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Verfahrensgang

BGH, Urt. vom 03.02.2004 – XI ZR 125/03, IPRspr 2004-29

Rechtsgebiete

Außervertragliche Schuldverhältnisse → Geschäftsführung ohne Auftrag und ungerechtfertigte Bereicherung
Natürliche Personen → Geschäftsfähigkeit
Rechtsgeschäft und Verjährung → Stellvertretung
Juristische Personen und Gesellschaften → Gesellschaftsstatut, insbesondere Rechts- und Parteifähigkeit

Leitsatz

Die Vorschrift des Art. 38 III EGBGB fixiert im Wesentlichen die bis zu seinem Inkrafttreten am 1.6.1999 geltenden Anknüpfungsregeln für Bereicherungsansprüche, die weder Leistungs- noch Eingriffskondiktionen sind. Sie unterliegen dem Recht des Staats, in dem die Bereicherung eingetreten ist, insbesondere dann, wenn Bereicherungsgläubiger und -schuldner ihren Sitz im selben Land (hier: Deutschland) haben.

Die Vertretungsbefugnis des Direktors einer ausländischen (hier: schweizerischen) Gesellschaft unterliegt dem Personalstatut der Gesellschaft, während sich die Frage der Geschäftsfähigkeit gemäß Art. 7 I 1 EGBGB nach dem Recht der Staatsangehörigkeit richtet. Die zugunsten eines Mitarbeiters erteilte Kontovollmacht richtet sich nach dem Recht des Staats, in dem sie Wirkung entfalten soll. Dabei handelt es sich um deutsches Recht, wenn aufgrund der Kontovollmacht ein auf eine deutsche Sparkasse gezogener Scheck zur Bezahlung einer deutschen Steuer ausgestellt wird.

Rechtsnormen

AO § 37
BGB § 104; BGB § 105; BGB § 165; BGB § 812; BGB § 818
EGBGB Art. 7; EGBGB Art. 28; EGBGB Art. 38
ZPO § 564

Sachverhalt

Die klagende Sparkasse nimmt das beklagte Land als Steuerfiskus auf Rückzahlung eines Betrags in Anspruch, den sie zur Einlösung eines Schecks aufgewandt hat.

Am 21.12.1993 eröffnete ein die deutsche Staatsangehörigkeit besitzender alleinvertretungsberechtigter Direktor der P. AG, einer schweizerischen Aktiengesellschaft, für diese ein Girokonto bei der Kl. und erteilte einem Mitarbeiter Kontovollmacht. Am selben Tag erwarb der Direktor für die P. AG mehrere Grundstücke in Deutschland zum Preis von circa 13 Mio. DM. Der bevollmächtigte Mitarbeiter stellte am 18.1.1994 einen Scheck in Höhe von 260 000 DM aus und übergab ihn dem zuständigen Finanzamt zur Bezahlung der Grunderwerbsteuer, die durch Bescheid vom selben Tag festgesetzt worden war. Die Kl. löste den Scheck zu Lasten des Girokontos der P. AG ein.

Die Kl. hat behauptet, der Direktor der P. AG sei bei Eröffnung des Kontos, Erteilung der Vollmacht und Erwerb der Grundstücke geschäftsunfähig gewesen.

Nachdem das LG die Klage abgewiesen hatte, hat das Berufungsgericht der Klage in Höhe von 132 935,89 Euro stattgegeben. Mit der zugelassenen Revision erstrebt der Bekl. die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils. Das Rechtsmittel blieb im Wesentlichen ohne Erfolg.

Aus den Entscheidungsgründen:

(Randnummern der IPRspr-Redaktion)

[1]I. Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt:

[2]Die mit der Klage verfolgte Hauptforderung sei gemäß § 812 I 1 Alt. 2 BGB begründet ...

