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Verfahrensgang

OLG Köln, Beschl. vom 23.03.2004 – 9 Sch 1/03, IPRspr 2004-193

Rechtsgebiete

Schiedsgerichtsbarkeit

Leitsatz

Für die Vollstreckbarerklärung eines ausländischen Schiedsspruchs in Deutschland ist nach § 1064 ZPO die Vorlage einer Übersetzung des Schiedsspruch oder der Schiedsvereinbarung nicht erforderlich. Diese nationale Regelung hat nach dem Günstigkeitsprinzip des Art. VII Abs. 1 UNÜ Vorrang vor der entsprechenden Bestimmung des Art. IV UNÜ.

Eine die Vollstreckbarerklärung nach Art. V Abs. 1 lit. d, Abs. 2 lit. b UNÜ hindernde Verletzung des Verfahrensrechts oder des ordre public ist nur anzunehmen, wenn die Entscheidung von den Grundprinzipien des deutschen Verfahrensrechts in solchem Maß abweicht, dass sie nach der deutschen Rechtsordnung nicht als in einem geordneten rechtstaatlichen Verfahren ergangen angesehen werden kann.

Im Verfahren über die Vollstreckbarerklärung eines Schiedsspruchs unterliegt die Geltendmachung der Aufrechnung gegen die festgestellte Forderung den Grenzen des § 767 II ZPO, es sei denn, das Schiedsgericht hat sich der Entscheidung über die aufgerechnete Forderung wegen Unzuständigkeit enthalten.

Rechtsnormen

BGB § 242
UNÜ Art. IV; UNÜ Art. V; UNÜ Art. VII
ZPO § 767; ZPO § 1025; ZPO § 1062; ZPO § 1064

Sachverhalt

Die ASt., eine israelische Gesellschaft, die mit Viskosefasern handelt, begehrt die Vollstreckbarerklärung eines Schiedsspruchs des Internationalen Handelsschiedsgerichts bei der Industrie- und Handelskammer der Russischen Föderation vom 27.2.2002 über insgesamt knapp 15 000 US-Dollar und macht darüber hinaus einen Zinsanspruch geltend.

Im Jahre 2000 kaufte die AGg., eine Gesellschaft mit Sitz in Deutschland, durch mehrere Verträge Viskosefasern von der ASt. In der Folgezeit kam es zu Streitigkeiten über die Zahlung des Kaufpreises und zu einem Rechtsstreit vor dem Friedensgericht in Tel Aviv-Yaffo/Israel. Dort berief sich die AGg. auf die Zuständigkeit des russischen Schiedsgerichts. In einem koordinierten Antrag willigten die Parteien ein, die Streitigkeit vor dem Internationalen Handelsschiedsgericht bei der Industrie- und Handelskammer der Russischen Föderation durchzuführen. In drei dort anhängigen Schiedsgerichtsverfahren kam es zu Schiedssprüchen, deren Vollstreckbarerklärung Gegenstand dieses Verfahrens und zweier Parallelverfahren (Az. 9 Sch 02 u. 3/03) ist.

Die dem Antrag entgegentretende AGg. macht geltend, die zwischen den Parteien geschlossenen Verträge seien Scheingeschäfte. Tatsächlich verdeckten die vermeintlichen Verträge steuerpflichtige Einnahmen der mit der ASt. gemeinsam agierenden Gesellschaft G. Ltd. Hilfsweise erklärt die AGg. die Aufrechnung mit Forderungen aus der Lieferung von Pigmenten an G. in Höhe von insgesamt 173 406,69 US-Dollar.

Der Antrag auf Vollstreckbarerklärung hatte Erfolg.

Aus den Entscheidungsgründen:

(Randnummern der IPRspr-Redaktion)

[1]1. Gegen die Zulässigkeit des Antrags auf Vollstreckbarerklärung bestehen keine Bedenken. Das OLG Köln ist nach § 1062 II ZPO für die Entscheidung zuständig.

