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Verfahrensgang

BGH, Beschl. vom 27.06.2007 – X ZR 15/05, IPRspr 2007-142

Rechtsgebiete

Zuständigkeit → Besonderer Vertragsgerichtsstand
Juristische Personen und Gesellschaften → Gesellschaftsstatut, insbesondere Rechts- und Parteifähigkeit

Leitsatz

Im Anwendungsbereich des Lugano-Übereinkommens über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 16.9.1988 (BGBl. 1994 II 2658) wird die internationale Zuständigkeit des angerufenen Gerichts begründet, wenn sich der Beklagte in der Berufungsinstanz zur Sache einlässt, ohne eine in erster Instanz erhobene Zuständigkeitsrüge zu wiederholen.

Rechtsnormen

CISG Art. 57
EGBGB Art. 31
EUGVVO 44/2001 Art. 24; EUGVVO 44/2001 Art. 66
GG Art. 103
LugÜ Art. 3; LugÜ Art. 5; LugÜ Art. 18
ZPO § 39; ZPO § 288; ZPO § 544; ZPO § 545

Sachverhalt

Die Kl., welche Anlagen und Programme zur elektronischen Datenverarbeitung vertreibt und Dienstleistungen auf diesem Gebiet erbringt, nimmt die Bekl., eine Aktiengesellschaft polnischen Rechts, auf Schadensersatz wegen Nichterfüllung in Anspruch. Am 29.4.1999 unterzeichneten die Kl. und der damalige Vorsitzende des Aufsichtsrats der Bekl. N. eine Urkunde, nach der „dem Käufer/Lizenznehmer ... von C. (Kl.) ... Hardware verkauft und/oder Software zur Nutzung überlassen bzw. Dienstleistungen erbracht“ werden; „Gesamtprojektpreis“: 600 000 DM. Dem folgte am 17.6.1999 eine Einigung über mehrere Zahlungstermine. Nach weiteren Gesprächen erteilte die Kl. der Bekl. unter dem 23.6.1999 eine Auftragsbestätigung, deren Zugang streitig ist. Die Bekl. zahlte eine erste Rate in Höhe von 50 000 DM; weitere Zahlungen wurden nicht geleistet. Mit Anwaltsschreiben vom 9.10.2001 forderte die Kl. die Bekl. unter Fristsetzung zur Zahlung auf; gleichzeitig kündigte sie an, bei fruchtlosem Fristablauf die Erfüllung abzulehnen und Schadensersatz wegen Nichterfüllung zu verlangen. Mit Schreiben vom 19.10.2001 wies der Vorsitzende des Vorstands der Bekl. die Forderungen u.a. mit der Begründung zurück, N. habe den Vertrag ohne Vollmacht geschlossen.

Die Klage auf Schadensersatz ist in den Vorinstanzen erfolglos geblieben. Mit ihrer Beschwerde richtet sich die Kl. gegen die Nichtzulassung der Revision.

Aus den Entscheidungsgründen:

(Randnummern der IPRspr-Redaktion)

[1]B. Die zulässige Beschwerde führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache, da das Berufungsgericht den Anspruch der Kl. auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat (§ 544 VII ZPO).

[2]I. Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet: Zu Recht sei das LG von der internationalen Zuständigkeit deutscher Gerichte ausgegangen. Sie ergebe sich entweder aus den in der Vertragsurkunde in Bezug genommenen AGB der Kl. oder aus Art. 5 Nr. 1, 3 I LugÜ i.V.m. Art. 57 I lit. a CISG. Die danach zulässige Klage sei jedoch unbegründet. Dabei könne dahinstehen, ob das LG zu Recht eine wirksame Vertretung der Bekl. durch N. verneint habe. Denn es sei davon auszugehen, dass es sich bei dem als ‚Vertrag’ bezeichneten Schriftstück lediglich um einen unverbindlichen Ausgangspunkt von Vertragsverhandlungen und nicht bereits um einen für beide Seiten verbindlichen Vertrag im Rechtssinne handele, der in der Folgezeit etwa nur geändert beziehungsweise durch die Auftragsbestätigung bekräftigt worden wäre. Die Kl. habe die Übersendung des Bestätigungsschreibens selbst damit begründet, dass die Vertragsverhandlungen erst unmittelbar vor diesem Zeitpunkt abgeschlossen gewesen seien.

