PDF-Version

Verfahrensgang

BGH, Beschl. vom 14.04.2005 – IX ZB 175/03, IPRspr 2005-150

Rechtsgebiete

Anerkennung und Vollstreckung → Vermögensrechtliche Angelegenheiten
Zuständigkeit → Besonderer Vertragsgerichtsstand

Leitsatz

Im Verfahren über die Vollstreckbarerklärung eines ausländischen (hier: israelischen) Urteils nach Art. 10 des deutsch-israelischen Vollstreckungsübereinkommens vom 20.7.1977 wird die Zuständigkeit des Gerichts im Entscheidungsstaat (hier: Israel) nur überprüft, wenn dieser seine Zuständigkeit auf eine Gerichtsstandsvereinbarung der Parteien gestützt hat, sich jedoch nicht damit befasst hat, ob eine solche Vereinbarung nach dem Recht des Anerkennungsstaats zulässig ist.

Die Zulässigkeit einer Gerichtsstandsvereinbarung nach deutschem Recht ist trotz der Wahl ausländischen (hier: israelischen) Rechts an § 38 ZPO zu messen.

Rechtsnormen

AVAG § 15
EGBGB Art. 27
EUGVVO 44/2001 Art. 23
EuGVÜ Art. 17
LugÜ Art. 17
VollstrVertr D-Israel Art. 5; VollstrVertr D-Israel Art. 7; VollstrVertr D-Israel Art. 8; VollstrVertr D-Israel Art. 10; VollstrVertr D-Israel Art. 16
ZPO § 38; ZPO § 574

Sachverhalt

Der in Israel als Rechtsanwalt zugelassene ASt. vertrat die AGg. in einem gegen sie in Deutschland geführten Strafverfahren. Am 2.1.1996 verpflichtete sich die AGg. schriftlich, dem ASt. dafür ein Honorar von 500 000 DM zu zahlen. Die Parteien bestimmten zunächst Itzehoe als Gerichtsstand. Später unterstellten sie durch schriftliche Vereinbarung vom 11.8.1996 alle Streitigkeiten aus der Honorarabrede der Geltung israelischen Rechts und wählten Haifa als Gerichtsstand. Beide Parteien sind israelische Staatsangehörige und hatten damals einen Wohnsitz in Deutschland.

Der ASt. hat Klage beim Friedensgericht Haifa erhoben. Dieses hat mit Beschluss vom 8.10.1998 den Antrag der AGg., sich als „forum non conveniens“ für unzuständig zu erklären, zurückgewiesen und mit Urteil vom 30.11.1998 festgestellt, dass die AGg. verpflichtet sei, dem ASt. das vereinbarte Honorar zu zahlen.

Der ASt. hat beantragt, den Zahlungstitel in Deutschland für vollstreckbar zu erklären. Das LG hat dem Antrag stattgegeben, das OLG hat den Antrag dagegen zurückgewiesen. Mit der Rechtsbeschwerde begehrt der ASt. die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung.

Aus den Entscheidungsgründen:

(Randnummern der IPRspr-Redaktion)

[1]II. Das gemäß §§ 15 I AVAG, 574 I Nr. 1 ZPO zulässige Rechtsmittel hat in der Sache keinen Erfolg.

[2]Das OLG hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt: Das Friedensgericht in Haifa sei international nicht zuständig gewesen, was im Vollstreckbarkeitsverfahren gemäß Art. 16 I, 5 I Nr. 1, 7 I Nr. 3 des Vertrages zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Staat Israel über die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 20.7.1977 (BGBl. 1980 II 926; nachfolgend VollstrVtr) ohne Bindung an die abweichende Ansicht des Friedensgerichts in Haifa zu prüfen sei. Zwar seien die deutschen Gerichte grundsätzlich an die tatsächlichen und rechtlichen Feststellungen gebunden, aufgrund derer das Gericht im Entscheidungsstaat seine Zuständigkeit angenommen habe. Die Wirksamkeit von Gerichtsstandsvereinbarungen müsse jedoch zusätzlich vom Gericht des Anerkennungsstaats überprüft werden. Im Streitfall schließe § 38 ZPO eine Gerichtsstandsvereinbarung aus.

[3]Diese Auffassung hält der rechtlichen Nachprüfung stand.

