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Verfahrensgang

OLG Frankfurt/Main, Urt. vom 08.06.2006 – 16 U 106/05, IPRspr 2006-124

Rechtsgebiete

Zuständigkeit → Besonderer Vertragsgerichtsstand

Leitsatz

Die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte ergibt sich für eine Klage gegen einen Broker mit Sitz im Ausland (hier: London) aus Art. 5 Nr. 3 EuGVO. Denn sowohl der Handlungs- als auch der Erfolgsort liegen in Deutschland, wenn der Kläger sein Geld an einen Vermittler im Inland überweist und es dort auf einem Sammelkonto unrechtmäßig verwaltet wird. Der Ort des schädigenden Ereignisses liegt nur dann am Ort des Brokers, wenn der Geschädigte sein Geld unmittelbar an den Broker überwiesen hat.

Bei Art. 5 Nr. 3 EuGVO reicht es aus, dass das Vorliegen einer unerlaubten Handlung schlüssig dargelegt wird, es kommt also noch nicht darauf an, ob eine unerlaubte Handlung auch tatsächlich vorliegt.

Rechtsnormen

BGB § 823
EUGVVO 44/2001 Art. 2; EUGVVO 44/2001 Art. 5
WpHG § 34a
ZPO § 128; ZPO § 538

Sachverhalt

Die Parteien streiten um die Verpflichtung der Bekl., dem Kl. Schadensersatz zu leisten wegen Verlusten aus Finanztermingeschäften.

Die Bekl. ist ein britisches Broker-Haus in London mit Schwerpunkt Börsentermingeschäfte. Sie hat Kontakt zu deutschen Vermittlerfirmen, wie im Fall des Kl. der A. GmbH. Diese eröffnete im eigenen Namen ein Sammelkonto bei der Bekl., auf das sämtliche Gelder von Anlegern eingezahlt wurden. Die A. GmbH zog Geld des Kl. ein und leitete es im eigenen Namen, aber auf Rechnung des Kl. an die Bekl. weiter. Die Bekl. berechnete der Vermittlerin eine übliche Provision zwischen 5 und 15%. Den Kommissionsanteil behielt die Vermittlerin für sich und leitete nur den Restbetrag von 2/3 der eingezahlten Summen weiter. Nach Abschluss eines Vergleichs zwischen dem Kl. und der A. GmbH vom 17.5.2004 erhielt der Kl. 220 000 Euro von der Vermittlerin zurück.

Das LG hat mit Urteil vom 15.7.2005 die Klage als unzulässig abgewiesen. Gegen dieses Urteil hat der Kl. Berufung eingelegt.

Aus den Entscheidungsgründen:

(Randnummern der IPRspr-Redaktion)

[1]II. Der Senat konnte im schriftlichen Verfahren entscheiden, nachdem sich beide Parteien hiermit einverstanden erklärt haben (§ 128 II ZPO). Die Berufung des Kl. ist zulässig. Sein Rechtsmittel wurde insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und begründet.

[2]Es erweist sich auch in der Sache als begründet mit der Maßgabe der Aufhebung des angefochtenen Urteils und der Zurückverweisung. Der Senat hat von der Möglichkeit der Aufhebung des angefochtenen Urteils und des Verfahrens nach § 538 II Nr. 3 ZPO Gebrauch gemacht, weil das LG zu Unrecht die Klage als unzulässig abgewiesen hat. Vielmehr war das LG zur sachlichen Entscheidung des Rechtsstreits international zuständig.

[3]Außerdem hat der Kl. einen Antrag auf Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung an das LG gestellt.

