Art. 1 I lit. b EuEheVO bestimmt, dass die Verordnung auch für Zivilsachen gilt, die die „Ausübung der elterlichen Verantwortung“ zum Gegenstand haben. Dazu gehören auch Entscheidungen über das Umgangs- und Sorgerecht.
Sind die Kinder nach einem österreichischen Rechtsstreit in einem deutschen Kinderheim untergebracht, sind die deutschen Gerichte gemäß Art. 9 I EuEheVO international zuständig, da die Kinder ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland haben. Was unter gewöhnlichem Aufenthalt zu verstehen ist, beurteilt sich insoweit nach dem inhaltsgleichen Begriff im MSA. Danach ist unter gewöhnlichem Aufenthalt der Ort zu verstehen, in dem der Schwerpunkt der Bindungen der betreffenden Person und damit ihr Daseinsmittelpunkt liegt.
Die Kinder der Beteiligten zu 1), der Mutter der Kinder, sind nach österreichischem Recht seit 19.11.2003 im Haus G. untergebracht. Sie begehrt den Umgang mit ihren Kindern, was ihr in der Vergangenheit versagt wurde. Ihr „Antrag auf einstweilige Anordnung“, dem Beteiligten zu 2) zu untersagen, Kontakte zu den Kindern „zu verhindern oder zu behindern“, ist mit Beschluss des AG Lindau (Bodensee) vom 3.1.2005 abgewiesen worden. Mit Beschluss des Senats vom 14.2.2005 ist entschieden worden, die Beschwerde der Beteiligten zu 1) als Antrag gemäß § 620b ZPO auszulegen; zugleich ist die Sache zur weiteren Behandlung und Entscheidung an das AG zurückgegeben worden. Nunmehr ist der Antrag der Beteiligten zu 1) mit Beschluss des AG Lindau (Bodensee) vom 27.5.2005 mangels internationaler Zuständigkeit zurückgewiesen worden. Hiergegen wendet sich die Beteiligte mit ihrer Beschwerde mit Erfolg. Da bisher keine Aufklärung des Sachverhalts im Hinblick auf ein etwaiges Umgangsrecht der Mutter erfolgte, ist die Sache an das AG zurückzuverweisen.
[1]II. Die gemäß § 621e ZPO zulässige Beschwerde führt zur Aufhebung des Beschlusses vom 27.5.2005 und zur Zurückverweisung an das AG, das auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu entscheiden hat. Das AG hat mit dem angefochtenen Beschluss eine Hauptsacheentscheidung getroffen und nicht nur über einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung entschieden.
[2]Das AG ist zu Unrecht davon ausgegangen, dass eine internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte nicht gegeben ist.
[3]Die Zuständigkeit beurteilt sich seit dem 1.3.2005 nach der EuEheVO (abgedr. bei Thomas-Putzo-Hüßtege, ZPO, 26. Aufl., Anh II EG-VO Ehesachen). Art. 1 I lit. b bestimmt, dass die Verordnung für Zivilsachen mit dem Gegenstand ‚Ausübung der elterlichen Verantwortung’ gilt. Dies betrifft das Sorgerecht und das Umgangsrecht (Art. 1 II lit. a). Nach Art. 9 EuEheVO sind die Gerichte des Staats zuständig, in dem das Kind zum Zeitpunkt der Antragstellung seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat.
[4]Was unter gewöhnlichem Aufenthalt zu verstehen ist, beurteilt sich nach dem inhaltsgleichen Begriff im MSA. Danach gilt, dass unter gewöhnlichem Aufenthalt der Ort oder das Land zu verstehen ist, in dem der Schwerpunkt der Bindungen der betreffenden Person, damit ihr Daseinsmittelpunkt, liegt. Zu fordern ist nicht nur ein Aufenthalt von einer Dauer, die zum Unterschied von dem einfachen oder schlichten Aufenthalt nicht nur gering sein darf, sondern auch das Vorhandensein weiterer Beziehungen, insbesondere in familiärer oder beruflicher Hinsicht, in denen – im Vergleich zu einem sonst in Betracht kommenden Aufenthaltsort – der Schwerpunkt der Bindungen der betreffenden Person zu sehen ist. Vom Wohnsitz unterscheidet sich der gewöhnliche Aufenthalt dadurch, dass der Wille, den Aufenthaltsort zum Mittelpunkt oder Schwerpunkt der Lebensverhältnisse zu machen, nicht erforderlich ist. Es handelt sich um einen ‚faktischen’ Wohnsitz, der ebenso wie der gewillkürte Wohnsitz Daseinsmittelpunkt sein muss. Das Merkmal der nicht nur geringen Dauer des Aufenthalts bedeutet dabei nicht, dass im Falle eines Wechsels des Aufenthaltsorts ein neuer gewöhnlicher Aufenthalt immer erst nach Ablauf einer entsprechenden Zeitspanne begründet werden könnte und bis dahin der frühere gewöhnliche Aufenthalt fortbestehen würde. Der gewöhnliche Aufenthalt an einem Ort wird vielmehr grundsätzlich schon dann begründet, wenn sich aus den Umständen ergibt, dass der Aufenthalt an diesem Ort auf eine längere Zeitdauer angelegt ist und künftig anstelle des bisherigen Daseinsmittelpunkts der neue Aufenthaltsort sein soll (BGHZ 78, 293 ff. = NJW 1981, 520 ff. = FamRZ 1981, 135 ff. (IPRspr. 1980 Nr. 94)).
[5]Zum Zeitpunkt der Antragstellung (6.12.2004) ergab sich bereits, dass der tatsächliche Aufenthalt der Kinder in Deutschland lange Zeit angedauert hatte (seit 19.11.2003) und noch länger andauern sollte. Damit war der Aufenthalt auf eine längere Zeitdauer angelegt. Daseinsmittelpunkt ist die Einrichtung ‚Haus G.’, was sich bereits daraus ergibt, dass die Unterbringung an diesem Ort erfolgt ist.
[6]Da ein gewöhnlicher Aufenthalt in Deutschland vorliegt, ist auch die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte gegeben.
[7]Das AG nimmt auch zu Unrecht an, dass die Voraussetzungen des Art. 19 II EuEheVO gegeben sind. Nach dieser Bestimmung wäre ein Verfahren bei einem später angegangenen Gericht von Amts wegen auszusetzen, wenn bei Gerichten verschiedener Staaten Verfahren der elterlichen Verantwortung für ein Kind wegen desselben Anspruchs anhängig gemacht werden. Ein solches anderes Verfahren, das zeitlich früher als das gegenständliche bei österreichischen Gerichten anhängig wäre und das Umgangsrecht der Mutter zum Gegenstand hat, ist hier nicht bekannt. Die Unterbringung der Kinder nach österreichischem Recht in einer deutschen Pflegefamilie ist ein Verfahren mit anderem Verfahrensgegenstand und steht einem Umgangsverfahren vor deutschen Gerichten gemäß vorbezeichneter Bestimmung nicht entgegen.