[3]Die Kl. habe einen unmittelbaren Bereicherungsanspruch gegen den Bekl. als Zahlungsempfänger, weil sie aufgrund einer von vornherein unwirksamen Scheckanweisung gezahlt habe. Der Girovertrag vom 21.12.1993 und die Kontovollmacht für den Mitarbeiter der P. AG, der den Scheck ausgestellt habe, seien unwirksam.

[4]Dies folge zwar nicht daraus, dass der die P. AG vertretende Direktor im Zeitpunkt des Vertragsschlusses und der Vollmachterteilung noch nicht im Handelsregister eingetragen war. Die Eintragung habe nach schweizerischem Recht keine konstitutive Bedeutung. Der Direktor sei aber infolge einer Geisteskrankheit unfähig gewesen, vernunftgemäß zu handeln. Dies ergebe sich aus zwei in anderen gerichtlichen Verfahren erhobenen und im vorliegenden Rechtsstreit im Wege des Urkundenbeweises verwerteten Sachverständigengutachten. Die Rechtsfolgen der Handlungs- bzw. Geschäftsunfähigkeit richteten sich nach deutschem Recht. Gemäß § 105 I BGB seien die auf Abschluss des Girovertrags und Erteilung der Kontovollmacht gerichteten Willenserklärungen nichtig.

[5]Die Rückabwicklung unterliege nach IPR deutschem Recht. Danach könne die Kl. den Bekl. unmittelbar in Anspruch nehmen, weil ihre Zahlung der P. AG mangels wirksamer Scheckanweisung nicht zugerechnet werden könne. Dass der Bekl. die Unwirksamkeit der Anweisung nicht gekannt und einen Anspruch gegen die P. AG auf Zahlung gehabt habe, rechtfertige keine andere Beurteilung.

[6]Der Bekl. berufe sich ohne Erfolg auf den Wegfall der Bereicherung (§ 818 III BGB) …

[7]II. ... 1. Soweit das Berufungsgericht der Klage stattgegeben hat, halten seine Ausführungen bis auf einen Teil der Begründung der Zinsentscheidung rechtlicher Überprüfung stand.

[8]a) Die Hauptforderung auf Zahlung von 132 935,89 Euro ist gemäß § 812 I 1 Alt. 2 BGB (Nichtleistungskondiktion) begründet.

[9]aa) Das Berufungsgericht ist rechtsfehlerfrei davon ausgegangen, dass die Kl. einen zivilrechtlichen Bereicherungsanspruch und keinen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch gemäß § 37 II AO geltend macht, der nur dem zusteht, auf dessen Rechnung eine Steuer gezahlt worden ist ...

[10]bb) Der Bereicherungsanspruch unterliegt, wie das Berufungsgericht zutreffend erkannt hat, deutschem Recht. Dies folgt zwar nicht unmittelbar aus dem erst am 1.6.1999 in Kraft getretenen Art. 38 III EGBGB. Diese Vorschrift fixiert aber im Wesentlichen die zuvor geltenden Anknüpfungsregeln (Palandt-Heldrich, BGB, 63. Aufl., Vorb v EGBGB 38 Rz. 1). Danach unterliegen Bereicherungsansprüche, die weder Leistungs- noch Eingriffskondiktionen sind, dem Recht des Staats, in dem die Bereicherung eingetreten ist. Dies gilt insbesondere dann, wenn Bereicherungsgläubiger und -schuldner wie im vorliegenden Fall ihren Sitz im gleichen Staat haben (Soergel-Lüderitz, BGB, 12. Aufl., Anh I Art. 38 EGBGB Rz. 46). Danach ist deutsches Recht anzuwenden, zumal dieses auch für das Deckungs- und das Valutaverhältnis, d.h. die Rechtsbeziehungen der P. AG sowohl zur Kl. (Art. 28 I und II EGBGB) als auch zum Bekl. gilt.

[11]cc) Die Voraussetzungen einer Nichtleistungskondiktion gemäß § 812 I 1 Alt. 2 BGB hat das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei bejaht.

