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Verfahrensgang

AG Hamm, Beschl. vom 13.01.2006 – XVI 173/03, IPRspr 2006-220

Rechtsgebiete

Freiwillige Gerichtsbarkeit → Namens- und familienrechtliche Sachen (bis 2019)
Kindschaftsrecht → Adoption

Leitsatz

Zur Anerkennung einer im Ausland (hier: Haiti) erfolgten Adoption eines haitianischen Jungens.

Rechtsnormen

AdoptionD 1974 (Haiti) Art. 1; AdoptionD 1974 (Haiti) Art. 3; AdoptionD 1974 (Haiti) Art. 8; AdoptionD 1974 (Haiti) Art. 11; AdoptionD 1974 (Haiti) Art. 16; AdoptionD 1974 (Haiti) Art. 17; AdoptionD 1974 (Haiti) Art. 21; AdoptionD 1974 (Haiti) Art. 29; AdoptionD 1974 (Haiti) Art. 34
AdWirkG § 2
BGB § 1742
EuAdoptÜ 1967 Art. 12
FGG § 16a; FGG § 43b

Sachverhalt

G. und seine jüngere, etwa September 2002 geborene Schwester A., wurden von ihren leiblichen Eltern J. F. und G. B. in dem Kinderheim MA untergebracht.

Die ASt. sind seit dem ... miteinander verheiratet (Standesamt H.). Aus der Ehe sind die Kinder M. und C. hervorgegangen. Die ASt. wünschten sich noch ein weiteres Kind und bewarben sich über die staatlich anerkannte Adoptionsvermittlungsstelle ICCO um die Adoption eines Kindes aus Haiti. Ihnen wurde G. vorgeschlagen. Die ASt. waren einverstanden und bevollmächtigten die Leiterin des genannten Kinderheims, sie in allen die Adoption betreffenden Angelegenheiten zu vertreten.

G.s leibliche Eltern willigten mit einer von einem Friedensrichter beurkundeten Erklärung am 4.4.2003 in die Adoption ihres Sohns durch die ASt. ein. Das haitianische Sozialministerium erteilte den ASt. unter dem 26.5.2003 – Az. 8611 – eine Erlaubnis und Empfehlung zur Adoption des Jungen, wobei positive sozialarbeiterische Berichte sowie Dokumentationen über die ASt. aus Deutschland erwähnt wurden. Am 24.6.2003 erschienen vor dem Friedensrichter der Rechtsanwalt L. als Bevollmächtigter der ASt. und die Leiterin des Kinderheims MA. Zu Protokoll des Friedensrichters gab Rechtsanwalt L. für die ASt. die Erklärung ab, dass diese G. adoptierten, und die Leiterin des Kinderheims erklärte ihre Zustimmung. Das Zivilgericht Port-au-Prince bestätigte mit Urteil vom 9.7.2003 die Adoption und traf ferner die Feststellung, dass G. den Familiennamen der ASt. als zusätzlichen Familiennamen führe. In den Gründen der Entscheidung ist ausgeführt, dass nach den vorliegenden Unterlagen gute Gründe für die Adoption vorlägen und diese dem Kind echte Vorteile bringe, so dass entsprechend dem Antrag der Staatsanwaltschaft die Bestätigung auszusprechen sei. Die Staatsanwaltschaft vermerkte unter dem 14.7.2003 auf dem Urteil „geprüft zur Vollstreckung". Die Adoption wurde am 24.7.2003 vom Standesbeamten zu Port-au-Prince / Bezirk Ost registriert. Unter dem 20.8.2003 willigten die leiblichen Eltern des Kindes zu Protokoll des Friedensrichters ferner in eine Volladoption ein.

Nach Angaben der ASt. wurden sie von der Leiterin des Heimes MA dahin informiert, dass zuvor beide Kinder von einem den ASt. namentlich nicht bekannten deutschen Ehepaar adoptiert worden seien, jenes Ehepaar sich jedoch nach der Adoption geweigert habe, G. zu sich zu nehmen, und A. zwar mit nach Deutschland genommen, das Kind jedoch nach einigen Wochen in das Heim zurückgebracht habe; die Adoptionen seien sodann aufgehoben worden, bevor die Adoption G.s durch die ASt. und die Adoption A.s durch ein französisches Ehepaar eingeleitet worden seien. Einen Nachweis über eine solche Adoptionsaufhebung vermochten die ASt. bislang nicht zu beschaffen.

Die ASt. beantragen im vorliegenden Verfahren, festzustellen, dass die Auslandsadoption wirksam und anzuerkennen ist, ferner, mit notarieller Urkunde vom 25.5.2004, dem Kind die Rechtsstellung eines nach den deutschen Sachvorschriften angenommenen Kindes und den (alleinigen) Familiennamen D. als Geburtsnamen sowie die Vornamen G. F. N. zu erteilen.