[3]II. Die Nichtzulassungsbeschwerde rügt, die Auffassung des Berufungsgerichts, die am 29.4.1999 unterzeichnete, ausdrücklich als Vertrag bezeichnete Vereinbarung stelle lediglich einen unverbindlichen Ausgangspunkt für Vertragsverhandlungen und nicht bereits einen für beide Seiten verbindlichen Vertrag dar, verletze den Anspruch der Kl. auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise. Die Kl. habe bereits erstinstanzlich vorgetragen, der Vertrag zwischen den Parteien sei mit der Unterzeichnung durch den als Zeugen benannten Aufsichtsratsvorsitzenden N. am 29.4.1999 zustande gekommen. Auch die Bekl. habe eingeräumt, dass sich die für die Parteien handelnden Personen bereits am 29.4.1999 über den Vertragsschluss einig gewesen seien. Lediglich hilfsweise habe die Kl. geltend gemacht, der Vertrag sei spätestens dadurch zustande gekommen, dass die Bekl. der Auftragsbestätigung vom 23.6.1999 nicht widersprochen habe, da sich aus den dem Vertragsschluss am 29.4.1999 folgenden Projektgesprächen bis Mitte Juni noch Änderungen ihrer Leistungen und dementsprechende Vertragsänderungen ergeben hätten, die die Anwendung der Grundsätze über das kaufmännische Bestätigungsschreiben rechtfertigten.

[4]III. Die Rüge der Nichtzulassungsbeschwerde ist begründet.

[5]1. Art. 103 I GG verpflichtet das Gericht, die Ausführungen und Anträge der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen ...

[6]2. Den dargestellten Anforderungen ist das Berufungsgericht nicht gerecht geworden.

[7]Seine Annahme, bei dem am 29.4.1999 unterzeichneten Schriftstück handele es sich lediglich um einen unverbindlichen Ausgangspunkt von Vertragsverhandlungen und nicht bereits um einen Vertrag im Rechtssinne, der in der Folgezeit nur geändert worden sei, findet weder in dem vom Berufungsgericht herangezogenen schriftsätzlichen Vorbringen der Kl. noch im Vorbringen der Bekl. eine Stütze ...

[8]3. Das angefochtene Urteil beruht auch auf der Grundrechtsverletzung. Denn da das Berufungsgericht das betreffende Vorbringen der Kl. nicht geprüft hat, ist für das Beschwerdeverfahren die Behauptung zugrunde zu legen, dass N. von der Bekl. bevollmächtigt war und nach dem insoweit maßgeblichen polnischen Recht auch rechtsgeschäftlich bevollmächtigt werden konnte.

[9]IV. Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin:

[10]1. Das Berufungsgericht hat im Ergebnis zu Recht angenommen, dass die deutschen Gerichte international zur Sachentscheidung berufen sind. Die auch unter der Geltung des § 545 II ZPO in jedem Verfahrensabschnitt von Amts wegen zu prüfende internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte (BGHZ 153, 82, 85 (IPRspr. 2002 Nr. 157) m.w.N.) ist jedenfalls gemäß Art. 18 LugÜ dadurch begründet worden, dass die Bekl. sich in der Berufungsinstanz auf das Verfahren eingelassen hat, ohne die Rüge der internationalen Zuständigkeit weiterzuverfolgen.

[11]Zutreffend ist das Berufungsgericht von der Anwendbarkeit des LugÜ ausgegangen. Nach Art. 66 I EuGVO sind die Vorschriften dieser Verordnung nur auf solche Klagen anzuwenden, die erhoben wurden, nachdem die Verordnung in Kraft getreten ist; für die mit Wirkung zum 1.5.2004 der Gemeinschaft beigetretenen Mitgliedstaaten ist insoweit der Beitrittstag maßgeblich (Kropholler, Europäisches Zivilprozessrecht, 8. Aufl., Art. 66 EuGVO Rz. 1). Da die Klage am 12.2.2003 und somit vor dem Beitritt Polens zugestellt worden ist, bestimmt sich die internationale Zuständigkeit im Streitfall nach dem LugÜ, das für Polen am 1.2.2000 in Kraft getreten ist (Kropholler aaO Einl. Rz. 53).