[2]Die ASt. hat die erforderlichen Unterlagen vorgelegt. Art. IV UNÜ wird durch liberaleres nationales Recht, § 1064 ZPO, abgeschwächt. Es werden im deutschen Recht weniger Anforderungen an die Vorlagepflicht gestellt. Nach dem Günstigkeitsprinzip gilt die anerkennungsfreundlichere Norm. Für den Antrag auf Vollstreckbarerklärung eines ausländischen Schiedsspruchs ist nach den §§ 1025 IV, 1064 I, III ZPO lediglich die Vorlage des Schiedsspruchs in Ur- oder beglaubigter Abschrift erforderlich, nicht dagegen die Vorlage einer Übersetzung des Schiedsspruchs oder der Schiedsvereinbarung. Diese nationale Regelung hat nach dem Günstigkeitsprinzip des Art. VII Abs. 1 UNÜ Vorrang vor der entsprechenden Bestimmung des Art. IV UNÜ (vgl. BGH, Beschl. vom 25.9.2003 – III ZB 68/02; BayOblGZ 2000, 233, 236 (IPRspr. 2003 Nr. 203); Thomas/Reichold in Thomas-Putzo, ZPO, 25. Aufl., § 1061 Rz. 3; Zöller-Geimer, ZPO, 24. Aufl., Anh. § 1061 Rz. 3, 4 m.w.N.).

[3]Auf die Vorlage einer in bestimmter Weise beglaubigten Übersetzung der Schiedsvereinbarung wie auch des Schiedsspruchs kommt es demnach nicht an.

[4]Dass der koordinierte Antrag betreffend die Einleitung eines Schiedsverfahrens vorgelegen hat, wird im Übrigen von der AGg. auch nicht in Abrede gestellt. Sie hat sich im Verfahren in Israel auf die Schiedsvereinbarung berufen.

[5]2. Der Antrag auf Vollstreckbarerklärung ist auch begründet.

[6]Versagungsgründe im Sinne des Art. V UNÜ sind nicht gegeben, so dass eine Ablehnung der Vollstreckbarerklärung nicht in Betracht kommt.

[7]a) Dass die Schiedsvereinbarung im Sinne von Art. V Abs. 1 lit. a UNÜ nicht wirksam sein soll, ist nicht erkennbar.

[8]Die AGg. ist im Verfahren vor dem israelischen Gericht selbst von der Wirksamkeit der Schiedsvereinbarung ausgegangen und hat sich dort auf die Schiedsabrede im Hinblick auf die Zuständigkeit des Handelsschiedsgerichts bei der Industrie- und Handelskammer der Russischen Föderation ‚Commercial Arbitration Court of the Chamber of Commerce and Industry of the Russian Federation, Moscow, Russia’ berufen. Außerdem hat sie im Schiedsverfahren darauf Bezug genommen.

[9]b) Es liegt auch kein Verstoß gegen das schiedsrichterliche Verfahrensrecht oder den prozessualen ordre public vor. Nach Art. V Abs. 1 lit. d, 2 lit. b UNÜ kann die Vollstreckbarerklärung versagt werden, wenn das Verfahrensrecht oder der ordre public verletzt sind. Eine solche Verletzung ist dann anzunehmen, wenn die Entscheidung von den Grundprinzipien des deutschen Verfahrensrechts in solchem Maß abweicht, dass sie nach der deutschen Rechtsordnung nicht als in einem geordneten rechtstaatlichen Verfahren ergangen angesehen werden kann (vgl. Thomas-Putzo aaO § 1059 Rz. 16). Nicht jeder Verfahrensfehler ist von Bedeutung, vielmehr müssen Mindeststandards an Verfahrensgerechtigkeit verletzt sein (vgl. Zöller-Geimer aaO § 1061 Rz. 31) und die Entscheidung muss auf dieser Verletzung beruhen können. Solche Mängel des Schiedsgerichtsverfahrens sind nicht gegeben.

[10]Schiedsgerichte müssen rechtliches Gehör im Wesentlichen nach den gleichen Grundsätzen gewähren wie staatliche Gerichte. Das rechtliche Gehör erschöpft sich nicht darin, den Parteien Gelegenheit zum Vortrag zu geben. Vielmehr muss das Gericht das jeweilige Vorbringen auch zur Kenntnis nehmen und in Erwägung ziehen (vgl. BGH, NJW 1992, 2299 (IPRspr. 1992 Nr. 250)). Das ist vorliegend geschehen.

