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Verfahrensgang

LG Dresden, Beschl. vom 26.01.2006 – 2 T 1208/04, IPRspr 2006-221

Rechtsgebiete

Freiwillige Gerichtsbarkeit → Namens- und familienrechtliche Sachen (bis 2019)
Kindschaftsrecht → Adoption

Leitsatz

Eine im Ausland (hier: in der Türkei) erfolgte Adoption ist in Deutschland nicht gemäß § 16a Nr. 4 FGG anzuerkennen, wenn ihre Anerkennung gegen den deutschen ordre public verstößt.

Für die Beurteilung, ob ein Ordre-public-Verstoß vorliegt, ist auf den Zeitpunkt der Anerkennung abzustellen, was aber nicht dazu führt, dass alle für eine Adoption erheblichen Umstände zu berücksichtigen sind, die seit der Adoption und bis zur Anerkennung eingetreten sind. Ausschlaggebend ist vielmehr, ob die anzuerkennende Entscheidung im Zeitpunkt ihrer Anerkennung dem dann geltenden deutschen ordre public entspricht.

Wurde das Kind in dem türkischen Adoptionverfahren nicht durch das Gericht persönlich angehört, verstößt dies gegen den deutschen ordre public. Eine weitere Verletzung des deutschen ordre public ist zu bejahen, wenn keine Eignungsprüfung der Annehmenden stattgefunden hat.

Rechtsnormen

FGG § 16a; FGG § 50b

Sachverhalt

Der am 1.2.1987 geborene Anzunehmende ist der leibliche Sohn des Beteiligten zu 1). Beide sind türkische Staatsangehörige. Der Beteiligte zu 1) hat am 27.5.1994 mit der Beteiligten zu 2), die deutsche Staatsangehörige ist, die Ehe geschlossen. Der Anzunehmende lebt seit dem 19.9.2003 mit den Beteiligten zu 1) und 2) im gemeinsamen Haushalt in Leipzig.

Das Amtsgericht Z./Türkei hat am 26.12.2002 einem Adoptionsantrag der Beteiligten zu 2) stattgegeben und die Annahme des Anzunehmenden als Kind der Beteiligten zu 2) ausgesprochen.

Mit Beschluss vom 12.11.2004 hat das AG – VormG – Dresden einen Antrag der Beteiligten zu 2) auf Anerkennung und Wirkungsfeststellung der durch Urteil des Amtsgerichts Z./Türkei am 26.12.2002 ausgesprochenen Adoption des Anzunehmenden zurückgewiesen. Die ausländische Entscheidung verstoße gegen den ordre public. Gegen diesen Beschluss des AG – VormG – Dresden vom 12.11.2004 richtet sich die sofortige Beschwerde der Beteiligten zu 2). Denn für die Beurteilung, ob die Anerkennung des streitgegenständlichen Urteils gegen den deutschen ordre public verstoße, sei der Zeitpunkt maßgebend, in dem über die Anerkennung zu entscheiden sei. Zugunsten der Beteiligten zu 2) sei mithin zu berücksichtigen, dass sich der Anzunehmende seit dem 19.9.2003 im gemeinsamen Haushalt der Beteiligten zu 1) und 2 aufhalte und das Jugendamt der Stadt Leipzig eine weitere Festigung eines Eltern-Kind-Verhältnisses zwischen dem Anzunehmenden und der Beteiligten zu 2) festgestellt habe.

Aus den Entscheidungsgründen:

(Randnummern der IPRspr-Redaktion)

[1]II. Die sofortige Beschwerde der Beteiligten zu 2) vom 30.11.2004 gegen den Beschluss des AG – VormG – Dresden vom 12.11.2004 ist zulässig, hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.

[2]Zwar sind ausländische Entscheidungen in Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit grundsätzlich anzuerkennen (vgl. Keidel/Kunte/Winkler-Zimmermann, FGG, 15. Aufl., § 16a Rz. 4 m.w.N.), aber vorliegend scheidet eine Anerkennung gemäß § 16a Nr. 4 FGG aus. Denn das Urteil des Amtsgerichts Z./Türkei vom 26.12.2002, mit dem die Adoption des Anzunehmenden ausgesprochen wurde, verstößt gegen den in § 16a Nr. 4 FGG normierten deutschen ordre public.