Aus den Entscheidungsgründen:

(Randnummern der IPRspr-Redaktion)

[1]II. Das Verfahren ist hinsichtlich des Feststellungsantrags (l. 2a) entscheidungsreif. Insoweit sind gemäß § 2 AdWirkG die aus der Beschlussformel ersichtlichen Feststellungen zu treffen.

[2]l. Nach dem Dekret der Republik Haiti vom 4.4.1974 über die Adoption, das die Rechte des Kindes in seiner Familie verstärkt (Mon. Nr. 32 vom 18.4.1974; im Folgenden AdD) ist die Adoption Minderjähriger im Alter bis zu 16 Jahren zulässig, wenn sie auf gerechtfertigte Gründe gestützt ist und dem Adoptierten gegenwärtige und sichere Vorteile bietet. Für die Adoptionsbewerber gelten Vorschriften über das Mindestalter von (regelmäßig) 35 Jahren, ferner das Erfordernis der Kinderlosigkeit, von dem der Präsident der Republik Befreiung erteilen kann; die Ausländereigenschaft bildet kein Hindernis. Die Adoption erfolgt durch vom Friedensrichter zu beurkundende Erklärungen der Adoptionsbewerber sowie (regelmäßig) der leiblichen Eltern des Kindes und bedarf einer Bestätigungsentscheidung des Zivilgerichts, die von der Staatsanwaltschaft mit Berufung angefochten werden kann. Mit der Eintragung in das Personenstandsregister erhält die Adoption Wirkung für und gegen alle.

[3]2. Von einer nach diesen Vorschriften möglicherweise fehlerhaften, indessen doch wirksamen Adoption ist auszugehen.

[4]a) In formaler Hinsicht haben die leiblichen Eltern mit Urkunde vom 14.4.2003, die ASt. durch den bevollmächtigten Rechtsanwalt Adoptionsserklärungen abgegeben. Dies genügt dem haitianischen Recht, da die Adoptionserklärungen auch in getrennten Urkunden erfolgen können, Art. 11 AdD. Eine zusätzliche Einwilligung der Leiterin des Kinderheims sieht das AdD selbst nicht vor. Selbst wenn sich die Notwendigkeit aus anderen gesetzlichen Bestimmungen ergeben sollte, wäre dieses Erfordernis durch die Erklärung der Leiterin des Heimes vom 24.6.2003 erfüllt. Die erforderliche gerichtliche Bestätigung wurde erteilt und ist rechtskräftig, da in dem Vermerk der Staatsanwaltschaft ‚geprüft zur Vollstreckung’ ein Rechtsmittelverzicht zu sehen ist. Die Adoption ist in das Personenstandsregister eingetragen.

[5]b) Die Grundvoraussetzung des Art. 1 II AdD, dass nämlich die Adoption auf gerechtfertigte Gründe gestützt ist und dem Kind gegenwärtige und sichere Vorteile bietet, ist von dem Gericht in Übereinstimmung mit dem Sozialministerium und der Staatsanwaltschaft bejaht worden, mag auch der Umfang der Prüfung nicht den Maßstäben des deutschen Rechts entsprechen.

[6]c) Allerdings ist eine Befreiung von dem Erfordernis der Kinderlosigkeit (Art. 3 AdD) durch den Staatspräsidenten persönlich nirgends erwähnt, ebenso wenig wie in mehreren gleich gelagerten Fällen, die Gegenstand hiesiger Verfahren waren (z.B. XVI 1/02 und XVI 102/03). Die Tatsache, dass die ASt. (zwei) Kinder haben, war den genannten haitianischen Behörden aus den deutschen Sozialberichten zweifellos bekannt. Es ist nicht ernstlich in Erwägung zu ziehen, dass alle drei Behörden die Vorschrift des Art. 3 AdD ignoriert haben. Es ist daher davon auszugehen, dass entweder der Dispens des Staatspräsidenten vom Sozialministerium eingeholt und ohne Bekanntgabe an die ASt. zu den Akten genommen wurde oder dass der Staatspräsident seine Befugnis, von diesem Adoptionshindernis zu befreien, in zulässiger Weise delegiert hat und diese Befreiung in der anderweitig wohl nicht vorgeschriebenen Adoptionserlaubnis des Sozialministeriums liegt oder aber dass für Fälle bestimmter Art ein genereller Dispens erteilt wurde und dies für die mit der Sache befassten Behörden so selbstverständlich war, dass es nicht besonders erwähnt wurde.

