Der englische Begriff des „domicile“ ist enger auszulegen als der deutsche Begriff des Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthalts. Jede Person kann zur selben Zeit nur ein „domicile“ haben, und das durch Geburt erworbene „domicile of origin“ verliert nur, wer ein neues „domicile of choice“ begründet.
Eine volljährige Person kann ein „domicile of choice“ dadurch erwerben, dass sie sich in einem fremden Land niederlässt (factum of residence) mit der Absicht, dort für immer zu bleiben (animus manendi) und auf Dauer nicht mehr in das Land des bisherigen Domizils zurückzukehren.
Der mit der AGg., einer britischen Staatsangehörigen, verheiratete deutsche ASt. streitet mit dieser um die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte für den von ihm gestellten Scheidungsantrag.
Vor ihrer Übersiedlung nach D./VAE im Jahre 2002 haben die Parteien während ihrer Ehe ab 1996 gemeinsam in Großbritannien gelebt.
Das FamG hat die Zuständigkeit deutscher Gerichte verneint und u.a. ausgeführt, dass die AGg. weiterhin ein „domicile of origin“ in Großbritannien besitze. Hiergegen wendet sich der ASt. erfolglos mit seiner Berufung.
[1]I. Die zulässige Berufung des ASt. gegen das Urteil des FamG, das seine Klage – richtiger seinen vom 13.11.2003 datierenden Scheidungsantrag – wegen Fehlens der internationalen Zuständigkeit abgewiesen hat, ist unbegründet, da das AG die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte im Ergebnis zu Recht verneint hat. Zur Klarstellung der eingeschränkten Rechtskraftwirkung der bestätigten Entscheidung und im Hinblick auf § 622 III ZPO hat der Senat allerdings durch die Maßgabe bei der Zurückweisungsentscheidung auch in der Tenorierung des Urteils zum Ausdruck gebracht, dass der Scheidungsantrag durch Prozessurteil als unzulässig abgewiesen worden ist, weil das angerufene Gericht sich – entsprechend Art. 9 EheGVO – für unzuständig erklärt hat.
[2]Die Prozessvoraussetzung der internationalen Zuständigkeit der deutschen Gerichte zur Entscheidung über den Scheidungsantrag des ASt. ist im Hinblick auf die mehrfache Auslandsberührung, hier zum einen durch den gewöhnlichen Aufenthalt beider Parteien in D./Vereinigte Arabische Emirate (VAE) und zum anderen durch die britische Staatsangehörigkeit der AGg., in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen und unabhängig von Einlassungen des Prozessgegners zu prüfen, da dieser in Ehesachen keine Zuständigkeit durch rügelose Einlassung begründen könnte (vgl. Schmidt, Internationales Zivilprozessrecht in der Praxis, 2004, Rz. 236 f.).
[3]Für die vom deutschen ASt. im November 2003 in seinem Heimatland eingeleitete Ehesache kann die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte nur aus der in Deutschland seit 1.3.2001 geltenden EheGVO folgen, da dieses gemäß Art. 3 II EGBGB vorrangige EG-Recht in seinem sachlichen und geografischen Geltungsbereich an die Stelle der nationalen Regelung des § 606a ZPO getreten ist. Die Neufassung der EuEheVO erfasst nach der maßgeblichen Übergangsvorschrift in Art. 64 I nur gerichtliche Verfahren, die nach dem 1.3.2005 eingeleitet wurden; die Kommentierungen zu den inhaltlich gleichen Regelungen zur Ehescheidungszuständigkeit in den Art. 3 ff. EuEheVO können jedoch auch im Rahmen der Auslegung zu Art. 2 ff. EheGVO herangezogen werden, da nur die Bezifferung verändert worden ist (vgl. die Entsprechungstabelle im Anh VI zu Art. 71 bzw. die Gegenüberstellung bei Schmidt aaO Rz. 268 ff., 273 f.), allein der Anwendungsbereich in Sorgerechtsverfahren ist deutlich erweitert worden.
[4]Das FamG ist zutreffend davon ausgegangen, dass auf die nationale Auffangregel des § 606a I Nr. 1 ZPO, auf die sich der ASt. nun auch im Berufungsverfahren weiter beziehen will, nur dann zurückgegriffen werden kann, wenn das vorrangige EG-Recht dies auch zulässt.
[5]Der ASt. meint zwar zu Recht unter Hinweis auf eine Kommentierung von Bülow-Böckstiegel-Geimer-Schütze-Dilger, Internationaler Rechtsverkehr in Zivil- und Handelssachen, Erg.-Lfg. 29, Bd. II 545–133 Rz. 46 N. 128), dass es für das Eingreifen der von der AGg. angeführten Ausschließlichkeitsklausel in Art. 7 EheGVO auf das ‚domicile’ der AGg. ankommt und nicht auf deren Staatsangehörigkeit, weil an deren Stelle für das Vereinigte Königreich und Irland das ‚domicile’ tritt. Nach der genannten, zugunsten des jeweiligen Antragsgegners wirkenden Schutzvorschrift darf gegen einen Ehegatten, der entweder seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hat oder Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats ist oder im Falle des Vereinigten Königreichs und Irlands sein ‚domicile’ im Hoheitsgebiet eines dieser Mitgliedstaaten hat, ein (Scheidungs-)Verfahren vor den Gerichten eines anderen Mitgliedstaats nur nach Maßgabe der Art. 2 ff. EheGVO durchgeführt werden.
