PDF-Version

Verfahrensgang

OLG Karlsruhe, Beschl. vom 07.09.2007 – 14 W 31/07, IPRspr 2007-146

Rechtsgebiete

Zuständigkeit → Besonderer Vertragsgerichtsstand

Leitsatz

Deutsche Gerichte sind für die Direktklage eines in Deutschland wohnhaften Geschädigten unter dem insoweit maßgeblichen LugÜ nicht international zuständig, wenn der Kläger ein Haftpflichtversicherungsunternehmen mit Sitz in der Schweiz wegen eines in Frankreich erlittenen Verkehrsunfalls auf Schadensersatz in Anspruch nimmt.

Die Rechtsprechung zu Art. 11 II, 9 I lit. b EuGVO ist für die Auslegung des LugÜ insoweit ohne Bedeutung.

Rechtsnormen

EGV-Amsterdam Art. 234
EUGVVO 44/2001 Art. 9; EUGVVO 44/2001 Art. 11
EuGVÜ Art. 5; EuGVÜ Art. 8
GVG § 119
LugÜ Art. 1; LugÜ Art. 5
ZPO § 127

Sachverhalt

[Zur Rechtslage unter der EuGVO siehe zuletzt den Vorlagebeschl. des BGH vom 26.9.2006 – VI ZR 200/05, IPRspr. 2006 Nr. 107b sowie das Urteil des EuGH vom 13.12.2007 – Rs C-463/06, Slg. 2007, I-11321.]


Der in Deutschland wohnhafte ASt. begehrt die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für eine Klage gegen die in der Schweiz ansässige AGg., eine Versicherungsgesellschaft.

Mit der Klage begehrt der ASt. Ersatz des materiellen und immateriellen Schadens, den er im Rahmen eines Unfalls auf der französischen Autobahn Valence-Marseille erlitten hat und bei dem ein bei der beklagten Versicherung haftpflichtversichertes Fahrzeug auf den Pkw des ASt. auffuhr.

Das AG hat das Prozesskostenhilfegesuch zurückgewiesen.

Gegen diesen Beschluss richtet sich die sofortige Beschwerde des ASt.

Aus den Entscheidungsgründen:

(Randnummern der IPRspr-Redaktion)

[1]II. Zur Entscheidung über die sofortige Beschwerde des ASt. gegen den Beschluss des AG Oberkirch ist das OLG berufen (§ 119 I Nr. 1 lit. b GVG). Das Rechtsmittel ist zwar zulässig (§ 127 II 2 ZPO), in der Sache aber nicht begründet. Das AG ist mit Recht davon ausgegangen, dass für die beabsichtigte Klage eine internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte nicht besteht.

[2]1. Die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte ist im Verhältnis zur Schweiz nach den Bestimmungen des – in den hier maßgeblichen Vorschriften mit dem EuGVÜ wörtlich übereinstimmenden – LugÜ zu beurteilen (dazu vgl. Schack, Internationales Zivilverfahrensrecht, 4. Aufl., Rz. 109 ff.). Für das EuGVÜ aber war so gut wie allgemein anerkannt (‚nahezu unisono’, Rauscher-Staudinger, Europäisches Zivilprozessrecht, 2. Aufl., Art. 11 Brüssel I -VO Rz. 6; umf. Nachw. aus Rspr. u. Lit. aaO in N. 17; ebenso Schlosser, EuGVÜ, 1996, Art. 11 Rz. 2; siehe auch Schack aaO Rz. 284), dass der Geschädigte den Versicherer mit der Direktklage nicht an seinem Wohnsitzgericht verklagen kann. Diese so gut wie einhellige Auffassung, die sich auf den Wortlaut des EuGVÜ stützen konnte, das in Art. 8 I Nr. 2 nur vom ‚Versicherungsnehmer’, nicht aber vom ‚Geschädigten’ spricht – und auch durch den Jenard-Bericht (ABl. EG 1979 C-59/1, 32) gestützt wird –, ist im Interesse einer homogenen Anwendung der Brüsseler und Luganer Regeln auch der Anwendung des LugÜ zugrunde zu legen (vgl. etwa auch BGH, NJW 2001, 1936 (IPRspr. 2000 Nr. 133) zum Gebot der Auslegung von Art. 5 Nr. 1 LugÜ nach den zu Art. 5 Nr. 1 EuGVÜ entwickelten Regeln).

[3]2. Ohne Bedeutung für die Auslegung des LugÜ sind neuere Erkenntnisse im Schrifttum und die jüngere Rechtsprechung zu Art. 11 II, 9 I lit. b EuGVO. Allerdings hat der BGH (NJW 2007, 71 (IPRspr. 2006 Nr. 107) m. Anm. Staudinger aaO 73 = IPRax 2007, 324 m. Anm. Fuchs; IPRax 2007, 302) dem EuGH gemäß Art. 234 EG die – vom BGH bejahte – Frage zur Entscheidung vorgelegt, ob die Verweisung in Art. 11 II EuGVO auf Art. 9 I lit. b EuGVO dahin zu verstehen ist, dass der Geschädigte vor dem Gericht des Orts in einem Mitgliedstaat, an dem er seinen Wohnsitz hat, eine Klage unmittelbar gegen den Versicherer erheben kann, sofern eine solche Klage zulässig ist und der Versicherer seinen Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hat. Wenn der Geschädigte nach Art. 11 II, 9 I lit. b EuGVO an seinem Heimatforum klagen kann, so beruht dies (BGH aaO; vgl. auch Rauscher-Staudinger aaO) auf der Berücksichtigung der weiteren Rechtsentwicklung im Europarecht, namentlich einer Klarstellung im Sinne eines deklaratorischen Hinweises in der am 11.6.2005 in Kraft getretenen Richtlinie 2005/14/EG des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinien 72/166/EWG, 84/5/EWG, 88/357/EWG und 90/232/EWG des Rates sowie der Richtlinie 2000/26/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über die Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung vom 11.5.2005 (ABl. Nr. L 149/14). Diese Entwicklung kann indes bei der Auslegung des LugÜ ebenso wenig berücksichtigt werden wie etwa auch die weitere Entwicklung im europäischen Insolvenzrecht bei der Auslegung von Art. 1 II Nr. 2 LugÜ (vgl. Jayme/Kohler, IPRax 2005, 481, 492 unter Hinweis auf das Urteil des Schweizer Bundesgerichts vom 15.12.2004, BGE 131 III 227). Bis zu einer Revision des LugÜ (dazu Schack aaO Rz. 110; Jayme/Kohler aaO; Thomas-Putzo-Hüßtege, ZPO, 28. Aufl., Vorbem. 3 vor Art. 1 EuGVVO m.w.N.) muss eine Diskrepanz in der Frage der Zulassung einer Direktklage des Geschädigten an seinem Wohnsitz gegen den Haftpflichtversicherer des Schädigers daher hingenommen werden.

Fundstellen

LS und Gründe

IPRax, 2008, 125
NJW-RR, 2008, 373
VersR, 2008, 202

Aufsatz

Fuchs, IPRax, 2008, 104 A

Permalink

https://iprspr.mpipriv.de/2007-146

Lizenz

Copyright (c) 2024 Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht
Creative-Commons-Lizenz Dieses Werk steht unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz.