Nach schottischem Recht wird im Sorgerechtsverfahren für das erkennende Gericht durch Antragstellung und Zustellung des Antrags einstweilen das Sorgerecht für das Kind begründet; dies gilt auch, wenn für ein nichteheliches Kind kein Vaterschaftsanerkenntnis des schottischen Vaters vorliegt.
Durch das anschließende Verbringen des Kindes nach Deutschland wird das nach Art. 3 lit. a i.V.m. Art. 5 lit. a HKiEntÜ geschützte Sorgerecht des Gerichts widerrechtlich verletzt.
Bringt die Mutter das entführte Kind im Laufe des Verfahrens an den bisherigen Aufenthaltsort in Schottland zurück, tritt für das im Inland geführte Rückführungsverfahren Erledigung ein.
Der ASt., ein britischer Staatsangehöriger, begehrt gegenüber der deutschen AGg. die Rückführung zweier Kinder von Deutschland nach Schottland. Die unverheirateten Parteien sind die Eltern der Kinder – C., geb. 5.12.1998, und S., geb. 3.8.2000. Der ASt. hat die Vaterschaft zu den Kindern bisher nicht anerkannt. Noch vor dem Verbringen der Kinder nach Deutschland am 22.4.2003 wurde vor dem schottischen Gericht durch Antragszustellung bei der AGg. am 11.4.2003 ein Sorgerechtsverfahren anhängig.
Das AG München hat dem Antrag des ASt. nach Anhörung der Parteien mit Beschluss vom 5.7.2004 stattgegeben. Mit der hiergegen eingelegten Beschwerde hat die AGg. u.a. geltend gemacht, da dem ASt. kein Sorgerecht zugestanden habe und dies bis zum Verbringen der Kinder nach Deutschland am 22.4.2003 ihm auch nicht durch eine Entscheidung eines schottischen Gerichts übertragen worden sei, habe sie ohne Einwilligung des ASt. den Aufenthaltsort der Kinder bestimmen können. Der ASt. beruft sich hingegen auf das einem schottischen Gericht zustehende Sorgerecht, das durch seinen diesbezüglichen Antrag in dem dort anhängigen Sorgerechtsverfahren entstanden sei.
Nach einem vorbereitenden Termin ist die AGg. mit den Kindern freiwillig nach Schottland zurückgekehrt, damit dort das anhängige Sorgerechtsverfahren fortgesetzt werden kann. Daraufhin haben die Parteien das Verfahren übereinstimmend für erledigt erklärt.
[1]1. Nachdem die AGg. die Kinder vor Erlass einer Beschwerdeentscheidung nach Schottland zurückgeführt hat, ist ihre ursprünglich gemäß § 8 II SorgeRÜbkAG zulässige sofortige Beschwerde (§ 22 FGG) wegen Erledigung der Hauptsache unzulässig geworden (Keidel-Kuntze-Winkler-Zimmermann, FGG, 15. Aufl., § 13a Rz. 47 m.w.N.). Gegenstand des Beschwerdeverfahrens sind daher nur noch die Kostenentscheidung erster Instanz sowie die Kosten des Beschwerdeverfahrens (Keidel-Kuntze-Winkler-Zimmermann aaO).
[2]2. Maßgebliche Grundlage für die Kostenentscheidung ist vorliegend § 13a I FGG.
[3]a. Auf das Rückführungsverfahren finden gemäß § 6 I SorgeRÜbkAG die Vorschriften des FGG Anwendung.
[4]b. Mangels einer ausdrücklichen Regelung über die Erledigung der Hauptsache im FGG tritt in den FG-Angelegenheiten eine Erledigung der Hauptsache ein, wenn ein nach Einleitung des Verfahrens eingetretenes Ereignis die Sach- und Rechtslage für eine gerichtliche Entscheidung so verändert, dass die Voraussetzungen für eine Entscheidung über den Verfahrensgegenstand nicht mehr gegeben sind (Keidel-Kuntze-Winkler-Zimmermann aaO § 19 Rz. 85). Dies ist hier der Fall, nachdem die AGg. die Kinder freiwillig zurückgeführt hat. Mehr konnte der ASt. mit seinem Antrag nicht verlangen. Soweit er erstinstanzlich die Herausgabe der Kinder an sich zum Zwecke Rückführung verlangt hat, hätte diesem Antrag nicht stattgegeben werden können. Zwar sieht Art. 12 HKiEntÜ die Rückgabe der Kinder vor, jedoch ist dies eine unrichtige Übersetzung des englischen Textes des HKiEntÜ. In der englischen Fassung heißt es ausdrücklich: ‚... shall order the return of the child forthwith’. Damit ist die Rückführung des Kindes gemeint. Auch dem Sinn des HKiEntÜ als Rechtshilfeübereinkommen entspricht es, nur eine Rückführung anzuordnen. Denn es soll der Status wiederhergestellt werden, der vor der Verbringung des Kindes ins Ausland bestand. Nachdem der ASt. sich dieser Auffassung angeschlossen hat und seinen Antrag entsprechend umgestellt hat, ist mit der Rückführung der Kinder nach Schottland eine Entscheidung überflüssig geworden und eine Erledigung der Hauptsache eingetreten.