[7]Im Übrigen ist davon auszugehen, dass Rechtsmängel keine Nichtigkeit der Adoption nach sich ziehen, sondern lediglich Anfechtbarkeit gemäß Art. 29 AdD und Widerruflichkeit nach Art. 34 AdD. Denn die Vorschriften des AdD zielen in ihrer Gesamtheit auf Rechtsklarheit und Rechtsbeständigkeit einer Adoption. So wäre die Zulassung eines Rechtsmittels gegen die Bestätigungsentscheidung wenig sinnvoll, wenn gleichwohl auch nach Rechtskraft ein Streit über die Wirksamkeit der Adoption möglich wäre. Das teilweise konstitutive Erfordernis der Eintragung in das Personenstandsregister dient offensichtlich ebenfalls dem Zweck, Streitigkeiten über das Bestehen oder Nichtbestehen der Adoption zu verhindern. Nach Art. 34 AdD ist ein Widerruf der Adoption nur durch gerichtliche Entscheidung (gegen die umfangreiche Rechtsmittel eröffnet sind) und nur aus ‚sehr schwerwiegenden Gründen’ möglich und wirkt nur für die Zukunft. Insbesondere hierin sieht das Gericht eine abschließende Regelung der Folgen einer mit Rechtsmängeln behafteten Adoption.

[8]Zudem verstößt das Erfordernis der Kinderlosigkeit gegen Art. 12 II des Europäischen Übereinkommens über die Adoption von Kindern vom 24.4.1967 (BGBl. 1980 II 1093) und damit gegen den deutschen ordre public, so dass das beschließende Gericht an der Anwendung des Art. 3 AdD gehindert wäre, das haitianische Recht also unter Außerachtlassung dieser Vorschrift anzuwenden hätte, wenn nicht bereits die vollständige Anwendung des haitianischen Rechts (einschl. des Art. 3 AdD) die Wirksamkeit der Adoption ergäbe.

[9]d) Angesichts der Erklärungen der Heimleiterin gegenüber den ASt. (vgl. I. 5) vermag das Gericht nicht auszuschließen, dass der Adoption des Kindes durch die ASt. eine anderweitige Adoption vorausgegangen war, deren Aufhebung nicht nachgewiesen ist, und somit eine sog. Kettenadoption vorliegen könnte, die nach deutschem wie nach haitianischem Recht nicht zulässig ist (§ 1742 BGB, Art. 8 AdD). Das Gericht ist jedoch zu der Auffassung gelangt, dass auch ein Verstoß gegen Art. 8 AdD ebenso wenig die Nichtigkeit der Adoption zur Folge hätte wie ein bei einer deutschen Adoption unterlaufener Verstoß gegen § 1742 BGB (vgl. zu Letzterem FamRZ 1985, 201). Zwar ist die Adoption nach haitianischem Recht wohl nicht als reine Dekretadoption anzusehen, dieser aber angenähert. Wie bereits unter c) ausgeführt, ist der rechtskräftigen Bestätigungsentscheidung und der Adoptionseintragung eine etwaige Rechtsmängel heilende Wirkung zuzumessen und die Widerrufsmöglichkeit nach Art. 34 AdD als abschließende Regelung der Folgen einer fehlerhaften Adoption zu werten.

[10]3. Die Adoption ist anerkennungsfähig.

[11]Zwar ist Haiti nicht Mitgliedstaat des Haager Übereinkommens über den Schutz von Kindern und die Zusammenarbeit auf dem Gebiet der internationalen Adoption vom 29.5.1993 (BGBl. II 1035), so dass die Anerkennungsvorschriften dieses Abkommens unanwendbar sind. Die Anerkennungsfähigkeit ergibt sich jedoch aus § 16a FGG. Nach dieser Vorschrift sind ausländische Gerichtsentscheidungen auf dem Gebiete der sog. freiwilligen Gerichtsbarkeit anzuerkennen, wenn nicht einer der in der Vorschrift einzeln aufgeführten Ausschlussgründe vorliegt. Dieser Grundsatz gilt nicht nur für reine Dekretadoptionen, sondern auch für Adoptionen nach dem hier vorliegenden gemischten System, wonach eine Adoption durch einen Vertrag und eine mit Sachprüfung verbundene gerichtliche Bestätigungsentscheidung zustande kommt.