[4]Die Zuständigkeit ergibt sich zwar nicht aus Art. 2 I EuGVO, da die Bekl. ihren Sitz in London (Großbritannien) hat. Die Zuständigkeit des LG lässt sich – wie das LG zutreffend ausgeführt hat – auch nicht auf Art. 5 Nr. 1 lit. a EuGVO stützen, da zwischen den Parteien keine vertraglichen Beziehungen bestehen. Solche sind vielmehr nur gegeben zwischen dem Kl. und der A. GmbH einerseits sowie der Bekl. und der A. GmbH andererseits. Die Ausführungen des LG in dem angefochtenen Urteil sind insoweit zutreffend. Angriffe dagegen sind in der Berufungsinstanz auch nicht erhoben worden.

[5]Das LG ist aber zur Entscheidung in der Sache international zuständig nach Art. 5 Nr. 3 EuGVO. Für die Frage, ob die Zuständigkeit nach Art. 5 Nr. 3 EuGVO gegeben ist, kommt es nicht darauf an, ob eine unerlaubte Handlung vorliegt, sondern ob sie möglich erscheint. Ob tatsächlich eine unerlaubte Handlung vorliegt, ist erst im Rahmen der Begründetheitsprüfung zu erörtern (BGHZ 98, 273; 132, 105 (IPRspr. 1986 Nr. 144); BGH, MDR 2005, 1005 (IPRspr 2004-126)). Der Begriff der unerlaubten Handlung bzw. einer ihr gleichgestellten Handlung und der möglichen Ansprüche daraus ist nicht nach der lex fori oder der lex causae, sondern autonom zu qualifizieren (EuGHE 1988, 5565 Rz. 16, 18 und BGH, WM 1987, 883 (IPRspr. 1987 Nr. 127)). Dadurch wird sichergestellt, dass sich aus der EuGVO für die Vertragsstaaten und Personen so weit wie möglich gleiche und einheitliche Rechte und Pflichten ergeben. Die Auslegung hat deshalb in erster Linie die Systematik und die Zielsetzung des Übereinkommens zu berücksichtigen. Nach der Rechtsprechung des EuGH ist also der Begriff ‚unerlaubte Handlung’ als autonomer Begriff anzusehen, der sich auf alle Klagen bezieht, mit denen eine Schadenshaftung des Beklagten geltend gemacht wird, die nicht an einen Vertrag anknüpfen (EuGH aaO). Ihr unterfallen auch Kapitalanlagedelikte (Rauscher-Leible, Europäisches Zivilprozessrecht, 2. Aufl., Art. 5 Brüssel-I VO Rz. 79 m.w.N.). Geht man von dieser weiten Auslegung des Begriffs der unerlaubten Handlung aus, so ist die Zuständigkeit des LG schon deshalb gegeben, weil der Kl. einen Schadensersatzanspruch geltend macht, der keine vertragliche Grundlage hat

[6]Aber selbst wenn man davon ausgeht, dass der Kl. das Vorliegen einer unerlaubten Handlung zumindest schlüssig darlegen muss, ist eine Zuständigkeit des LG Frankfurt am Main gegeben. Denn die A. GmbH hat nach dem Vortrag des Kl. ... durch die Einrichtung eines Omnibuskontos eine unerlaubte Handlung nach den §§ 823 II BGB, 34a I 1 WpHG begangen, an der sich die Bekl. beteiligt hat.

[7]Ob § 34a I 1 WpHG ein Schutzgesetz im Sinne von § 823 II BGB ist, ist streitig. Die wohl h.M. bejaht dies (vgl. Assmann-Schneider, WpHG, 3. Aufl., § 34a Rz. 1 m.w.N., a.A. Schwark, Kapitalmarktrecht, 3. Aufl., § 34a WpHG Rz. 1), da diese Vorschrift auch dem Ziel dient, den einzelnen Anleger zu schützen (BVerwG, WM 2002, 1919; Wolf, BKR 2002, 892; BT-Drucks. 13/7142 S. 110). Dem schließt sich der Senat an, denn diese Vorschrift dient nicht allgemein dem Schutz des Kapitalmarkts. Vielmehr soll der einzelne Anleger vor den Risiken eines Sammelkontos bewahrt werden.