[12]Fehlerhaft ist indessen die weitere Annahme des Berufungsgerichts, die rügelose Einlassung der Bekl. im Berufungsverfahren habe nach § 39 ZPO die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte nicht begründen können. Nach der Rechtsprechung des BGH kann zwar die internationale Zuständigkeit nicht aus § 39 ZPO hergeleitet werden, wenn der Beklagte, der im ersten Rechtszug die Zuständigkeitsrüge erhoben hatte, in der Rechtsmittelinstanz zur Hauptsache verhandelt, ohne die Rüge nochmals zu erheben (BGH, Urt. vom 13.7.1987 – II ZR 188/86, NJW 1987, 3081 (IPRspr. 1987 Nr. 131)). § 39 ZPO wird jedoch im Anwendungsbereich des LugÜ durch Art. 18 (der Art. 24 EuGVO entspricht) verdrängt (vgl. Geimer, IZPR, 5. Aufl., Rz. 1419; MünchKommZPO-Gottwald, 2. Aufl., Art. 18 EuGVÜ Rz. 5; Kropholler aaO Art. 24 EuGVO Rz. 5; Staudinger-Hausmann, BGB, Bearb. 2002, Anh II zu Art. 27–37 EGBGB Rz. 16). Nach Art. 18 LugÜ wird ein Gericht eines Vertragsstaats, sofern es nicht bereits nach anderen Vorschriften des Übereinkommens zuständig ist, zuständig, wenn sich der Beklagte vor ihm auf das Verfahren einlässt. Eine Beschränkung auf das Verfahren vor dem Gericht des ersten Rechtszugs enthält Art. 18 LugÜ nicht; die Zuständigkeit wird daher auch durch rügelose Einlassung in der Berufungsinstanz begründet (Geimer-Schütze, Europäisches Zivilverfahrensrecht, 2. Aufl., Art. 24 EuGVVO Rz. 63 f.; Kropholler aaO Rz. 13; Rauscher-Mankowski, Europäisches Zivilprozessrecht, 2. Aufl., Art. 24 EuGVVO Rz. 26; Zöller-Geimer, ZPO, 26. Aufl., Art. 24 EuGVVO Rz. 4; siehe auch bereits Geimer, RIW 1988, 221 f.). Zu Unrecht meint Wieczorek-Schütze-Hausmann, ZPO, 3. Aufl., Art. 18 EuGVÜ Rz. 14), da der Mangel der internationalen Zuständigkeit nach dem insoweit maßgeblichen deutschen Zivilprozessrecht in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu berücksichtigen sei, müsse die in erster Instanz erhobene Rüge der internationalen Unzuständigkeit nicht erneut vorgebracht werden. Dabei bleibt unberücksichtigt, dass sich die Prüfung der internationalen Zuständigkeit in diesem Fall darauf beschränken kann, ob sich der Beklagte in zweiter Instanz rügelos eingelassen hat.

[13]Im Streitfall hat die Bekl. lediglich in erster Instanz die internationale Zuständigkeit gerügt. Dass sie deren Fehlen geltend machen wollte, ergab sich mit hinreichender Deutlichkeit aus ihrer Verteidigung. Denn sie hat die Zuständigkeit des LG Aachen gerügt und dies damit begründet, dass ihr Aufsichtsratsvorsitzender keine Vollmacht zum Abschluss des Vertrags gehabt habe und dass deswegen die Gerichtsstandsvereinbarung nicht wirksam sei. In der Berufungsinstanz hat sie allerdings nur noch ausgeführt, weshalb das LG, das die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte bejaht hat, ihrer Auffassung nach zu Recht die Klage für unbegründet gehalten habe. Damit hat sie sich nur noch zur Sache eingelassen, ohne Rügen gegen die Zulässigkeit der Klage zu erheben. Jedenfalls hierdurch ist gemäß Art. 18 LugÜ die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte begründet worden.

[14]2. In der Sache wird das Berufungsgericht zu erwägen haben, ob ein Vertragsschluss am 29.4.1999 – durch N. – von der Bekl. zugestanden worden ist (§ 288 I ZPO) ...

[15]4. Sollte eine (rechtsgeschäftlich begründete) Vertretungsmacht des Aufsichtsratsvorsitzenden N. ausscheiden oder nicht festzustellen sein, wird das Berufungsgericht ggf. zu prüfen haben, ob die Kl. das Verhalten der Bekl. vor und/oder nach dem 29.4.1999 als Zustimmung oder Genehmigung des Vertragsschlusses durch ihre gesetzlichen Vertreter verstehen durfte oder sich die Berufung der Bekl. auf eine fehlende Vollmacht des Aufsichtsratsvorsitzenden N. als treuwidrig darstellt. Auch insoweit kann ggf. das zu 3. erwähnte Vorbringen Bedeutung gewinnen. Hinsichtlich des insoweit maßgeblichen Rechts wird auf das Vertragsstatut abzustellen sein (Art. 31 I EGBGB).

Fundstellen

LS und Gründe

BGHZ, 173, 40
CR, 2007, 625
Europ. Leg. Forum, 2007, I-159, II-73, mit Anm. Calabresi-Scholz
NJW, 2007, 3501
WM, 2007, 1716
MDR, 2008, 162
RIW, 2008, 156
WuB, 2008, mit Anm. Schütze, VII C. Art. 18 LugÜ – Nr. 1.07

Permalink

https://iprspr.mpipriv.de/2007-142

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