[11]Die Argumente der AGg., die anwaltlich vertreten war, sind vom Schiedsgericht gehört und gewichtet worden ... Wie sich aus dem im Schiedsspruch mitgeteilten Gang des Verfahrens vor dem Schiedsgericht ergibt, sind die Einwendungen der AGg. erörtert worden. Das Schiedsgericht hat den Sachverhalt ausführlich dargestellt und die einzelnen Argumente der Parteien bei der Entscheidungsfindung berücksichtigt. Selbst wenn das Schiedsgericht Beweisanträgen aus Gründen des formellen oder materiellen Rechts nicht nachgegangen ist, ist der Grundsatz des rechtlichen Gehörs nicht verletzt. Das gilt selbst bei einer fehlerhaften Beurteilung, solange sie nicht nur vorgeschoben ist, um etwa zu verdecken, dass das Schiedsgericht sich mit dem Vortrag nicht befasst hat (vgl. BGH, NJW 1992, 2299, 2300 (IPRspr. 1992 Nr. 250); Zöller-Geimer aaO § 1061 Rz. 44).

[12]c) Auch in materieller Hinsicht ist der ordre public nicht verletzt.

[13]Ein Eingehen auf die Berechtigung der Forderung der ASt. in der Sache und die Beurteilung der materiellen Rechtslage durch das Schiedsgericht ist dem Senat im vorliegenden Verfahren verwehrt. Die inhaltliche Richtigkeit des Schiedsspruchs ist nicht zu prüfen (Verbot der révision au fond, vgl. Zöller-Geimer aaO § 1059 Rz. 74; § 1061 Rz. 40).

[14]Die vom Schiedsgericht vorgenommene Tatsachenfeststellung ist solange unangreifbar, als nicht ein Verfahrensmangel vorliegt (vgl. Zöller-Geimer Rz. 53). Ein solcher Fehler ist nicht dargelegt. Das Schiedsgericht hat sich mit dem Vortrag der AGg. auseinandergesetzt, es handele sich um ein Scheingeschäft (Nr. 5 des Schiedsspruchs). Im Ergebnis hat es sich der Argumentation der AGg. nicht angeschlossen. Die Überprüfung der Rechtslage nach russischem Recht, insbesondere Wirtschafts- oder Steuerrecht, ist dem Senat verwehrt.

[15] d) Die Hilfsaufrechung der AGg. greift nicht durch.

[16]Einwendungen gegen den dem Schiedsspruch zugrunde liegenden Anspruch sind grundsätzlich nur im Rahmen des § 767 II ZPO zulässig (vgl. Zöller-Geimer aaO § 1061 Rz. 21; § 1060 Rz. 4). Eine Aufrechnung des Schuldners ohne die zeitliche Schranke des § 767 II ZPO ist allerdings zulässig, wenn sich das Schiedsgericht der Entscheidung über die aufgerechnete Forderung wegen Unzuständigkeit enthalten hat (BGHZ 38, 259 (IPRspr. 1962–1963 Nr. 211); MDR 1965, 374 (IPRspr. 1964–1965 Nr. 279); Zöller-Geimer Rz. 21). Ob diese Voraussetzung gegeben ist, kann offen bleiben.

[17]Die Zulässigkeit der Aufrechnung beurteilt sich nach deutschem Recht (Zöller-Geimer aaO) Damit sind erforderlich Fälligkeit, Gleichartigkeit und Gegenseitigkeit der Forderung (vgl. Palandt-Heinrichs, BGB, 63. Aufl., § 387 Rz. 4 ff). An dieser Voraussetzung fehlt es. Nach dem eigenen Vortrag richtet sich die (bestrittene) Forderung gegen die G. Ltd. Allerdings kann bei Treuhandverhältnissen nach § 242 BGB dem Schuldner die Aufrechnungsbefugnis zuerkannt werden (vgl. BGHZ 25, 367; 110, 81; NJW 1989, 2387; Palandt-Heinrichs Rz. 7). Für die Annahme eines solchen Rechtsverhältnisses fehlt es aber an Anhaltspunkten und Belegen. Die Gesellschaften gehören unterschiedlichen Rechtskreisen an. Dass der Grundsatz von Treu und Glauben hier ausnahmsweise ein Aufrechnung rechtfertigen soll, ist nicht anzunehmen.

[18]Demnach war der Schiedsspruch für vollstreckbar zu erklären.

[19]3. Der Zinsantrag ist nicht gerechtfertigt. Eine Rechtsgrundlage für die Geltendmachung von Zinsansprüchen außerhalb des Schiedsspruchs im Verfahren über die Vollstreckbarkeitserklärung ist nicht erkennbar.

Fundstellen

LS und Gründe

SchiedsVZ, 2005, 163, (dort mit Datum 23.4.2006)

Permalink

https://iprspr.mpipriv.de/2004-193

Lizenz

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