Das Mitsorgerecht des italienischen Vaters für ein Kind, das er mit der deutschen Mutter bis zuletzt gemeinsam versorgt hat, wird dadurch verletzt, dass die Mutter ohne vorherige Absprache unter Hinterlassung eines Abschiedsbriefs mit dem Kind aus dem Ausland nach Deutschland abreist. Die dadurch eintretende Erschwerung des persönlichen Kontakts widerspricht im Zweifel dem Kindeswohl, so dass gemäß Art. 12 HKiEntÜ die sofortige Rückgabe des Kindes anzuordnen ist, soweit nicht von der Rückführung schwerwiegende, über das gewöhnliche Maß weit hinausgehende Beeinträchtigungen des Kindeswohls zu erwarten sind.
Der für die Eröffnung des Anwendungsbereich gemäß Art. 4 HKiEntÜ maßgebliche gewöhnliche Aufenthaltsort meint den tatsächlichen Lebensmittelpunkt. Ist dieser ursprünglich in einem Vertragsstaat (hier: Italien) begründet und wird das Kind während des Aufenthalts der Familie in einem Nichtvertragsstaat (hier: Schweiz) ins Inland verbracht, so kommt eine den Anwendungsbereich berührende Verlegung des gewöhnlichen Aufenthalts nur in Betracht, wenn darüber eine Einigung der Eltern erfolgt war.
Der italienische ASt. und die deutsche AGg., die nicht verheiratet sind, streiten über die Rückführung ihrer gemeinsamen, am 20.7.2002 geborenen Tochter A. nach Italien.
Die Parteien begründeten im April 2001 einen Hausstand in S. A. in Italien, wo sie in die Wohnung von Mutter und Schwester des ASt. einzogen. A. wurde dort in der Zeit von Dezember 2002 bis April 2003 von der Schwester der ASt. betreut, während die Parteien befristete Stellen in der Schweiz ausübten. Während der nächsten Saisonarbeiten des ASt. blieb die AGg. in Italien und betreute A. selbst. Als der ASt. von Ende April 2004 bis zum 15.10.2004 eine Tätigkeit in einem Freizeitpark in der Schweiz annahm, reiste ihm die AGg. im Mai 2004 nach. Mit einem Teil des aus Italien mitgebrachten Hausstandes verließ die AGg. dann am 28.8.2004 die Schweiz und reiste nach G./Deutschland, ohne dies mit dem ASt. abgesprochen zu haben. In einem Abschiedsbrief teilte sie ihm ihre Trennungsabsicht mit.
Während eines Besuchskontakts in K./Deutschland am 2.10.2004 und auch bei verschiedenen anderen Gelegenheiten soll der ASt. geäußert haben, die Tochter solle bei der Mutter bleiben. Er wolle sich eine Arbeit in Deutschland suchen.
Das AG hat den auf Anordnung der sofortigen Rückführung nach Italien gerichteten Anträgen des ASt. am 26.11.2004 in vollem Umfang stattgegeben. Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde der AGg. blieb in der Sache ohne Erfolg, wobei die Frist für die freiwillige Zurückführung des Kindes bis zum 18.12.2004 verlängert wurde und die Vollstreckung erst ab dem 19.12.2004 stattfinden darf.
[1]1. Die sofortige Beschwerde ist zulässig. Gemäß § 8 II SorgeRÜbkAG findet gegen im ersten Rechtszug ergangene Entscheidungen das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde nach § 22 FGG statt (Bach-Gildenast, Internationale Kindesentführung, 1999, Rz. 172). Diese wurde hier nach am 29.11.2004 erfolgter Zustellung des angefochtenen Beschlusses am 7.12.2004 und damit fristgerecht eingelegt.
[2]2. In der Sache bleibt die Beschwerde jedoch ohne Erfolg. Das FamG hat die Voraussetzungen einer Rückführungsanordnung nach Art. 12 i.V.m. Art. 3 HKiEntÜ zu Recht bejaht. Seine zur Rückführung getroffenen Anordnungen geben auch inhaltlich keine Veranlassung zur Beanstandung.