[4]1. Gemäß Art. 10 VollstrVtr sind Entscheidungen der Gerichte des einen Staats in dem anderen Staat zur Zwangsvollstreckung zuzulassen, wenn sie im Entscheidungsstaat vollstreckbar und im Vollstreckungsstaat anzuerkennen sind. Bei der Entscheidung über den Antrag auf Zulassung der Zwangsvollstreckung hat das angerufene Gericht zu prüfen, ob einer der in Art. 5 VollstrVtr genannten Versagungsgründe vorliegt (Art. 16 I VollstrVtr). Nach Art. 5 I Nr. 1 VollstrVtr ist die Anerkennung zu versagen, sofern für die Gerichte im Entscheidungsstaat keine Zuständigkeit im Sinne des Art. 7 VollstrVtr gegeben ist.

[5]a) Nach dieser Vorschrift wird die Zuständigkeit der Gerichte im Entscheidungsstaat in den von Abs. 1 Nr. 1 bis 11 beschriebenen Fällen anerkannt, soweit nicht der Anerkennungsstaat nach seinem Recht für die Klage, die zur Entscheidung geführt hat, ausschließlich zuständig ist (Art. 7 II VollstrVtr). Im Streitfall kommt eine Zuständigkeit des israelischen Gerichts allein gemäß Art. 7 I Nr. 3 VollstrVtr in Betracht. Danach wird die Zuständigkeit der Gerichte des Urteilsstaats begründet, wenn der Beklagte sich durch eine Vereinbarung für ein bestimmtes Rechtsverhältnis der Zuständigkeit der Gerichte dieses Staats unterworfen hat, es sei denn, dass eine solche Vereinbarung nach dem Recht des Vollstreckungsstaats unzulässig ist. Demzufolge hat das israelische Gericht in Haifa in der Entscheidung vom 8.10.1998 allein aufgrund der Gerichtsstandsvereinbarung seine internationale Zuständigkeit bejaht.

[6]b) Die Überprüfung, ob das israelische Gericht sich zu Recht als zuständig angesehen hat, ist den deutschen Gerichten im Anerkennungsverfahren nicht durch Art. 8 II VollstrVtr verwehrt.

[7]aa) Allerdings schreibt die Bestimmung vor, dass die Gerichte im Anerkennungsstaat bei der Beurteilung der Zuständigkeit des Entscheidungsgerichts an die tatsächlichen und rechtlichen Feststellungen gebunden sind, aufgrund derer dieses seine Zuständigkeit bejaht hat. Die Norm soll erreichen, dass bei der Anerkennung und Vollstreckung einer Entscheidung aus dem anderen Vertragsstaat grundsätzlich nicht mehr geprüft wird, ob das Gericht im Entscheidungsstaat seine Zuständigkeit zu Recht oder Unrecht angenommen hat (Denkschrift zum Vertrag, BT-Drucks. 8/3866 S. 15 f. zu Art. 8; vgl. auch BGH, Beschl. vom 18.9.2001 – IX ZB 75/99, WM 2001, 2121 f. (IPRspr. 2001 Nr. 184)).

[8]bb) Schon nach dem Wortlaut von Art. 8 II VollstrVtr ist damit jedoch eine Überprüfung, ob nach deutschem Recht ein Gerichtsstand wirksam vereinbart werden konnte, nicht gänzlich ausgeschlossen. Die vorgesehene Bindung besteht hinsichtlich der tatsächlichen und rechtlichen Feststellungen, die der Zuständigkeitsentscheidung zugrunde liegen. Damit ist indes nur gesagt, dass die tatsächliche und rechtliche Würdigung, die das Gericht im Entscheidungsstaat vorgenommen hat, keiner Überprüfung mehr unterzogen werden darf. Ungeachtet dieser Bindungswirkung obliegt dem Anerkennungsgericht aber die Prüfung, ob die vom Entscheidungsgericht in Anspruch genommene Zuständigkeit im Katalog des Art. 7 I VollstrVtr erwähnt ist und durch sie keine ausschließliche Zuständigkeit im Sinne von Art. 7 II VollstrVtr beiseite geschoben wird (Siehr, RabelsZ 50 [1986], 586, 595). Im Falle des Art. 7 I Nr. 3 VollstrVtr bedeutet dies, dass die Anwendung dieser Norm im Anerkennungsstaat nicht mehr geprüft wird, wenn das Gericht des Urteilsstaats die Frage behandelt hat, ob die Gerichtsstandsvereinbarung nach dem Recht des Vollstreckungsstaats unzulässig ist. Hat das Gericht des Entscheidungsstaats dagegen lediglich festgestellt, dass eine Gerichtsstandsvereinbarung vorliegt, die nach seiner lex fori nicht zu beanstanden ist, ohne sich mit der Ausschlussklausel in dieser Vorschrift zu befassen, so fehlt es insoweit an einer Feststellung, die eine Bindungswirkung für das Gericht des Vollstreckungsstaats nach Art. 8 II VollstrVtr auslöst.

