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Verfahrensgang

KG, Urt. vom 17.11.2004 – 3 UF 52/04, IPRspr 2004-53

Rechtsgebiete

Ehe und andere familienrechtliche Lebens- und Risikogemeinschaften → Güterrecht

Leitsatz

Für güterrechtliche Ansprüche unter (geschiedenen) Ehegatten russischer Staatsangehörigkeit verweist das gemäß Art. 15 I, 14 I Nr. 1 EGBGB zur Anwendung berufene russische Recht mit Art. 161 Nr. 1 des russischen Familiengesetzbuchs 1995 zurück auf das deutsche Recht als das Recht des Staats, auf dessen Gebiet die Parteien ihren letzten gemeinsamen Wohnsitz hatten.

Soweit die Anwendung der ausländischen Kollisionsregel von der Anwendung einer ausländischen intertemporalen Norm (hier: Art. 169 Nr. 1 Satz 2 Familiengesetzbuch) abhängt, wird auch diese von der Verweisung des deutschen Internationalen Privatrechts erfasst.

Rechtsnormen

BGB § 1378; BGB § 1379
EGBGB Art. 4; EGBGB Art. 14; EGBGB Art. 15
FamGB 1995 (Russ. Föderation) Art. 38; FamGB 1995 (Russ. Föderation) Art. 157; FamGB 1995 (Russ. Föderation) Art. 158; FamGB 1995 (Russ. Föderation) Art. 160; FamGB 1995 (Russ. Föderation) Art. 161; FamGB 1995 (Russ. Föderation) Art. 163; FamGB 1995 (Russ. Föderation) Art. 169

Sachverhalt

Der Kl. begehrt im Anschluss an die Scheidung der Ehe zur Bekl. die Aufteilung des Gesamtguts nach ihrem gemeinsamen Heimatrecht, dem Recht der Russischen Föderation. Über die Ehescheidung vom 22.6. 1998 und Eintragung am 14.8.1998 beim Standesamt in Moskau im Register für Ehescheidungen hat der Kl. Bescheinigungen vorgelegt. Das gemeinsame Vermögen umfasst mehrere Immobilien in Deutschland und Russland sowie bewegliche Vermögensgegenstände, an denen der Kl. einen hälftigen Miteigentumsanteil bzw. einen Wertausgleich beansprucht. Hilfsweise verlangt der Kl. Auskunft über das Endvermögen der Bekl. und die Zahlung eines Zugewinnausgleichs.

Das AG hat die Klage abgewiesen, die Berufung blieb ohne Erfolg.

Aus den Entscheidungsgründen:

(Randnummern der IPRspr-Redaktion)

[1]Das AG hat die Klage sowohl hinsichtlich des Haupt- als auch des Hilfsantrags im Ergebnis zu Recht abgewiesen.

[2]Die in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfende internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte hat das AG zutreffend bejaht.

[3]1) Die Klage ist hinsichtlich des mit dem Hauptantrag verfolgten Begehrens auf Aufteilung des Gesamtguts der Parteien unbegründet, denn der güterrechtliche Anspruch der Parteien beurteilt sich nicht nach dem Heimatrecht der Parteien, d.h. dem Recht der Russischen Föderation …

[4]Richtig ist zwar der Ausgangspunkt des AG, dass für die güterrechtlichen Verhältnisse der Parteien gemäß Art. 15 I, 14 I Nr. 1 EGBGB das Recht der Russischen Föderation maßgebend ist, da die Parteien zum Zeitpunkt der in Moskau erfolgten Eheschließung russische Staatsangehörige waren; der Umstand, dass der Kl. nach der Eheschließung in Deutschland den Status eines so genannten Kontingentflüchtlings erworben hatte, ist für die gesetzliche Anknüpfung des Güterrechtsstatus unerheblich. Art. 161 Nr. 1 des am 1.3.1996 in Kraft getretenen Familiengesetzbuchs der Russischen Föderation vom 29.12.1995 (im Folgenden FGB) verweist jedoch für die persönlichen nichtvermögenswerten und vermögenswerten Reche und Pflichten der Ehegatten auf das deutsche Recht als die Gesetzgebung des Staats, auf dessen Gebiet die Parteien ihren letzten gemeinsamen Wohnsitz hatten, zurück. Das deutsche Recht nimmt die Rückverweisung an ( Art. 4 I EGBGB).