[3]Für die Beurteilung, ob die Anerkennung eines ausländischen Urteils gegen den deutschen ordre public verstößt, ist der Zeitpunkt maßgebend, in dem über die Anerkennung zu entscheiden ist (OLG Hamm, FamRZ 1987, 506 (IPRspr. 1986 Nr. 204) m.w.N.). Entgegen der Auffassung der Beteiligten zu 2) bedeutet dies jedoch nicht, dass sämtliche für eine Adoption entscheidungserhebliche Umstände zu berücksichtigen sind, die seit dem Erlass der ausländischen Entscheidung bis zu deren Anerkennung aufgetreten sind. Denn dies würde im Ergebnis dazu führen, dass von dem Gericht, das ausschließlich über die Anerkennung der ausländischen Adoptionsentscheidung zu entscheiden hat, eine neue und eigene Adoptionsentscheidung zu treffen wäre. Maßgebend ist vielmehr, ob die anzuerkennende Entscheidung im Zeitpunkt ihrer Anerkennung dem dann geltenden deutschen ordre public entspricht, also mit den in diesem Zeitpunkt wirksamen und unverzichtbaren verfahrensrechtlichen und materiellen Bestimmungen vereinbar ist.

[4]Vorliegend ist der Entscheidung des Amtsgerichts Z./Türkei vom 26.12.2002 die Anerkennung nach § 16a Nr. 4 FGG zu versagen, da das Urteil aufgrund eines Verfahrens erlassen wurde, das von den (auch zum jetzigen Zeitpunkt noch geltenden) Grundprinzipien des deutschen Verfahrensrechts in einem solchen Maße abweicht, dass nach der deutschen Rechtsordnung die Entscheidung nicht als in einem geordneten, rechtsstaatlichen Verfahren ergangen angesehen werden kann (BVerwG, Beschl. vom 29.5.1986, 1 B 20/86 (IPRspr. 1986 Nr. 104)).

[5]Das Amtsgericht Z./Türkei hat ausweislich des Urteils den Anzunehmenden nicht persönlich angehört. Die persönliche Anhörung eines Kindes durch das Adoptionsgericht ist jedoch, jedenfalls wenn wie hier das Kind das 14. Lebensjahr vollendet hat, ein zwingender und wesentlicher Grundsatz des deutschen Rechts, der sich aus § 50b II 1 FGG ergibt. Diese Vorschrift dient der Sicherstellung des rechtlichen Gehörs des betroffenen Kindes, das durch die Entscheidung in seiner Individualität als Grundrechtsträger berührt wird und deshalb Gelegenheit haben muss, seinen Standpunkt zur Geltung zu bringen (BVerfG, FamRZ 1981, 124, 126). Diese (zwingend vorgesehene) Anhörung kann auch nicht durch eine schriftliche Stellungnahme des betroffenen Kindes ersetzt werden, weil insoweit die Gefahr der Beeinflussung durch den einen oder anderen Elternteil zu befürchten ist. Eine Ausnahme von diesem wesentlichen Grundsatz besteht gemäß § 50b III FGG nur bei schwerwiegenden Gründen, die hier nicht ersichtlich sind. Insbesondere hat der Betroffene bis zum 18.9.2003 bei seinen Großeltern väterlicherseits in der Türkei gelebt, so dass eine persönliche Anhörung unschwer möglich gewesen wäre.

[6]Darüber hinaus ist der Adoptionsentscheidung des Amtsgerichts Z./Türkei vom 26.12.2002 keine fachliche Begutachtung der Beteiligten zu 2) vorausgegangen. Nach den unwidersprochenen Feststellungen des AG – VormG – Dresden vom 12.11.2004 war die Beteiligte zu 2) nur durch ihren Verfahrensbevollmächtigten, einen türkischen Rechtsanwalt, im dortigen Adoptionsverfahren vertreten. Zu einer hinreichenden Kindeswohlprüfung, die Voraussetzung für die Anerkennung einer ausländischen Adoptionsentscheidung ist, gehört aber auch, dass eine fachliche Begutachtung des Adoptionsbewerbers stattgefunden hat, die dessen Lebensumstände annähernd vollständig erfassen muss (Steiger, DNotZ 2002, 184, 198).

[7]Ob darüber hinaus ein weiterer Verstoß gegen den deutschen ordre public vorliegt, weil die in der Türkei erfolgte Adoption möglicherweise nur der Verschaffung einer Aufenthaltsberechtigung für die Bundesrepublik Deutschland diente, braucht die Kammer nicht zu entscheiden, da dem Urteil des Amtsgerichts Z./Türkei vom 26.12.2002 bereits aus den o.g. Gründen die Anerkennung zu versagen ist.

[8]Eine Entscheidung über die Gerichtskosten ist nicht angezeigt, da insoweit die KostO gilt und der Kostenbeamte hierüber kraft eigener Kompetenz befindet. Es bestand auch keine Veranlassung, die Erstattung außergerichtlicher Kosten anzuordnen.

Fundstellen

LS und Gründe

JAmt, 2006, 360

Permalink

https://iprspr.mpipriv.de/2006-221

Lizenz

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