[12]Ausschlussgründe im Sinne des § 16a FGG liegen nicht vor. Die haitianischen Behörden waren auch aus Sicht des deutschen Rechts zuständig, vgl. § 43b I FGG. Ausschlussgründe nach § 16a Nrn. 2 und 3 FGG kommen nicht in Betracht. Es bestehen auch keine Anhaltspunkte dafür, dass die Anerkennung einem tragenden Grundprinzip des deutschen Rechts, insbesondere der Wahrung des Kindeswohls und der Respektierung der Rechte der leiblichen Eltern, widersprechen könnte:

[13]a) Soweit die Bundeszentralstelle einen schwerwiegenden Verfahrensmangel darin sieht, dass die Leiterin des Kinderheims einerseits für die ASt. tätig geworden ist und andererseits namens des Kindes in die Adoption eingewilligt hat, vermag das Gericht dem nicht zu folgen. Im Adoptionsverfahren ist nicht ohne weiteres von einem Konflikt der Interessen des Kindes einerseits und den Interessen der Adoptionsbewerber andererseits auszugehen. Vielmehr liegt eine Adoption – Eignung der Adoptionsbewerber vorausgesetzt – regelmäßig sowohl im Interesse des Kindes als auch im Interesse der Adoptionsbewerber. Demgemäß trägt die deutsche Adoptionsrechtsprechung nicht einmal Bedenken, dass bei einer Adoption durch einen Stiefvater die Mutter des Kindes dieses bei der Einwilligung vertritt, obwohl sie die Ehefrau des Adoptierenden ist; ebenso ist der Vormund eines Kindes, der dieses adoptieren will, nicht grundsätzlich gehindert, in gesetzlicher Vertretung des Kindes auch dessen Einwilligung in die Adoption durch ihn zu erklären (OLG Hamm, Beschl. vom 20.12.1983 – 15 W 257 / 82).

[14]b) In Übereinstimmung mit der Bundeszentralstelle ist jedoch auch das Gericht der Auffassung, dass die Prüfung des Kindeswohls durch die Behörden Haitis nicht den aus deutscher Sicht zu stellenden Mindestanforderungen genügte. Denn die Adoption ist ohne vorherigen unmittelbaren Kontakt zwischen den ASt. und G. ausgesprochen worden. Ein solcher persönlicher vorheriger Kontakt ist aber jedenfalls dann unverzichtbare Voraussetzung der Prüfung, ob das Entstehen einer positiven Eltern-Kind-Beziehung zu erwarten ist, wenn das zu adoptierende Kind – wie hier – bereits sechs Jahre oder älter ist. Nach st. Rspr. des Gerichts hindert ein solcher schwerwiegender Mangel die Anerkennung der Adoption jedoch dann nicht, wenn sich nachträglich erweist, dass das Adoptionsverhältnis dem Kindeswohl entspricht. Das ist hier der Fall. Nach dem Bericht des Jugendamts sowie nach dem Ergebnis der persönlichen Anhörungen ist nämlich davon auszugehen, dass die Integration des Kindes in die Familie der ASt. gelungen und ein positives Eltern-Kind-Verhältnis zustande gekommen ist.

[15]c) Auch der Gesichtspunkt einer möglichen Kettenadoption [vgl. 2. d)] hindert die Anerkennung nicht. Wenn es vor G.s Adoption bereits zu einer anderweitigen Adoption durch das namentlich nicht bekannte deutsche Ehepaar gekommen sein sollte (und zwar nach der Geburt von G.s Schwester im September 2002), ist diese in Deutschland offensichtlich nicht anerkennt worden und aus dem Gesichtspunkt mangelhafter Kindeswohlprüfung auch nicht anerkennungsfähig; im Unterschied zu der Adoption durch die ASt. scheidet auch eine spätere Heilung dieses Mangels durch Entwicklung einer positiven Beziehung aus, nachdem jene Adoptionsbewerber die Zusichnahme G.s verweigert haben. Damit ist die möglicherweise vorangegangene Adoption mangels Anerkennung und Anerkennungsfähigkeit aus Sicht des deutschen Rechts als nicht existent anzusehen. Die Frage, ob die Anerkennung der Adoption dem Rechtsgedanken des § 1742 BGB und damit der deutschen öffentlichen Ordnung zuwider laufen könnte, stellt sich daher nicht.

[16]4. Nach Art. 16, 17 AdD führt eine Adoption nicht zu einem Erlöschen der rechtlichen Verwandtschaftsbeziehung zu den leiblichen Eltern und steht somit in ihren Wirkungen einer Minderjährigenadoption nach deutschem Recht nicht insgesamt gleich, wohl aber hinsichtlich des Sorgerechts und der Unterhaltspflicht der Art. 17 I, 21 IAdD.

Fundstellen

Aufsatz

Weitzel, IPRax, 2007, 308 A

LS und Gründe

IPRax, 2007, 326

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https://iprspr.mpipriv.de/2006-220

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