[6]Es ist unbestritten, dass die Voraussetzungen des maßgeblichen Art. 2 EheGVO (Art. 3, 4 und 5 betreffen nur die elterliche Verantwortung bzw. Gegenanträge oder die Umwandlung einer bereits getroffenen Trennungsentscheidung in eine Scheidung) für die deutschen Gerichte nicht vorliegen, weil keiner der Ehegatten, die vor ihrer Übersiedlung nach D./VAE im Jahre 2002 ab 1996 gemeinsam in Großbritannien gelebt haben, seinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland als dem Mitgliedstaat, dessen Familiengericht vom ASt. angerufen worden ist, hat (Art. 2 I lit. a), noch besitzen die Ehegatten gemeinsam die hiesige Staatsangehörigkeit (Art. 2 I lit. b). Dasselbe gilt für das von der AGg. in ihrem Heimatland bereits eingeleitete Scheidungsverfahren im Übrigen auch, da sich auch der hiesige ASt. als AGg. dort auf die Ausschließlichkeitsklausel berufen kann.
[7]Soweit der ASt. für seinen hiesigen Scheidungsantrag eine Restzuständigkeit nach Art. 8 EheGVO durch Rückgriff auf das lex fori in Anspruch nehmen will, weil die Sperre des Art. 7 EheGVO nicht anwendbar sei, geht er von falschen Voraussetzungen aus, soweit er annimmt, dass sie beide dauerhaft eindeutig außerhalb der EU leben würden und daher weder Wohnsitz noch ‚domicile’ in einem Mitgliedstaat hätten.
[8]Die AGg. hat die Entscheidung des FamG mit dem zutreffenden Hinweis verteidigt, dass selbst bei einer ‚domicile’-Anknüpfung der Schutzzweck des Art. 7 zu ihren Gunsten greifen würde, weil ihr angestammtes ‚domicile of origin’ weiterhin in England sei, da sie ihren Lebensmittelpunkt nicht auf Dauer in der Absicht, niemals nach England zurückzukehren, nach D./VAE verlegt habe. Der ASt. geht demgegenüber zu Unrecht davon aus, dass auch nach englischen Rechtsvorstellungen, die gemäß Art. 2 II EheGVO für den Begriff des dort an die Stelle der Staatsangehörigkeit tretenden ‚domicile’ bestimmend sind, bereits ein gemeinsames ‚domicile of choice’ in D./VAE begründet sein könnte, denn er verkennt bei seiner Argumentation grundlegend, dass der englische Begriff des ‚domicile’ wesentlich enger ist als der deutsche Begriff des Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthalts.
[9]‚Domicile’ bedeutet die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Rechtsgebiet, weshalb es keinen Domizilort gibt, sondern nur ein Domizilgebiet. Jede Person hat ein derartiges ‚domicile’ und kann zur selben Zeit nur eines haben, wie es auch im Bericht der spanischen Prof. Alegria Borràs zum damaligen Staatsvertragsentwurf (ABl. EG vom 16.7.1998 zu C 221/27), der auch zur Auslegung der seinerzeit vorbereiteten EheGVO herangezogen werden kann (vgl. Linke, Internationales Zivilprozessrecht, 4. Aufl. [2006], Rz. 127 N. 58), zu Nr. 34 ausdrücklich hervorgehoben wurde. Das englische Recht unterscheidet insoweit zwischen dem durch Geburt erworbenen ‚domicile of origin’ (Ursprungsdomizil) und einem später freiwillig erworbenen Wahldomizil, dem ‚domicile of choice’. Sein ‚domicile of origin’ kann nur verlieren, wer ein neues ‚domicile of choice’ erwirbt. Letzteres kann eine volljährige Person dadurch erwerben, dass sie sich in einem fremden Land niederläßt (factum of residence) in Verbindung mit der Absicht, dort für immer zu bleiben (animus manendi) und auf Dauer nicht mehr in das Land des bisherigen Domizils zurückzukehren (vgl. IPG 1972 Nr. 18, 161; IPG 1996 Nr. 32, 426). An die Darlegung dieser Voraussetzung stellt das Common Law hohe Anforderungen (IPG 1972 aaO). Es sind insoweit alle Umstände zu berücksichtigen, die auch nur entfernt auf das Vorhandensein oder Fehlen einer solchen Absicht schließen lassen. Die Vermutung spricht für die Beibehaltung des bisherigen ‚domicile’, insbesondere, soweit das neue Domizil im Ausland liegen würde. Feste Regeln, aus welchen Tatsachen auf den ‚animus manendi/non revertendi’ geschlossen werden kann, gibt es nicht. Selbst ein langjähriger Aufenthalt ist in keinem Fall allein ausreichend. Gegen die Absicht können sprechen eine rein berufliche Motivation oder starke Unterschiede in Religion, Lebensweise, Sitten usw. gegenüber dem bisherigen Domizil (IPG 1972 Nr.18 aaO).