[5]c. Die AGg. hat die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens erster Instanz gemäß § 13a I 1 FGG und die Kosten des Beschwerdeverfahrens gemäß § 13a I 2 FGG zu tragen.
[6](1) Das AG – FamG – hat in seiner angefochtenen Entscheidung die Voraussetzungen einer Rückführungsanordnung nach Art. 12 i.V.m. Art. 3 HKiEntÜ zu Recht bejaht. Seine zur Rückführung getroffenen Anordnungen geben auch inhaltlich keine Veranlassung zur Beanstandung.
[7](2) Das HKiEntÜ ist für die Bundesrepublik Deutschland am 1.12.1990 in Kraft getreten (Bek. vom 11.12.1990, BGBl 1991 II 329), für das Vereinigte Königreich gilt es seit dem 1.8.1986.
[8](3) Die örtliche Zuständigkeit des FamG ergibt sich aus § 5 SorgeRÜbkAG.
[9](4) Die AGg. hat die Kinder im Sinne des Art. 3 HKiEntÜ ‚widerrechtlich’ nach Deutschland verbracht. Nach Art. 3 HKiEntÜ gilt das Verbringen oder Zurückhalten eines Kindes als widerrechtlich, wenn dadurch das Sorgerecht verletzt wird, das einer Person, Behörde oder sonstigen Stelle allein oder gemeinsam nach dem Recht des Staats zusteht, in dem das Kind unmittelbar vor dem Verbringen oder Zurückhalten seinen gewöhnlichen Aufenthaltsort hatte, und dieses Recht im Zeitpunkt des Verbringens oder Zurückhaltens allein oder gemeinsam tatsächlich ausgeübt wurde oder ausgeübt worden wäre, falls das Verbringen oder Zurückhalten nicht stattgefunden hätte.
[10]Nach Art. 4 HKiEntÜ ist dieses auf jedes Kind anzuwenden, das unmittelbar vor einer Verletzung des Sorgerechts oder des Rechts zum persönlichen Umgang seinen gewöhnlichen Aufenthaltsort in einem Vertragsstaat hatte. Das Übereinkommen wird nicht mehr angewendet, wenn das Kind das 16. Lebensjahr vollendet hat. Der gewöhnliche Aufenthaltsort der Kinder, d.h. ihr tatsächlicher Mittelpunkt der Lebensführung und der Schwerpunkt ihrer sozialen Bindungen (BGH, FamRZ 1975, 272 = NJW 1975, 1068; FamRZ 1981, 536 = NJW 1981, 520 (IPRspr. 1975 Nr. 83); Palandt/Heldrich, BGB, 63. Aufl., Anh. zu Art. 24 EGBGB Rz. 10, m.w.N.), war nach den von der Beschwerde nicht angegriffenen Feststellungen des AG vor der Verbringung der Kinder nach Deutschland in Schottland.
[11]Durch die Verbringung der Kinder nach Deutschland hat die AGg. das durch die Antragstellung beim angerufenen schottischen Gericht entstandene gerichtliche Sorgerecht im Sinne des Art. 5 lit. a HKiEntÜ verletzt.
[12]Aufgrund von internationalen Fortbildungsveranstaltungen und Gesprächen mit englischen und insbesondere schottischen Richtern im Oktober 2003 ist dem Vorsitzenden des 12. Familiensenats als Berichterstatter bekannt, dass das Sorgerecht für ein schottisches Gericht durch Antragstellung und Zustellung des Antrags begründet wird. Ein Sachverständigengutachten zu dieser Frage ist nicht einzuholen, weil dies dem Beschleunigungsziel des Art. 11 HKiEntÜ widersprechen würde und die Richtigkeit der vorstehenden Auffassung durch die gemäß Art. 15 HKiEntÜ vorgelegte Widerrechtlichkeitsbescheinigung des schottischen Gerichts ... und durch die vorgelegten Entscheidungen bestätigt wird.
