Ein ausländischer Titel (hier: italienisches Urteil), das dem Kläger Zinsen und Mehrwertsteuer ohne Angabe der Höhe zuspricht, ist im Klauselerteilungsverfahren zu konkretisieren; dazu hat das Gericht das maßgebliche ausländische (hier: italienische) Recht festzustellen und anzuwenden.
Der Anerkennung steht ein Zustellungsmangel nach Art. 34 Nr. 2 EuGVO auch in Fällen einer Säumnisentscheidung nicht entgegen, wenn der Beklagte im dortigen Verfahren gegen die Entscheidung kein Rechtsmittel eingelegt hat, obwohl er die Möglichkeit dazu hatte.
\pagebreak Die ASt. erwirkte vor dem Gericht in Mailand ein Urteil gegen die AGg., die verurteilt wurde, an die ASt. 18 592,45 Euro nebst gesetzlichen Zinsen seit dem Antrag bis zum Ausgleich zugunsten der Kl. sowie Prozesskosten von insgesamt 2 800 Euro zzgl. MWSt. zu zahlen. Das Urteil wurde der AGg. am 25.2.2004 zugestellt.
Auf Antrag der ASt. hat die Vorsitzende der 4. ZK des LG Landau (Pfalz) am 9.6.2004 angeordnet, dass das Urteil des Mailänder Gerichts für vollstreckbar erklärt werde und mit der Vollstreckungsklausel zu versehen sei. Hiergegen richtet die AGg. ihre Beschwerde mit der Begründung, sie habe in der Vergangenheit weder die Klageschrift noch Ladungen zu einem Termin im Wege der Zustellung erhalten. Die Beschwerde führte zur Konkretisierung der titulierten Zinsen und der MWSt. und blieb im Übrigen ohne Erfolg.
[1]1. Die Zulässigkeit der Beschwerde unterliegt keinen Bedenken. Die von der ASt. begehrte Vollstreckbarerklärung des italienischen Urteils vom 31.3. – 10.5. 2003 richtet sich nach der am 1.3.2002 in Kraft getretenen EuGVO. Nach Art. 66 II lit. a EuGVO werden Entscheidungen, die nach dem Inkrafttreten der Verordnung erlassen wurden, nach Maßgabe des Kap. III der Verordnung anerkannt und zur Vollstreckung zugelassen, wenn die Klage vor Inkrafttreten der Verordnung im Ursprungsmitgliedstaat erhoben wurde, nachdem das EuGVÜ oder das LugÜ sowohl im Ursprungsmitgliedstaat als auch in dem Mitgliedstaat, in dem die Entscheidung geltend gemacht wird, in Kraft getreten war. Dies ist hier der Fall. Das EuGVÜ ist sowohl in Italien als auch in Deutschland am 1.2.1973 in Kraft getreten; die Klage stammt aus dem Jahr 1999.
[2]Das Rechtsmittel ist nach Art. 43 EuGVO i.V.m. §§ 1 II lit. b, 11 I 1 AVAG vom 19.2.2001 i.d.F. vom 30.1.2002 statthaft.
[3]Der Einholung einer Abhilfeentscheidung des LG vor der Entscheidung durch den Senat bedarf es nicht, da eine Befugnis für das die Vollstreckung zulassende Gericht zur Abhilfe einer gegen seine Entscheidung gerichteten Beschwerde nach a.A. nicht besteht (BT-Drucks. 11/351 S. 22; Zöller-Geimer, ZPO, 23. Aufl., § 11 AVAG Rz. 4; Kropholler, Europäisches Zivilprozessrecht, 7. Aufl., Art. 43 Rz. 10; OLG München, NJW 1975, 504; Senat, Beschl. vom 20.2.2004 – 3 W 157/03 – und 8.12.2003 – 3 W 217/03; OLG Köln, NJOZ 2004, 3367, 3369).
[4]Die Entscheidung des Senats ergeht in voller Besetzung des Spruchkörpers, weil die Vorsitzende der ZK den angefochtenen Beschluss gemäß § 3 III AVAG nicht als erstinstanzlicher ‚Einzelrichter’ im Sinne des § 568 ZPO erlassen hat, sondern kraft besonderer Zuständigkeitsverweisung auf der Grundlage innerstaatlich geltenden Abkommensrechts bzw. unmittelbar geltenden EGVerordnungsrechts entscheidet (Senat in st. Rspr., vgl. Beschl. vom 3.11.2003 – 3 W 149/03, vom 8.12.2003 – 3 W 217/03, vom 20.2.2004 – 3 W 157/03; OLG Stuttgart, OLGR 2003, 102; OLG Köln, IPRax 2003, 354 (IPRspr. 2002 Nr. 192)).
[5]2. In der Sache führt das Rechtsmittel nicht zum Erfolg. Zu Recht hat das LG das Urteil der V. ZK des Mailänder Gerichts vom 31.3.2003 – 10.5.2003 für vollstreckbar erklärt. Das Urteil war lediglich hinsichtlich der Höhe der zugesprochenen Zinsen und der Höhe der auf die Prozesskosten zu zahlenden MWSt. zu konkretisieren. Der italienische Titel stellt eine Entscheidung im Sinne von Art. 32 EuGVO dar. Im ersten Rechtszug hatte die ASt. den Originaltitel vorgelegt: Damit ist Art. 53 EuGVO Genüge getan, wonach die Partei, die eine Vollstreckbarerklärung beantragt, eine Ausfertigung der Entscheidung vorzulegen hat, die die für ihre Beweiskraft erforderlichen Voraussetzungen erfüllt. Unerheblich ist, dass der Originaltitel zurückgegeben worden ist. Denn dieser muss nicht bei den Akten verbleiben. Er kann nach Erteilung der Vollstreckungsklausel wieder ausgehändigt werden (vgl. BGHZ 75, 167, 169 (IPRspr. 1979 Nr. 204) zu Art. 46 EuGVÜ; Kropholler Art. 54 Rz. 2).