[9]cc) Diese Auslegung entspricht auch dem Sinn und Zweck der Normen des Staatsvertrags, die die Prüfung der Zuständigkeit regeln. Damit sollen widerstreitende Zuständigkeitsentscheidungen vermieden und die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung erleichtert und beschleunigt werden. Die Vertragsstaaten unterstellen durch Art. 8 II VollstrVtr im Anwendungsbereich von Art. 7 die Mitglieder ihrer Rechtsgemeinschaft weitgehend der Anwendung des Rechts des anderen Staats. Soweit das Gericht des Entscheidungsstaats für die Prüfung seiner Zuständigkeit die lex fori anzuwenden hat, ist im Zweifel davon auszugehen, dass es die einschlägigen Normen geprüft hat. Dies gilt sogar dann, wenn die Urteilsgründe die Frage der Zuständigkeit nicht behandeln (BGH, Beschl. vom 18.9.2001 (IPRspr. 2001 Nr. 184) aaO 2122).

[10]Dies trifft jedoch nicht zu, soweit ausnahmsweise in Normen des Staatsvertrags ausdrücklich auf das Recht des Anerkennungsstaats verwiesen wird, wie das in Art. 7 I Nr. 3 und II VollstrVtr der Fall ist. Die genannten Normen enthalten Ausschlussregeln zum Schutz von Interessen der Beteiligten und hoheitlichen Befugnissen des Anerkennungsstaats. Auch insoweit ist es zwar nicht geboten, den Gerichten des Anerkennungsstaats eine umfassende eigene Prüfungskompetenz einzuräumen. Den genannten Schutzgesichtspunkten ist bereits dann genügt, wenn die Gerichte des Entscheidungsstaats das Recht des anderen Vertragsstaats berücksichtigt, also in ihre Prüfung der Zuständigkeit einbezogen haben. Da die Feststellung der maßgeblichen ausländischen Vorschriften für das Gericht des Urteilsstaats im Einzelfall mit beträchtlichem Aufwand und erheblichen rechtlichen Schwierigkeiten verbunden sein kann, gilt die Bindung nach Art. 8 II VollstrVtr in diesen Punkten jedoch nur dann, wenn aus der Begründung der Entscheidung, deren Vollstreckbarkeit begehrt wird, hinreichend deutlich hervorgeht, dass eine solche Prüfung des Rechts des Anerkennungsstaats überhaupt stattgefunden hat. Würde man, wie die Rechtsbeschwerde meint, dem Gericht des Anerkennungsstaats nicht einmal die Befugnis einräumen zu prüfen, ob das Gericht des Entscheidungsstaats Feststellungen zu den in Art. 7 I Nr. 3 und II VollstrVtr enthaltenen Ausschlusstatbeständen getroffen hat, wären die Regeln der Art. 5 I Nr. 1, Art. 7 I Nr. 3 und II obsolet. An deren Stelle könnte praktisch der Satz treten, im Anerkennungsverfahren sei die Prüfung ausgeschlossen, ob für das Gericht des Entscheidungsstaats die Zuständigkeit gegeben war. Davon kann in Anbetracht der detaillierten Bestimmungen, die der Vertrag enthält, nicht ausgegangen werden. Auch die Erläuterungen der Denkschrift zu Art. 8 VollstrVtr schließen eine Prüfung der Gerichte des Anerkennungsstaats in dem Umfang, wie sie der beschließende Senat für geboten hält, nicht aus.

[11]c) Im Streitfall ist das Beschwerdegericht zu Recht davon ausgegangen, dass das Friedensgericht in Haifa nicht geprüft hat, ob die von den Parteien geschlossene Gerichtsstandsvereinbarung nach deutschem Recht zulässig ist. Entsprechende Erwägungen sind dem Beschluss vom 8.10.1998 ebenso wenig zu entnehmen wie dem Urteil vom 30.11.1998. Da das Gericht sich ausführlich mit den Rechtswirkungen der Gerichtsstandsvereinbarung nach israelischem Recht befasst, das deutsche Recht jedoch mit keinem Wort erwähnt, ist die Schlussfolgerung gerechtfertigt, dass es zu den einschlägigen deutschen Rechtsnormen keine Feststellungen getroffen hat.

[12]2. Rechtsfehlerfrei hat das Beschwerdegericht die Gerichtsstandsvereinbarung an § 38 ZPO gemessen und für unwirksam gehalten.

