Führt die Anwendung der gemäß Art. 19 I EGBGB berufenen Rechtsordnungen (hier: der deutschen und der mazedonischen) zu unterschiedlichen Vaterschaftsfeststellungen, gilt das Günstigkeitsprinzip, wobei diejenige Rechtsordnung die günstigere ist, die dem Kind am schnellsten zu einem Vater verhilft.
Da eine etwaige Rück- oder Weiterverweisung durch das mazedonische Recht wegen des Sinns der Verweisung des Art. 19 I 2 EGBGB unbeachtlich wäre und nach Art. 50 des mazedonischen Familiengesetzes Nr. 4828 vom 15.12.1992 der Ehepartner der Mutter auch dann als Vater des Kindes gilt, wenn dieses im Verlauf der Ehe oder innerhalb einer Frist von 300 Tagen nach Beendigung der Ehe geboren wird, kann der Antragsteller (hier das Kind, vertreten durch das Jugendamt) gemäß Art. 20 Satz 2 EGBGB nach deutschem Recht die Vaterschaft anfechten.
Der ASt. wurde 2004 geboren. Seine Mutter ist deutsche Staatsangehörige. Sie hatte am 26.5.2000 mit dem AGg., der mazedonischer Staatsangehöriger ist, die Ehe geschlossen. Diese Ehe wurde durch Endurteil des AG – FamG – Nürnberg vom 22.1.2004 (Az. : 111 F 4182/02) geschieden. Das Urteil ist seit 30.3.2004 rechtskräftig.
Mit Schreiben vom 11.2.2005 hat der ASt. – vertreten durch das Jugendamt als Ergänzungspfleger – Prozesskostenhilfe für eine Klage beantragt, mit dem Ziel, die Vaterschaft des AGg. anzufechten. Zur Begründung beruft sich der ASt. darauf, dass der AGg. ausweislich der Geburtsurkunde als sein Vater gelte.
Mit Beschluss vom 1.3.2005 hat das AG – FamG – Nürnberg den Prozesskostenhilfeantrag zurückgewiesen. Gegen diesen Beschluss hat der ASt. sofortige Beschwerde eingelegt. Mit Beschluss vom 24.3.2005 hat das AG – FamG – Nürnberg der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen und die Akten dem OLG Nürnberg zur Entscheidung vorgelegt.
[1]III. Die sofortige Beschwerde des ASt. ist zulässig und begründet.
[2]Entgegen der Auffassung des AG fehlt es der beabsichtigten Klage jedenfalls nicht an einem Rechtsschutzbedürfnis. Zum einen stellt auch das AG nicht in Frage, dass bereits eine Geburtsurkunde existiert, die den AGg. als Vater des ASt. ausweist, wenngleich eine entsprechende Ablichtung bislang noch nicht vorgelegt worden ist. Zum anderen hat es die Stadt N. keineswegs in der Hand, für den ASt. eine Geburtsurkunde nach etwaigen Wünschen und Vorstellungen des Jugendamts oder auch nach Vorgaben des FamG ausstellen zu lassen. Das Standesamt ist vielmehr gehalten, Geburtsurkunden nach den einschlägigen personenstandsrechtlichen Bestimmungen auszustellen und dabei insbesondere die personenstandsrechtliche Rechtsprechung zu beachten. Selbst wenn für den ASt. derzeit noch keine Geburtsurkunde vorliegen würde, wäre das Standesamt der Stadt Nürnberg unabhängig von der Rechtsauffassung der FamGe verpflichtet, unter Berücksichtigung der vom Jugendamt der Stadt ... vorgelegten Entscheidung des BayObLG eine Geburtsurkunde auszustellen, die den AGg. als Vater ausweist.
[3]Das Rechtsmittel erweist sich jedoch auch insoweit als begründet, als der AGg. auch familienrechtlich als Vater des ASt. gilt, und der ASt. dies anfechten will.
[4]Eine Vaterschaftsvermutung hinsichtlich des AGg. kann nicht mit der Begründung verneint werden, dass der ASt. erst nach der Scheidung der Ehe geboren worden ist. Denn nach Art. 19 I EGBGB kann die Frage, ob der ASt. vom AGg. abstammt, sowohl nach deutschem als auch nach mazedonischem Recht beurteilt werden. Eine etwaige Rück- oder Weiterverweisung durch das mazedonische Recht wäre unbeachtlich, da dies dem Sinn der Verweisung des Art. 19 I 2 EGBGB widersprechen würde (vgl. Palandt-Heldrich, BGB, 64. Aufl., Art. 4 EGBGB Rz. 7). Nach Art. 50 des mazedonischen Familiengesetzes Nr. 4828 vom 15.12.1992 wird der Ehepartner der Mutter als Vater des Kindes betrachtet, wenn dieses im Verlauf der Ehe oder innerhalb einer Frist von 300 Tagen nach Beendigung der Ehe geboren wird. Nachdem das deutsche Recht eine derartige Vaterschaftsvermutung für Kinder, die nach Beendigung der Ehe geboren werden, nicht (mehr) kennt, liegt somit ein Fall vor, in dem die Anwendung der verschiedenen möglichen Rechtsordnungen zu unterschiedlichen Vaterschaftsfeststellungen führt. Auch für derartige Fälle muss jedoch sichergestellt sein, nach welcher Rechtsordnung die Vaterschaft festzustellen ist. Nach der Rechtsprechung des BayObLG ist dies nach dem Günstigkeitsprinzip zu entscheiden. Danach ist für das betroffene Kind allgemein und abstrakt diejenige Rechtsordnung am günstigsten, die ihm am schnellsten zu einem Vater verhilft – unabhängig davon, ob es sich hierbei um den wahren Vater oder um einen Vater im Rechtssinne handelt. Unter Beachtung dieser Rechtsprechung kann im vorliegenden Fall kein Zweifel daran bestehen, dass der AGg. als Vater des ASt. gilt.
[5]Der ASt. kann die Anfechtung auf jeden Fall nach deutschem Recht betreiben (Art. 20 Satz 2 EGBGB).
[6]Unbeschadet der o.g. Rechtsprechung ist im vorliegenden Fall davon auszugehen, dass die Anfechtung dem Kindeswohl dient (§ 1600a IV BGB). Zwar kann die Mutter des ASt. keine näheren Angaben über den angeblichen wahren Vater des ASt. machen. Andererseits ist jedoch auch der als Vater geltende Scheinvater in M. unbekannten Aufenthalts. Auch zu ihm hat die Mutter des ASt. offensichtlich seit längerem keinen Kontakt mehr. Etwaige Unterhaltsansprüche kann der ASt. in absehbarer Zeit weder gegenüber dem Scheinvater noch gegenüber dem wahren Vater durchsetzen. Derzeit kann weder im Verhältnis zum Scheinvater noch im Verhältnis zum wahren Vater mit dem Aufbau einer echten Eltern-Kind-Beziehung gerechnet werden. Unter diesen Umständen besteht ein berechtigtes Interesse des ASt. daran, festzustellen, dass jedenfalls der AGg. nicht sein leiblicher Vater ist.
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