[10]Nach diesen Grundsätzen des Common Law, auf die die AGg. bereits erstinstanzlich in den Schriftsätzen vom 3.3.2005 und vom 24.3.2006 hingewiesen hat, ist nicht ersichtlich, dass sie ihr eigenes ‚domicile of origin’ aufgegeben haben könnte. Da der ASt. dauerhafte anderweitige Bindungen der AGg. an das Leben in D./VAE auch im letzten Schriftsatz vom 26.3.2007 nicht dargelegt hat, ist davon auszugehen, dass ihr ‚domicile of origin’ auch weiterhin im Heimatland liegt, weil nicht festgestellt werden kann, dass sie sich dauerhaft oder zumindest für unbefristete Zeit und ohne Rückkehrabsicht für ein neues ‚domicile of choice’ entschieden hat. Allein der Umstand, dass die AGg. Ende 2002 mit der gemeinsamen, jetzt zwölfeinhalb-jährigen Tochter dem deutschen ASt., der seit Anfang 2002 beruflich in D./VAE tätig ist, in das arabische Land gefolgt ist und dass sie dann auch nach der im April 2003 alsbald erfolgenden Trennung dort wohnen geblieben ist, reicht für die Feststellung eines neuen ‚domicile of choice’ nicht aus. Es ist vielmehr lebensnah anzunehmen, dass die AGg. irgendwann einmal – etwa nach Beendigung der Berufstätigkeit des bisher dort angebundenen Vaters ihrer Tochter oder nach deren Volljährigkeit – in das Heimatland zurückkehren wird. Es ist nach der Aktenlage noch nicht einmal klar, ob der ASt. selbst auch bei Beendigung seiner seit 2002 von dort ausgehenden, teilweise aber auch in Nigeria ausgeübten Berufstätigkeit dauerhaft in den VAE bleiben wird, zumal er nach den vorgelegten Passkopien offenbar nur zeitlich befristete ‚residence permits’ erhält, die ungültig werden, wenn er für mehr als sechs Monate außer Landes ist. Soweit der Antragstellenvertreter im Senatstermin gebeten hat, ihm noch Gelegenheit zum weiteren Vortrag zur Frage des Verlusts des ‚domicile of origin’ der AGg. zu geben, brauchte dem nicht entsprochen zu werden, da die in früheren Schriftsätzen der AGg. bereits angesprochene rechtliche Problematik ihres fortbestehenden ‚domicile’ vom ASt. selbst zum Inhalt seiner Berufungsangriffe gemacht worden ist, so dass es kein Grund für eine Erklärungsfrist nach §§ 139 V oder 283 ZPO ist, wenn sein Vortrag dazu sich als unzureichend erweist.
[11]Solange die AGg. ihr ‚domicile of origin’ noch im Vereinigten Königreich hat, ist der Rückgriff auf nationales Kompetenzrecht, der sonst über die Restzuständigkeit nach Art. 8 I EheGVO möglich wäre, für einen Scheidungsantrag des deutschen ASt. in seinem Heimatland wegen der eindeutigen Sperrwirkung des Art. 7 lit. b der EheGVO ausgeschlossen (vgl. Zöller-Geimer, 25. Aufl., § 606a ZPO Rz. 3b; Bülow-Böckstiegel-Geimer-Schütze aaO Bd. II 545–191 Rz. 1 und 545–199 Rz. 17; Geimer-Schütze, Europäisches Zivilverfahrensrecht, 2. Aufl. [2004], Art. 7 VO (EG) Nr. 1347/2000 Rz. 2 f. und Art. 8 Rz. 2 ff.), so dass er seinen Antrag im Vereinigten Königreich verfolgen muss, weil die Anwendung der lex fori nur im Heimat-, Aufenthalts- oder domicile-Staat des Antragsgegners zugelassen ist (vgl. Rauscher, Europäisches Zivilprozessrecht, 2. Aufl. [2006], Art. 7 Brüssel IIa-VO Rz. 11). Die in erster Instanz aufgeworfene Frage einer internationalen Notzuständigkeit wegen Rechtsverweigerung stellt sich nicht, da nicht ersichtlich ist, dass die britischen Familiengerichte das ‚domicile of origin’ der AGg. verneinen könnten, wenn sie vom ASt. angerufen würden.
[12]II. Der ASt. hat gemäß § 97 I ZPO die Kosten seines erfolglosen Berufungsverfahrens zu tragen.
[13]III. Der Senat sieht keine Veranlassung, mit Rücksicht auf die §§ 542, 543 ZPO die Revision zuzulassen, da die Rechtssache hinsichtlich der entscheidungserheblichen Frage, ob für die AGg. das für einen Scheidungsantrag des ASt. im Vereinigten Königreich notwendige ‚domicile’ vorliegt, weder grundsätzliche Bedeutung hat noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert. Soweit es um die Auslegung ausländischen Rechts geht – hier der Grundsätze des Common Law zum ‚domicile’ – ist die Entscheidung ohnehin nicht revisibel (§ 545 I ZPO).