[8]Die A. GmbH hat durch das Anlegen von Kundengeldern auf einem Omnibuskonto bei der Bekl. gegen § 34a I 1 WpHG verstoßen. Auf dieses Konto sind auch die Einzahlungen des Kl. geflossen. Wegen des Verstoßes gegen diese Bestimmung wurde von der BaFin eine entsprechende Anordnung erlassen, die letztinstanzlich vom BVerwG bestätigt worden ist. Die A. GmbH handelte auch vorsätzlich, denn im Zeitpunkt der ersten Zahlung des Kl., am 29.5.2001, war der Bescheid der BaFin vom 21.4.2000 bereits vorhanden, der die A. GmbH verpflichtete, künftig die Kundengelder getrennt anzulegen. Schon zu diesem Zeitpunkt musste der A. GmbH klar sein, dass die Verwaltung der Kundengelder auf einem Sammelkonto unzulässig ist.

[9]Zu dieser unerlaubten Handlung hat die Bekl. nach dem Vortrag des Kl., auf den für die Zuständigkeit allein abzustellen ist, Beihilfe geleistet. Der Kl. hat nämlich vortragen lassen, dass der Bekl. sämtliche kapitalmarktrechtlichen Vorschriften in Deutschland bekannt sind, so wie sie auch die Unzulässigkeit des Sammelkontos kannte. Darüber hinaus hat sie ausgeführt, dass die Bekl. schon kurz nach Inkrafttreten der Regelung des § 34a I 1 WpHG mit anderen Vermittlern eine Änderung der Kontoführung in die Wege geleitet hat.

[10]Im Bezirk des LG Frankfurt am Main liegt auch der Ort, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist (Art. 5 Nr. 3 EuGVO). Der Kl. kann für seine Klage zwischen dem Handlungs- und dem Erfolgsort wählen. Der Bekl. wird als Teilnehmerin einer unerlaubten Handlung das Handeln der A. GmbH zugerechnet. Zwar wurde das Konto der A. GmbH bei der Bekl. in London geführt. Der Kl. als Anleger hat aber sein Geld an die A. GmbH in Frankfurt am Main überwiesen. Diese hat die Gelder unrechtmäßig auf einem Sammelkonto verwaltet, so dass der Schaden des Kl. auch in Deutschland eingetreten ist. Die Rechtsprechung hat den Ort des schädigenden Ereignis in Kapitalanlagefällen nur dann am Ort des Sitzes des Brokers bejaht, wenn der Anleger sein Geld an einen im Ausland ansässigen Vermittler überwiesen hat (vgl. OLG Stuttgart, RIW 1988, 809, Kropholler, Europäisches Zivilprozessrecht, 8. Aufl., 158 Rz. 90, EuGH-Urt. vom 10.6.2004 unter Nr. 18). In der Regel wurde der Handlungsschwerpunkt am Ort der Haupttat angenommen (Weller, IPRaX 2000, 206 m.w.N.). Dies war Frankfurt am Main, so dass das LG Frankfurt am Main international zuständig ist.

[11]Eine Kostenentscheidung war nicht zu treffen. Sie war dem erstinstanzlichen Schlussurteil vorzubehalten (Zöller-Gummer/Heßler, ZPO, 25. Aufl., § 538 Rz. 58).

[12]Eine Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit war nicht zu treffen, da das Urteil keinen vollstreckbaren Inhalt hat.

[13]Der Senat hat die Revision zugelassen, da die Frage, ob § 34a I 1 WpHG ein Schutzgesetz im Sinne von § 823 II BGB ist, höchstrichterlich noch nicht geklärt ist. Außerdem war höchstrichterlich zu klären, ob das bloße Zurverfügungstellen eines Omnibuskontos eine sittenwidrige Schädigung durch den Broker darstellt.

Fundstellen

LS und Gründe

Die AG, 2006, 859
ZIP, 2006, 2385

Permalink

https://iprspr.mpipriv.de/2006-124

Lizenz

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