach damaliger Rechtslage zwingend erfolglos zu bekämpfen gesucht hat. Nachteilig betroffen ist sie dann von einer Rechtslage, die grundsätzlich und deutlich und für sie nicht erwartbar von der inländischen Rechtslage abweicht (siehe die Bejahung der Verletzung des ordre public für diesen Fall bei MünchKomm-Reinhart aaO Rz. 321). Der starke Inlandsbezug, den eine erfolgreiche Berufung auf den inländischen ordre public erfordert, ist ohne weiteres gegeben, wenn Konsequenz der Regelung des französischen Rechts wäre, dass sie ihre im Inland erhaltene und hier bestehende Sicherungsposition im Inland nicht mehr durchsetzen könnte.

[21]e) Ist der Berufung und der Klage des Kl. aus den vorgenannten Gründen Erfolg nicht beschieden, bedarf es des Eingehens auf den vom LG hilfsweise geprüften und bejahten Schadensersatzanspruch nicht mehr. Es bedarf deshalb auch schon nicht der dann noch anzustellenden Erwägung, ob er aus deutschem oder französischem Recht zu folgen hätte.

Fundstellen

Bericht

Dahl/Stendal, NZI, 2007, Beil. zu Heft 10, 55

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https://iprspr.mpipriv.de/2007-242

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