[6]Die ASt. hat auch die nach Art. 54 EuGVO erforderliche Bescheinigung unter Verwendung des Formblatts in Anhang V der Verordnung vorgelegt.
[7]Anerkennungshindernisse im Sinne von Art. 34 und 35 EuGVO stehen der Vollstreckbarerklärung der Entscheidung der V. ZK des Mailänder Gerichts nicht entgegen. Insbesondere kann sich die AGg. nicht auf den Versagungsgrund des Art. 34 Nr. 2 EuGVO berufen.
[8]Es kann dahingestellt bleiben, ob der AGg. das verfahrenseinleitende Schriftstück ordnungsgemäß und rechtzeitig im Sinne dieser Vorschrift zugestellt worden ist, denn nach Art. 34 Nr. 2 EuGVO bleibt auch in Fällen einer Säumnisentscheidung ein Zustellungsmangel folgenlos, wenn der Beklagte – wie hier – gegen die Ausgangsentscheidung kein Rechtsmittel eingelegt hat, obwohl er die Möglichkeit dazu hatte (Geimer-Schütze, Europäisches Zivilprozessrecht, 2. Aufl., Art. 34 Rz. 94; OLG Köln, NJOZ 2004, 3367, 3369). Mit der Neuregelung dieser Vorschrift hat der Verordnungsgeber – in bewusster Abkehr von der Rechtsprechung des EuGH zu Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ (vgl. EuGH, Rs C-123/91 [Minalmet/Brandeis], EuGHE 1992, I-5661 Rz. 19; Rs C-78/95 [Hendrikmann /Magenta Druck], EuGHE 1996, 14943 Rz. 20) – den Rechtsschutz des Gläubigers erweitert. Der Beklagte hat jetzt nicht mehr die Wahl, gegen die Entscheidung im Urteilsstaat mit Rechtsmitteln vorzugehen oder im Zweitstaat die Anerkennung zu verhindern. Vielmehr soll nach Sinn und Zweck der jetzigen Regelung über Verfahrensfehler möglichst sachnah im Ursprungsstaat entschieden werden (Kropholler Art. 34, Rz. 42).
[9]Die ASt. hat durch Vorlage des Zustellungsberichts des Gerichtsdieners bei der einzelnen Anmeldestelle am Gericht Mailand und des Zustellungsnachweises der poste italiana nachgewiesen, dass der AGg. das Urteil der V. ZK des Mailänder Gerichts am 25.2.2004 zugestellt wurde. Dies wird von der AGg. nicht bestritten. Unstreitig ist auch, dass diese dagegen kein Rechtsmittel eingelegt hat.
[10]Dass das italienische Urteil in der Entscheidungsformel und den Gründen weder die Höhe der ‚gesetzlichen Zinsen’, zu deren Zahlung die AGg. verurteilt wurde, noch die Höhe der auf die Prozesskosten zu entrichtenden MWSt. beziffert, steht der Erteilung der Vollstreckungsklausel nicht entgegen. Vielmehr obliegt dem Gericht des Klauselerteilungsverfahrens die ergänzende Auslegung der ausländischen Entscheidung, wobei es das ausländische Recht festzustellen und anzuwenden hat (vgl. BGH, NJW 1990, 3084 (IPRspr. 1990 Nr. 198); OLG Düsseldorf RIW 1997, 330 (IPRspr. 1996 Nr. 183); OLG Hamburg, OLGR 1998, 87; Kropholler Art. 38 Rz. 12). Der gesetzliche Zinssatz, zu dessen Entrichtung die AGg. verpflichtet ist, richtet sich nach Art. 1284 ital. Cc. Er kann gemäß Abs. 2 der Vorschrift durch Ministerialdekret jährlich neu festgelegt werden. Für den hier maßgebenden Zeitraum gelten folgende Zinssätze: vom 1.1.1999 bis 31.12.2000 2,5%, vom 1.1.2001 bis 31.12.2001 3,5%, vom 1.1.2002 bis 31.12.2003 3,0% und seit dem 1.1.2004 2,5%. Der Beginn des Zinslaufs ist der 16.4.1999; denn ausweislich der nach Art. 54 EuGVO erforderlichen Anlage (dort Nr. 4.3.4) war das ‚Zustellungs- oder Mitteilungsdatum des Antrags beim Gericht im Fall von Entscheidungen in Abwesenheit des Beklagten’ der 15.4.1999.
[11]Der maßgebliche MWSt.-Satz beläuft sich auf 20%. Dementsprechend hatte eine Konkretisierung des italienischen Titels durch den Senat zu erfolgen.
[12]Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens beruht auf § 97 I ZPO.
[13]Den Wert des Beschwerdegegenstands hat der Senat gemäß § 3 ZPO nach dem Wert der ausländischen Verurteilung festgesetzt (vgl. OLG Zweibrücken, JurBüro 1986, 1404 [1405]; Anders-Gehle-Kuntze, Streitwertlexikon, 4. Aufl., Stichwort ‚Vollstreckungsklausel’ Rz. 1 und 5).