[12](1) Der Bereicherungsausgleich vollzieht sich zwar in Fällen der Leistung kraft Anweisung grundsätzlich innerhalb des jeweiligen Leistungsverhältnisses, also zum einen zwischen dem Anweisenden und dem Angewiesenen und zum anderen zwischen dem Anweisenden und dem Anweisungsempfänger (st. Rspr., siehe BGHZ 147, 269, 273, m.w.N.). Dies gilt aber nicht ausnahmslos. Der Angewiesene hat einen unmittelbaren Bereicherungsanspruch gegen den Anweisungsempfänger, wenn eine wirksame Anweisung fehlt ...

[13](2) Im vorliegenden Fall hat die Kl. einen unmittelbaren Bereicherungsanspruch gegen den Bekl., weil der P. AG die mit dem Scheck erteilte Anweisung nicht zurechenbar ist.

[14](a) Der Mitarbeiter, der den Scheck namens der P. AG ausgestellt hat, handelte ohne Vertretungsmacht, weil ihn der Direktor der P. AG aufgrund seiner Geschäftsunfähigkeit nicht wirksam bevollmächtigt hat.

[15](aa) Die Wirksamkeit der Vollmacht, die der Direktor der P. AG als deren Organ dem Mitarbeiter erteilt hat, unterliegt, anders als die Revision meint, nicht dem Personalstatut der Gesellschaft. Dieses gilt zwar für die Vertretungsbefugnis des Direktors, nicht aber für die von ihm erteilte Vollmacht. Die Vollmacht ist gesondert anzuknüpfen. Für sie gilt das Recht des Staats, in dem sie Wirkung entfalten soll (BGHZ 64, 183, 192 (IPRspr. 1975 Nr. 118); 128, 41, 47; BGH, Urteile vom 13.5.1982 – III ZR 1/80, WM 1982, 1132, 1133 (IPRspr. 1982 Nr. 139) und vom 26.4.1990 – VII ZR 218/89, WM 1990, 1847, 1848 (IPRspr. 1990 Nr. 25)). Dies ist hier deutsches Recht, weil der Mitarbeiter aufgrund der Kontovollmacht einen auf eine deutsche Sparkasse gezogenen Scheck zur Bezahlung einer deutschen Steuer ausgestellt hat. Nach §§ 105 I, 165 BGB ist die Willenserklärung eines Geschäftsunfähigen selbst dann nichtig, wenn er sie als Vertreter abgibt (BGHZ 53, 210, 215). Dies gilt auch für Organe juristischer Personen (BGHZ 115, 78, 80 f.).

[16](bb) Die Geschäftsfähigkeit des Direktors unterliegt gemäß Art. 7 I 1 EGBGB deutschem Recht, weil er deutscher Staatsangehöriger ist. Er war gemäß § 104 Nr. 2 BGB geschäftsunfähig, weil er sich nach den Feststellungen des Berufungsgerichts bei Erteilung der Vollmacht aufgrund einer psychischen Erkrankung in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit befand und dieser Zustand nicht nur vorübergehender Natur war. Die Verfahrensrügen, die die Revision gegen diese Feststellung erhebt, hat der Senat geprüft, aber nicht für durchgreifend erachtet (§ 564 Satz 1 ZPO).

[17](b) Die Scheckanweisung ist der P. AG auch nicht unter Rechtsscheingesichtspunkten zurechenbar. Maßgeblich hierfür ist das Recht des Orts, an dem ein Rechtsschein entstanden sein und sich ausgewirkt haben könnte (BGHZ 43, 21, 27) (IPRspr. 1964–1965 Nr 21), mithin deutsches Recht.

Fundstellen

LS und Gründe

DStR, 2004, 1010
EWiR, 2004, 645
NJW, 2004, 1315
WM, 2004, 671
ZIP, 2004, 659

Permalink

https://iprspr.mpipriv.de/2004-29

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