[13]a) Der Umstand, dass Art. 17 EuGVÜ/LugÜ und Art. 23 EuGVO im jeweiligen Anwendungsbereich internationale Gerichtsstandsvereinbarungen auch unter Nichtkaufleuten, die beide einen allgemeinen Gerichtsstand im derogierten Staat haben, zulassen, hat für die Auslegung des Staatsvertrags keine Bedeutung. Es ist eine rechtspolitische Frage, ob und in welchem Umfang der durch § 38 II ZPO bereitgestellte Schutz inländischer Verbraucher im internationalen Rechtsverkehr beibehalten bleiben soll. Dies richtet sich allein nach dem in dem jeweiligen Vertrag zum Ausdruck gekommenen Willen der beteiligten Staaten. Diesen steht es frei, die Zulässigkeit internationaler Gerichtsstandsvereinbarungen gegenüber dem jeweiligen Staat anders als in den o.g. Übereinkommen zu regeln.

[14]b) Die Zulässigkeit von Gerichtsstandsvereinbarungen wird im israelisch-deutschen Verhältnis weder durch Staatsvertrag noch durch andere supranationale Regelungen abschließend normiert. Es gilt deshalb grundsätzlich die lex fori, im Vollstreckungsverfahren also das im Vollstreckungsstaat anzuwendende Recht. Dabei ist § 38 ZPO doppelfunktional, betrifft also sowohl die inländische örtliche als auch die internationale Zuständigkeit (BGHZ 59, 23, 29 (IPRspr. 1972 Nr. 140); BGH, Urt. vom 26.1.1976 – V ZR 75/76, WM 1979, 445, 446 (IPRspr. 1979 Nr. 156)).

[15]c) Die Wirkung des § 38 ZPO ist durch die Wahl israelischen Rechts nicht beeinträchtigt worden. Dies folgt aus Art. 27 III EGBGB. Im Zeitpunkt der Rechtswahl wies der Sachverhalt die entscheidenden Bezüge zum deutschen Rechtskreis auf. Beide Parteien hatten ihren Wohnsitz – zumindest die AGg. auch ihren gewöhnlichen Aufenthalt – in Deutschland. Der Anwaltsvertrag und die Honorarvereinbarungen sind in Deutschland geschlossen worden, wo auch der jedenfalls weit überwiegende Teil der anwaltlichen Leistung zu erbringen war. Die israelische Staatsangehörigkeit der Parteien besitzt demgegenüber kein entscheidendes Gewicht und führt deshalb nicht zu einer anderen Beurteilung (vgl. Staudinger-Magnus, BGB, 13. Aufl., Art. 27 EGBGB Rz. 124). Die zwingende Bestimmung des § 38 ZPO (BGHZ 101, 271, 275; BGH, Urt. vom 26.1.1983 – VIII ZR 342/81, NJW 1983, 1320, 1322) konnte aus diesem Grunde durch die Wahl israelischen Rechts nicht abbedungen werden.

[16]d) Unter Nichtkaufleuten kann eine Gerichtsstandsvereinbarung nur dann wirksam werden, wenn mindestens eine der Vertragsparteien keinen allgemeinen Gerichtsstand im Inland hat. Dies war hier weder im Zeitpunkt der Vereinbarung noch bei Klageerhebung der Fall, wie sich aus dem Urteil des Friedensgerichts Haifa vom 30.11.1998 ergibt. Daher kann dahingestellt bleiben, ob auf den Zeitpunkt der Vereinbarung (Stein-Jonas-Bork, ZPO, 22. Aufl., § 38 Rz. 24) – wie das Berufungsgericht angenommen hat – oder denjenigen der Klageerhebung (Baumbach-Lauterbach-Albers-Hartmann, ZPO, 63. Aufl., § 38 Rz. 21; Zöller-Vollkommer, ZPO, 25. Aufl., § 38 Rz. 5) abzustellen ist. Zu Recht hat das Beschwerdegericht es für unbeachtlich gehalten, dass der ASt. einen weiteren Wohnsitz in Israel unterhalten hat (vgl. BGH, Urt. vom 20.1.1986 – II ZR 56/85, WM 1986, 400, 401 (IPRspr. 1986 Nr. 129)).

Fundstellen

LS und Gründe

IDR, 2005, 140
InVo, 2005, 512
MDR, 2005, 1126
NJW-RR, 2005, 929
RIW, 2005, 540
WM, 2005, 1341

Permalink

https://iprspr.mpipriv.de/2005-150

Lizenz

Copyright (c) 2024 Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht
Creative-Commons-Lizenz Dieses Werk steht unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz.
<% if Mpi.live? %> <% end %>