[13]In der Literatur wird zwar die Auffassung vertreten, dass das Sorgerecht nicht die noch in der Entstehung betreffenden Rechte eines Elternteils durch die Antragstellung umfasse (Bach-Gildenast, Internationale Kindesentführungen, 1999, 21 Rz. 48; ähnlich mit der Einschränkung, dass die nur gelte, wenn der Vater sich vor der Entführung nicht um das Kind gekümmert hat MünchKomm-Siehr, 3. Aufl., Art. 19 EGBGB Anh. II Rz. 23; andererseits erkennen Bach-Gildenast das Sorgerecht des Gerichts an, wenn die Kinder ‚wards of court’ sind, ebd. 22 Rz. 51).
[14]Diese Auffassung wird jedoch dem Art. 3 HKiEntÜ nicht gerecht. Denn zum einen ist das Sorgerecht des Gerichts ausdrücklich durch Art. 3 I lit. a HKiEntÜ geschützt (‚... das einer Person, Behörde oder sonstigen Stelle ...’). Zum anderen verweist Art. 3 HKiEntÜ auf das Recht des Aufenthaltsorts im Zeitpunkt vor der widerrechtlichen Verbringung des Kindes. Hierbei handelt es sich zwar nach a.A. um eine Gesamtnormverweisung, aber mangels einer Rückverweisung des schottischen Rechts beurteilt sich diese Frage nach dem dortigen Recht. Nach schottischer Rechtsauffassung entsteht durch die Antragstellung ein Sorgerecht des Gerichts. Das Gericht hätte dieses auch ausgeübt, wenn die Kinder nicht widerrechtlich nach Deutschland verbracht worden wären.
[15]Die hier vertretene Auslegung von Art. 3 HKiEntÜ wird auch dem Ziel des Übereinkommens gerecht. Denn die Beteiligten sollen durch die Regelungen des HKiEntÜ davon abgehalten werden, ihr Kind widerrechtlich ins Ausland zu verbringen, zugleich soll hierdurch die Sorgerechtsentscheidung am Ort des früheren gewöhnlichen Aufenthalts des Kindes sichergestellt werden (OLG München, FamRZ 1994, 1338, 1339 (IPRspr. 1993 Nr. 102); OLG Frankfurt, FamRZ 1994, 1339, 1340 (IPRspr. 1994 Nr. 101); OLG Düsseldorf, FamRZ 1994, 185, 186 (IPRspr. 1993 Nr. 99)). Die strikte Regel, dass allein das ursprünglich international zuständige Gericht unter Berücksichtigung des Kindeswohls über die elterliche Sorge entscheidet, soll gerade einen auch für das Kind nachteiligen Wechsel des Lebensmittelpunkts vermeiden. Es soll verhindert werden, dass durch die Entführung geschaffene vollendete Tatsachen von vornherein ein Übergewicht gewinnen (vgl. BVerfG, FamRZ 1997, 1269, 1270 (IPRspr. 1997 Nr. 101b); FamRZ 1996, 405 = NJW 1996, 1402, 1403 (IPRspr. 1997 Nr. 89); FamRZ 1996, 1267 = NJW 1996, 3145 (IPRspr. 1996 Nr. 101)).
[16]Der Entstehung eines gerichtlichen Sorgerechts steht nicht die von der AGg. behauptete fehlerhafte Zustellung entgegen. Der AGg. wurde der Antrag in der ursprünglichen Fassung am 11.4.2003 zugestellt. Dieser Antrag beinhaltete den Antrag auf Übertragung des Sorgerechts auf den ASt. Über die Zustellung wurde ein Zustellungsprotokoll errichtet. Danach ist der Antrag, nachdem eine persönliche Zustellung nicht möglich war, in den Briefkasten geworfen und zugleich per Post zugestellt worden. Dass diese Art der Zustellung nach schottischem Recht unwirksam war, wird nicht substantiiert dargetan. Der Senat hat daher keinen Anlass, an der Wirksamkeit der Zustellung nach schottischem Recht zu zweifeln, auch wenn die Ersatzzustellung unter Anwendung von deutschem Recht wegen des Zusammenlebens von ASt. und AGg. unwirksam gewesen wäre (vgl. § 178 II ZPO). Aber auch nach deutschem Recht wäre eine Heilung gemäß § 189 ZPO möglich, nachdem die AGg. unstreitig von dem Antrag vor dem Termin vom 22.4.2003 Kenntnis erlangt hat.
[17](5) Der Umstand, dass der ASt. und die Person, deren Sorgerecht verletzt wurde, personenverschieden sind, steht einer Rückführung nicht entgegen, denn diese Möglichkeit ist im Übereinkommen angelegt und bewusst nicht ausgeschlossen.