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Verfahrensgang

AG Sinzig, Urt. vom 08.04.2005 – 8 F 495/04, IPRspr 2005-51

Rechtsgebiete

Ehe und andere familienrechtliche Lebens- und Risikogemeinschaften → Scheidung, Trennung
Allgemeine Lehren → Ordre public

Leitsatz

Die Ehescheidung der ausländischen (hier: italienischen) Ehegatten unterliegt gemäß Art. 17 I in Verbindung mit Art. 14 I Nr. 1 EGBGB dem Recht des Staats, dem beiden Ehegatten angehören (hier: iatlienischem Recht).

Die Wahl deutschen Rechts für die güterrechtlichen Wirkungen ihrer Ehe beinhalten nicht zugleich eine Vereinbarung deutschen Scheidungsrechts.

Allein die Tatsache, dass nach italienischem Scheidungsrecht zunächst eine Trennungsfrist von drei Jahren verlangt wird, während nach deutschem Recht eine einverständliche Scheidung bereits nach einem Trennungsjahr erfolgen kann, stellt keinen Ordre-public-Verstoß dar, der die Anwendung deutschen Scheidungsrechts \linebreak rechtfertigen könnte.

Rechtsnormen

898/1970 EheauflösungG (Italien) Art. 3
Cc 1942 (Italien) Art. 151
EGBGB Art. 6; EGBGB Art. 14; EGBGB Art. 17
EheGVO 1347/2000 Art. 2

Sachverhalt

Beide Eheleute sind Staatsangehörige der Italienischen Republik. Beide Eheleute haben bei Zustellung des Scheidungsantrags ihren gewöhnlichen Aufenthaltsort in Deutschland. Sie haben am 9.2.1977 in Deutschland geheiratet.

In einem notariellen Vertrag vom 5.8.2003 haben sie für die güterrechtlichen Wirkungen der Ehe das deutsche Recht gewählt. Im Übrigen haben sie in diesem Vertrag die Scheidungsfolgen einverständlich geregelt. Sie leben seit mehreren Jahren getrennt.

Die Ehefrau beantragt, die Ehe (nach deutschem Recht) zu scheiden, hilfsweise, die Trennung von Tisch und Bett festzustellen.

Aus den Entscheidungsgründen:

(Randnummern der IPRspr-Redaktion)

[1]Der Scheidungsantrag ist unbegründet, der Hilfsantrag hingegen ist begründet.

[2]Das angerufene Gericht ist gemäß Art. 2 EheGVO international zuständig.

[3]Gemäß Art. 17 I i.V.m. Art. 14 I Nr. 1 EGBGB ist das Scheidungsrecht des Heimatlands der Ehegatten anzuwenden.

[4]Es gibt nach dem IPR des Heimatlands der Ehegatten keine Rückverweisung auf deutsches Scheidungsrecht.

[5]Die Eheleute können sich auch nicht auf Art. 14 I Nr. 2 EGBGB berufen, nach dem das Recht des Staats, in dem beide Ehegatten ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben oder während der Ehe zuletzt hatten, anzuwenden ist. Denn diese Vorschrift findet erst Anwendung, wenn die Voraussetzungen des Art. 14 I Nr. 1 EGBGB nicht gegeben sind.

[6]Die Parteien können sich auch nicht gemäß Art. 14 III EGBGB darauf berufen, sie hätten das deutsche Recht gewählt. Denn ausweislich des notariellen Vertrags vom 5.8.2003 haben sie diese Rechtswahl lediglich für die güterrechtlichen Wirkungen ihrer Ehe gewählt.

[7]Das Gericht vermag sich auch nicht der Rechtsauffassung der ASt. anzuschließen, es sei wegen des Verstoßes des italienischen Scheidungsrechts gegen den ordre public deutsches Recht anwendbar. Nach Art. 6 EGBGB ist eine Rechtsnorm eines anderen Rechtsstaats nicht anzuwenden, wenn ihre Anwendung zu einem Ergebnis führt, dass mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts offensichtlich unvereinbar ist. Sie ist insbesondere nicht anzuwenden, wenn die Anwendung mit den Grundrechten unvereinbar ist.

[8]Das erkennende Gericht geht mit dem OLG Hamm (FPR 2004, 391 ff.) (IPRspr. 2003 Nr. 74) davon aus, dass die mit der Anwendung italienischen Scheidungsrechts verbundenen Erschwernisse nicht die regelwidrige Anwendung deutschen Scheidungsrechts rechtfertigen. Allein die Tatsache, dass nach italienischem Scheidungsrecht zunächst eine Trennungsfrist von drei Jahren verlangt wird, während nach deutschem Recht eine einverständliche Scheidung bereits nach einem Trennungsjahr erfolgen kann, reicht nicht für die regelwidrige Anwendung deutschen Scheidungsrechts aus. Das Gericht schließt sich insoweit der Entscheidung des OLG Hamm an.

[9]Der Scheidungsantrag ist vorliegend nach italienischem Scheidungsrecht nicht begründet. Denn die Voraussetzungen einer Scheidung nach Art. 3 Nr. 2 lit. b des ital. Gesetzes Nr. 898 zur Regelung der Fälle der Eheauflösung vom 1.12.1970 i.d.F. des Gesetzes Nr. 72 vom 6.3.1987 liegen nicht vor. Danach ist erforderlich, dass zuvor die Trennung der Parteien von Tisch und Bett in einer gerichtlichen Entscheidung ausgesprochen worden ist und die Parteien seit ihrer Anhörung im Trennungsverfahren mehr als drei Jahre lang ununterbrochen getrennt gelebt haben. Dies ist vorliegend unstreitig nicht der Fall.

[10]Ein Ausnahmefall gemäß Art. 3 Nr. 1 des ital. Gesetzes Nr. 898 ist ebenfalls nicht gegeben, weil kein besonders schweres, strafrechtlich relevantes Verschulden eines Ehegatten vorliegt.

[11]Der Scheidungsantrag war daher abzuweisen.

[12]Der Hilfsantrag der ASt. hingegen ist begründet.

[13]Die Trennung der Parteien von Tisch und Bett wird gemäß Art. 151 ital. Cc i.d.F. vom 4.5.1983 ausgesprochen.

[14]Denn die Fortsetzung des Ehelebens ist für beide Parteien nach ihrem eigenen Bekunden unerträglich. Dies ergibt sich aus dem Ergebnis der Anhörung. Beide Parteien sind nicht bereit, die eheliche Lebensgemeinschaft fortzusetzen.

[15]Ein Schuldausspruch hatte nicht zu erfolgen, weil dies nicht beantragt worden ist.

Fundstellen

LS und Gründe

FamRZ, 2005, 1678

Permalink

https://iprspr.mpipriv.de/2005-51

Lizenz

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