[5]Da der hier streitgegenständliche güterrechtliche Anspruch auf Aufteilung des Gesamtguts nach Auflösung der Ehe ( Art. 38 Nr. 1 Alt. 2 FGB) und somit nach dem Inkrafttreten des FGB entstanden ist, findet gemäß der intertemporalen Vorschrift des Art. 169 Nr. 1 Satz 2 FGB die Neuregelung in Art. 161 FGB Anwendung. Die Unwandelbarkeit bezogen auf die Anknüpfung des Güterrechtsstatuts betrifft nur die kollisionsrechtliche Ebene. Dessen Anknüpfungspunkte werden auf den Zeitpunkt der Eheschließung fixiert. Das hierdurch berufene Recht bleibt deshalb auch dann anzuwenden, wenn sich die für die (erstmalige) Bestimmung des Güterstatuts maßgebenden Anknüpfungspunkte wie Staatsangehörigkeit und Aufenthalt ändern. Der somit nach russischem Recht zu beurteilende Güterstand bewegt sich auf der sachrechtlichen Ebene. Er wird nicht durch eine Norm des deutschen Verweisungsrechts festgeschrieben. Es liegt vielmehr gerade in der Natur der Anwendbarkeit eines ausländischen Rechts, dass das anzuwendende Statut über seinen Inhalt und auch über seine Veränderung entscheidet. Ändert sich das maßgeblich gebliebene Recht, gilt ab dem Zeitpunkt der Änderung also grundsätzlich das Güterstatut in seiner geänderten Form und zwar einschließlich seiner Überleitungsvorschriften und intertemporalen Regelungen (Gamillscheg in Festschrift Bötticher, 1969, 143, 148; Staudinger-v. Mankowski, Neub. 2003, Art. 15 EGBGB Rz. 47). Das deutsche IPR überlässt deshalb dem intertemporalen Recht der berufenen Rechtsordnung die Beantwortung der Frage, ob Änderungen dieser Rechtsordnung sich auch auf vorher begründete Rechtsverhältnisse erstrecken (MünchKomm-Siehl, 3. Aufl., Art. 15 EGBGB Rz. 62).

[6]Soweit der Kl. und ihm folgend das AG der Ansicht sind, die kollisionsrechtliche Regelung des Art. 161 FGB würde auf das Verhältnis der Parteien keine Anwendung finden, weil der gesamte Abschnitt VII, in dem diese Vorschrift steht, ausweislich der Überschrift nur gelte, wenn ausländische Staatsangehörige oder Staatenlose beteiligt seien, trifft das nicht zu. In diesem Abschnitt sind vielmehr auch Regelungen enthalten, die ausschließlich russische Staatsangehörige betreffen, [wenn] ein Auslandsbezug in anderer Weise, insbesondere durch den gemeinsamen Wohnsitz besteht. So regelt Art. 157 Nr. 1 FGB, dass die Eheschließung zwischen russischen Staatsbürgern, die außerhalb der Russischen Förderation leben, in diplomatischen Vertretungen oder konsularischen Einrichtungen ihres Heimatlands erfolgt. In Art. 158 Nr. 1 FGB ist u.a. die Anerkennung von im Ausland zwischen Staatsbürgern der Russischen Förderation geschlossenen Ehen geregelt. Art. 160 Nr. 3 FGB regelt u.a. die Anerkennung ausländischer Entscheidungen über die Auflösung einer Ehe zwischen russischen Staatsangehörigen. Ferner ist Art. 163, der – eine von der Staatsangehörigkeit nur hilfsweise abhängige – umfassende Verweisung auf den Aufenthaltsort in Bezug auf Rechte zwischen Eltern und Kindern vornimmt, auch bei Eltern, die beide russische Staatsbürger sind, einschlägig. Aus der systematischen Stellung des Art. 161 Nr. 1 FGB kann deshalb nicht abgeleitet werden, dass diese Vorschrift entgegen ihrem umfassenden Wortlaut bei Ehegatten mit gemeinsamer russischer Staatsangehörigkeit keine Anwendung findet.

[7]2) Die Klage ist auch hinsichtlich des hilfsweise geltend gemachten Anspruchs unbegründet. Der Kl. kann Auskunft gemäß § 1379 BGB nicht verlangen, da ihm eine Ausgleichsforderung nach § 1378 BGB nicht zusteht. Die Bekl. ist gegenüber einem möglicherweise entstandenen Ausgleichsanspruch nach § 1378 I BGB zur Verweigerung der Leistung berechtigt, da sie sich mit Erfolg auf die Einrede der Verjährung beruft.

Fundstellen

LS und Gründe

FamRZ, 2005, 1676

Permalink

https://iprspr.mpipriv.de/2004-53

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