[3]a) Das HKiEntÜ ist für die Bundesrepublik Deutschland am 1.12.1990 in Kraft getreten (Bek. v 11.12.1990, BGBI. 91 II 329), für Italien gilt es seit dem 1.3.1995 (BGBI. 1995 II 485). Da der gewöhnliche Aufenthaltsort, d.h. ihr tatsächlicher Lebensmittelpunkt … vor der Einreise nach Deutschland in Italien lag, ist das HKiEntÜ gemäß Art. 4 auf den vorliegenden Fall anzuwenden. Die von der Beschwerde geäußerten Zweifel, ob der gewöhnliche Aufenthalt nicht zuletzt in der Schweiz gelegen habe, stehen dieser Wertung nicht entgegen. Der gewöhnliche Aufenthaltsort meint den tatsächlichen Lebensmittelpunkt (BGH, NJW 1975,1068 (IPRspr. 1975 Nr. 83); 1981, 520 (IPRspr. 1980 Nr. 94); Palandt-Heldrich, BGB, 63. Aufl. Anh. zu Art. 24 EGBGB Rz. 10 m.w.N.). Dieser ist ursprünglich in Italien begründet und wäre durch den Aufenthalt in der Schweiz ab Mai 2004 nur dann verlegt worden, wenn darüber eine Einigung der Parteien erfolgt wäre. Die AGg. hat zwar nachvollziehbar vorgetragen, dass ihr das Zusammenleben mit der Familie des ASt. in Italien unerträglich geworden sei und sie deshalb während des Aufenthalts in der Schweiz darauf gedrängt habe, dort eine feste Wohnung zu suchen. Sie hat aber in der Verhandlung vor dem AG letztlich zugeben müssen, dass man in der Schweiz keinen festen Wohnsitz gefunden habe. Die Zeit in der Schweiz ist daher mit dem AG nur als Ferienbesuch am (vorübergehenden) Arbeitsort des ASt. zu werten.
[4]b) Die örtliche Zuständigkeit des FamG ergibt sich aus § 5 SorgeRÜbkAG.
[5]c) Die AGg. hat die gemeinsame Tochter der Parteien im Sinne des Art 3 HKiEntÜ ‚widerrechtlich’ nach Deutschland verbracht. Nach Art. 3 HKiEntÜ gilt das Verbringen eines Kindes als widerrechtlich, wenn dadurch das Sorgerecht verletzt wird, das einer Person, Behörde oder sonstigen Stelle allein oder gemeinsam nach dem Recht des Staats zusteht, in dem das Kind unmittelbar vor dem Verbringen oder Zurückhalten seinen gewöhnlichen Aufenthaltsort hatte, und dieses Recht im Zeitpunkt des Verbringens oder Zurückhaltens allein oder gemeinsam tatsächlich ausgeübt wurde oder ausgeübt worden wäre, falls das Verbringen oder Zurückhalten nicht stattgefunden hätte.
[6]aa) Dass der ASt. durch die in Italien erklärte Anerkennung seiner Vaterschaft gemäß Art. 317 bis Cc zumindest ein Mit-Sorgerecht für A. erlangt hat, ist nicht streitig.
[7]bb) Dieses Sorgerecht hat die AGg. durch die Verbringung des Kindes nach Deutschland verletzt, denn sie ist unstreitig ohne vorherige Absprache unter Hinterlassung eines Abschiedsbriefs aus der Schweiz nach Deutschland abgereist, wo sich beide Eltern bis zuletzt gemeinsam um das Kind gekümmert hatten.
[8]d) Werden die Befugnisse des Mitsorgeberechtigten durch eigenmächtige Verbringung eines Kindes ins Ausland faktisch außer Kraft gesetzt und wird so der persönliche Kontakt des Kindes zu ihm nachhaltig erschwert oder gar ausgeschlossen, widerspricht dies im Zweifel dem Kindeswohl, so dass gemäß Art. 12 HKiEntÜ die sofortige Rückgabe des Kindes anzuordnen ist, ohne zu prüfen, wo das Kind (nach der hier offenbar unvermeidlichen Trennung der Eltern) auf Dauer leben soll. Diese Frage ist vielmehr allein der Entscheidung der nach dem früheren gewöhnlichen Aufenthalt des Kindes für Sorgerechtsentscheidungen zuständigen Gericht vorbehalten, also dem in Italien örtlich zuständigen Gericht (BVerfG, FamRZ 1997, 1269, 1270 (IPRspr. 1997 Nr. 101b)).
[9]Um diese Sorgerechtsentscheidung sicherzustellen, hat das AG die Rückführung nach Maßgabe der Bestimmungen des HKiEntÜ zu Recht angeordnet.
[10]e) Der mit der Beschwerde wiederholte und vertiefte Einwand der AGg., die Rückführung nach Italien verstoße gegen Art. 13 HKiEntÜ geht fehl.
[11]aa) Jedenfalls im Ergebnis hat das AG zu Recht verneint, dass die von der AGg. behauptete nachträgliche Genehmigung des Verbringens nach Deutschland eine Rückführung gemäß Art 13 I lit. a HKiEntÜ ausschließe. Entgegen der Auffassung der Beschwerde ist nicht geboten, erneut und erweiternd über die Frage Beweis zu erheben, was der ASt. während des Besuchskontakts am 2.10.2004 gesagt hat. Auch wenn er empfunden und geäußert haben sollte, dass sich A. in Deutschland offenbar wohlfühle und die ganze Situation nicht so schlimm sei, lag darin keine Genehmigung des Verbringens nach Deutschland. Wie die AGg. war sich auch der ASt. über die rechtliche Situation nicht im Klaren. Vom Jugendamt hatte er die Auskunft erhalten, dass allein die AGg. über den Aufenthalt des Kindes zu bestimmen und er nur einen Anspruch auf Besuchskontakte habe. Davon musste er zunächst ausgehen und versuchen, Kontakte zu erhalten, sich über die Lebensumstände der Tochter zu vergewissern und sich mit der Situation zu arrangieren. Auch wenn er unter diesen Umständen erwogen haben sollte, sich eine Arbeit in G. zu suchen, um seine geliebte Tochter öfter sehen zu können, wäre das keine verbindliche Genehmigung des weiteren Verbleibens in Deutschland gewesen. Solange er gar nicht wusste, dass er die Rückführung A.s wegen Verletzung seines Sorgerechts verlangen oder alternativ den Verbleib in Deutschland genehmigen könne, konnte er auch nicht das Bewusstsein haben, eine rechtlich bedeutsame Erklärung abzugeben, wenn er sich über die Situation seiner Tochter äußerte.
[12]bb) Mit Recht ist das AG auch zu der Einschätzung gelangt, dass keine schwerwiegenden Gefahren für das körperliche und seelische Wohl des Kindes ersichtlich sind, die gemäß Art. 13 I lit. b HKiEntÜ einer Rückführung entgegenstehen könnten.
[13]Allein die mit der Rückführung typischerweise verbundenen Beeinträchtigungen sind nach anerkannter und vom Senat geteilter Auffassung nicht geeignet, eine Rückführungsanordnung in Frage zu stellen. Wie bereits angesprochen, sollen die Beteiligten durch die Regelungen des HKiEntÜ davon abgehalten werden, ihr Kind widerrechtlich ins Ausland zu verbringen; zugleich soll hierdurch die Sorgerechtsentscheidung am Ort des früheren gewöhnlichen Aufenthalts des Kindes sichergestellt werden (OLG München, FamRZ 1994, 1338, 1339 (IPRspr. 1993 Nr. 102); OLG Frankfurt, FamRZ 1994, 1339, 1340 (IPRspr. 1994 Nr. 101); OLG Düsseldorf, FamRZ 1994, 185, 186 (IPRspr. 1993 Nr. 99)). Die strikte Regel, dass allein das ursprünglich international zuständige Gericht unter Berücksichtigung des Kindeswohls über die elterliche Sorge entscheidet, soll verhindern, dass durch die Entführung geschaffene vollendete Tatsachen von vornherein ein Übergewicht gewinnen (vgl. BVerfG, FamRZ 1997, 1269, 1270 (IPRspr. 1997 Nr. 101b); FamRZ 1996, 405 = NJW 1996, 1402, 1403 (IPRspr. 1996 Nr. 89); FamRZ 1996, 1267 = NJW 1996, 3145 (IPRspr. 1996 Nr. 101)). Dem so verstandenen Schutz des Kindes würde die Berücksichtigung der zwangsläufig mit jeder Rückführung verbundenen Belastung für das Kind widersprechen. Daher können nur ungewöhnlich schwerwiegende Beeinträchtigungen des Kindeswohls Beachtung finden, die über die mit einer Rückführung gewöhnlich verbundenen Schwierigkeiten hinausgehen (BVerfG, FamRZ 1996, 405 (IPRspr. 1996 Nr. 89)). Solche sind weder vorgetragen noch ersichtlich. Insbesondere muss sich die AGg. entgegenhalten lassen, dass sie nach der getroffenen Entscheidung die Möglichkeit hat, A. persönlich nach Italien zurückzubringen und bis zur Entscheidung der dortigen Gerichte über die Frage des Sorge- und Umgangsrechts dort bei ihr zu bleiben. Mit dem Argument, sie habe die dafür erforderlich Mittel nicht, kann sie nicht gehört werden. Sie hat sich durch die widerrechtliche Entführung des Kindes nach Deutschland selber in diese missliche Situation gebracht. Sollte das Sozialamt deshalb ablehnen, die Reisekosten als notwendigen Sonderbedarf zu bezahlen, ist ihr zuzumuten, zusammen mit dem ASt. nach Italien zurückzureisen. Dort wird sie wegen der Verpflichtung, Italien vor einer Entscheidung über die Verteilung des Sorgerechts nicht zu verlassen, ebenso wie in Deutschland einen Anspruch auf Sozialhilfe haben, soweit sie wegen der Betreuung des Kindes nicht arbeiten kann oder keine Arbeitsstelle findet.
[14]Auch der Einwand, der ASt. wolle weiter arbeiten und könne A. daher nicht angemessen versorgen, gibt dem Senat keine Veranlassung zu einer abweichenden Beurteilung. Zunächst ist offen, ob die AGg. nicht doch von der Möglichkeit Gebrauch macht, A. selbst nach Italien zurückzubringen und dort ihre Versorgung bis zur Entscheidung über das Sorgerecht zu übernehmen. Wie der ASt. die Versorgung der Tochter sicherstellt, wenn er sie selber mit nach Italien nehmen muss, bleibt abzuwarten. Solange keine konkreten Anhaltspunkte bestehen, dass er diese Aufgabe nicht bewältigen könne, kann die gebotene Rückführung nicht verweigert werden.
[15]Die Kostenentscheidung folgt aus § 13a I 2 FGG i.V.m. Art. 26 IV HKiEntÜ.